Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm. Oder das Soldatenglück" in fünf Akten ist mit seinen facettenreichen Charakteren und der überaus deutlichen Zeitnähe als das Lustspiel Lessings und der Zeit des 7jährigen Krieges in die Literaturgeschichte eingegangen. Obwohl das Stück dramaturgisch genial konzipiert ist, fragte ich mich doch, ob man beim bloßen Zuschauen der Bühnenaufführung die ganze Komplexität des Geschehens überhaupt erfassen könne, ob man vor allem die symbolische Bedeutung der Ringintrige gut verfolgen und durchschauen könnte.
Deshalb möchte ich mich in der vorliegenden Analyse mit dem Verlauf von Minnas Ringintrige und ihrer Wirkung auf die beteiligten Personen, also das Fräulein Minna von Barnhelm und den Major Tellheim beschäftigen. Dazu werde ich mich in meinen Schilderungen zunächst nicht chronologisch entlang der Handlung bewegen, sondern immer wieder Sprünge machen, um die einzelnen Positionen der Personen und einen kurzen Abriss der Vorgeschichte zu verdeutlichen. Denn es erscheint mir wichtig die Ringintrige eingebettet in den Handlungrahmen und im Zusammenhang mit der Konfliktsituation darzulegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ziel der Ringintrige
2.1. Vorgeschichte – eine erste Charakterisierung Tellheims
2.2. Wiederbegegnung und Aufspannen der gegensätzlichen Positionen (II, 8, 9)
2.3. Ziel – die Position Minnas
2.4. Dramaturgische Voraussetzungen – das Wandern des Ringes
3. Analyse und Verlauf der Ringintrige
3.1. Beginn der Intrige (IV, 5, 6) – Übergabe des Ringes
3.2. Umkehr der Positionen (V) , eine Lösung deutet sich an
3.3. Die Übertreibung des Spiels, Auflösung der Intrige
4. Rolle der Ringintrige in der Handlung – Wurde der Konflikt durch die Intrige oder durch einen deus ex machina gelöst?
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm. Oder das Soldatenglück" in fünf Akten ist mit seinen facettenreichen Charakteren und der überaus deutlichen Zeitnähe als das Lustspiel Lessings und der Zeit des 7jährigen Krieges in die Literaturgeschichte eingegangen.
Obwohl das Stück dramaturgisch genial konzipiert ist, fragte ich mich doch, ob man beim bloßen Zuschauen der Bühnenaufführung die ganze Komplexität des Geschehens überhaupt erfassen könne, ob man vor allem die symbolische Bedeutung der Ringintrige gut verfolgen und durchschauen könnte.
Deshalb möchte ich mich in der vorliegenden Analyse mit dem Verlauf von Minnas Ringintrige und ihrer Wirkung auf die beteiligten Personen, also das Fräulein Minna von Barnhelm und den Major Tellheim beschäftigen. Dazu werde ich mich in meinen Schilderungen zunächst nicht chronologisch entlang der Handlung bewegen, sondern immer wieder Sprünge machen, um die einzelnen Positionen der Personen und einen kurzen Abriss der Vorgeschichte zu verdeutlichen. Denn es erscheint mir wichtig die Ringintrige eingebettet in den Handlungrahmen und im Zusammenhang mit der Konfliktsituation darzulegen.
2. Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ziel der Ringintrige
Bevor ich zu den aufgeführten Punkten im einzelnen komme, möchte ich zunächst einmal einen kurzen Abriss des Hintergrundes, vor dem sich das Stück abspielt, liefern.
