Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichte der Russlanddeutschen
2.1 Beginnende Ansiedlung
2.2 Ansiedlung im 18. Jahrhundert
2.3 Ansiedlung im 19.Jahrhundert
2.3.1 Wirtschaftliche Entwicklungen in den ersten Jahrzehnten
2.3.2 Die Entwicklung ab Mitte des 19. Jahrhunderts
2.4 Das 20. Jahrhundert
2.4.1 Die Zeit des ersten Weltkrieges
2.4.2 Die Zeit des zweiten Weltkrieges
2.4.3 Kriegsende und die Zeit ab 1950 bis
3. Zuwanderung und Aufnahme
3.1 Begriffsdefinitionen
3.2 Die Einreise in den Jahrzehnten 1980 und
3.3 Gesetzliche Grundlage zur Zuwanderung und Aufnahme
3.3.1 Eingliederung und Starthilfe
3.4 Zuwanderung in Zahlen
4. Identität der Russlanddeutschen
4.1 Deutsche in Russland, Russen in Deutschland
4.2 Migration, Ethnizität und Kultur
4.2.1 Migration und Ethnizität
4.2.2 Kultur
4.3 Identitätsmerkmale
4.4 5 Typen der Russlanddeutschen
4.4.1 Nicht richtig Deutsche
4.4.2 Deutsche mit Makel
4.4.3 Deutsche mit russischem Glanz
4.4.4 Die wahren Deutschen
4.4.5 Die sowjetischen Leute
4.5 Übergangsprozess der Russlanddeutschen
4.6 Identifikation mit dem Aufnahmeland und Wahrnehmungen
5. Integration der Russlanddeutschen
5.1 Theoretischer Bezug
5.1.1 Dimensionen von Integration
5.1.2 Akkulturation und Assimilation
5.2 Schwierigkeiten der Integration
5.2.1 Defizitäre Sprachkenntnisse
5.2.2 Siedlungsbildung und Segregation
5.2.3 Schule, Ausbildung und Beruf
5.2.4 Gewalt und Kriminalität
5.2.5 Alkohol- und Drogenkonsum
5.3 Maßnahmen
6. Fazit
Literaturquellen
Internetquellen
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. EINLEITUNG
Man könnte meinen, die heutige Gesellschaft habe sich an Migration gewöhnt. Mitt- lerweile leben in dem Einwanderungsland Deutschland etliche Menschen mit Migra- tionshintergrund. Die Menschheit ist umgeben von ethnischer Vielfalt. Dies umfasst kulinarische, als auch kulturelle Einflüsse anderer Länder. Und dennoch: Obwohl ei- ne gewisse Offenheit in Deutschland herrscht, stellt die Einwanderung und die damit einhergehende gesetzliche Regelung bis heute ein großes Themengebiet dar, welches nicht von allen Mitbürgern1 positiv aufgefasst wird. Je größer eine Gruppe wird, und dies schließt sowohl die Russlanddeutschen2, als auch andere Migrantengruppen mit ein, desto mehr tritt sie in den Vordergrund (vgl. Hübner 2003b: 51).
Die folgende Arbeit sieht ihre Aufgabe darin, die Historie und Entwicklung der Russlanddeutschen in der ehemaligen Sowjetunion (Kapitel 2) darzulegen und im weiteren Verlauf die Ausreise nach Deutschland näher zu beleuchten. Der Prozess der Aussiedlung wird durch mehrere Aspekte, darunter auch die gesetzlichen Grund- lagen, beeinflusst (Kapitel 3), wodurch eine Basis für das Hintergrundwissen zum weiteren Verlauf geschaffen wird. Von wesentlicher Bedeutung in dieser Arbeit sind ebenfalls die Identität (Kapitel 4) und die Integration und die damit einhergehenden Schwierigkeiten (Kapitel 5) der Russlanddeutschen in der heutigen Bundesrepublik Deutschland (BRD).
In Russland waren sie Deutsche, und in Deutschland gelten sie als Russen. Seit Jahr- zehnten leben die Russlanddeutschen nun in Deutschland. Aber wer sind sie? Warum lebten sie einst in Russland und wie sind sie dort hingelangt? Warum beherrschen viele der Russlanddeutschen nicht die deutsche Sprache, obwohl sie Deutsche sind? Warum führt sie der Weg zurück in die ursprüngliche Heimat? Mit all diesen Frage- stellungen werden die einheimischen Deutschen konfrontiert, wenn sie in Kontakt mit Russlanddeutschen kommen.
