Der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus am 12.Oktober 1492 wird ein hoher Stellenwert beigemessen, von Spanien bis zu den USA gibt es verscheidene Rituale, um diesen Tag zu feiern. Das Ereignis ging in die Weltgeschichte ein. Nicht umsonst wird das Jahr 1492 oftmals als mögliche Datierung der Epochengrenze zwischen Mittelalter und früher Neuzeit angesehen.
Umso paradoxer erscheint demnach die Tatsache, dass Columbus selbst bis zu seinem Tod nichts von seinem Glück, Amerika entdeckt zu haben, gewusst hatte: Er wähnte sich stets in China, wie man seinem Bordbuch, welches er auf seiner Reise akribisch führte, entnehmen kann. Aufgrund eines distanzierten Blicks mit dem Weltwissen des 21. Jahrhunderts kann man einen solchen Irrtum kaum begreifen. Deshalb lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen.
Columbus hatte sich sehr gründlich auf sein ursprüngliches Vorhaben, den Osten, India superior, auf dem Westweg zu erreichen, vorbereitet, denn diese Idee war im Grunde nichts Neues und auch in Asien sind schon andere vor ihm gewesen. „Entdecken“ erscheint als Bezeichnung für Kolumbus‘ eigentlichen Plan demzufolge nicht treffend, bezeichnender wäre etwa ein „erneutes Auffinden“ bekannter Gefilde: Hierin liegt auch die Begründung dafür, dass Kolumbus zeit seines Lebens nicht bemerkte, dass er gänzlich am falschen Ort gelandet war, denn er nahm die neue Welt unter völlig anderen Voraussetzungen wahr. Gerade aus diesem Grund erscheint es ein probates Mittel, die eigenen Gedanken und Empfindungen des Kolumbus während seiner Reise zu verfolgen, was glücklicherweise anhand der Rekonstruktion seines verloren gegangenen Bordbuchs realisierbar ist.
Dieses Dokument macht es demzufolge möglich, der sich aufdrängenden Frage nach der Wahrnehmungsweise der neuen Welt des Kolumbus nachzukommen: Welchen Voraussetzungen biographischer und theoretisch-wissenschaftlicher Art unterlagen seine Eindrücke? Welche Motivationen leiteten ihn bei seinen Erkundungen und welche Wahrnehmungsstrategien lassen sich allgemein erkennen? Welche Auswirkungen hatte dies alles auf seine Urteilsfähigkeit? Es soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine Analyse der Wahrnehmungsweise der neuen Welt mit Hilfe des Bordbuchs des Kolumbus erfolgen, um eine Antwort auf die vorangegangenen Fragen zu finden.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Quellenkritische Vorüberlegungen
- Vorüberlegungen zur Quellenedition
- Vorüberlegungen zur Quellengattung
- Die Voraussetzungen
- Biographische Voraussetzungen
- Theoretisch-wissenschaftliche Voraussetzungen
- Die Erfahrung der neuen Welt: Leitende Motivationen und daraus resultierende Wahrnehmungsstrategien
- Die Suche nach Gold
- Bekehrung der indigenen Bevölkerung und leitende Religiosität
- Der Wunsch zur Aufnahme von Handelsbeziehungen und die ökonomisch-konnotierte Berichterstattung
- Transformation von Bekanntem auf die neue Welt
- Der Einfluss des Erfolgsdrucks
- Die Verwendung finalistischer Strategien
- Die indigene Bevölkerung: ein Beispiel für Wahrnehmung und Beurteilung
- Das Aussehen der Ureinwohner
- Analyse des Charakters der Ureinwohner
- Das Superioritätsbewusstsein des Kolumbus
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Arbeit analysiert die Wahrnehmungsweise Christoph Kolumbus' von der neuen Welt mithilfe seines Bordbuchs. Das Ziel ist es, die Hintergründe für Kolumbus' Irrtum, sich in Asien zu befinden, statt in Amerika, zu ergründen und seine Motivationen sowie Wahrnehmungsstrategien während seiner Reise aufzuzeigen.
- Die Rolle biographischer und theoretisch-wissenschaftlicher Voraussetzungen
- Motivationen für die Entdeckungsreise, insbesondere die Suche nach Gold und die Bekehrung der indigenen Bevölkerung
- Die Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung und die Konstruktion des "Anderen"
- Die Auswirkungen des Erfolgsdrucks und die Verwendung finalistischer Strategien
- Die Bedeutung des Bordbuchs als subjektives Ego-Dokument
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus ein und beleuchtet die paradoxen Umstände, die mit diesem historischen Ereignis verbunden sind.
Das Kapitel "Quellenkritische Vorüberlegungen" diskutiert die Herausforderungen, die sich aus der Rekonstruktion des Bordbuchs von Kolumbus ergeben. Es wird auf die Bedeutung der Edition von Las Casas hingewiesen und die Problematik von möglichen Verfälschungen angesprochen.
Das Kapitel "Die Voraussetzungen" untersucht die biographischen und theoretisch-wissenschaftlichen Faktoren, die Kolumbus' Wahrnehmung beeinflussten. Es wird auf seine Bildung, seinen Beruf und seinen sozialen Hintergrund eingegangen.
Das Kapitel "Die Erfahrung der neuen Welt: Leitende Motivationen und daraus resultierende Wahrnehmungsstrategien" beleuchtet die Motivationen, die Kolumbus zur Entdeckungsreise antrieben, und die Strategien, die er zur Wahrnehmung der neuen Welt einsetzte.
Das Kapitel "Die indigene Bevölkerung: ein Beispiel für Wahrnehmung und Beurteilung" untersucht, wie Kolumbus die indigene Bevölkerung wahrnahm und beurteilte. Es wird auf die Beschreibungen des Aussehens, des Charakters und des vermeintlichen niederen Status der Ureinwohner eingegangen.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit behandelt die Themen Christoph Kolumbus, Entdeckung Amerikas, Bordbuch, Wahrnehmungsweise, Quellenkritik, Motivationen, Wahrnehmungsstrategien, indigene Bevölkerung, "Anderer", Superioritätsbewusstsein, Ego-Dokument, Reisebericht, theoretisch-wissenschaftliche Voraussetzungen, biographische Voraussetzungen.
- Arbeit zitieren
- Julia Hümmer (Autor:in), 2013, Entdecker wider Willen? Wahrnehmung und Erfahrung der neuen Welt im Bordbuch des Christoph Kolumbus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310394