Deutsche Sauberkeit und die Angst vor dem Unreinen


Hausarbeit, 2011

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte hygienischer Entwicklungen
2.1. Der reinliche Bürger
2.2. Hygiene als öffentliche Aufgabe
2.3. Nach dem zweiten Weltkrieg

3. „Sauberkeit“ und „Reinlichkeit“
3.1. Die Etymologie der Begriffe
3.2. Reinheit zur Erzeugung von Ordnung

4. Der Schmutz der Welt
4.1. Juden
4.2. Einwanderer
4.3. Frauen

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Durchforsten wir Zeitschriften, Zeitungsartikel oder das Internet zum Thema „typisch deutsch“, begegnen wir immer wieder dem Wort „Sauberkeit“[1].

Weshalb attestieren heute andere Nationalitäten, wenn sie nach charakteristischen nationalen Eigenschaften gefragt werden, den Deutschen so bereitwillig „Sauberkeit“? Was bedeutet der Begriff und inwiefern sind die Deutschen „sauber“?

Wenn man sich die Begrifflichkeit, die mit den Kategorien der Sauberkeit operiert anschaut, begegnen einem im Deutschen sehr häufig Ausdrücke und Redewendungen wie „Abfall der Menschheit“, „reines Gewissen“, „weiße Weste“, „Dreck am Stecken haben“, usw. In unserer Kindheit werden uns schon früh die Regeln „vor dem Essen Händewaschen“ und „nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen“ beigebracht. In der Waschmittelreklame reicht das Wort „sauber“ nicht mehr aus und wird zu „rein“ gesteigert. Auch wenn andere Nationen möglicherweise ähnliche Sauberkeitsvorstellungen haben, die „Sauberkeit“ rangiert im deutschen Wertekanon ganz oben[2]. Das seit 500 Jahren bestehende deutsche Reinheitsgebot für Bier könnte noch als ein eher zufälliges kulturelles Phänomen gedeutet werden, aber sobald man sich anschaut, wie die Deutschen zur Reinhaltung ihrer Rasse bekehrt wurden, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei womöglich um einen tiefer sitzenden Komplex handeln könnte.

Die Vorstellungen von Sauberkeit und Reinheit, sowie die Angst vor „Unreinem“, die Bedrohung durch Fremdes, scheinen umfassender in der deutschen Sprache und in deutscher Kultur verankert zu sein.

In meiner Hausarbeit werde ich mich mit diesen Begrifflichkeiten beschäftigen. Dabei beziehe ich mich auf die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre, deshalb sei darauf hingewiesen, dass es mir im Umfang meiner Hausarbeit lediglich gelingen wird, einen kleinen Teil der Reinlichkeitsfrage, die viel weiter in die deutsche Geschichte zurückreicht, zu beantworten. Das Kernthema ist hierbei der Umgang mit Schmutz und Unsauberem und weniger die Entwicklungsphasen von Hygienevorstellungen oder Putzanleitungen.

2. Geschichte hygienischer Entwicklungen

2.1. Der reinliche Bürger

Spätestens seit Mitte des 17. Jahrhunderts vollzieht sich, von Frankreich ausgehend, in Deutschland eine Verfeinerung der Ess- und Tischsitten, der Konsum- und Repräsentationsstile in der höfischen Kultur, der Umgang mit Parfüm und Puder. Doch auch wirtschaftlich aufsteigende bürgerliche Gruppen sind von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen.

Der bürgerliche Blick auf soziale wie hygienische Verhältnisse wird kritischer, analytischer und auch selbstkritischer. Die Suche nach neuen Ausdrucksformen bürgerlichen Selbstbewusstseins wird deutlich. Jedoch umfasst das Streben nach Reinlichkeit mehr als Gesundheit und Hygiene. Der Ausdruck „reine Bürger“ meint nicht nur die Abwesenheit von Schmutz an Körper und Kleidung, sondern die Entwicklung eines neuen sozialen Typus, des selbstbewussten, tätigen Individuums[3].

