Die Zytokin-Hypothese der Depression. Eine Untersuchung des Interleukin 6


Bachelorarbeit, 2013

57 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Psychoneuroimmunologie
1.2 Theoretischer Hintergrund
1.2.1 Das Immunsystem
1.2.2Das Zytokinnetzwerk
1.2.2.1 Zytokine im Immunsystem
1.2.2.2 Zytokine im Zentralnervensystem
1.2.2.3 Neurochemische Effekte der Zytokine im Zentralnervensystem
1.2.2.4 Neuroendokrinologische Effekte der Zytokine im Zentralnervensystem
1.2.2.5 Behaviorale Effekte der Zytokine: Sickness Behavior
2 Interleukin-6
2.1Allgemeine Grundlage
2.2 Interleukin-6 im Immunsystem
2.3 Interleukin-6 im Zentralnervensystem
2.4 Interleukin-6 Rezeptoren und der Interleukin-6-Signalweg

3 Depression
3.1Allgemeine Grundlage
3.2 Epidemiologie
3.3 Pathogenese
3.3.1 Psychosoziale Faktoren: Das Diathese-Stress- Modell von Beck
3.3.2 Biologische Faktoren
3.3.2.1 Genetische Grundlage der Depression
3.3.2.2 Neurochemisch: Die Monoamin- Hypothese

3.3.2.3 Neuroendokrinologisch: Überaktivität der Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse

3.3.2.4 Hirnmorphologisch: Die N eurodegeneratorions-Hyp othese
3.3.2.5 Immunologische Aspekte

4 Interleukin-6 in der Pathogenese der Depression
4.1 Der Abbauprozess von Tryptophan
4.2 Interleukin-6 und die Monoamin-Hypothese
4.3 Interleukin-6 und die Überaktivität der Hypophysen- Hypothalamus-Nebennierenrinden-Achse
4.4 Interleukin-6 und die Neurodegenerations-Hypothese
4.5 Moderatorvariablen
4.6 Immunologische Aspekte von Antidepressiva

5 Diskussion
5.1 Relevanz der Zytokin-Hypothese und alternative Erklärungen
5.1.1 Langzeitstudienauswertung
5.1.2 Genetisch bedingte Wirkrichtung zwischen Inflammation und Depression
5.1.3 Kreuz-Sensibilisierung zwischen proinflammatorischen Zytokinen und Depression
5.1.4 Depression - eine Autoimmunerkrankung?
5.2 Inflammatorische Depression als eine Subgruppe der Depression

