Das Galicische. Eigene Sprache oder Dialekt?


Hausarbeit, 2011

17 Seiten, Note: 1,7

Susanne Becker (Autor:in)


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Grundlegende Termini
1.1 Sprache
1.2 Dialekt

2 Die historische Entwicklung des Galicischen
2.1 Ursprünge und anfängliche Entwicklungen
2.2 12. bis 15. Jahrhundert: Blütezeit
2.3 16. bis 18. Jahrhundert: Siglos oscuros
2.4 19. Jahrhundert: Rexurdimento
2.5 20. Jahrhundert: Auf dem Weg zur Norm

3 Die aktuelle Sprachsituation Galiciens
3.1 Betrachtung der Sprache /Stand der Normalisierung
3.2 Entwicklungen auf der Sprecherseite

4 Linguistische Charakteristika

5 Sprache oder Dialekt?

6 Fazit

7 Bibliographie

8 Internetquellen

Vorwort

„O neno tiña algo que lles dicir ós outros nenos que andaban a enredar con el na beiramar” (Dieste 1995: 75 f.). Diese Zeile in galicischer Sprache entstammt dem 1926 von Rafael Dieste verfassten Gedicht „Nova York é noso“ und stellt viele Spanischlernende vor unerwartete Verständnisschwierigkeiten. Doch sind die Unterschiede zur Standardsprache der Iberischen Halbinsel, dem Kastilischen so groß, dass man von einer eigenen Sprache sprechen kann oder handelt es sich vielmehr um einen Dialekt, der stark von der Standardnorm abweicht? Um diese Thematik vertiefen zu können, müssen zunächst die Termini ‚Sprache‘ und ‚Dialekt‘ näher beleuchtet werden – eine Angelegenheit, die sich als nicht gerade einfach erweist - gestalten sich doch die Lösungsansätze in der Linguistik sehr heterogen. Des Weiteren bedarf die Sprachgeschichte Galiciens einer genaueren Betrachtung, da hier unter anderem die Gründe für den heutigen Normalisierungs- und Ausbaustand der Varietät zu finden sind. Neben der Vergangenheit soll die Arbeit die heutige Sprachsituation in der autonomen Region skizzieren und sich letztlich ganz konkret der Kernfrage, ob es sich beim Galicischen nun um einen Dialekt oder eine Sprache handelt, zuwenden.

1 Grundlegende Termini

1.1 Sprache

Die Definition des Begriffs ‚Sprache‘ ist in der Linguistik seit jeher Anlass für Diskussionen. Obwohl sich eine Vielzahl von Sprachwissenschaftlern mit Abgrenzungsversuchen beschäftigt hat, konnte bisher keine befriedigende, allgemeingültige Erklärung gefunden werden, was die Komplexität des Begriffs bereits erahnen lässt. Laut dem Linguisten Ferdinand de Sausurre liegt darüber hinaus eine Mehrdeutigkeit vor, denn das deutsche Wort ‚Sprache‘ bezeichnet zum einen die Sprache als System von Zeichen, das sich aus grammatischen Regeln und verschiedenen Wortvorstellungen zusammensetzt und das in den Köpfen einer Sprachgemeinschaft existiert (‚langue‘) (vgl. Saussure 2001: 16 f.). Zum anderen kann damit auch das Sprechen, das heißt die konkrete Realisierung der langue im Sprechakt gemeint sein, die dann ‚parole‘ genannt wird. Davon abgesehen deckt das Wort Sprache auch die menschliche Sprachfähigkeit (‚langage‘) ab (vgl. ebd.), was die Eingrenzung des Terminus Sprache, der von der langue-Ebene ausgeht, zusätzlich erschwert.