Anfang des 18. Jahrhunderts ändert die sozialmoralisch neu begründete Arbeits- und Berufsethik, verbunden mit neuen medizinischen und diätischen Lebensregeln, die Kultur: weg vom Leitbild einer darstellenden, repräsentierenden Körperlichkeit hin zum gesunden, nützlichen, leistungsfähigen Körper. Hygiene, Gesundheit, Körperpflege und Körperschulung stehen in einem neuen Sinnzusammenhang[4]. Die Modernisierung des bürgerlichen Bewusstseins und des praktischen Alltagsverhaltens wird vorangetrieben. Dabei wurde von Medizinern, Pädagogen und Predigern der repräsentative Reinheitsbegriff des Adels übernommen, der unbefangene Umgang ländlicher und städtischer Unterschichten mit dem Wasser, welches bis dahin von der Bevölkerung als gefährlich und keimverseucht angesehen wurde, und vom alten Stadtbürgertum die Verbindung von Reinlichkeit und Ordnung zur Stabilisierung des Sozialsystems. Die Reinlichkeit sollte für jeden Bürger verbindlich sein[5].

2.2. Hygiene als öffentliche Aufgabe

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht die Idee einer öffentlichen Hygiene als gesellschaftlich notwendiges Erziehungsprogramm. Die Hygienefrage wird in den medizinischen Diskurs integriert und zur unmittelbaren Aufgabe für den Staat und seine Gesundheitspolitik[6]. Ein allgemeines Nachdenken über öffentliche Sauberkeit wird angeregt: über Friedhöfe und deren Ausdünstungen, über Schlachthöfe als Infektionsherde, über öffentliche Märkte, über Unratsbeseitigung und Kanalisation, über Krankenpflege und Krankenhäuser.

Der Kampf für Hygiene und gegen den Schmutz steht auch unter den Vorzeichen des deutschen Spätabsolutismus und seiner verstärkten Ordnungs- und Normenproduktion an der Wende zum 19. Jahrhundert. Der Begriff der „deutschen Sauberkeit“ hat seine Prägung – im Sinne einer Mentalitäts- wie einer Mythengeschichte – wesentlich in dieser Zeit erfahren[7].

Wir befinden uns in der Geburtsphase der deutschen Kehrwoche, der ersten Hausmüll-Ordnungen, der bürgerlichen Sauberkeitsregeln. Es wird festgelegt, welche hygienischen Pflichten der einzelne Bürger zu erfüllen hat, in und vor den Häusern ist regelmäßig zu kehren, offene „Dungstätten“ werden verboten, ebenso wie das „Metzgen auf der Straße“ oder das „Ausschütten“ von „Unrat aus den Fenstern“[8]. In welchem Tempo der Ausbau der Kanalisation in deutschen Städten in den letzten Jahrzehnten des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vorangetrieben wurde, zeigt ein Vergleich der städtischen Bevölkerung Preußens. Während 1907 rund 68% der deutschen Bevölkerung in kanalisierten Städten wohnten, waren es im Jahr 1883 demgegenüber nur 27%[9]. Mit dem Ausbau der Kanalisation wurde auf die Hauptforderung der Hygieniker eingegangen, nämlich Abfälle (in diesem Fall die flüssigen) rasch aus dem menschlichen Wohnbereich zu entfernen. Durch diese Entwicklung wurde auch der Bau von Wasserklosetts vereinfacht, wobei Hamburg schon 1840 die erste Stadt des Kontinents war, die das Wasserklosett einführte[10]. Es folgten Erfindungen jeglicher Art zur Beseitigung von Müll und Abfall und zur Bildung hygienischer Lebensbedingungen. Nachdem das Kopfsteinpflaster dem Asphalt wich, folgten Straßenkehrmaschinen, Abfall wurde in Mülltonnen gesammelt und in Müllverbrennungsanlagen vernichtet, durch den Einsatz von Kraftfahrzeugen konnte die Straßenreinigung und Müllabfuhr rationeller gestaltet werden.