6 Fazit

7 Ausblick

8 Limitierende Faktoren

9 Literaturverzeichnis

Zusammenfassung

Die Zytokin-Hypothese der Depression von Maes besagt, dass ein Überschuss an proinflammatorischen Zytokinen der ausschlaggebende ätiologische Faktor von Depressionen ist. Die Untersuchung der Monoamin-Hypothese der Depression, der Überaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse während einer Depression und der Neurodegenerationhypothese der Depression im Hinblick auf die Beteiligung des Interleukin- 6, das stellvertretend für die Gruppe der proinflammatorischen Zytokine stehen kann, bestätigt diese generelle Aussage nicht. Es zeigt sich jedoch, dass ein Anstieg der Interleukins­Konzentration in vielen Studien mit depressiven Symptomen assoziiert werden kann. Da dieser Befund aber nicht über alle Studien hinweg konsistent ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass Depression immer mit einem erhöhten Auftreten an proinflammatorischen Zytokinen verbunden ist. Es bleibt zudem unklar, ob der Anstieg proinflammatorische Zytokine z.B. durch autoimmune, genetische oder kreuzsensibilisierende Prozesse als ätiologischer Faktor oder als Folge einer Depression zu werten ist. Die Identifizierung eines inflammatorischen Phänotyps der Depression würde neue Einblicke und Möglichkeiten in die Diagnose und Therapie der bis heute noch immer nicht vollständig entschlüsselten Depression bieten. Deshalb sind noch weitere Forschungen in diesem Bereich notwendig.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Der Ansatz, dass nicht nur die Psyche, sondern ebenso der Körpers für psychische Störungen verantwortlich ist, etablierte sich schon vor Jahren (Schedloswski et al., 2006). Insbesondere im Bereich der Psychoneuroimmunologie, die die Wechselwirkung zwischen Zentralnervensystem (ZNS) und Immunsystem (IS) untersucht, wurde in den letzten Jahren viel geforscht. Dabei bildet die Pathogenese der Depression einen wichtigen Bereich in der psychoneuroimmunologischen Forschung (Rupprecht und Müller, 2008). Dies liegt vor allem auch daran, dass die Ursachen von Depression bis dato noch nicht vollständig identifiziert werden konnten, während die Zahl der Erkrankungen und die Krankheitskosten stetig steigen. Weltweit sind derzeit mindestens 350 Millionen Menschen betroffen. Daher ist es nicht überraschend, dass Depression eine der häufigste Ursache der Arbeitsunfähigkeit darstellt (Heim und Miller, 20П; Jacobi et al., 2004) und die Krankheitskosten der Depression in Deutschland mit 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2008 sehr hoch sind (Wittchen et al., 20Ю). Zudem machen Depression unter den affektiven Störungen, die für etwa 60% der Suizide verantwortlich gemacht werden können, den größten Anteil aus (Mann, 2003; Kessler et al., 2003). Die statistischen Daten zeigen die Dringlichkeit einer Entschlüsselung der Depression nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft. Keine der mannigfaltigen Theorien der Pathogenese kann derzeit jedoch die Heterogenität der Depression erschöpfend erklären (Heim und Miller, 2011). Seit etwa 20 Jahren konzentrieren sich einige Untersuchungen auf den Zusammenhang zwischen Depressionen und Entzündungen und somit auf eine mögliche Interaktion zwischen dem ZNS und dem IS während einer Depression. Smith stellte 1991 die Monozyten-T-Lymphozyten-Hypothese auf und war damit der erste, der eine Dysregulation des Immunsystems mit depressiven Symptomen in Verbindung brachte (Smith, 1991). Die durch Maes weiterentwickelte Theorie wurde als Zytokin-Hypothese der Depression bekannt (Schiepers et al., 2005). Sie besagt, dass entzündliche Botenstoffe, proinflammatorische Zytokine (PICs), des peripheren IS depressive Symptome hervorrufen können und Depression daher das Resultat einer Entzündung sein kann. Tatsächlich weisen vor allem drei Beobachtungen auf eine Verbindung zwischen entzündlichen Prozessen und einer depressiven Symptomatik hin:

1. Entzündliche Erkrankungen weisen eine hohe Komorbidität mit Depression auf.
2. Selbst während einer Depression ohne eine Infektion als Grunderkrankung sind Veränderungen der immunologischen Parameter zu beobachten.
3. Die Gabe von PICs während einer Zytokintherapie von zum Beispiel Krebs kann depressive Symptome hervorrufen, die nach Beendigung der Zytokintherapie wieder verschwinden (Krishnadas und Cavanagh, 2012).

Die Zytokin-Hypothese bietet einen neuen Erklärungsansatz in der Ätiologie der Depression, der neue Einblicke in die Pathogenese und somit neue Möglichkeiten der Prävention und der Behandlung der Depression bereitstellt. Die Untersuchung der Zytokine-Hypothese ist daher ein bedeutendes Forschungsfeld.

