Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinition
2.1 Begriffserklärung Wissenschaft, Disziplin und Profession
2.2 Die Beobachtungsmethoden in der Wissenschaft der Sozialen Arbeit
2.3 Kategorien wissenschaftlicher Beobachtungsmethoden
3. Beobachtung als Bindeglied zwischen WSA und Profession
4. Wissenschaftliche Beobachtung in der Praxis
4.1 Kindheitsforschung
4.2 Die teilnehmende Beobachtung in der Kindertagesstätte
4.3 Beobachtungsverfahren „Leuvener Engagiertheits-Skala für Kinder“
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem kleinen, ausgewählten Ausschnitt exemplarischer Theorien, die Soziale Arbeit betreffen. Zu Beginn der Recherche drängte sich eine Unterscheidung in Disziplin und Profession auf, die als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden können. Es lässt sich sagen, dass eine Medaille einen höheren Wert erzielt, wenn beide Seiten gut geprägt sind. Unter Beibehaltung dieser Metapher kann der bestehende Theorie-Praxiskonflikt der Sozialen Arbeit als Wertminderung angesehen werden (vgl. Knoll, 2010).
Die IFSW (International Federation of Social Workers) hat in ihrer Neufassung der Definition Sozialer Arbeit im Sommer 2000 betont, dass sich die Profession der Sozialen Arbeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme stützt (vgl. IFSW, 2005). So lautet eine Antwort auf die Frage „Was ist Wissenschaft der Sozialer Arbeit?“[1], dass WSA als Disziplin die Aufgabe hat, empirisch begründetes, aus Forschung und Praxisevaluation gewonnenes Wissen zu sammeln und der Praxis zur Verfügung zu stellen (vgl. Engelke in Birgmeier, Mührel, 2011). Hierbei sind unterschiedliche Arten der Forschung zu berücksichtigen. Neben der anwendungsorientierten Grundlagenforschung, die in dieser Arbeit keine weitere Erwähnung findet, existieren auch unterschiedliche Methoden zur anwendungsbezogenen Forschung (vgl. ebd.). Eine dieser Methoden, die Interventionsforschung, führte zu der bearbeiteten Fragestellung „Wie verbindet die wissenschaftliche Beobachtung die WSA mit der Profession?“
Zur Klärung der Fragestellung werden zunächst die Begriffe „Wissenschaft“, „Disziplin“ und „Profession“ (2.1) sowie die wissenschaftliche Beobachtung im Allgemeinen (2.2) und die Kategorien wissenschaftlicher Beobachtungen Beobachtung im Speziellen (2.3) geklärt. Darauf folgt die allgemeine Erörterung zur erkenntnisgeleiteten Fragestellung „Wie verbindet die wissenschaftliche Beobachtung WSA mit der Profession?“ (3.). Im Anschluss an diese theoretische Darstellung wird Bezug auf die Beobachtungsmethode „Leuvener Engagiertheits Skala“ (4.) genommen, die Anwendung in der Kindertagesstätte findet. Ein allgemeines Fazit (5.) schließt diese Arbeit ab.
2. Begriffsdefinition
In den folgenden Unterpunkten soll das theoretische Fundament für die vorliegende Arbeit geschaffen werden. Daher werden die Begriffe „Wissenschaft“, „Disziplin“ und „Profession“ und wissenschaftliche Beobachtungsmethoden erläutert, um eine Wissensgrundlage zu schaffen. Dieses Grundverständnis trägt zu einer besseren Nachvollziehbarkeit des weiteren Verlaufs und der aufgestellten Schlussfolgerungen bei.
2.1 Begriffserklärung Wissenschaft, Disziplin und Profession
Um die WSA von dem Alltagswissen des ehrenamtlichen Helfens abgrenzen zu können, soll zunächst der Wissenschaftsbegriff kurz benannt werden. Die Wissenschaft bezeichnet methodisch – systematische Forschungs- und Erkenntnisarbeit in Form von Sammeln, Ordnen und Beschreiben des Datenmaterials, sowie die Bildung von Hypothesen und Theorien, welche durch Lehre und Publikationen öffentlich gemacht werden. Gesichertes Wissen muss anhand dieser Methode prüfbar und nachvollziehbar sein.