2.3. Nach dem zweiten Weltkrieg

Der fortschrittliche Prozess der Müllbeseitigung hielt den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen Deutschlands nicht stand. Nach dem zweiten Weltkrieg, als sich 1948 ein rascher wirtschaftlicher Aufschwung und eine deutliche Veränderung der Lebensgewohnheiten abzeichneten, stand die Bundesrepublik Deutschland vor einem wahren Müll-Problem. In den Jahren 1950 bis 1961 stieg das Volumen des Hausmülls pro Einwohner um etwa 100%[11]. Zunehmend spielte vor allem der anschwellende Verpackungsluxus eine Rolle, statt Papier, Pappe oder Holz zu benutzen, wurde in Folie gewickelt, Blech gestopft, oder Kunststoff gefüllt - viele neue Abfälle konnten und können bis heute nicht mehr verbrannt werden. Der zunehmende Bau von Kläranlagen zur Abwasserreinigung erzeugte eine Flut von Klärschlamm, die schwierig zu beseitigen ist. Die Situation gegenüber früherer Jahrzehnte hatte sich geändert. Die Bevölkerung klagte über große Missstände bei der Beseitigung von Abfällen, die Gemeinden waren überfordert und viele Fabriken standen vor unlösbaren Problemen[12]. Die Fragen der Müllbeseitigung mussten neu aufgegriffen werden. 1963 wurde dem Bundestag der „Erste Bericht der Bundesregierung zum Problem der Beseitigung von Abfallstoffen“ vorgelegt, in dem zusammengefasst zu lesen ist:

„Gemeinden, Gemeindeverbände, Betriebe der gewerblichen Wirtschaft, Landesregierungen und die Bundesregierungen haben sich seit Kriegsende ohne befriedigenden Erfolg um praktische und wirtschaftlich vertretbare Lösungen bemüht. Ein Erfolg ist jedoch durch gemeinsame Bemühungen aller Beteiligten zu erwarten[13].“

Alle bemühten sich, die Bestrebungen auf diesem Gebiet straff zu koordinieren. Bund und Länder arbeiteten eng zusammen und die 1972 verabschiedete Grundgesetzänderung gab der Bundesregierung schließlich die Möglichkeit, eine Neuordnung des Umweltschutzes vorzunehmen und damit auch das Recht der Abfallbeseitigung zu vereinheitlichen. Umweltschutz wurde zur öffentlichen Aufgabe, jeder Bürger wurde zu einem ordentlichen Umgang mit Müll und der Umwelt aufgerufen, ein neues Abfallbewusstsein wurde entwickelt, Sauberkeit gefordert, Hygiene gefördert.

Doch längst meint Hygiene nicht nur die Beseitigung von Schmutz und Abfällen, sondern auch den Kampf gegen den sittlichen und sozialen Schmutz. Sie wendet sich gegen das moralisch „Unsaubere“ und das politisch „Subversive“ in der Gesellschaft.

[...]


[1] Vgl. hierzu u.a. Artikel des Goetheinstituts Italien: http://www.goethe.de/ins/it/lp/ges/mol/tdt/de3375128.htm. Fokus online: http://www.focus.de/wissen/bildung/deutsch/stereotype_aid_21930.html. Die Welt: http://www.welt.de/vermischtes/article1174857/Bier_und_Wurst_sind_typisch_deutsch.html (11.09.07)

[2] Vgl.: Hans-Dieter Gelfert: Was ist Deutsch? – wie die Deutschen wurden, was sie sind. S.36

[3] Vgl.: Manuel Frey: Der reinliche Bürger: Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760-1860, Göttingen, 1997, S.327.

[4] Vgl.: Wolfgang Kaschuba: Deutsche Sauberkeit – Zivilisierung der Körper und Köpfe, in: Vigarello, Georges: Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Frankfurt am Main, 1988, S. 312.

[5] Vgl.: Manuel Frey: Der reinliche Bürger: Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760-1860, Göttingen 1997, S. 328.

[6] Ebd., S. 316.

[7] Ebd., S. 318.

[8] Wolfgang Kaschuba: Aufbruch in die Moderne – Bruch der Tradition? Volkskultur und Staatsdisziplin in Württemberg während der napoleonischen Ära, in: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Katalog zur Ausstellung, Stuttgart 1987, S. 669-689.

[9] Vgl.: Gottfried Hösel: Unser Abfall aller Zeiten – Eine Kulturgeschichte der Städtereinigung, München 1987, S.139.

[10] Ebd.: S.143.

[11] Ebd.: S.191.

[12] Ebd.: S.192.

[13] Ebd.: S.194.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Deutsche Sauberkeit und die Angst vor dem Unreinen
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V314466
ISBN (eBook)
9783668130401
ISBN (Buch)
9783668130418
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutsche, sauberkeit, angst, unreinen
Arbeit zitieren
Nadja Krakowski (Autor:in), 2011, Deutsche Sauberkeit und die Angst vor dem Unreinen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314466

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