Einer der vielen Definitionsversuche basiert auf der These, dass ein Idiom genau dann eine Sprache sei, wenn es sich um das offizielle Ausdrucksmittel eines Staates und damit um eine Nationalsprache handele (vgl. Gabriel/Meisenburg 2007: 61). In der Linguistik geht man allerdings von weltweit 3.000 bis 5.000 existierenden Sprachen aus, denen lediglich 200 Staaten gegenüber stehen. Folglich ist dieses Kriterium unzureichend für eine exakte Definition des Begriffs Sprache (vgl. ebd.: 62). Ähnlich verhält es sich mit der Verschriftlichung eines Idioms als Argument für den Status ‚Sprache‘, das zunächst als sinnvoller Anhaltspunkt erscheinen mag. Vergleicht man jedoch die Anzahl der Sprachen, die tatsächlich als Schriftsprache anerkannt werden mit der oben genannten Zahl der geschätzten Sprachen, stellt man fest, dass auch dieser Definitionsweg keine Lösung ist, da lediglich einige hundert Sprachen der Welt Schriftsprachen sind (vgl. ebd.). Außerdem sind Sprache und Schrift letztlich nichts anderes als zwei verschiedene Systeme von Zeichen, wobei die Schrift nur existiert, um die Sprache darzustellen (vgl. Saussure 2001: 28). Nicht zu vergessen ist darüber hinaus auch die Tatsache, dass etliche Dialekte Literatur hervorgebracht haben (vgl. ebd.: 243).

Saussure entwickelte zur Charakterisierung der Sprache die Zeichentheorie mit den sogenannten ‚Saussure’schen Dichotomien‘ und darüber hinaus ein weiteres Merkmal zur Abgrenzung der Sprache von Dialekten: Er vertrat die Position, dass zwei Menschen, die nicht verstehen, was der jeweilige Gegenüber sagt, unterschiedliche Sprachen sprechen, insbesondere wenn es sich um Sprecher benachbarter Varietäten handelt (vgl. ebd.: 244). Trotzdem erreicht man auch mit diesem durchaus linguistisch geprägten Kriteriums nur eine unscharfe Trennung und keine genaue Abgrenzung, die allerdings laut Saussure auch so nicht existiert (vgl. ebd.).

Der deutsche Sprachwissenschaftler Heinz Kloss stellt die genaueste Definition von ‚Sprache‘ im Sinne der Einzelsprache und ihrer Abgrenzung vom Dialekt. Dazu führte er die Kriterien des Ausbaus und des Abstands von Sprachen ein. Der Begriff ‚Abstandsprache‘ (AbS) bezeichnet Idiome, die sich in ihrem „Sprachkörper“ durch strukturelle Unterschiede deutlich von allen anderen Sprachen und vor allem von der geographischen Nachbarsprache unterscheiden (vgl. Kloss 1987: 302). Diese ‚objektive Komponente‘ (Gabriel/Meisenburg 2007: 62) verliert allerdings an Prägnanz, wenn man sich die Frage stellt, welche morphologischen, lexikalischen und phonetischen Unterschiede eine Sprache im Vergleich zu anderen Idiomen aufweisen muss, um als Abstandsprache bezeichnet zu werden (vgl. ebd.: 306).

Mit dem Terminus ‚Ausbausprache‘ (AuS) sind dagegen Idiome gemeint, die den Kriterien für eine Abs nicht genügen, jedoch über einen derart differenzierten Sprachkörper verfügen, dass sie zum Ausdrucksmittel für alle oder fast alle Situationen des heutigen Lebens geworden sind (vgl. ebd.: 302). Messbar ist der Ausbaustand einer Sprache beispielsweise an der Intensität ihrer Verwendung in Zeitungen und bei Vorträgen sowie ihr Gebrauch in Belleristik, Zweck- und Sachprosa. Letztere stellt die höchste Stufe des Ausbaus dar, wobei neben dem wissenschaftlichen Grad der Literatur die Verwendbarkeit der Sprache in uneingeschränkte Themenbreite von großer Wichtigkeit für die Einordnung einer Sprache als Ausbausprache ist (vgl. ebd.: 302ff). Diese ‚funktionelle Komponente‘ (Gabriel/Meisenburg 2007: 63) wird durch die individuelle oder ‚subjektive Komponente‘ ergänzt (vgl. ebd.).

Es handelt sich dabei um das individuelle Sprachbewusstsein, das jeder Sprecher besitzt, und das die persönliche Einschätzung des Sprachstatus der eigenen Varietät sowie den Grad des Zugehörigkeitsgefühls zur selben beinhaltet. Des Weiteren spielt das Sprachbewusstsein eine wichtige Rolle für die Geschwindigkeit der Sprachentwicklung (vgl. ebd.).

