Die Industrialisierung der Landwirtschaft. Massentierhaltung und die Auswirkungen auf den ländlichen Raum


Hausarbeit, 2014

23 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Politisch und historisch bedeutsame Etappen für die Entwicklung der Landwirtschaft
2.1 Neolithische Revolution
2.2 Feudale Landwirtschaft, Agrarreformen und Bauernbefreiung
2.3 Industrielle Revolution
2.4 Agrarpolitik nach dem 1. Weltkrieg

3. Kennzeichen und Methoden der industriellen Landwirtschaft
3.1 Merkmale industrieller Agrarbetriebe
3.2 Methoden industrieller Agrarbetriebe
3.3 Massentierhaltung

4. Auswirkungen der Industrialisierung der Landwirtschaft
4.1 Umwelt
4.2 Lebensmittelversorgung
4.3 Einflussnahme von Agrarunternehmen
4.4 Folgen für den ländlichen Raum

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Verzeichnis verwendeter Abkürzungen

1. Einleitung

Nur wenige Neuerungen im Verlauf der Zivilisationsgeschichte haben einen solch um- fassenden Einfluss auf sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens gehabt wie die so ge- nannte Industrielle Revolution. Ein bedeutender, davon betroffener Sektor war und ist die Landwirtschaft, die heute aufgrund zahlloser Industrialisierungs- und Rationalisie- rungsprozesse nicht mehr viel mit dem Leben eines Bauern im 18. Jahrhundert zu tun hat. Wie jede einschneidende Veränderung hat auch die Übertragung industrieller Arbeits- und Pro- duktionsformen auf die Nahrungsmittelerzeugung sowohl positive als auch negative Auswir- kungen zur Folge, die aufgrund des nach wie vor anhaltenden Fortschritts noch nicht in vollem Ausmaß abzusehen sind.

In der vorliegenden Hausarbeit sollen nach einem kurzen historischen Abriss der wichtigsten Fortschritte im Agrarbereich vor allem die aktuellen Produktionsmethoden und ihre gegenwär- tigen Auswirkungen geschildert werden. Ein Schwerpunkt wird dabei gemäß Aufgabenstel- lung auf Folgen für den ländlichen Raum sowie auf flächenunabhängiger Großbestandshaltung („Massentierhaltung“) liegen. Eine weitere damit verbundene Entwicklung wird aufgrund der Brisanz der Thematik gesondert behandelt werden: Die Rolle von Großkonzernen in der Le- bensmittelerzeugung. Ergänzend dazu soll auf die Problematik eingegangen werden, dass das Idealbild des traditionellen Mischbetriebs trotz des umfassenden Wandels im Agrarsektor, ein- hergehend mit wachsendem Konsum von agrarischen Produkten bei gleichzeitigem Preisver- fall, noch nicht aus unserer Vorstellung von Landwirtschaft verschwunden ist.