Die vorliegende Arbeit wird sich mit der grundlegenden Fragestellung nach der Aussagekraft der oben genannten Zytokin-Hypothese der Depression beschäftigen. Im Folgenden wird daher die These, dass PICs der ausschlaggebende ätiologische Faktor einer Depression sind, überprüft. Da es jedoch den Rahmen der Arbeit sprengen würde, alle in die Depression involvierten Zytokine zu beschreiben und ihre genaue Rolle zu erklären, werden die Verbindungen zwischen Depression und IS am Beispiel des Interleukin-6 (IL-6), das in dieser Arbeit stellvertretend für die Gruppe der PICs steht, erläutert. Dies wird dadurch gerechtfertigt, dass die verschiedenen PICs wahrscheinlich über dieselben Signalwege die Pathophysiologie der Depression beeinflussen (vgl. Schiepers et al., 2005, Krishnadas und Cavanagh, 2012) und die erhöhte Konzentration von IL-6 der konsistenteste Befund der Veränderungen des IS in der Depression ist (Raison und Miller, 2003).

Während sich die Einleitung auf die Erläuterung des Begriffs Psychoneuroimmunologie und den theoretischen Hintergrund, d.h. das IS und das Zytokinnetzwerk, konzentriert, fokussiert sich der Hauptteil dieser Arbeit spezifisch auf die Relation zwischen IL-6 und Depression, wobei sowohl das IL-6 als auch Depressionen im Vorhinein unabhängig voneinander betrachtet werden. In der Diskussion hingegen wird IL-6 nur noch stellenweise aus der Gruppe der PICs hervorgehoben und die im Hauptteil dargestellten Befunde werden partiell auf weitere in eine Depression involvierte PICs generalisiert. Dies ist notwendig, da in diesem Teil der Arbeit wieder der Bezug auf die generelle Aussage der Zytokin-Hypothese aufgenommen wird.

1.1 Psychoneuroimmunologie

Die Wechselwirkungen des neuronalen, endokrinen und Immunsystems werden unter dem Begriff Psychoneuroimmunologie untersucht (Cohen und Krinney, 2001). Prozesse im ZNS, ausgelöst durch psychische Faktoren und oft vermittelt über das endokrine System (Birbaumer und Schmidt, 2002), haben durch Interaktion mit dem IS einen Einfluss auf die Vulnerabilität für somatische Erkrankungen. Gleichzeitig beeinflusst das IS aber auch das ZNS und kann so die Vulnerabilität für psychische Erkrankungen erhöhen (Rupprecht und Müller, 2008). Erste Befunde bezüglich dieser Wechselwirkung wurden 1903 vorgestellt. Im Blut und im Liquor kataton schizophrener Patienten und Patientinnen[1] wurden Änderungen der Immunparameter gefunden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurdejedoch nicht nennenswert weiter an der Verbindung zwischen ZNS und IS geforscht und die Annahme, das Gehirn sei eine von Immunprozessen durch die Blut-Hirn-Schranke geschützte Region, etablierte sich (Birbaumer und Schmidt, 2002; Plaut, 1987). Erst Forschungen zur Entstehung von somatischen Krankheiten durch psychische Faktoren und die gelungene Konditionierung einer Immunantwort bei Mäusen in den 70er Jahren rückten dieses Forschungsgebiet wieder in den Fokus der Wissenschaft (Birbaumer und Schmidt, 2002).

1.2 Theoretischer Hintergrund

Um die Zusammenhänge innerhalb des IS und zwischen dem IS und dem ZNS zu verstehen, müssen die Grundlagen des IS erklärt werden. Im Folgenden werden daher kurz das IS und die Art und Weise, wie innerhalb des Systems und zwischen verschiedenen Systemen kommuniziert wird, beleuchtet. Aufgabe dieser Arbeit kann es nicht sein, das komplexe IS vollständig darzustellen. Es werden lediglichjene Prozesse erklärt, welche in Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen IS und ZNS und im engeren Sinne auf die Beteiligung von IL-6 an Depressionen relevant sind.