Die Wissenschaft wird in unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen unterteilt, welche sich aus dem jeweiligen Gegenstand ihrer Erkenntnis und den dazu passenden wissenschaftlichen Methoden ergeben. Eine grobe Einteilung ist die Unterscheidung in theoretische Grundlagenwissenschaft und in die angewandte Wissenschaft (vgl. Birgmeier, Mührel, 2011). WSA umfasst beide Bereiche und wird als Handlungswissenschaft betitelt. Professionelles Handlungswissen bildet sich aus der theoretischen Disziplin und dem praktischen Reflexionswissen. Gewonnene Erkenntnisse der Erfahrungen in der Praxis der Sozialen Arbeit und deren Reflexion im Austausch mit anderen Personen, können systematisiert und strukturiert zu einem praktischen Reflexionswissen werden. Da sich das wissenschaftliche Wissen andauernd erneuert und aktualisiert, entwickelt sich auch die Handlungswissenschaft stetig weiter. Somit ist es unumgänglich, dass die Wissenschaft der Sozialen Arbeit und die Praxis, in Form von Reflexionswissen, im ständigen Zusammenspiel stehen (vgl. ebd.).
Es gibt viele Antworten auf die Frage nach den wissenschaftlichen Grundlagen der Sozialen Arbeit. Zum Beispiel sind sich Kritiker bis heute nicht einig, ob von einer Wissenschaft der Sozialen Arbeit ausgegangen werden soll, oder von zwei: Der Sozialpädagogik und der Sozialarbeitswissenschaft (vgl. Birgmeier, Mührel, 2011).
Um den Begriff der Wissenschaft der Sozialen Arbeit zu definieren, ist es notwendig, sich einige Diskursebenen anzusehen, aus denen die jeweiligen Fragen an die WSA gestellt werden können. Birgmeier und Mührel gehen davon aus, dass zwei Diskursebenen entscheidend für die Klärung aller übrigen Diskussionskontexte sind, da von diesen Fragehorizonten die Antwort zu allen anderen Fragen abhängen. Einerseits die Frage nach den Begriffen Sozialer Arbeit, Sozialpädagogik und Sozialarbeit und andererseits die Frage nach der Bestimmung und nach der Rolle der Sozialen Arbeit als Disziplin und als Profession. (vgl. Birgmeier, Mührel, 2011). Disziplin wird nach Knoll als „das an Universitäten in lehrbare Form gebrachte Wissen“ (Knoll, 2010: S. 79) verstanden, das u.a. Logik, Methodologie und Erkenntnistheorie umfasst und das Erreichen von Wahrheit und Richtigkeit als Ziel hat. Dieses Wissen ist von einer methodischen Distanz zum Gegenstand gekennzeichnet und unterliegt einem Begründungs- und Rechtfertigkeitszwang, jedoch keinem Handlungszwang. Ein weiterer wichtiger Faktor einer Disziplin ist die Bildung einer „Scientific Community“ (ebd.: S. 79), also einer Gemeinschaft wissenschaftlicher Spezialisten.
Im Gegensatz dazu, ist unter Profession eine Spezialisierung und Verwissenschaftlichung bestimmter beruflicher Handlungen zu verstehen (vgl. Knoll, 2010). „Den Überlegungen um P. gehen begriffliche Festlegungen voraus. So wird unterschieden zwischen
- Verberuflichung: Nachweis einer anerkannten Qualifikation,
- Verfachlichung: Nachweis einer einschlägigen Qualifikation,
- Akademisierung: Nachweis eines Studiums,
- Professionalisierung: Nachweis eines fachlich einschlägigen Studiums.
Die Professionalisierungsdebatte in der SozArb/ SozPäd konzentriert sich auf das Verhältnis von fachlich einschlägiger Qualifikation und beruflichen Handlungsvollzügen bzw. von Wissenschaft (Disziplin) und Berufspraxis (Profession).“ (Kreft, Mielenz, 2008: S. 669).