2. Politisch und historisch bedeutsame Etappen für die Entwicklung der Landwirtschaft

2.1 Neolithische Revolution

Neben der Industriellen Revolution viele tausend Jahre später war es die Neolithische Re- volution (etwa 10.000 v. Chr. bis 5.500 v. Chr.) in der Jungsteinzeit, die die Lebensweise und damit eng verknüpft die Nahrungsmittelversorgung der Menschen maßgeblich prägte. Waren die „Jäger und Sammler“ zuvor noch als Nomaden umhergezogen, ohne hinderlichen Besitz (oder Nahrungsvorräte) und stets abhängig vom Nahrungsangebot, der als exogener Fak- tor kaum kontrollierbar war und die frühen Menschen zur Wanderung zwang, änderte sich die Situation nachhaltig mit der Entdeckung der Landwirtschaft, also der Produktion von Nahrung im Gegensatz zu ihrer bloßen Aneignung (vgl. Reichert-Schick, 2013, S. 9). Daneben lassen sich noch drei weitere bedeutende Neuerungen im Rahmen der Neolithischen Revolution fest- halten: Der Sesshaftwerdungsprozess verbunden mit dem Anbau von Kulturpflanzen sowie der Domestizierung bzw. der Nutzhaltung von Tieren (vgl. ebd. S.10). Durch die Sesshaftwerdung entwickelten sich nach und nach dörfliche und später auch städtische Strukturen, die Menschen lebten bodenstet und betätigten sich nicht länger als umherziehende Jäger und Sammler. Nah- rung wurde fortan selbst erzeugt, z.B. wurden diverse Getreidesorten (Weizen, Gerste, Einkorn) kultiviert und mit frühen landwirtschaftlichen Werkzeugen und Methoden bearbeitet. So wur- den erste Pflüge gebaut und künstliche Bewässerung zur Produktionssteigerung eingesetzt (vgl. ebd.). Damit einhergehend war die Haltung von Nutztieren: Exkremente wurden als Dünger ge- nutzt, sie konnten als Zugtiere vor Pflüge gespannt werden und nicht zuletzt war das Vieh selbst ein Nahrungsmittellieferant. Diese Entwicklungen führten zu enormen Ertragssteigerungen, die nicht zuletzt den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie mit Nutz- und Reittieren ermöglichten (vgl. ebd.).

Ihren geographischen Ursprung hatte die Neolithische Revolution im sog. Fruchtbaren Halb- mond (vgl. ebd.) östlich des Mittelmeers (im Gebiet des heutigen Jordanien, Syrien, der Türkei, des Irak und Iran), der durch günstige klimatische Bedingungen mit entsprechender Flora und Fauna und fruchtbaren Boden gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Landwirtschaft bot.

Abschließend sei noch anzumerken, dass die „Erfindung“ der Landwirtschaft sich über knapp 5.000 Jahre hinzog und in der modernen Forschung daher eher von einer evolution ä ren anstatt einer revolution ä ren Entwicklung gesprochen wird (vgl. ebd., S. 9). In jedem Fall bilden jene Neuerungen die Basis für die heutige Agrarwirtschaft und dürfen daher nicht unerwähnt blei- ben.

2.2 Feudale Landwirtschaft, Agrarreformen und Bauernbefreiung

Die Feudalherrschaft wurde zu einem großen Teil vom Lehnswesen bedingt, das sich seit dem 8. Jahrhundert n. Chr. (vgl. Weiss, 1999, S. 1994) entwickelte und zum Teil bis ins vergangene Jahrhundert vorhielt. Von Bedeutung ist dabei vor allem das Verhältnis zwischen Lehnsherr und den ihm unterstellten Lehnsleuten, dem sog. Lehnsverband (vgl. ebd.).

Die Bauern bewirtschafteten nicht ihr eigenes Land, sondern befanden sich in vollkommener Abhängigkeit vom adligen oder klerikalen Grundherrn. Er besaß nicht nur den Acker, den er von seinen Vasallen bestellen ließ, sondern in gewisser Weise oft auch die Lehnsleute selbst. Zusätzlich hatte er die Gerichtsherrschaft inne, d.h. er war selbst für die Einhaltung der bestehenden Rechtsordnung zuständig (vgl. Henkel, 1999, S. 154).

Dieses System führte zu erheblichen finanziellen Diskrepanzen zwischen Ober- und Unter- schicht. Während die Großgrundbesitzer ihren Reichtum durch Steuern und Naturalabgaben mehrten, mussten deren Grundhörige häufig hungern oder konnten die zu zahlenden Abgaben nicht leisten. Zudem hielten die Fortschritte in der Landwirtschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit dem rasanten Bevölkerungswachstum Schritt. Die daraus resultierenden Hungerkri- sen in den 1840er Jahren waren neben der allgemeinen Abgabelast und der juristischen Macht- losigkeit auch ein entscheidender Faktor für die Bauernrevolten in der Mitte des 19. Jahrhun- derts (vgl. ebd. S.152f.).