Die Russlanddeutschen sind Nachfahren der deutschen Kolonisten in der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken). In der Tat gehören sie zwei Kulturen an. Es wäre falsch festzustellen, sie seien nur vollkommen Deutsche bzw. Russen. Und mit genau dieser Thematik beschäftigt sich diese Arbeit. Obwohl reichlich über die Russlanddeutschen gesprochen und berichtet wird, wissen viele gar nicht, wer sie wirklich sind und welches Schicksal sie mit sich tragen. Die Gruppe der Russland- deutschen ist vor Hunderten von Jahren entstanden und durchlief eine Geschichte schreibende Entwicklung. Erst in der Nachkriegszeit und durch die gelockerten Be- ziehungen zwischen Russland und Deutschland, begann die große Ausreisewelle. Die Aufnahme in Deutschland ist mit vielen Gesetzesgrundlagen verbunden, denn auch Deutschland wurde mit einer neuen Situation konfrontiert und sah sich in der Aufga- be, die Aufnahme der Russlanddeutschen zu regulieren. Seither sind über zwei Mil- lionen Russlanddeutsche in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt. Hier ange- kommen beginnt ein neuer Identitäts- und Integrationsprozess, welcher nicht nur für die Russlanddeutschen eine große Herausforderung darstellt, auch die Aufnahmege- sellschaft bedarf einer interkulturellen Öffnung und Kommunikation gegenüber der Gruppe der Russlanddeutschen.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit die Thematik nicht in vollem Ausmaß dargestellt werden kann.
2. GESCHICHTE DER RUSSLANDDEUTSCHEN
Die Geschichte der Russlanddeutschen führt viele Jahrhunderte zurück. Es bedarf ei- ner komplexen Darbietung und Erläuterung der Historie. Anhand der umfangreichen Geschichtszusammenhänge wird sich jedoch ausschließlich auf folgende Punkte konzentriert: der Beginn der Besiedlung und die Ansiedlung im 18. Jahrhundert bis hin zum 20. Jahrhundert. Angesichts der Komplexität der Historie der Russlanddeut- schen wird nur auf für diese Arbeit relevanten Daten und Geschehnisse und ihre Fol- gen eingegangen. Es soll mit diesem historischen Einblick der Gruppe der Russland- deutschen eine Orientierung und ein Verständnis geschaffen werden.
2.1 Beginnende Ansiedlung
Bereits im 12. und 13. Jahrhundert kamen Deutsche nach Estland, Lettland und Li- tauen, welche heute wieder unabhängige Staaten sind. Es handelte sich bei diesen Deutschen um Kaufmänner und Edelleute (vgl. Schäfer 2003: 20). Auch während der Regierungszeit des Zaren Iwan III (1462-1505) kamen ausländische Spezialisten - vor allem Deutsche - in das Russische Reich. Darunter waren z.B. Gold- und Silber- schmiede, Ärzte und Architekten (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 8).
Durch Iwan IV (1533- 1584) wurden ebenfalls zahlreiche Fachleute wie Handwerker, Baumeister, Ärzte, Offiziere usw. ins Russische Reich gerufen (vgl. Hertel: 2010: o. A.). So entstand in Moskau eine Ausländerstadt namens ‚Nemezkaja sloboda‘ („Deutsche Siedlung“) (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 9). Gern gesehene Leute waren dort, neben den bereits Erwähnten, auch Kaufleute und Dolmetscher. Die Existenz dieser Stadt hielt nicht lange an. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts ging sie unter (vgl. Brandes 1992: 12).
Durch den Zaren Peter I (1682-1725) wurde die Europäisierung Russlands eingeleitet (vgl. Hertel 2010: o. A.). Er verfolgte große Ziele, um sein Gebiet bzw. seine Stadt aufzubauen und zu modernisieren. Hierfür holte er z.B. Handwerker, aber auch Fach- leute für zahlreiche Bereiche wie Marine, Rüstungsindustrie oder Bergbau (vgl. Brandes 1992: 12). Sie alle sollten auch zur kulturellen Entwicklung Russlands beitragen (vgl. Hertel 2010: o. A.). So wurde am 27. Mai 1703 die russische Groß- stadt Sankt Petersburg von Peter I gegründet (vgl. Eisfeld 1992: 213). Sie war zeit- weise auch die Hauptstadt Russlands (vgl. Schäfer 2003: 22). Mit den Jahren kamen auch deutsche Apotheker und Ärzte nach St. Petersburg. An Gymnasien, Fach- schulen und Universitäten wurde zudem auch in deutscher Sprache gelehrt. So schaffte Peter I eine grundlegende Basis für Bildung, woraufhin weitere Personen akademischer Berufe folgten(vgl. Brandes 1992: 12). Unter der Herrschaft der Zarin Katharina II (1762-1796) begann schließlich eine neue Ansiedlungsepoche.