1.2.1 Das Immunsystem

Die Aufgabe des IS besteht darin, den Körper vor Krankheitserregern von außen und vor entarteten körpereigenen Zellen zu schützen. Diese Aufgabe, die sogenannten Antigene abzuwehren, wird Immunität genannt. Die Immunität lässt sich in zwei Teile gliedern: in die angeborene und die erworbene Immunität. Beide Immunitäten haben einen humoralen und einen zellulären Anteil. Die angeborene zelluläre Immunität sorgt mittels dreier Arten von

Leukozyten, den Monozyten, Makrophagen und Granulozyten, und den Natürlichen Killerzellen durch Verdauung (Phagozytose) und programmierten Zelltod (Apoptose) für die Vernichtung pathogener Erreger. Prozesse der angeborenen humoralen Immunität werden durch Eiweiße (Enzyme, Komplementsystem und Akute-Phase-Proteine) gesteuert. Diese vernichten oder markieren Antigene, so dass sie von Lymphozyten der angeborenen zellulären Immunität erkannt und phagozytiert werden können. Die humoral erworbene Immunität hingegen bedient sich der B-Lymphozyten, die Antikörper bilden und nach dem Kontakt mit einem Antigen den dazu passenden Antikörper in großer Zahl exprimieren, um so die Antigene binden und unschädlich machen zu können. In der zellulär erworbenen Immunität setzen T-Helfer-Lymphozyten, die von Antigen-Antikörper-Komplexen eines B- Lymphozyten aktiviert werden, Botenstoffe, vor allem PICs, frei, um T-Killerzellen, ihre eigene Vermehrung und die der Antikörper, die das Antigen binden können, zu stimulieren. T-Killerzellen beseitigen dann ebenfalls das Antigen (Birbaumer und Schmidt, 2002). Die Regulation einer Immunantwort erfolgt über eine bestimmte Art der T-Helfer-Lymphozyten, die regulären T-Zellen (Treg-Zellen). Diese werden infolge einer Immunantwort auf ein Pathogen differenziert und setzen antiinflammatorische Wirkstoffe frei (Littrell, 2012).

1.2.2 Das Zytokinnetzwerk

1.2.2.1 Zytokine im Immunsystem

Wie oben dargestellt sind an einer Immunantwort auf pathogene Erreger von außen oder innen viele verschiedene Zellen des IS beteiligt. Für die Kommunikation zwischen diesen Zellen sorgen, ähnlich wie die Neurotransmitter im ZNS, hormonähnliche, lösliche Poly- oder Glykopeptide. Diese Botenstoffe werden Zytokine genannt (Cohen et al, 1974; Hirano, 1998). Zytokine lassen sich je nach ihrer Struktur, ihren Aufgaben und dem Expressionsort folgenden Untergruppen zuordnen: Interferone, Transformierender Wachstumsfaktor -ß (TGF-ß), Tumornekrosefaktor-a (TNF-a), Kolonie-stimulierende Faktoren, Chemokine, Lymphokine und Monokine (Liles und Van Voorhis, 1995; Birbaumer und Schmidt, 2002). Über diese Differenzierung hinaus werden Zytokine in zwei weitere Gruppen unterteilt. Die PICs lösen eine entzündliche Immunantwort aus, während die anti-inflammatorischen Zytokine immunsupressiv wirken (Littrell, 2012). Zytokine besitzen ein sehr großes biologisches Wirkspektrum. Während einige hoch spezifische Aufgaben und nur lokal definierte Zellrezeptoren haben, sind andere für viele verschiedene Wirkungen an unterschiedlichen Zielzellen verantwortlich und sind damit pluripotent. Ebenfalls können einige strukturell völlig verschiedene Zytokine dieselbe Reaktion hervorrufen. Dieses

Phänomen heißt Redundanz (Liles und Van Voorhis, 1995). Zytokine sind im peripheren IS an allen Ebenen einer Immunantwort beteiligt. Sie generieren und regulieren die Immunantwort durch Stimulierung und Aktivierung der relevanten Immunzellen. Sie sorgen aber auch für Zelldifferenzierungen, Zellwachstum, Zellmigration und die Wiedererkennung eines schon bekannten Pathogens im IS (Liles & Van Voorhis, 1995). Dabei wirken sie autokrin oder parakrin sowie selten auch endokrin (Loppnow, 2001). Im peripheren IS werden Zytokine vor allem von Lymphozyten, aber auch von Makrophagen, Monozyten, Endothelzellen und anderen Zellen des IS gebildet (Vilcék und Le, 1994).