Im Zuge der folgenden Agrarreformen gewannen die Bauern ihre persönliche Freiheit sowie die Verfügungsgewalt und damit verbundene Sicherheit von Grund und Boden. Auf der ande- ren Seite verloren sie jedoch den Anspruch auf bestimmte soziale Leistungen des ehemaligen Grundherrn. Verstreute Grundstücke wurden mithilfe einer neuen Flurordnung zu größeren Flächen zusammengelegt. Dank der Anlage von Feldwegen konnte auch der Flurzwang ab- geschafft werden, der den Bauern zuvor eine strikte 3-Felder-Wirtschaft vorgeschrieben hatte, damit fremde Felder nicht bei deren Überquerung Schaden nahmen (vgl. ebd.). Die Auflösung der Lehnsverbände, die Rückgabe des Bodens an die Bauern und die Abschaffung gewisser adliger Privilegien wird unter dem Begriff der Bauernbefreiung zusammengefasst.

2.3 Industrielle Revolution

Da sich diese Hausarbeit schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf die Landwirtschaft beschäftigt, soll an dieser Stelle der Vollständigkeit halber und zur besseren Einordnung ein kurzer Abriss der wichtigsten historischen Fakten gegeben werden. Alles Weitere ist in den entsprechend überschriebenen Abschnitten aufgeführt.

Die Industrielle Revolution nahm ihren Anfang zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England. Ausschlaggebend dafür waren die Erfindung der Dampfmaschine und die damit einhergehende Entwicklung diverser Arbeitsmaschinen sowie die Durchsetzung industrieller Fertigungsme- thoden (vgl. Bibliographisches Institut Mannheim, 2013, o. S.). Im Prozess der sich verbrei- tenden Neuerungen setzte ein nachhaltiger, überstaatlicher Wandel vom Agrarstaat hin zum In- dustriestaat ein. Während in einem Agrarstaat der Großteil des Einkommens durch Tätigkeiten im Agrarsektor (Fischerei, Landwirtschaft, Forstwirtschaft) erwirtschaftet wird, ist in einem In- dustriestaat der industrielle Sektor ausschlaggebend (vgl. ebd.). Trotz des begrifflichen Wandels waren die Veränderungen besonders im agrarischen Bereich zunächst nur geringfügig spürbar. Zwar profitierte der Landwirt nun von einer besseren Infrastruktur und neuen Erfindungen wie der Dampfdresche und ersten Traktoren, doch blieben die Bauern zunächst noch bei ihren tradi- tionellen Methoden und verbanden bestenfalls moderne und althergebrachte Arbeitstechniken. Der Traktor setzte sich erst knapp 60 Jahre nach seiner Erfindung im Jahr 1892 flächendeckend in Europa durch (vgl. Paeger, 2010, o. S.). Entgegen der Befürchtungen von Robert Malthus, der mit seinem berühmten Bev ö lkerungsgesetz ein zu schnelles Bevölkerungswachstum bei zu langsamer Steigerung der Nahrungsmittelproduktivität mit daraus resultierenden Hungersnö- ten und Kriegen prophezeit (vgl. Bibliographisches Institut Mannheim, 2013, o. S.), konnte die Landwirtschaft die wachsende Population problemlos ernähren (vgl. Paeger, 2010, o. S.). Das war unter anderem durch diverse Maßnahmen zur Vergrößerung der landwirtschaftlichen Flächen möglich, beispielsweise Waldrodungen, Trockenlegung von Feuchtgebieten und die Nutzung von Kolonialgebieten. Letzteres ließ einstige Luxusgüter wie Kaffee, Zucker und Tee zur Massenware werden. Zusätzlich war es durch die Entwicklung von Kühl- und Gefriertech- niken möglich, exotische Früchte und andere leicht verderbliche Waren über weite Strecken zu transportieren (vgl. ebd.). Mit der wachsenden Bedeutung der Industrien wuchs der Anteil an Rohstoffpflanzen, ebenfalls zu weiten Teilen in Kolonialgebieten. Landwirtschaft diente nicht länger ausschließlich der Versorgung der (eigenen) Bevölkerung, sondern wurde zum Industrie- zulieferer und Produzent von Handelswaren (vgl. ebd.).