2.2 Ansiedlung im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert wurde Russland durch die Zarin Katharina II (1762 - 1796) und später durch Zar Alexander I (1801 -1825) geplant ausgeweitet (vgl. Her- tel 2010: o. A.). Katharina II, die geborene Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, war die erste deutsche Zarin im Russischen Reich. (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 7). Sie war keineswegs ein sentimentaler Mensch. Sobald ihr Kon- kurrenz drohte, ging sie gewiss über Leichen. So war sie bspw. an dem Mord ihres Ehemannes Peter III beteiligt (vgl. Dalos 2014: 14). Katharina II hatte große Ein- wanderungspläne und betrieb aufgrund dessen gezielt eine Einwanderungspolitik. Neu war, dass sie nicht wie ihre Vorgänger daran interessiert war, nur einzelne Spe- zialisten ins Land zu holen, sondern ganze Kolonien auf dem Land errichten wollte (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 8). Ihre Absicht war es, menschenleeres Land nutzbar zu machen (vgl. Hertel 2010: o. A.). Zum einen war also das Ziel, die Be- siedlung und Bewohnung, zum anderen aber auch eine Vermehrung von Manufaktu- ren und Fabriken sicherzustellen (vgl. Brandes 1992: 16). Die Ausländer sollten den wirtschaftlichen Kreislauf in Gang bringen (vgl. Brandes 1992: 16). So wurde am 22. Juli 1763 das Manifest beschlossen, welches den Einwanderern zahlreiche Privile- gien versicherte. Aus diesem ging hervor, dass die Eingewanderten in den ländlichen Gebieten dreißig Jahre, und in den Großstädten wie bspw. Moskau und St. Peters- burg fünf Jahre Steuerfreiheit, Kredite für Hausbau, dreißig Hektar Boden und Nutz- tiere, sowie landwirtschaftliche Technik, erhielten (vgl. Dalos 2014: 14). Sie beka- men zusätzlich noch das Recht auf freien religiösen Glauben (vgl. Kiel 2009: 18) und waren ebenfalls vom Militärdienst befreit (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 21). Auch ihren Wohnort konnten sie frei und beliebig wählen. Es wurden jedoch schließ- lich bestimmte Gebiete an dem Fluss Wolga ober- und unterhalb der Stadt Saratov angeboten (vgl. Brandes 1992: 17), wodurch der erste Strom der Einwanderer sich dort ansiedelte. Es gingen von den ersten rund 30.000 Kolonisten ca. 26.000 nach Sa- ratov (vgl. Reinecke 2003: 31). In diesem Zuge wurde am 29. Juni 1764 die erste Kolonie namens ‚Nishnaja Dobrinka‘ an der Wolga gegründet (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 60). Die erlassenen Privilegien waren äußerst reizvoll für die deut- schen Bauern und so folgten sie der Einladung der Zarin. Neben den Privilegien gab es auch einige andere Gründe für die Einreise. Der Siebenjährige Krieg und seine fa- talen Folgen ließen die Deutschen auf ein besseres Leben in Russland hoffen, denn sie waren geprägt durch Missernten und Hunger, daraus resultierendes wirtschaftli- ches Zugrundegehen, religiöse Verfolgung und Rekrutierung zum Militärdienst (vgl. Kiel 2009: 19).
Es dauerte einige Jahre bis die deutschen Kolonien einen wirtschaftlichen Erfolg er- zielten. Die Behörden waren mit einer so großen Zahl an Einwanderern überfordert, wodurch es den Bauern in allen Bereichen mangelte. So waren z.B. Holz, Geräte, Saatgut, Vieh, aber auch Ärzte und Psychologen nicht mehr in ausreichender Menge verfügbar (vgl. Brandes 1992: 30). Desweiteren gab es auch Angriffe und Plünde- rungen von Nomadengruppen, die das Leben der Kolonisten ebenfalls erschwerten (vgl. Dalos 2014: 19). Neben diesen Schwierigkeiten gab es auch naturbedingte Probleme wie bspw. Überschwemmungen, Trockenheit, Hagel, Frost, und auch Mäuse vernichteten die ganze Ernte (vgl. Brandes 1992: 30). Für viele Familien stell- te dies einen Kampf ums Überleben dar, wobei mit der Zeit Anpassungsmechanis- men angeeignet wurden, so dass neue Familien gegründet wurden, der wirtschaftli- che Erfolg vorantrieb und große Unternehmen aufgebaut werden konnten. Auch das gesellschaftliche Leben schritt voran - man errichtete deutsche Schulen und auch die Beteiligung in kirchlichen Organisationen, im Stadtrat und vielen weiteren Bereichen nahm zu (vgl. Reinecke 2003: 32-35). Die Bauern in ihren Kolonien bemühten sich um die Bewahrung ihrer eigenen Kultur, Religion und nationalen Zugehörigkeit. Aufgrund dieser Verankerung im Bewusstsein der Identität fand zwar eine Anpas- sung an die neuen Lebensverhältnisse statt, jedoch keine Assimilation. Es wurden wenige Kontakte zu den Einheimischen gepflegt. Sie lebten in stark homogenen deutschen Gebieten. Daraus resultierte dementsprechend eine geringe Zahl an Mi- schehen. Und auch die russische Sprache bekam von den Kolonisten wenig Beach- tung, denn sie blieben ihrer deutschen Sprache treu. Aufgrund dessen gaben die meisten aller Bauern Deutsch als ihre Muttersprache an. Bemerkbar machte sich dies auch an der Namensgebung ihrer errichteten Siedlungen - z.B. Hoffnungstal (vgl. Kiel 2009: 20/21). In den Jahren 1765/66 erreichte die Kolonistenwerbung dann ih- ren Höhepunkt (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 26). Auch Katharina II machte sich im Jahr 1767 auf in die Gebiete an der Wolga um sich ein Bild ihrer Siedlungen zu machen (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 23).