1.2 Dialekt

Bedient man sich der Kloss’schen Begriffsweise, so ist ein Idiom genau dann ein Dialekt, wenn es einem anderen zu sehr ähnelt, um als eigenständige Abstandsprache begriffen werden zu können. Die Problematik der Bemessungsschwierigkeiten bleibt jedoch bestehen, geforderte Anzahl und Arten von Unterscheidungen bleiben unklar. Hinsichtlich der Ausbausprachekriterien ist festzuhalten, dass ein Dialekt, auch wenn er Literatur hervorgebracht hat, nicht zwangsweise eine Sprache ist – ein häufiger Denkfehler bei der Herangehensweise an die Thematik (vgl. Saussure 2001: 243). Entscheidend ist allein der Grad des Ausbaus: Je weniger der Wortschatz eines Idioms die gesamte Themenbreite des modernen Lebens auszudrücken imstande ist und je seltener die Verwendung jenes Idioms in komplexer, wissenschaftlicher Literatur ist, desto eher wird man es als Dialekt einstufen. Die Subjektivität dieses Ansatzes macht die Klassifizierung ebenso wie bei der Abgrenzung zur AbS schwierig.

Der Romanist Eugenio Coseriu legte einen vergleichsweise klaren Erklärungsversuch vor, der davon ausgeht, dass eine historisch gewachsene Sprache kein einheitliches Produkt ist, sondern eine kreative Tätigkeit, die einen Grund für die bestehende Heterogenität darstellt (vgl. Coseriu 1988: 252). Die Gedanken des Linguisten hierzu mündeten in sein ‚Diasystem der Sprache‘, das auf der Vorstellung basiert, dass jede Sprache (im Sinne einer AbS) neben soziokulturellen (‚diastratischen‘) und situationsbedingten (‚diastratischen‘) Unterschieden auch geographische (‚diatopische‘), also vom Lebensraum abhängige Varianten aufweist, die Dialekte genannt werden und die sich sowohl auf der Ebene der Regionalsprache durch spezifische Lexik als auch in der überregionalen Gemeinsprache durch veränderte Phoneme zeigen (vgl. ebd.: 280 f.). Die zu übende Kritik ist kongruent mit der Auffassung Saussures, nach der es eben nicht so einfach ist, einzelne Dialekte voneinander abzugrenzen. Vielmehr findet man in der Übergangszone zweier AbS viele sich teilweise überschneidende, sprachliche Variationen, die sich in einem Kontinuum von der einen Sprache zur anderen hin entwickeln, ohne dass scharfe Trennungen möglich sind (vgl. Saussure 2001: 244). Trotz der erörterten Schwierigkeiten kann jedoch festgehalten werden, dass die Sprache eine dem Dialekt übergeordnete Position im sprachlichen Gefüge einnimmt.

2 Die historische Entwicklung des Galicischen

2.1 Ursprünge und anfängliche Entwicklungen

Die Wurzeln des Galicischen liegen, ebenso wie die des Portugiesischen, im Vulgärlatein, der gesprochenen Sprache der römischen Kolonisatoren, die die Iberische Halbinsel und damit auch das heutige Galicien und Portugal ab ca. 200 v.Chr. eroberten.

Die Sprache der Eroberer wurde jedoch im Laufe der Zeit mehr und mehr von den in dieser Region bereits vorhandenen Sprachen geprägt, sodass sich durch die Substrateinflüsse jene Idiome herausbildeten, die man heute Galicisch und Portugiesisch nennt (vgl. Albrecht 1992: 3).

Aufgrund der Tatsache, dass diese beiden Varietäten eine gemeinsame Entstehungsphase durchlaufen und sich erst nach dem Mittelalter getrennt entwickelt haben, stößt man in der Linguistik häufig auf den Begriff des ‚Galicisch-Portugiesischen‘ beziehungsweise ‚galego-portugués‘, der sich auf das Idiom der Anfangsphase bezieht. Durch bereits geleistete linguistische Forschung kann man sagen, dass es sich beim Portugiesischen historisch betrachtet um gesprochenes und weiterentwickeltes Galicisch handelt (vgl. Wesch 2001: 15).

Man vermutet, dass die galicische Varietät im neunten Jahrhundert derart große Unterschiede zum Vulgärlatein aufwies, dass man die Existenz von zwei unabhängigen Sprachen annehmen konnte (vgl. Consello da Cultura).