Man schreibt das Jahr 1763, der 7jährige Krieg ist beendet, der Friede von Hubertusburg geschlossen, es ist der 22. August. Minna von Barnhelm, ein 20jähriges Fräulein[1] aus Thüringen[2] ist nach Berlin gekommen um ihren Verlobten, den Major von Tellheim zu suchen. Beide lernten sich kennen, als der Major im Rahmen des Krieges Zahlungen von den Sächsischen Ständen einzufordern hatte, die diese nicht leisten konnten, so dass er sie selbst vorschoss. Seit damals ist Minna von Barnhelm in den Major verliebt.[3] Beide verlobten sich bevor Tellheim Sachsen wieder verlassen musste. Seit dem Kriegsende (dem Frieden von Hubertusburg am 15.12.) hat Tellheim seiner Verlobten nur einmal geschrieben.[4] Minna von Barnhelm und Major von Tellheim bewohnen durch (dramaturgischen) Zufall denselben Gasthof. Dort und nur dort spielt sich nach der dramentechnischen Forderung von der Einheit des Ortes am 22.08.1763 (Einheit der Zeit) die Handlung ab.
2.1. Vorgeschichte – Die Position Tellheims
Tellheim, der seit längerer Zeit in diesem Berliner Gasthof verweilt, zeigt sich von Anfang an als, nun nach Beendigung des Krieges, nicht mehr wohlhabender Mann, der seine ganze Habe (auch einen Ring) versetzt, um zu Geld zu kommen und der aus Geldmangel, vom Wirt des Gasthofes sogar in ein billigeres Zimmer umquartiert wird[5]. Gleichzeitig erscheint Tellheim auch als höchst würdiger Charakter und legt Großzügigkeit an den Tag, z.B. indem, er, der doch augenscheinlich dringend Geld benötigt, ihm geschuldetes Geld eines alten Kameraden von dessen Witwe nicht annimmt und stattdessen leugnet, dass er gegen diesen Kameraden je Forderungen hatte[6]. Eben solchen Edelmut zeigt er auch, als er seinen treuen Diener Just entlassen will, damit dieser sich eine einträglichere Stellung suchen kann[7]. Die Frage ist, ob es wirklich nur Edelmut und Ehre sind, die ihn zu derartigen Verhaltensweisen treibt. Zu Just sagt er beispielsweise, dass er ihm "nichts schuldig werden will"[8] und er bringt Just auch zum Heulen, was schon zeigt, dass er durch sein Verhalten auch verletzen kann. Durch diese Haltung und auch durch die Tatsache, dass er die Hilfe seines guten Freundes Werner angesichts seiner Notlage ablehnt, entsteht der Eindruck, Tellheims Großzügigkeit sei nicht Ausdruck des Mitgefühls, das im nächsten den Gleichen sieht, dem man sich hilfsbereit zuwendet, sondern Manifestation einer Standesethik, die in ihrer Generosität zwar anderen hilft, sich aber selbst nicht helfen lassen will[9]
2.2. Wiederbegegnung und Aufspannen der gegensätzlichen Positionen (II, 8, 9)
Die Wiederbegegnung des Paares beginnt zunächst so, wie man sich das bei zwei Liebenden vorstellt. Beide fliehen aufeinander zu, so die Szenenanweisungen und rufen sich beim Namen. Tellheim legt jedoch im folgenden die vertraute Anrede ab und nennt Minna nur noch "das Fräulein"[11]. Als die beiden allein gelassen werden zeigt sich die Liebe Minnas und der Wunsch nach Vertrautheit, sie läuft mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Tellheim hingegen zieht sich auch körperlich zurück. Im Gespräch zeigt sich Tellheims Position ganz deutlich, er sieht sich als "einen Elenden"[12], "einen an seiner Ehre gekränkte[n], [einen] Kriepel, [einen] Bettler"[13], dem "Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen"[14]. Tellheim argumentiert also mit der Vernunft, der gesellschaftlichen Notwendigkeit, auch das Thema Ehre kommt hier schon zur Sprache und wieder will er sich nicht helfen lassen.[10]
Minna hingegen interessiert nur seine Liebe, als er sie ihr zusichert, kommt ihre Aussage so spontan, wie überzeugend und klar:
"Sie lieben mich noch: genug für mich. (...) Geschwind kramen Sie Ihr Unglück heraus. Sie mag versuchen, wie viel sie dessen aufwiegt."[15]
Sie argumentiert mit der Liebe und ist davon überzeugt, dass sich die Probleme die Tellheim hat lösen lassen bzw., dass sie sie lösen kann. Hierin zeigen sich ganz klar die gegensätzliche Beziehungsauffassungen und Prioritäten, wie sie sich auch später im Verlauf der Ringintrige zeigen und entwickeln werden. Diese Gegensätze erweisen sich als das erregende Moment des Stückes.