2.3 Ansiedlung im 19.Jahrhundert
Katharinas Nachfolger Zar Alexander I (1801-1825) setzte die Besiedlung fort. Durch sein Einladungsmanifest vom 20. Februar 1804 kam eine weitere Gruppe von Deutschen ins Russische Reich. Der Zar wollte besonders Menschen anwerben, wel- che im ländlichen Bereich, aber auch im Handwerksberuf erfahrene Leute waren. So fanden in den Jahren 1804 bis 1842 verstärkt Auswanderungen aus Süddeutschland statt, sodass sich daraus zahlreiche Mutterkolonien bildeten. Dadurch, dass der jüngste Sohn den Hof und das Land erben konnte und auch das Privileg besaß Land zu kaufen, führte es zur Gründung vieler Tochterkolonien. Diese befanden sich zunächst in der Nähe der Wolga- und Schwarzmeergebiete, später verbreiteten sich diese im ganzen Land (vgl. Hertel 2010: o. A.)
2.3.1 Wirtschaftliche Entwicklungen in den ersten Jahrzehnten
Die wirtschaftliche Entwicklung war in den ersten dreißig Jahren für die Ein- wanderer nur stockend vorangekommen. Es fehlte auch hier an allem: an Geräten, aber auch an allen möglichen Getreide-, Gemüse- und Obstsorten. Missernten, Raub- überfälle und auch fehlende Verkehrsmittel trugen dazu bei. Erst allmählich und mit der Zeit kam auch die Erfahrung. Und so begann man nach und nach Maschinen zu entwickeln. Große Unternehmen, landwirtschaftlicher und industrieller Art, wurden gegründet. Auch Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser usw. wurden errichtet. In den Großstädten wie St. Petersburg und Moskau herrschte ein geordnetes Bildungs- wesen, wohingegen an der Wolga Bildungseinrichtungen auf sich warten ließen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten hatte auch Zar Alexander I zur Einwanderung beigetragen. So fing die planmäßige Ansiedlung der deutschen Bauern mit dem Ein- ladungsmanifest der Zarin Katharina II (1762-1796) an, wurde unter anderem vom Zaren Alexander I (1802-1825) fortgeführt, und hielt bis Ende 1869 an (vgl. Hertel 2010: o. A.).
2.3.2 Die Entwicklung ab Mitte des 19. Jahrhunderts
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Russlanddeutschen geprägt durch verschiedene Krisen. Auch hier verschlechterte sich die Entwicklung in Bezug auf die wirtschaftliche Lage und auch auf die Bevölkerungszahlen (vgl. Kiel 2009: 22). Mitte des 19. Jahrhunderts zählte man rund fünfhundert Kolonien (vgl. Dalos 2014: 28) mit mehr als 100.000 Einwohnern (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 97). Ihre Existenzgrundlage, die der Landwirtschaft galt, war keine sichere Ba- sis mehr. Aufgrund der immer größer werdenden Bevölkerung wurden auch der An- teil des Bodens jeder einzelnen Familie geringer, was zum Teil dazu führte, dass sie weite Wege bis zu ihren jeweiligen Ackerflächen zurücklegen mussten. Dies hatte eine mangelnde Düngung und verminderter Qualität des Bodens zur Folge. Viele suchten sich aufgrund dessen Nebenbeschäftigungen im Handwerk (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 98/99). Die folgenreichste Änderung war jedoch die der Aufhebung der Selbstverwaltung und die Eingliederung in die allgemeine Verwaltung (vgl. Eis- feld 1992a: 46).