1.2.2.2. Zytokine im Zentralnervensystem

Zytokine wirken nicht nur im IS, sie sind ebenso für die Vermittlung zwischen dem IS, dem endokrinem System und dem ZNS zuständig. Die im peripheren IS produzierten Zytokine können durch verschiedene Mechanismen im Gehirn wirken. Sie sind zu groß, um passiv durch die Bluthirnschranke (BHS), die eine physiologische Barriere zwischen dem ZNS und dem Blutkreislauf darstellt, zu diffundieren. Durch Regionen, in denen die BHS entweder nicht vorhanden oder aber permeabler ist, können periphere Zytokine dennoch passiv in das ZNS eindringen. Diese Regionen sind die zirkumventrikulären Organe (CVO) (Watkins et al, 1995). Außerdem sind aktive Transportmechanismen für einige Zytokine über die BHS bekannt. Dabei transportieren bestimmte Transportmoleküle Zytokine durch die physiologische Barriere in das ZNS (Banks et al., 1994, Watkins et al., 1995). Weitere Wirkweisen im Blut gebildeter Zytokine im ZNS sind die Initiierung von second messenger Mechanismen an den Zellen der BHS sowie die Signalübertragung über den Vagusnerv, der in den Organen des IS vorhanden ist und immunologische Signale an den im Hirnstamm lokalisierten Nucleus tractus solitarii (NTS) weiterleitet (Watkins et al., 1995). Neben den Möglichkeiten eine physiologisch intakte BHS zu überwinden, können Zytokine ungehindert in das ZNS gelangen, wenn die BHS durch die Auswirkung einer Krankheit geschädigt wird. Dies ist zum Beispiel bei Multiple Sklerose der Fall (Merrill und Murphy, 1997).

Im ZNS können durch von peripheren Zytokinen oder Neurotransmitter aktivierte Astrozyten und Monozyten und unter bestimmten Umständen auch durch Neurone zentrale Zytokine in unterschiedlichen Hirnregionen wie zum Beipiel in CVOs, dem Hippocampus, dem Hypothalamus und den Basalganglien produziert und ausgeschüttet werden (Breder et al., 1988; Freidin et al., 1992). Die genauen Funktionen zentraler Zytokine sind noch nicht bekannt. Studien weisen aber darauf hin, dass sie unter anderem in der neuronalen Entwicklung und Plastizität sowie in der Synaptogenese und dem Zellwiederaufbau eine Rolle spielen (Aloisi et al., 1995, Beatti et al., 2002).

1.2.2.3 Neurochemische Effekte der Zytokine im Zentralnervensystem

Zytokine haben stimulierende oder hemmende Wirkungen auf die Neurotransmission, so zum Beispiel auf die monoaminergen Neurotransmitter Serotonin (5-HT), Noradrenalin und Dopamin (Linthorst et al, 1995). Die Wirkung und die Wirkorte sind von den jeweiligen Zytokinen abhängig. Es wurde ein Anstieg von dopaminerger, noradrenerger und serotonerger Neurotransmission im Hypothalamus, dem Nucleus accumbens und anderen limbischen Strukturen durch das Injizieren von Interleukin 1 (IL-1) bei Ratten beobachtet (Merali et al. 1997), während Interleukin 2 (IL-2) nur auf Noradrenalin im Hippocampus, der zentralen Amygdala und dem präfrontalen Cortex stimulierend wirkt. Gleichzeitig hat IL-2 aber auch einen Einfluss auf die dopaminere Neurotransmission im Nucleus caudatus und der Substantia nigra. Die Wirkungen unterscheiden sich abermals, je nachdem, ob die Applikation eines Zytokins einmalig oder wiederholt und lokal begrenzt oder systemisch, d.h. in den Blutkreislauf, geschieht (Lacosta et al., 2000). Untersuchungen zur Zytokinwirkung zeigen, dass die Wirkweisen der Zytokine von vielen Faktoren abhängen und bis heute noch nicht vollständig ermittelt sind (Loppnow, 2001).