Die Wiederaufnahme der gegensätzlichen Positionen zeigt sich, ungleich verschärfter, im IV. Akt des Stückes bei ihrer zweiten Begegnung (IV, 6) unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Ringintrige. Dazu mehr unter Punkt 3.1.
2.3. Ziel der Intrige – die Position Minnas
Minna, die über das Verhalten Tellheims entsetzt ist und nicht fassen kann, dass er sich nach der, von ihr so ersehnten und in vielen Komödien ein glückliches Ende markierenden, Wiederbegegnung ihr so heftig entzieht und voller Unglück ausruft: " 'bin ich nun glücklich?'"[16] (so berichtet der Wirt in III, 3), wird nun im weiteren Verlauf alles daran setzen, ihren Tellheim zurückzugewinnen. Sie zeigt sich als antreibende, aktive Kraft in ihrem Kampf um die Liebe. Sie war schon der aktive Part Tellheims Liebe zu gewinnen, "entschlossen Tellheim zu lieben, nachdem sie von seiner edelmütigen Tat gegenüber den sächsischen Ständen gehört hat"[17].
Nachdem Minna Tellheims Brief[18] gelesen hat (III, 12), in dem er ihr erklärt, warum er sie nicht heiraten kann, nämlich weil er durch seine Großzügigkeit den sächsischen Ständen gegenüber sich von der preußischen Regierung den "Vorwurf passiver Bestechlichkeit in Tateinheit mit Unterschlagung und Betrug"[19] gefallen lassen musste und ihm nun dadurch auch nicht unerhebliche Strafen[20] drohen würden (dies wird zwar im Stück nur unklar angedeutet, entspricht aber der damaligen Rechtsprechung), sieht sie auch hierin noch keinen hinlänglichen Grund, nicht zu heiraten, sondern nur "unverzeihlichen Stolz"[21].
Franziska teilt sie mit:
ein Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern.[22]
Hier lässt sich nun Minnas Ziel im Liebeskampf ableiten. Saße deutet Minnas Position folgendermaßen:
Wenn das Hindernis auf dem Weg zum Glück der Ehe in ihm selbst, nicht aber in den äußeren Umständen zu sehen ist, dann geht es darum, ihn selbst zu verändern, seinen falschen Stolz zu überwinden, damit die Liebe sich entfalten kann. Erziehung ist hierfür das probate Mittel – dies ist jedenfalls die Ansicht Minnas, die durch eine solche Deutung ihre beabsichtigte Intrige pädagogisch legitimiert.[23]
Durch diese "Lection"[24] will sie nicht nur, so Prutti, ihr Glück mit Tellheim erreichen, sondern hat überdies den Anspruch Tellheims Glück zu machen[25].
2.4. Dramaturgische Voraussetzungen – das Wandern des Ringes
Zu ihrer Verlobung schenkten sich Tellheim und Minna jeweils einen Ring als Zeichen der Liebe und Treue und als Erinnerung an das gegenseitige Eheversprechen.
Tellheim in seiner Notlage gibt seinem Bediensteten Just den Auftrag, diesen Ring (den er nicht am Finger trug[26] - was die Frage provozieren könnte, wie lange ihm schon klar war, dass er die Verlobung lösen will), "die einzige Kostbarkeit, die [ihm] noch übrig ist"[27] an den Wirt zu veräußern.