2.3.2.1 Der Erlass vom Jahr 1871
Den Sonderstatus, den die Kolonisten bis dato hatten (vgl. Dalos 2014: 39), und ihre durch das Manifest versicherten Privilegien wurden 1871 durch den Erlass von Zar Alexander II aufgehoben (vgl. Kiel 2009: 22). Dieser besagte unter anderem, dass die Selbstverwaltung der Kolonisten aufgehoben wurde und sie von nun an der allge- meinen Verwaltung unterstellt waren (vgl. Eisfeld 1992a: 46, Schippan & Striegnitz 1992: 101). Außerdem wurde die russische Sprache als Amtssprache in den Siedlun- gen der Kolonisten eingeführt (vgl. Eisfeld 1992a: 46), wobei die meisten jedoch der russischen Sprache nicht mächtig waren (vgl. Kiel 2009: 22). Während die Bevölke- rung in der Stadt sich größtenteils integrieren konnte, gab es in den Dörfern, auf- grund des isolierten Lebens, kaum Verständigungen auf deutscher Sprache. (vgl. Da- los 2014: 43).
Hinzu kam, dass im Jahr 1874 die allgemeine Wehrpflicht für die Kolonisten einge- führt wurde (vgl. Dalos 2014: 39). Es war der Versuch, die deutsche Bevölkerung ins russische Reich bzw. die Armee zu integrieren. Dies waren klare erste Russifizie- rungstendenzen. Die Regierung versuchte gezielt die Kolonisten in die Modernisie- rung und bürokratischen Strukturen Russlands mit einzubinden (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 104/105). Die in den darauffolgenden Jahrzehnten ständig auftreten- den Missernten und die Verunsicherung bzgl. der Russifizierungstendenzen beein- flusste die Entwicklung der Russlanddeutschen enorm (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 105).
2.4 Das 20. Jahrhundert
Auch das neue Jahrhundert brachte viele Krisen mit sich. Die deutsche Bevölkerung in Russland war durch den ersten und zweiten Weltkrieg geprägt. Es entwickelte sich regelrecht Hass gegen die Deutschen. Sie wurden zum „inneren Feind“ der damaligen Gesellschaft (vgl. Kiel 2009:22/23).
2.4.1 Die Zeit des ersten Weltkrieges
Man befürchtete, die Russlanddeutschen seien Verbündete des feindlichen Deutsch- lands. In diesem Zuge trat das Liquidationsgesetz im Februar 1915 in Kraft (vgl. Kiel 2009: 23), welches die Enteignung aller Deutschen in Russland veranlasste (vgl. Schäfer 2003: 25). Ihr Landbesitz wurde in einem Gebiet von 100 - 150 km öst- lich der Westgrenze liquidiert (vgl. Hertel 2010: o. A.). Sie sollten ihre gesamten Habseligkeiten und ihre gewohnte Umgebung sofort verlassen (vgl. Schäfer 2003: 25). Durchgeführt wurde dies allerdings nur bei den Deutschen aus Wolhynien (vgl. Eisfeld 1992a: 71). Trotz allem mussten die Deutschen in Russland die staatsbürger- lichen Pflichten erfüllen und wurden zum Militärdienst und an die Front geschickt. Im Jahr 1916 leisteten rund 250.000 deutsche Kolonisten Dienst (vgl. Eisfeld 1992a: 73).
Im Frühjahr 1917 brach die Monarchie zusammen und zwei Millionen Deutsche feierten den Sturz des Absolutismus und bejubelten das neue Gesetz vom 3. April 1917, welches die Gleichheit aller Staatsbürger des Russischen Reiches versprach (vgl. Dalos 2014: 73). Das Jahr brachte eine Verbesserung der Situation der Deut- schen in Russland mit sich. In diesem Zuge entstand 1924 die ‚Autonome Sozialisti- sche Sowjetrepublik der Wolgadeutschen‘ (ASSR). Die autonome Wolgarepublik besaß eine Selbstverwaltung und ihre Amtssprache war Deutsch (vgl. Kiel 2009: 23). Es wurden mehrere Schulen und Hochschulen gegründet, in denen in deutscher Sprache unterrichtet wurde und auch der öffentliche Nahverkehr wurde ausgebaut (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 183). Die Ackerbaumethoden wurden ebenfalls modernisiert, wodurch sich auch rasch die Agrarsituation verbesserte (vgl. Schäfer 2003: 26). Die ASSR legte eine hervorragende Entwicklung zurück.
Durch die Machtergreifung Stalins im Jahre 1928 wendete sich das Blatt und die Verbesserungen der Lebensbedingungen hielten nicht lange an. Es kam zur wirt- schaftlichen Veränderung und einer kompletten Umgestaltung der Sowjetunion. Im Rahmen der Umgestaltung der wirtschaftlichen Lage kam es zur Zwangskollektivie- rung der Landwirtschaft und zur Deportation zahlreicher Bauern in den Dörfern, wo- durch die Dorfstrukturen vollkommen aufgelöst wurden (vgl. Kiel 2009: 23). Als Hitler 1933 in Deutschland an die Macht kam, fing eine weitere katastrophale Zeit für die Russlanddeutschen in der UdSSR an (vgl. Schäfer 2003: 27).