2.2 12. bis 15. Jahrhundert: Blütezeit

Vom zwölften bis zum fünfzehnten Jahrhundert erlebte das zu diesem Zeitpunkt noch recht homogene Galicisch-Portugiesische seine Blütezeit als Literatursprache der gesamten Iberischen Halbinsel. Dabei wirkte sich der soziopolitische Kontext in höchstem Maße förderlich auf diese Entwicklung aus (vgl. ebd.): Der Zusammenschluss des bis 1071 unabhängigen Galiciens mit dem Königreich León und die Unterstützung seitens der 1143 entstandenen portugiesischen Krone ebneten den Weg für die Verbreitung der Troubadours - Dichter und Sänger höfischer mittelalterlichen Liedern - auf der gesamten Iberischen Halbinsel. Ihre Werke, die sogenannten ‚cántigas‘ in galego-portugués genossen ein hohes Prestige und veranlassten auf diese Weise auch viele Dichter außerhalb Galiciens dazu, diese Varietät zur Sprache ihrer Werke zu machen (vgl. Noack 2010: 153). Darüber hinaus war das Galicische die favorisierte Schriftsprache der Adeligen sowie hochrangigen Mitgliedern der Kirche und politischer Gremien (vgl. Consello da Cultura).

Ab dem 13. Jahrhundert setzt die unabhängige Entwicklung der galicischen und der portugiesischen Varietät ein, zu Anfang des 15. Jahrhunderts hatte sich der Abstand derart vergrößert, dass die beiden Idiome nicht mehr als Einheit wahrgenommen werden konnten.

Mit dem Einzug des Kastilischen, das das Galicische ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Schriftsprache zu verdrängen begann, zeichnet sich die Schwächung der regionalen Varietät in den folgenden drei Jahrhunderten ab (vgl. Noack 2010: 153).

2.3 16. bis 18. Jahrhundert: Siglos oscuros

Während sich das Portugiesische dank institutioneller Voraussetzungen weiterentwickeln konnte, brachen für das Galicische vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die ‚siglos oscuros‘, die ‚dunklen Jahrhunderte‘, an, in denen die Varietät im öffentlichen Leben nahezu keine Rolle mehr spielte. Grund dafür waren erneut soziopolitische Rahmenbedingungen (vgl. Consello da Cultura): Im Zuge der sogenannten ‚Reconquista‘ erlangte Kastilien die Vorherrschaft in Galicien. Die neuen Machthaber waren jedoch der dort vorhandenen Sprache nicht mächtig und forcierten die Verwendung des Kastilischen bei formellen Dokumenten und öffentlichen Kommunikationssituationen, sodass die Dekadenz der galicischen Sprache unaufhaltsam war. Darüber hinaus stieg das Kastilische zum Statussymbol auf. Das Galicische erfuhr hingegen soziale Abschiebung und Marginalisierung: Es wurde als Sprache der unteren Schichten angesehen und lediglich mündlich in informellen Kontexten verwendet, da sich die Galicier ihrer Sprache mehr und mehr schämten. (vgl. Noack 2010: 153f).

In dieser sprachhistorischen Entwicklungsphase wurde das Galicische besonders in städtischen Gebieten stark vom Kastilischen beeinflusst, was sich unter anderem in Lexik und Orthographie widerspiegelte (vgl. ebd.: 154). Diesem Prozess wurde jedoch von Seiten der Galicier nichts entgegengesetzt, vielmehr strebte die Mehrheit das Kastilische oder die aufgekommene interferentielle Varietät der beiden Idiome als Kommunikationsmittel an (vgl. ebd.). Der Benediktinermönch Martín Sarmiento versuchte gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch Verfassen von galicischen Versen die Sprecher der Regionalsprache aus ihrer Selbstverleugnung zu reißen und läutete mit seinem enormen Einsatz für die galicisch Varietät die Epoche des ‚Re- xurdimento‘ ein (vgl. ebd.).