Mit Pionieren wie Henry Nestlé, der 1867 die erste Fertig-Säuglingsnahrung auf den Markt brachte, nahm die heute so bedeutende Ernährungsindustrie ihren Anfang (vgl. ebd.). Ihr folg- ten Fastfood-Restaurants und schließlich enorme Handelskonzerne wie Tesco, Carrefour oder Metro. Diese Prozesse trugen maßgeblich zur „Entfremdung von den Grundlagen unserer Er- nährung“ (ebd.) bei, die zu einer wachsenden Diskrepanz zwischen dem vermarkteten Bild der idealisierten, bäuerlichen Landwirtschaft und der durch industrielle Methoden geprägten Realität führte.

2.4 Agrarpolitik nach dem 1. Weltkrieg

Mit der Einführung von Schutzzöllen im Jahr 1879 reagierte die Politik auf den durch zu- nehmende Agrarimporte verursachten Preissturz, beendete damit die Phase der libe- ralen Agrarpolitik und läutete eine Agrarschutzpolitik ein (vgl. Henkel, 1999, S.154). Diese Ausrichtung wurde durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges revidiert, an dessen Ende man sich auf die Steigerung der Produktion konzentrierte, um die Grundversorgung der unter den Folgen des Kriegs leidenden Bevölkerung zu gewährleisten. Mit dem Reichssiedlungsgesetz von 1919 und den damit verbundenen Bodenreformen sollten Landwirte bei Siedlungsvorhaben unterstützt werden, indem zwangsversteigerte und staatliche Flächen privatisiert wurden. Tat- sächlich vergab der deutsche Staat 60.000 Neusiedlerstellen an Landwirte (vgl. ebd.).

Nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler erhielt der bäuerliche Stand einen neuen Status: Als Nahrungsmittelproduzenten waren Bauern von enormer politischer Bedeutung, sollten sie doch im Kriegsfall die Autarkie des Deutschen Reiches sichern (vgl. ebd. S.154f.). Das Reichserbhofgesetz von 1933 stellte die Weitervererbung eines Betriebes innerhalb der (arischen) Familie sicher und mit dem Reichsn ä hrstandgesetz aus demselben Jahr wurde das „Führerprinzip“ auch auf die Landwirtschaft übertragen, das eine strikte Organisation mit klarer Befehlshierarchie beinhaltete. Bauern wurden zu „Soldaten in der Ernährungsschlacht“ (ebd. S.155). Ebenfalls aus Gründen der Ernährungssicherung wurden neue Flächen urbar gemacht und der Einsatz von Düngemitteln propagiert (vgl. ebd.).

Nach Ende des 2. Weltkriegs fanden in der BRD und der DDR sehr unterschiedliche Entwicklungen im Agrarsektor statt. Aus Platzgründen und da letzteres in einer anderen Hausarbeit thematisiert wird, werde ich hier nur auf die Entwicklung in Westdeutschland eingehen, die sich nach Henkel in drei Phasen (1-3) unterteilen lässt.

Im Rahmen des Wiederaufbaus (1) stand zunächst die Versorgung der Bevölkerung im Vor- dergrund. Mit Erfolg: Bereits 1949 war die landwirtschaftliche Produktionsleistung wieder auf ihrem Vorkriegsniveau angelangt (vgl. ebd. S.159). Mittels gemäßigter Bodenreformen wurde Siedlungsland für Flüchtlingsbauern geschaffen. Ab 1953 begann dann eine moderne Agrarstrukturenpolitik (2). Das Landwirtschaftsgesetz (1955) gestand der Landwirtschaft staat- liche Förderung zu und unterstützte Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation von Landwirten und deren Angestellten. Weitere Änderungen beinhalteten Flurbereinigungsmaß- nahmen, Subventionen und Preisstützungen, Steuervorteile, Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie sozialpolitische Aufgaben wie z.B. Renten speziell für Landwirte. Ziel die- ser Erlasse war es, den Übergang zur modernen Landwirtschaft zu erleichtern und abzumildern.