2.4.2 Die Zeit des zweiten Weltkrieges
Der deutsch-sowjetische Krieg begann im Jahr 1941 (vgl. Eisfeld 1992b: 118), wel- cher dazu führte, dass die deutsche Minderheit von nun an nicht mehr gern gesehen war. Sie würden durch ihre bloße Existenz, so hieß es, die Pläne beider Diktaturen behindern (vgl. Eisfeld 2009: 79). Wie auch im ersten Weltkrieg seien die Russland- deutschen auch nun eine Gefahr für das Land, und so wurde noch im selbigen Jahr die Deportation der deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion in die Gebiete in Si- birien, Kasachstan und Mittelasien erlassen (vgl. Kiel 2009: 25, Hertel 2010: o. A.). Die Deportation wurde aus Sicht der sowjetischen Führung als eine Art Prävention gegen mögliche Tätigkeiten, die nicht der sowjetischen Sicht entsprachen, gesehen (vgl. Eisfeld 2009: 81). In dieser Deportationsphase wurden bis zu 650.000 Deutsche umgesiedelt (vgl. Eisfeld 1992b: 123). Insgesamt wurden in den Jahren 1941-9145 1.209.430 Deutsche deportiert (vgl. Eisfeld 2009: 81). Die Deportation hatte zur Folge, dass das Eigentum der Sowjetdeutschen an Grund und Boden verloren ging. Zahlreiche Kultur- und Bildungseinrichtungen in den Wolgagebieten wurden geschlossen. Folglich ging die deutsche Muttersprache verloren und der allgemeine Bildungsstand ging erheblich zurück (vgl. Eisfeld 2009: 81).
Im Herbst 1942 wurden alle sowjetdeutschen, erwerbsfähigen Männer im Alter von 17 bis 50 Jahren und Frauen im Alter von 16 bis 45 Jahren, die zur körperlichen Arbeit fähig waren, in der Trudarmee3 für die gesamte Kriegszeit eingesetzt. (vgl. Schippan & Striegnitz 1992: 187, Dalos 2014: 209). Frauen, die Kinder im Alter von unter drei Jahren zu betreuen hatten oder schwanger waren, waren von dieser Arbeit ausgenommen (vgl. Eisfeld 2009: 81). Dadurch wurden viele Familien voneinander getrennt, viele Kinder waren ohne Aufsicht und auf sich alleine gestellt (vgl. Eisfeld 2009: 81). In der Arbeitsarmee bauten sie unter Schwerstarbeit und psychischen Druck Brücken, Eisenbahnschienen, zahlreiche Industrieanlagen, Bergwerke usw. (vgl. Eisfeld 1992b: 125, Schippan & Striegnitz 1992: 187).
Der deutsch-sowjetische Krieg brachte einige Folgen mit sich. Die Russlanddeut- schen waren geprägt von physischer, wirtschaftlicher und kultureller Demütigung, Zwangsassimilation und zunehmender Russifizierung (vgl. Kiel 2009: 26). Die er- zwungene Assimilation und die Russifizierung führten dazu, dass Deutsch zuneh- mend nur zu Hause gesprochen wurde. Auch die jüngeren Generationen mieden aus Angst und Diskriminierung die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit (vgl. Kiel 2009: 29).
2.4.3 Kriegsende und die Zeit ab 1950 bis 1980
Die Zwangsarbeitslager waren gegen Kriegsende nicht mehr relevant und die bis da- hin Deportierten und Trudarmisten bekamen im Jahr 1945 die Erlaubnis, zu ihren Familien zurückkehren zu dürfen (vgl. Dalos 2014: 217). In den 50er Jahren endete die schwere Zeit (vgl. Schäfer 2003: 28). Durch den Tod Stalins im Jahr 1953 be- gann sich die Situation für die Russlanddeutschen zu mildern. Im Jahr 1955 wurde der Krieg zwischen der UdSSR und Deutschland für beendet erklärt. Es wurden dip- lomatische und wirtschaftliche Beziehungen angestrebt (vgl. Eisfeld 1992b: 131). Durch den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer im Jahr 1955 wurden jene Beziehungen eingeleitet. So wurde am 13.Dezember 1955 beschlossen, dass die Russlanddeutschen ihren Wohnort frei wählen konnten. Man löste also die Sondersiedlungen für die deportierten Russlanddeutschen auf (vgl. Eisfeld 2009: 85) und sie erhielten den Status eines freien Sowjetbürgers (vgl. Kiel 2009: 27). Durch die freie Wohnortwahl kam es zu einer neuen Bevölkerungsverteilung. So lebten nun viel mehr Russlanddeutsche in Kasachstan und Sibirien (vgl. Kiel 2009: 28). Auf- grund der gelockerten Situation der Russlanddeutschen, kam es mit den Jahren zu Kontakten mit der einheimischen russischen Bevölkerung. Es entstanden Mischehen bzw. aus Mischehen hervorgegangene Abkömmlinge. Die Russlanddeutschen glie- derten sich weitestgehend kulturell ein (vgl. Eisfeld 2009: 87), was zur Folge hatte, dass die deutsche Sprache der Russlanddeutschen immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde (vgl. Schäfer 2003: 30).