Der dienstfertige und geldgierige Wirt will den Ring sofort an das neu angereiste adelige Fräulein verkaufen[28] (der Wirt zeigt sich zuerst hier als Bindeglied und Schaltzentrale zwischen dem Paar, später im Stück bringt er ja auch die Wiederbegegnung der beiden zustande). Minna erkennt[29] den Ring sofort als den ihres Verlobten (ihr Name ist darin eingraviert), gibt sich der Freude und Hoffnung hin, ihren Tellheim bald wieder zu haben. Sie kauft den Ring sofort zurück (aus dieser Symbolik lässt sich schlussfolgern, dass sie auch Tellheim wieder in ihren Besitz bringen will), was sich dramentechnisch als Einleitung der Peripetie deuten lässt. Minna besitzt somit beide Verlobungsringe, die dramaturgische Voraussetzung für die Wiederbegegnung.[30]
Vor der zweiten Begegnung des Paares, tauscht Minna ihren Ring mit dem Tellheims (IV, 6), obwohl sie noch keine rechte Erklärung für seinen Nutzen hat.[31]
Eine weitere Voraussetzung, die zwar nur indirekt mit den Ringen zu tun hat, ist die, dass Minnas Oheim, Graf von Bruchsall, wegen eines Unfalls noch nicht bei seiner Nichte weilen kann, wie eigentlich geplant, der aber im Laufe des Tages noch ankommen wird[32].
[...]
[1] vgl. Lessing, G. E.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen, Gunter E. Grimm, Helmuth Kiesel, Arno Schilson, Jürgen Stenzel und Conrad Wiedemann. Bd. 6: Werke 1767 – 1769. Hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1985. S. 33.
[2] vgl. Lessing 1985, S. 32
[3] vgl. Lessing, 1985, S. 83
[4] vgl. Lessing 1985, S. 30
[5] vgl. Lessing 1985, S. 13f.
[6] vgl. Lessing 1985, S. 19
[7] vgl. Lessing 1985, S. 22
[8] Lessing 1985, S. 22
[9] Saße, Günter: Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Hg. von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil. Bd. 40: Liebe und Ehe. Oder: Wie sich die Spontaneität der Herzens zu den Normen der Gesellschaft verhält. Lessings "Minna von Barnhelm". Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1993, S. 54
[10] Lessing 1985, S. 43ff.
[11] Lessing, 1985, S. 42
[12] Lessing 1985, S. 43
[13] Lessing 1985, S. 45f.
[14] Lessing 1985, S. 44
[15] Lessing 1985, S. 44f.
[16] Lessing 1985, S. 52
[17] Haida, Peter: Anregungen für den Literaturunterricht. Hg. von Dietrich Steinbach. Kritik und Satire im Lustspiel. Georg Büchner: Leonce und Lena. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm. Stuttgart: Klett 1989.
[18] der Inhalt des Briefes wird dem Zuschauer erst in IV, 6 offenbart, es handelt sich also hierbei um ein hervorragendes Beispiel des dramaturgischen Einsatzes von Wissensunterschieden, zum einen wollte Lessing dadurch vermutlich Spannung aufbauen, zum anderen aber auch die Zuschauer über die wahren Motive Tellheims im Unklaren lassen, um diese besser und facettenreicher im Rahmen der Auseinandersetzung des Paares während der Ringintrige gestalten zu können
[19] Saße 1993, S. 74
[20] vgl. Saße 1993, S. 75 ff
[21] Lessing 1985, S. 68
[22] Lessing 1985, S. 68
[23] Saße 1993, S. 59
[24] Lessing 1985, S. 69
[25] vgl. Prutti¸ Brigitte: Bild und Körper: weibliche Präsenz und Geschlechterbeziehungen in Lessings Dramen: Emilia Galotti und Minna von Barnhelm. Würzburg: Königshausen und Neumann 1996, S. 174
[26] vgl. Lessing 1985, S. 25
[27] Lessing 1985, S. 24
[28] vgl. Lessing 1985, S. 35
[29] und in diesem Erkennen liegt ein zentraler Moment des Stückes, denn während Minna den Ring sofort als den Verlobungsring Tellheims ansieht, wird dieser ihn später nicht ohne Hilfe erkennen, dafür gleichsam blind sein
[30] vgl. Prutti 1996, S. 211
[31] vgl. Lessing 1985, S. 79
[32] vgl. Lessing 1985, S. 34
- Arbeit zitieren
- Sabine Heinichen (Autor:in), 2001, Minna von Barnhelm - Oder das Soldatenglück - Eine Analyse der Ringintrige, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30509
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