2.4 19. Jahrhundert: Rexurdimento

Die sprachliche, literarische und kulturelle ‚Wiedergeburt‘ des Galicischen als Schriftsprache setzte ungefähr mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Neben dem ersten vollständig in Galicisch geschriebenen literarischen Werk ‚cantares gallegos‘ von Rosalía de Castro wurden auch erstmals ein Wörterbuch sowie eine Grammatik in der regionalen Sprache veröffentlich (vgl. Consello da Cultura). Diese Publikationen stellten einen wichtigen Schritt in Richtung Sprachnormierung dar. Außer de Castro sind des Weiteren Eduardo Pondal und Manuel Curros Enríquez als wichtige Vertreter dieser literarischen Bewegung zu nennen, da sie nicht nur galicische Werke publizierten, sondern die Verwendung des Idioms in der Literatur und im Alltag als Schriftsprache forderten. Schwierig war allerdings, dass das Re-xurdimento ausschließlich von ebendiesen Intellektuellen vorangetrieben werden musste, da das Volk nicht in der Lage war, Galicisch zu lesen oder zu schreiben und ihm zunächst auch das literarische Interesse fehlte. Trotzdem zog sich die positive Veränderung des Sprachbewusstseins durch alle sozialen Schichten, sodass die regionale Varietät wieder an Prestige gewann und sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein galicischer Nationalismus, der ‚Galeguismo‘, entwickelte, der die galicische Sprache nun endlich als Teil der Kultur und als Ausdruck der Nationalität anerkannte und akzeptierte (vgl. Noack 2010: 155).

2.5 20. Jahrhundert: Auf dem Weg zur Norm

Das 20. Jahrhundert ist vom schwierigen Weg zur Norm geprägt. Ziel war es, „die galicische Sprache zu vereinheitlichen, zu normieren und gesellschaftlich auszudehnen“ (Noack 2010: 156). Mit der Gründung der ‚Real Academia Galega‘ (RAG) 1905 sollte der Schutz und Erhalt der Regionalsprache gewährleistet werden. Darüber hinaus wurde das Galicische 1936 gesetzlich gemeinsam mit dem Kastilischen als offizielle Sprache in der autonomen Region Galicien anerkannt, sodass die Präsenz in den Kommunikationsmedien anstieg (vgl. ebd.). Trotzdem sahen sich die Befürworter der regionalen Varietät einer Sprachpolitik gegenüber gestellt, die alles andere als förderlich für die Normierung des Galicischen war: 1902 wurde seine Verwendung in Schulen per Dekret untersagt und seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 sowie mit Beginn der Diktatur unter Francisco Franco erlebte das Galicische eine immense Diskriminierung (vgl. ebd.: 156f). Da Spanien zentralistischer ausgerichtet werden sollte, wurde staatlich geförderte Einrichtungen wie Schulen und Kirchen sowie den Medien und der Verwaltung das Kastilische auferlegt. Zusätzlich war von 1939 an das Schreiben in galicischer Sprache untersagt. Infolgedessen wanderten zahlreiche galicische Intellektuelle nach Argentinien und Kuba aus und begünstigten dort die Entwicklung ihrer Sprache durch galicische Verlage und Bücher. Ab den sechziger Jahren wurden trotz andauernder Diktatur die sprachpolitischen Anordnungen für Spanien gelockert, sodass sich die regionale Sprache und Kultur langsam wieder erholen und verbreiten konnte. Es entstanden nun auch hier galicische Verlage und regionalsprachliche Zeitschriften; einige Parteien verwendeten ihr Idiom in Wort und Schrift. Die Gründung des ‚Instituto da Lingua Galega‘ (ILG) der Universität Santiago de Compostela 1971 stellt einen weiteren Meilenstein auf dem Weg der Normierung der galicischen Sprache dar (vgl. ebd.: 157). Diese wurde allerdings in den folgenden Jahren durch den Normenstreit zwischen Reintegrationisten (‚lusistas‘) und Isolationisten zusätzlich erschwert.

Ebenfalls 1971 veröffentlicht die RAG die ‚Normas ortográficas e morfolóxicas do idioma galego‘, die eine Anpassung der galicischen Orthographie ans Portugiesische vorsahen. Damit bezweifelten die lusistas, dass das Galicische eine eigene Sprache ist und betrachten ihr Idiom bis heute nicht als Minderheitssprache, sondern als Dialekt einer Weltsprache, dem Portugiesischen, was eine Steigerung des sprachlichen Selbstwertgefühls mit sich bringt (vgl. ebd.:160).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Galicische. Eigene Sprache oder Dialekt?
Hochschule
Universität Mannheim  (Romanisches Seminar – Abteilung Sprach- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Varietätenlinguistik des Spanischen
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
17
Katalognummer
V301096
ISBN (eBook)
9783656973331
ISBN (Buch)
9783656973348
Dateigröße
679 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Varietätenlinguistik, Galicien, Galicisch, Spanisch, Dialekt, Sprache
Arbeit zitieren
Susanne Becker (Autor:in), 2011, Das Galicische. Eigene Sprache oder Dialekt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301096

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