Ebenfalls kam es aber durch die politische Veränderung in den 50er Jahren zur kla- ren Äußerungen der Russlanddeutschen bezüglich der Ausreise in die Bundes- republik Deutschland. So reisten erstmalig im Jahr 1950 Russlanddeutsche nach Deutschland, um dort ein besseres Leben, fernab von Stigmatisierung und Diskriminierung bezüglich ihrer Nationalität, zu führen (vgl. Schäfer 2003: 29).
So begann die Geschichte der Russlanddeutschen als eine Geschichte der Freiheit. Es war der Beginn eines neuen Lebens in dem fremden Land. Das Blatt wendete sich jedoch in eine Geschichte geprägt von Diskriminierung und Stigmatisierung. Es war ein langer und harter Weg zurück zur ‚Normalität‘, den die Russlanddeutschen zu- rücklegen mussten. Dass sie nun in die BRD einreisen und wieder ein neues Leben im eigenen alten und gleichzeitig neuen Land führen können, kann zum Ende der Geschichte der Russlanddeutschen führen (vgl. Schäfer 2003: 30). Weitere Ausfüh- rungen in dieser Arbeit zeigen jedoch, dass in der angekommenen BRD weitere Komplikationen bezüglich ihrer Identität und Integration auf sie warteten.
3. ZUWANDERUNG UND AUFNAHME
Im Folgenden werden zunächst kurz die unterschiedlichen Begrifflichkeiten der Russlanddeutschen im historischen Verlauf hinsichtlich ihrer Aufnahme in die BRD definiert. Es sollen so Verwirrungen gemieden werden, wenn im weiteren Verlauf die Zuwanderung und Aufnahme, und die Gesetzesgrundlage im historischen Kon- text und jüngster Zeit skizziert werden. Hinzugezogen werden ebenfalls Statistiken bezüglich der Bevölkerungszahl der Russlanddeutschen in der BRD unter ver- schiedenen Aspekten.
3.1 Begriffsdefinitionen
Um mögliche Verwirrungen zu vermeiden und eine Klarheit hinsichtlich einiger Be- griffe zu schaffen, werden diese im Folgenden definiert. So beginne ich mit dem Be- griff deutscher Volkszugehöriger. Nach §6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) ist deutscher Volkszugehöriger „wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird“ (§ 6 Abs. 1 BVFG). Relevant sind dem- nach einige Kriterien wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur, die kenn- zeichnend sind für die deutsche Volkszugehörigkeit. Wann aber ist man ein Mensch mit Migrationshintergrund und gibt es einen Unterschied zum Ausländer? Seit 2005 gibt es die Unterscheidung zwischen der Bevölkerung mit und der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dies ersetzt die bisherige Unterscheidung zwischen einem Deutschen und einem Ausländer. Bei dem Begriff der Menschen mit Migrationshin- tergrund werden, im Hinblick auf Migration und Integration, nicht nur die Zuwande- rer selbst, sondern auch ihre in Deutschland geborenen Nachkommen miteinbezogen (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: o. A.). So zählen zur Bevölkerung mit Migrati- onshintergrund „alle, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, alle in Deutschland geborenen Ausländer/- innen und alle in Deutschland, mit deutscher Staatsangehörigkeit, Geborene mit zumindest ei- nem zugezogenen als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2015: o. A.). Es werden persönliche Merkmale wie Zuzug, Eingliederung und Staatsangehörigkeit auf der einen Seite und entsprechende Merkmale der Eltern auf der anderen Seite zum Migrationsstatus einer Person gezählt (vgl. Statistisches Bundesamt 2015 o. A.). So kann dies heißen, „dass in Deutschland geborene einen Migrationsstatus haben können, sei es als Kinder von Spätaussiedlern, als Kinder ausländischer Elternpaare […] oder als Deutsche mit einseitigem Migrationshinter- grund“ (Statistisches Bundesamt 2015: o. A.).