Seit Anfang der 60er wurde die Agrarpolitik zunehmend durch Regelungen der EU beeinflusst (Gemeinsame Agrarpolitik, GAP (3)). Die Zielsetzung bestand aus fünf Kategorien: Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, Erhöhung des Einkommens in der Landwirtschaft, Sta- bilisierung der Märkte durch Maßnahmen zur Preisregulierung, Sicherstellung der Versorgung sowie das Aufrechterhalten angemessener Verbraucherpreise (vgl. Bibliographisches Institut Mannheim, 2013, o. S.). Diese Regelungen führten zu enormen Ausgaben für den EU-Agrar- sektor und wurden daher durch die Agrarreformen aus den Jahren 2000 und 2003 (Agenda 2000) eingeschränkt. Eine weitere inhaltliche Verschiebung fand zugunsten umweltpolitischer Themen bzw. nachhaltiger Landwirtschaft sowie der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes statt. Dennoch beanspruchten Agrarausgaben 2008 noch 46% der EU-Gesamtausga- ben (im Vergleich zu 77% im Jahr 1976; vgl. ebd.).

Diverse, kontrovers diskutierte Marktregulierungsmaßnahmen während zahlreicher Überarbei- tungen der GAP beinhalt(et)en entscheidende finanzielle Förderungen und Importregelungen. Dazu zählten die Abschottung des Marktes von landwirtschaftlichen Gütern aus Nicht-EU- Staaten und eine Preis- bzw. Abnahmegarantie, die zur Vernichtung überschüssiger, nicht ver- käuflicher Ware durch den Staat führte. Um EU-Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen, wurden bis heute beibehaltene Ausfuhrsubventionen erlassen, die den Landwirten die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem Binnenpreis erstatten. Die Überproduktion wurde des Weiteren durch „Milchquoten“ und „Stilllegungsprämien“ eingedämmt (vgl. Bun- deszentrale für politische Bildung, 2010, o. S.). Tatsächlich machen EU-Agrarsubventionen mittlerweile oft bis zu 40% des Einkommens von Landwirten aus (vgl. Norddeutscher Rund- funk, 2013a).

Von großer Bedeutung für die moderne Zielsetzung landwirtschaftlicher Produktion ist dar- über hinaus der umstrittene Entwurf des damaligen EG-Kommissars für Landwirtschaft, Sic- co Mansholt, der im Jahr 1968 ein umfassendes Rationalisierungsprogramm im Agrarsektor vorlegte, den sog. „Mansholt-Plan“ (vgl. Henkel, 1999, S. 161). Unter dem Motto „Wachsen oder Weichen“ sollten kleinere, unwirtschaftliche Betriebe aussortiert und die verbleibenden bzw. durch Zusammenlegung gewachsenen Großbetriebe mit zeitgemäßer, einheitlicher Agrar- technologie ausgestattet werden. Die fünf Millionen „freiwillig“ ausscheidenden Landwir- te sollten durch soziale Maßnahmen (Umschulungen, Rente etc.) aufgefangen und wieder in die Gesellschaft integriert werden (vgl. ebd.). Nach sehr gegensätzlichen Reaktionen auf das „Gesundschrumpfungs-Konzept“ (ebd. S. 162) einigte man sich schließlich 1971 auf eine stark abgemilderte Version. Dennoch ist der „Mansholt-Plan“ charakteristisch für ein Umdenken in Bezug auf ein neues Wirtschaftlichkeitsdenken in der Agrarpolitik.

3. Kennzeichen und Methoden der industriellen Landwirtschaft

3.1 Merkmale industrieller Agrarbetriebe

Im Folgenden sollen die Indikatoren für bestehende Industrialisierungsprozesse in der Land- wirtschaft nach Darlegung des Agrargeographen Hans-Wilhelm Windhorst, der bis zu seinem Ruhestand an verschiedenen Standorten der Universität Osnabrück lehrte, beschrieben werden. Ich stütze mich dabei auf von ihm herausgegebene Literatur (Windhorst, 1989, S.11ff.).