Der Prozess der Professionalisierungsdebatte tritt somit ein, „wenn die Anforderungen an das berufliche Handeln und das Fachwissen so hoch werden, das eine Verwissenschaftlichung zur Höherqualifizierung der Berufstätigen“ (Knoll, 2010: S. 80) notwendig wird. Die Berufsqualifikationen sowie der Berufszugang müssen durch Fachprüfungen erworben werden. Professionen sind also Handlungssysteme, die durch wissenschaftliches Wissen begründet sind. Sie sind von Handlungszwängen und Entscheidungsdruck gekennzeichnet und haben Wirksamkeit als Ziel. Ein weiterer Aspekt der Profession umfasst die Organisation der Berufstätigen in Berufsverbände, die berufsethische Normen entwickeln und sich um deren Einhaltung bemühen (vgl. ebd.).
Da sich die vorliegende Hausarbeit mit dem Transfer von Theorie und Praxis durch eine bestimmte Methode beschäftigt, erfolgt nun die kurze Darstellung dieses Prozesses. „Der Begriff des „Theorie – Praxis – Transfers“ steht in der Sozialen Arbeit für das Ziel, eine handlungsbezogene Wissenschaft und ein wissenschaftlich (ab)geleitetes berufliches Handeln in wechselseitiger Durchdringung und gegenseitiger Befruchtung zu realisieren.“ (Kreft, Mielenz, 2008: S. 981).
Der Transfer umfasst einerseits die Methoden und Strategien, mit denen die Praxis wissenschaftlich erforscht wird, um daraus theoretisch begründete Erklärungs- und Handlungsmodelle zu entwickeln. Somit erfolgt in der Praxis die Anwendung wissenschaftlicher Theorien. Andererseits muss analysiert und kritisch hinterfragt werden, welche Strategien und Methoden wissenschaftlich gewonnene Ergebnisse an die sozialarbeiterische Praxis koppeln und wie diese der Weiterentwicklung nutzen (vgl. Kreft, Mielenz, 2008).
2.2 Die Beobachtungsmethoden in der Wissenschaft der Sozialen Arbeit
Begriffserklärung wissenschaftliche Beobachtung
„Unter Beobachtung im Allgemeinen verstehen wir das systematische Erfassen, Festhalten und Deuten sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens“ (Atteslander, 2003: S. 79). Die wissenschaftliche Beobachtung hingegen beschreibt das aufmerksame, planmäßige und zielgerechte Wahrnehmen von Geschehnissen und Verhaltensweisen von Lebewesen innerhalb interaktiver Prozesse. Sie ist mittlerweile eine der zentralen Datenerhebungsmethode in der empirischen Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Ihr Ziel ist es, den Gegenstand des jeweiligen Interesses möglichst genau zu erfassen (vgl. Friedrichs, 1985).
Generell werden wissenschaftliche Beobachtungsmethoden sowohl in der Feldforschung als auch im Labor angewandt. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Bereich der Feldforschung, um im späteren Verlauf Erkenntnisse der Methode auf Praxisbeispiele der Profession der Sozialen Arbeit zu projizieren. Eine wissenschaftliche Beobachtung ist demnach das planmäßige und zielgerichtete Wahrnehmen von Vorgängen, Ereignissen, Verhaltensweisen von Lebewesen in Abhängigkeit von bestimmten Situationen. „Ziel der Beobachtung ist es, den Gegenstand des jeweiligen Interesses möglichst genau zu erfassen“ (Friedrichs, 1985: S. 288f.), um die soziale Realität im Lichte einer leitenden Forschungsfrage darzustellen. Wissenschaftliche Diskussionen überprüfen und kontrollieren die Richtigkeit der neu gewonnenen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in der sozialen Arbeit (vgl. Girtler, 2001).