1.2.2.4 Neuroendokrinologische Effekte der Zytokine im Zentralnervensystem

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (HPA-Achse) ist das wichtigste physiologische Stresssystem. Der Hypothalamus reagiert auf Stressoren mit der Ausschüttung des Coricotropin-releasing Hormon (CRH), das an dem Hypophysenvorderlappen für die Freisetzung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) sorgt, welches wiederrum die Freisetzung von Glukokortikoiden, beim Menschen hauptsächlich Cortisol, in der Nebennierenrinde stimuliert (Raison und Miller, 2003; Birbaumer und Schmidt, 2006). PICs, insbesondere IL-1 und IL-6, sind ebenfalls in den Mechanismus der HPA-Achse involviert. Untersuchungen ergaben, dass sowohl periphere als auch zentrale PICs mit einer Zunahme von CRH, Vasopressin, welches ebenfalls die Freisetzung von ACTH stimuliert, ACTH und Glukokortikoiden verbunden werden können (Sapolsky et al., 1987; O’Conner et al., 2000). Dabei wirken periphere Zytokine vornehmlich über den Vagusnerv und über den NTS (Maier und Watkins, 1998) und zentrale Zytokine über den Einfluss auf monoamingere Neurotransmitter und somit auf den Hypothalamus (Shepherd, 1994; Maes, 1995a). Zytokine aktivieren die HPA-Achse unter normalen Umständen allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad. Durch die Glukokortikoide, die hemmend auf die Produktion von CRH und ACTH sowie auf die Aktivität von PICs wirken, besteht eine negative Feedbackschleife, die dafür sorgt, dass die HPA-Achse nicht überstimuliert wird (Chesnokova und Melmed, 2002; Sapolsky etal. 1985).

1.2.2.5 Behaviorale Effekte der Zytokine: Sickness Behavior

Während einer Immunreaktion sorgen inflammatorische Prozesse, die vor allem durch periphere Zytokine mediiert werden, für viele psychologische, insbesondere durch den Hypothalamus gesteuerte Veränderungen, die zur Aufgabe haben, die Energie des Organismus auf die Bekämpfung des Pathogens zu konzentrieren. Diese Veränderungen schließen Gewichtsverlust, Schlafstörungen, Interessenverlust an der sozialen Umgebung, verminderten Appetit, verminderte kognitive Fähigkeiten, depressive Stimmungslage, Verlangsamung motorischer Aktivitäten und Müdigkeit mit ein (Dantzer et al., 1999). Beobachtungen zeigen, dass diese psychologischen Veränderungen, die unter dem Oberbegriff „sickness behavior“ zusammengefasst werden können, nicht nur während einer Immunreaktion auftreten, sondern auch während einer systemischen oder lokalen Gabe von PICs zum Beispiel bei einer Krebstherapie (Meyers, 1999). Das Abnehmen der sickness behavior-Symptome, sobald die Zytokintherapie beendet ist, deutet daraufhin, dass PICs ursächlich an dem Aufkommen der Symptome beteiligt sind (Yirmiya, 1996).

2 Interleukin-6

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von PlCs, hier stellvertretend IL-6, und Depression gibt. In den folgenden Kapiteln wird daher erst das IL-6, sowie seine Eigenschaften und Wirkungen vorgestellt und danach auf die psychische Erkrankung Depression im Allgemeinen eingegangen. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage, um eine Beziehung zwischen IL-6 und Depression verständlich erläutern zu können.