Er nennt im Wesentlichen vier Merkmale, die einen solchen Industrialisierungsprozess charak- terisieren:

Sektorale Konzentration (1), Kapitalisierung (2), Dezentralisierung des Managements (3) sowie vertikale Integration (4), also das Eingliedern in eine Wertschöpfungskette.

Mit sektoraler Konzentration (1) wird ein Phänomen beschrieben, bei dem eine schrumpfende Zahl von Betrieben einen Großteil der Gesamtproduktion erzeugt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Tab. 1 lässt sich diese Entwicklung anhand der wachsenden Betriebsfläche nachvollziehen: Die Zahl der Betriebe ging innerhalb von knapp 50 Jahren auf etwa 1/6 der Betriebsanzahl von 1949 zurück, gleichzeitig wuchsen die zugehörigen Landflächen auf mehr als das Dreifache an. Grund für diesen Prozess der sektoralen Konzentration ist nicht zuletzt die EU-Agrarpolitik (vgl. Kapitel 2.4), doch trägt auch die von WindhorsRSt angesprochene Kapitalisierung (2) dazu bei. Sie beschreibt eine Konzentration der Ausgaben auf produktionsbedingte und Ertrag steigernde Technologien. Dadurch werden Nutzlandflächen und Arbeitskräfte eingespart. Waren im Jahr 1970 noch 2.707.800 Menschen in Westdeutschland in der Landwirtschaft tätig, reduzierte sich ihre Zahl bis ins Jahr 2010 auf 928.200 Angestellte (vgl. BMELV, 2012b). Ebenfalls deutlich zeigt sich der Wandel im Gebiet der familienzugehörigen Arbeitskräfte: Ihr Anteil verringerte sich im gleichen Zeitraum von 91,4% auf 56,7% am Gesamtpersonal (vgl. ebd.). Problematisch ist dabei, dass kleine und mittelständische Betriebe die wachsenden Ausgaben nicht mehr leisten können. Ohne modernste Technologien ist ein Agrarbetrieb heutzutage aber nicht mehr wettbewerbsfähig. Viele Landwirte sind daher auf Kredite in Millionenhöhe angewiesen, mit denen sie ihre Anlagen aufrüsten können (vgl. EerRnsSt Steenken in der NDR-Dokumentation „Kleine Bauern – Große Bosse“, 2013b). Doch nicht alle Landwirte sind in der Lage, jedem Fortschritt der Agrartechnologie zu folgen und zu investieren, bevor die noch bestehenden Schulden abbezahlt sind. Laut Windhorst (1989, S.12) stieg das Fremdkapital in landwirtschaftlichen Betrieben der BRD zwischen 1960 und 1985 von 11,891 Mrd. DM auf 48,219 Mrd. DM, das entspricht mehr als der vierfachen Summe.

In Zusammenhang mit der wachsenden Betriebsgröße steht der dritte von Windhorst aufge- führte Indikator für landwirtschaftliche Industrialisierungsprozesse: Die Dezentralisierung des Managements (3), welche von der zunehmenden Komplexität der betrieblichen Abläufe her- rührt, die von einzelnen Landwirten kaum erfolgreich zu meistern ist. Schließlich ist noch die vertikale Integration (4) zu nennen, die eine extreme betriebliche Spezialisierung und damit verbundene Aufspaltung der Produktionsschritte beinhaltet. So existiert nicht länger ein weit- gehend in sich geschlossenes System „Bauernhof“, in dem das Vieh sowohl Nahrungsmittel liefert als auch als Nutztier gehalten wird, sein Dung auf die Äcker aufgebracht wird, auf denen wiederum das Futter für dasselbe Vieh wächst. Heute gibt es Mastbetriebe, die sich ausschließ- lich mit der Fleischproduktion befassen sowie Futtermittelhersteller, Maisbauern, Großschlach- tereien usw. Mit dieser aus den USA übernommenen Methode lässt sich eine Massenproduktion deutlich effizienter gestalten (vgl. Windhorst, 1989, S. 13).