Wer aber zählt nun zu der Gruppe der Aussiedler bzw. Spätaussiedler? In welcher Verbindung stehen sie zu Flüchtlingen und Vertriebenen? In Folge des zweiten Weltkrieges kamen Menschen aus Osteuropa in die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland. Sie alle besaßen einen unterschiedlichen Status. Für die deutschen Flüchtlinge aus Osteuropa gibt es keine gesetzliche Festlegung. Das BVFG regelt in §1 die Begrifflichkeit des Vertriebenen. So sind nach §1 des BVFG Vertriebene deutsche Staatsangehörige, die aufgrund der Folgen des zweiten Weltkrieges aus ih- rem Wohnort bzw. ihrer Heimat der deutschen Ostgebiete vertrieben wurden (vgl. Monz 2004: 4). Der Begriff des Aussiedlers wird dem des Vertriebenen gleich- gestellt. Er kann als Synonym verwendet werden (vgl. Kiel 2009: 33). Als Spät- aussiedler nach §4 BVFG wird man jedoch dann bezeichnet, wenn man nach dem 31.Dezember 1992 das Herkunftsland in den Ostgebieten verlassen hat und in die BRD eingereist ist. (vgl. Hensen 2009: 53). Sie sind Nachzügler der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen (vgl. Kiel 2009:32). Nach Artikel 116 Abs. 1 GG sind sie Deutsche (vgl. Monz 2004: 4). Mit den Definitionen der Begriffe als Basis, kann nun auf die Zuwanderung und Aufnahme, mit Blick auf die gesetzliche Grundlage seit 1950, eingegangen werden. In diesem Zusammenhang werden auch die Statistiken hinsichtlich der Bevölkerungszahlen der Aussiedler erwähnt.
3.2 Die Einreise in den Jahrzehnten 1980 und 1990
In diesem Unterkapitel wird auf die Zuwanderung mit Fokus auf den historischen Wandel eingegangen. In dem darauffolgenden Unterkapitel liegt der Fokus dann auf der Gesetzesänderung.
Durch die neue Regierung im Jahr 1985 wurde die Ausreise für die Russland- deutschen durch Gorbatschows ‚Perestroika‘ (Umbau) und ‚Glasnost‘ (Öffentlich- keit) vereinfacht. So galten als die häufigsten Ausreisegründe der Russlanddeutschen das Verlangen des Zusammenlebens mit der ganzen Familie samt Verwandtschaft, das Hoffen und Streben nach einem besseren und unabhängigeren Leben und eben- falls die Sehnsucht als Deutscher unter Deutschen leben zu können. Es gibt selbst- verständlich weitere Gründe für die Ausreise, diese jedoch stellen die häufigsten dar. Desweiteren sind die Gründe abhängig vom Alter der Einreisenden (vgl. Liebenstein 2010: 17). Es war ihr Bestreben die deutsche Kultur wieder aufzugreifen und die deutsche Sprache, die ursprünglich ihre Muttersprache gewesen war, wieder zu er- lernen (vgl. Kiel 2009: 30).
Im Laufe ihres Lebens in Russland entwickelten sich viele Mischehen und so auch deutsch-russische Abkömmlinge. Zur Zeit der Deportation und weiterer Kriegsent- wicklungen wurden viele Familien auseinander gerissen, was zu einer räumlichen Trennung der Familienangehörigen führte. Durch die Lockerungen der Ausreisebe- dingungen 1980 entstand vermehrt das Verlangen der Familienzusammenführung mit Familienmitgliedern, die auch schon zum Teil in Deutschland lebten (vgl. Lie- benstein 2010: 17).
Damit einhergehend war auch die Hoffnung auf ein wirtschaftlich besseres Leben. Denn durch das Zusammenbrechen der Sowjetunion und des staatlichen Sozialsys- tems bestimmten Armut und Arbeitslosigkeit das Leben der Russlanddeutschen. In Deutschland hofften sie auf eine materielle und finanzielle Absicherung. Hier sei al- lerdings darauf hingewiesen, dass materielle Ausreisegründe bei der älteren Genera- tion nicht in erster Linie bestanden. Zu der Zeit wurden die Russlanddeutschen auch stark als Faschisten oder Spione betitelt.
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1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weib- licher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
2 Aus Gründen der Einfachheit werden in dieser Arbeit zusätzlich für den Sammelbegriff ‚Russlanddeutsche‘, die Begriffe ‚Sowjetdeutsche‘, ‚Wolgadeutsche‘, ‚Einwanderer‘, ‚Aussiedler‘ und (Spät-) Aussiedler‘ verwendet.
3 Halb russischer, halb deutscher, von den Betroffenen selbst geprägter Begriff; offiziell: Arbeitskolonnen (vgl. Dalos 2014: 209).