2.1 Allgemeine Grundlage

IL-6 ist ein lösliches Glykoprotein, das aus 184 Aminosäuren besteht und eine molekulare Masse von 23 Kilodalton (Hirano et al., 1985) besitzt. Ursprünglich war es unter vielen verschiedenen Namen bekannt. Erst 1990 wurde klar, dass bislang als unterschiedlich angesehene biologische Faktoren dasselbe Interleukin waren. Der B-Zell-stimulierender- Faktor-2, der Hepatozyten-Stimulierenden-Faktor, der Hybridom (Plastizytom) Wachstumsfaktor und das ß2-Interferon wurden als IL-6 identifiziert (Yasukawa et al., 1987; Van Snick 1990). Die vielen unterschiedlichen biologischen Funktionen von IL-6 führten fälschlicherweise zu der Annahme mehrerer voneinander unabhängiger ursächlicher Faktoren. Die Pluripotenz ist ein bedeutendes Merkmal von IL-6. (Hirano, 1998) Sie wird in den folgenden Abschnitten sowie in Tabelle 1 dargestellt.

2.2 Interleukin-6 im Immunsystem

Die Hauptproduzenten von IL-6 im IS während akuter Entzündungen sind vor allem Monozyten und Makrophagen. Während chronischer Entzündungen produzieren T-Zellen ebenfalls hohe Mengen an IL-6. Auch andere Zellen des IS sind in der Lage, IL-6 zu synthetisieren, allerdings in geringerem Maße. Während es unter physiologisch normalen Bedingungen nur in geringer Konzentration im Körper vorhanden ist, kann die Produktion von IL-6 unter pathologischen Bedingungen innerhalb weniger Stunden enorm gesteigert werden. Dabei hängt die Produktion innerhalb der Produktionszelle von unterschiedlichen Transkriptorfaktoren ab, vor allem aber von dem nuklearen Faktor kappaB (NF-kB) (Dendorfer et al., 1994). Dieser wiederum wird von den PICs TFN-a und IL-1 sowie von viralen oder bakteriellen Bestandteilen oder Produkten nekrotischer Zellen stimuliert (Vanden Berghe et al., 2000). Ebenfalls aktiviert Noradrenalin die Produktion von IL-6 (Norris und Benveniste, 1993). IL-6 gehört zur Familie der IL-6-Zytokine und kann sowohl pro- als auch antiinflammatorisch wirken. Während der akuten entzündlichen Immunreaktion sind vor allem neutrophile Granulozyten aktiv. Die angepasste und länger andauernde Immunantwort hingegen wird durch Monozyten dominiert. Indem IL-6 dafür sorgt, dass sich das neutrophile Milieu langsam in ein von Monozyten dominiertes Milieu umwandelt, wirkt es antiinflammatorisch (Xing et al., 1998). Andererseits jedoch spielt IL-6 eine Schlüsselrolle in der Produktion von Antikörpern in B-Zellen (Muraguchi et al., 1981) und der Akute-Phase- Reaktion in der Leber (Castell et al., 1988), die wie oben beschrieben wichtige Bestandteile der akuten angeborenen humoralen Immunantwort sind. Diese biologischen Funktionen sind daher als proinflammatorisch zu werten. IL-6 scheint ebenfalls in die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen involviert zu sein. Die sogenannten Th17-Zellen sind eine bestimmte Form der T-Zellen, die, wenn sie in zu großer Anzahl vorhanden sind, einen Faktor darstellen, der das Auftreten einer Autoimmunerkrankung wahrscheinlicher macht. Die Produktion der Th17-Zellen wird durch IL-6 angeregt (Bettelli et al., 2006; McGeachy et al., 2007). Die genauen Mechanismen, die zu der durch IL-6 induzierten Differenzierung der TH 17-Zellen führen, sind noch nicht bekannt (Chen et al., 2011).