3.2 Methoden industrieller Agrarbetriebe

Die rasanten Fortschritte und Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft sind Innova- tionen in diversen agraren Teilbereichen zu verdanken, die nicht zuletzt während Forschungs- arbeiten an Universitäten und in privaten Wirtschaftsunternehmen entwickelt wurden (vgl. Windhorst, 1989, S. 15). Bedeutend sind laut Windhorst dabei folgende Gebiete: Mechani- sierung, Entwicklung von Pestiziden, Fortschritte in der Veterinärmedizin, leistungssteigern- de Futtermittel, neue Haltungsformen sowie verbesserte Lagerungs- und Transportmethoden. Im mechanischen Bereich ist vor allem die bereits erwähnte Erfindung des Traktors mit Ben- zinmotor von Bedeutung. Aber auch viele andere landwirtschaftliche Geräte wurden entwic- kelt: ab 1907 wurden die ersten Motorpflüge in Deutschland eingesetzt (vgl. Henkel, 1999, S.120) und in den 1930er Jahren wurden in den USA die ersten selbst fahrenden Mähdre- scher gebaut (vgl. Paeger, 2010, o.S.). Allerdings ist dabei anzumerken, dass in den Verei- nigten Staaten aufgrund der von Deutschland sehr verschiedenen Agrarstruktur mit riesigen Feldern zahlreiche landwirtschaftliche Industrialisierungsprozesse ihren Ursprung haben und dort außerdem deutlich früher flächendeckende Verwendung fanden. Mit der Umstellung auf Maschinen zur Bestellung der Felder (seit 1955 überstieg die Zahl der Traktoren in Deutsch- land die der Arbeitstiere, vgl. Henkel, 1999, S. 121) ging die Vergrößerung der bewirtschaf- teten Flächen einher, da kleine Felder für schwerfällige landwirtschaftliche Maschinen we- nig geeignet sind. Außerdem setzten sich Monokulturen durch, die einfacher zu bewirtschaf- ten (es müssen nicht verschiedene kapitalintensive Spezialgeräte angeschafft werden), aber langfristig auf künstliche Nährstoffzuführung durch Hochleistungsdünger angewiesen sind. Primitive, organische Pflanzenschutzmittel wurden seit jeher von Menschen zum Schutz ihrer Kulturpflanzen eingesetzt. Das erste synthetische Insektizid DDT (Dichloro-Diphenyl-Trichlo- roethan) wurde von dem Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller entdeckt. Schon kurz nach seiner Vermarktung in den 1940er Jahren war es das am meisten verbreitete chemische Pflan- zenschutzmittel und wurde erfolgreich gegen durch Insekten übertragbare Krankheiten, wie z.B. Malaria, eingesetzt (vgl. Paeger, o.J., o.S.). Doch zeigte sich, dass die Verwendung von DDT unerwünschte Nebenwirkungen mit sich brachte und durch seine Anreicherung in Fettgewebe auch für andere Lebewesen giftig war: So wird die Dezimierung der Weißkopfseeadlerbestände in den USA auf den ausgedehnten DDT-Einsatz zurückgeführt (vgl. ebd.). Nachdem im Jahr 1972 DDT schließlich für den landwirtschaftlichen Einsatz verboten wurde, konzentrierte man sich auf höher dosierte Mittel, die sich nicht in Boden oder Lebewesen anreichern (vgl. ebd.).

[...]

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Details

Titel
Die Industrialisierung der Landwirtschaft. Massentierhaltung und die Auswirkungen auf den ländlichen Raum
Hochschule
Universität Trier
Autor
Jahr
2014
Seiten
23
Katalognummer
V300422
ISBN (eBook)
9783656969600
ISBN (Buch)
9783656969617
Dateigröße
5845 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Landwirtschaft, Industrialisierung, Ländlicher Raum, Massentierhaltung, Agrarindustrie, Agrar
Arbeit zitieren
Sara Mann (Autor:in), 2014, Die Industrialisierung der Landwirtschaft. Massentierhaltung und die Auswirkungen auf den ländlichen Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300422

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