Die Vor und Nachteile der wissenschaftlichen Beobachtungsmethode
Die grundlegenden Probleme der wissenschaftlichen Beobachtung lassen sich unter zwei Bereiche subsumieren: Probleme, die mit der selektiven Wahrnehmung des Beobachters verbunden sind, und Probleme, die sich aus der Teilnahme des Beobachters im Feld, d.h. aus der Forschungspraxis selbst ergeben. Selektivität der Wahrnehmung basiert darauf, dass der Beobachter aus der Vielfalt der in einem bestimmten Moment vorhandenen Umweltreize nur einen bestimmten Teil aufnehmen kann. Ebenso werden durch Erfahrung, vorhergehender Beobachtungen, Vorstellungen sowie Vorurteile, die Wahrnehmung beeinflusst. Sie äußert sich u.a. auch in der Überbetonung von nachvollziehbaren Ereignissen und im Übersehen von Selbstverständlichkeiten. Auf der sprachlichen Ebene kann es durch die selektive Wahrnehmung zu Abstraktionen, Interpretationen und Wertungen kommen (vgl. Atteslander, 2003).
2.3 Kategorien wissenschaftlicher Beobachtungsmethoden
In verschiedener Hinsicht werden Beobachtungen kategorisiert und zwar nach einem hohen oder geringen Strukturierungsgrad, teilnehmend oder nicht teilnehmend, sowie offen oder verdeckt. Im folgenden Verlauf wird Vollständigkeit auf die allgemeinen Kategorien von Beobachtungsmethoden eingegangen. Die Abbildung (Abb. 1) stellt eine schematische Gliederung dieser Kategorien dar.
Eigene Darstellung
Die strukturierte und nicht strukturierte Beobachtungsmethode
Strukturierte und unstrukturierte Beobachtungen unterscheiden sich in dem Grad ihrer Differenziertheit. Dabei beachtet der Forscher bei der unstrukturierten Beobachtung relativ grobe Kategorien sozialen Verhaltens. Je differenzierter diese Kategorien werden, desto strukturierter wird die Beobachtung. Deshalb gehen die unstrukturierten Beobachtungen den strukturierten meist voraus, besonders dann, wenn das zu beobachtende Feld noch unerforscht ist. Denn um konkrete Forschungshypothesen aufstellen zu können, die mit Hilfe eines Beobachtungsschemas untersucht werden, bedarf es zunächst einer genauen Kenntnis des Beobachtungsfeldes (vgl. Diekmann, 2005). Strukturierte Beobachtungen verlaufen meist anhand eines so genannten Beobachtungsschemas.
Die teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtungsmethode
Die teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung werden in der Feldforschung angewandt und beschreiben jeweils eine Methode, um Erkenntnisse über das Verhalten und das Handeln von einzelnen Personen bzw. einer Gruppe zu gewinnen. Der Beobachter versetzt sich in eine soziale Rolle und interagiert persönlich mit den zu erforschenden Personen bzw. der Gruppe, um Teil seiner Forschung zu werden. Vorab entscheidet sich, ob der Wissenschaftler selbst ein Teil der zu beobachtenden Situation wird oder die Verhaltensabläufe als Unbeteiligter beobachtet. Eine Interaktion kann zusätzlich aktiv oder passiv erfolgen. Bei der teilnehmenden Beobachtungsmethode fungiert der Beobachter bei aktiver Interaktion als mitwirkendes und kommunizierendes Mitglied der Gruppe. Bei der teilnehmenden passiven Beobachtungsmethode registriert der Beobachter von außen die in der Situation ablaufenden sozialen Prozesse, jedoch lediglich mit physischer Präsenz.
Um eine umfassende Reflektion der Beobachtungen zu gewinnen, ist ein Wechsel von aktiver und passiver Teilnahme des Forschers ein wichtiger Teil des Forschungsprojektes. Arbeiten mehrere teilnehmende Beobachter an einem Projekt, so ist laut Merkens eine Supervision Voraussetzung, „weil nur so gesichert werden kann, dass der sich weiterentwickelnde Beobachtungsleitfaden von den teilnehmenden Beobachtern auch gleich interpretiert wird“ (Merkens, 1984: S. 106).
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[1] Anmerkung: Im Folgendem wird „Wissenschaft der Sozialer Arbeit“ mit WSA abgekürzt