2.3 Interieukin-6 im Zentralnervensystem

Wie im IS sind im ZNS unter physiologisch normalen Bedingungen keine oder nur sehr geringe Konzentrationen von IL-6 nachzuweisen. Bei Verletzungen, Entzündungen oder Erkrankungen innerhalb des ZNS steigt diese Konzentration sofort an (Minami et al., 1991). Die Hauptproduktionsorte zentralen IL-6 sind Astrozyten, die durch IL-1ß und TNF-a (Eddleston und Mucke, 1993), aber auch durch Noradrenalin aktiviert werden (Norris und Benveniste, 1993). Mikrogliazellen (Hickey und Kimura, 1988), Endothelzellen der BHS (Rott et al., 1993), Neurone (Ringheim et al., 1995) und Makrophagen sowie T-Helfer-Zellen innerhalb des ZNS (Benveniste, 1992) sind ebenfalls in der Lage, IL-6 zu produzieren.

Neben dem zentralen IL-6 ist es auch für peripheres IL-6 möglich, im ZNS zu wirken. Peripheres IL-6 wird aktiv mittels Transportzellen durch die BHS transportiert (Banks et al., 1994). Gleichzeitig wirken proinflammatorische Interleukine auch wie oben besprochen durch CVOs, second messenger Mechanismen und afferente vagale Fasern (Watkins et al., 1995; Shepherd, 1994).

Die vielen zentralnervösen Funktionen von IL-6 sind von Gruol und Nelson (1997) untersucht worden. IL-6 ist an der Kommunikation zwischen Zellen des ZNS, an der Koordination von neuroimmunologischen Prozessen, an Schutzmaßnahmen für Neuronen sowie an neuronaler Differenzierung, neuronalem Wachstum und neuronalem Überleben beteiligt. Außerdem spielt IL-6 ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung neuropathologischer Erkrankungen wie Alzheimer, AIDS, Multiple Sklerose und zentralnervösen Traumata. Es ist belegt, dass Überproduktion von IL-6 zu neuroanatomische und neurophysiologische Veränderungen im ZNS führen, die in vielen neuropathologischen Erkrankungen zu finden sind (Groul und Nelson, 1997).

Weitere wichtige biologische Wirkungen des IL-6 im IS und im ZNS sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: immunologische und zentrale Effekte des Interleukin-6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Interieukin-6 Rezeptoren und der Interleukin-6-Signalweg

Sobald IL-6 aus seiner Produktionszelle freigegeben ist, kann es sowohl lokal als auch systemisch wirken (Heinrich et al., 2003). IL-6 bindet an einen Rezeptortyp, der einer bestimmten Rezeptorfamilie zugegeordnet werden kann. Neben IL-6 sind die Rezeptoren des Leukämie inhibierenden Faktors, des ziliären neurotrophische Faktors, des Oncostatin-M, des Cardiotrophin-1 und des Interleukin-11 Mitglieder dieser Familie. All jene Rezeptoren teilen sich als Rezeptoruntereinheit das Glycoprotein 130 (gp130), das zur Signaltransduktion in die Zelle benötigt wird (Kishimoto et al., 1995).

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden nur die männliche Form verwendet. Hiermit sind stets beide Geschlechter gemeint.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Die Zytokin-Hypothese der Depression. Eine Untersuchung des Interleukin 6
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Psychologie)
Note
1.0
Autor
Jahr
2013
Seiten
57
Katalognummer
V303133
ISBN (eBook)
9783668012356
ISBN (Buch)
9783668012363
Dateigröße
643 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zytokin-Hypothese, Depression, Interleukin 6, proinflammatorische Zytokine
Arbeit zitieren
Jessica Holfter (Autor:in), 2013, Die Zytokin-Hypothese der Depression. Eine Untersuchung des Interleukin 6, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303133

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