Soziale Ungleichheit und Lebensstil. Der Einfluss des sozioökonomischen Status auf Übergewichtigkeit in Deutschland


Bachelorarbeit, 2015

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund und Hypothesen
2.1 Forschungsstand
2.2 Die soziale Ungleichheit und der sozioökonomische Status
2.3 Lebensstile als Vermittler der sozialen Ungleichheit
2.4 Der Einfluss des SES auf die Ernährung
2.5 Der Einfluss des SES auf die sportliche Aktivität

3 Daten und Methoden
3.1 Beschreibung des ALLBUS
3.2 Operationalisierung
3.3 Probleme
3.4 Methoden

4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Statistik
4.2 Bivariate und multivariate Analysen

5 Diskussion und Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abstract

Der große Anteil an übergewichtigen Personen in Deutschland stellt seit Jahren ein ge- sellschaftliches Problem dar und lässt sowohl die Gesundheits- als auch die Sozialwissen- schaften nach möglichen Kausalbeziehungen suchen, die oftmals in sozioökonomischen Rangordnungen zu finden sind. Ziel dieser Arbeit ist, den Einfluss des sozioökonomi- schen Status auf das Übergewicht darzustellen. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Einfluss über einen gesunden bzw. ungesunden Lebensstil als Intervention vermittelt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit höherem sozioökonomischen Status seltener an Übergewicht erkranken und dieser Effekt über die sportliche Aktivität vermittelt wird. Über die Annahme, dass sozioökonomisch höher Gestellte wegen einer gesünderen Er- nährung seltener übergewichtig sind, kann aufgrund unzureichender Daten keine Aussa- ge getroffen werden. Somit geben diese Befunde erste Einblicke in den Zusammenhang zwischen dem Status und dem Körpergewicht sowie Denkanstöße für weitere Untersu- chungen.

1 Einleitung

Während zu Beginn des letzten Jahrhunderts Hunger den Alltag der unteren Gesellschafts- schicht bestimmte und Fettleibigkeit als ein Zeichen für Wohlstand und Zugehörigkeit zur oberen Schicht galt, hat sich das Gesellschaftsbild in der heutigen Zeit stark geändert. Innovationen und neue Technologien halfen der Lebensmittelindustrie effizienter und er- folgreicher zu produzieren, sodass massenhaft Nahrungsmittel zu günstigen Preisen ange- boten werden können, die sich nun auch die untere Schicht leisten kann. Der Konsum von Fertigprodukten scheint auf den ersten Blick nur dem Stillen des Hungers zu dienen, führt in vielen Fällen jedoch zu einer unkontrollierten oder exzessiven Überernährung. Darüber hinaus sorgen Innovationen, wie zum Beispiel das Auto, für Bequemlichkeiten, die immer weniger körperliche Bewegung beanspruchen. Die Folgen dieser Lebensstile zeigen sich nicht nur an einem größer werdenden Anteil der fettleibigen Bevölkerung in den USA (Bozoyan 2014). Auch in Deutschland wird das Thema „Übergewicht“ als gesellschaft- liches Problem immer häufiger diskutiert. Das Statistische Bundesamt gab bekannt, dass 52% der Erwachsenen innerhalb der deutschen Bevölkerung im Jahr 2013 übergewichtig waren (Statistisches Bundesamt 2014).

Empirische Studien zeigen, dass heutzutage vor allem Menschen mit sozioökonomisch niedrigem Status von Übergewicht betroffen sind (Sobal/Stunkard 1989; Zhang/Wang 2004). Die Veränderung der Lebensstile hat dazu beigetragen, dass sich die Konsumund Verhaltenspräferenzen in den sozialen Schichten unterschiedlich entwickelten (Lüdtke 1989). Betrachtet man den Lebensstil in Bezug auf den sozioökonomischen Status, lässt sich die Forschungsfrage stellen:

Inwiefern beeinflusst der sozioökonomische Status und der damit einhergehende gesunde bzw. ungesunde Lebensstil das Übergewicht?

Im Folgenden wird zunächst der aktuelle Forschungsstand vorgestellt und Theorien der sozialen Ungleichheit erläutert. Vor allem in der Art der Erwerbstätigkeit, der Höhe des Einkommens und dem Bildungsstand gibt es erhebliche Unterschiede in der Gesellschaft (Hurrelmann 2010: 27). Für die Theorie der sozialen Ungleichverteilung wird insbeson- dere auf Bourdieus (1982) und Lüdtkes (1989) Ansichten der Lebensstile eingegangen. Demnach lässt sich für die Hypothesenaufstellung unter anderem der sozioökonomische Status und die Differenzierung der Lebensstile in Bezug auf das Übergewicht verbinden. Für die methodische Analyse werden Daten der allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) verwendet. Nachdem die Ergebnisse vorgestellt worden sind, wird eine Diskussion und das Fazit die Untersuchung abrunden.

2 Theoretischer Hintergrund und Hypothesen

2.1 Forschungsstand

Das Thema „Übergewicht“ wird vor allem in den Gesundheitswissenschaften und der Gesundheitspolitik immer wieder aufgegriffen und diskutiert. Die Häufung der mit ihm verbundenen Krankheiten wie z.B. Diabetes oder Herz- Kreislauferkrankungen lässt das Gesundheitssystem vermehrt nach Präventionsmaßnahmen suchen. Um Lösungsansätze zu finden, ist es von Vorteil, zunächst mögliche Kausalbeziehungen zu untersuchen.

Einige amerikanische Studien haben inzwischen die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Übergewicht untersucht. Sobal und Stunkard (1989) zeigten in ihrem Review von 144 veröffentlichten Studien, dass es einen Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und Übergewicht sowohl in westlichen Ländern, als auch in Entwicklungsländern gibt. Die Untersuchungen von Zhang und Wang (2004) ergaben, dass in westlichen Ländern Menschen mit niedrigerem Status eher dazu tendieren, über- gewichtig zu werden als Menschen mit höherem Status. Im Gegensatz dazu, scheint der Trend des Übergewichts in Entwicklungsländern eher im sozioökonomisch höheren Sta- tus vorhanden zu sein (Zhang/Wang 2004).

Die Anzahl an übergewichtigen Menschen ist folglich nicht nur ein amerikanisches, sondern ein weltweites Problem. In Deutschland gibt es nach aktuellem Stand jedoch noch recht wenige Studien über die Zusammenhänge vom Status und dem Gewicht (Bozoyan 2014). Aufgrund der hohen Übergewichtsrate ist es daher von großem Interesse, diese Zusammenhänge in der deutschen Bevölkerung näher zu untersuchen.

2.2 Die soziale Ungleichheit und der sozioökonomische Status

Chronische Krankheiten, die im direktem Zusammenhang mit Übergewicht stehen, stel- len laut Hurrelmann (2010: 20) eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Ein großer Anteil dieses Problems ist dabei nicht nur auf interne gesundheitliche Be- einträchtigungen zurückzuführen, sondern auch auf äußere Einflüsse (Hurrelmann 2010: 20f.). So besteht in der Gesellschaft eine ungleiche Verteilung jener materiellen und im- materiellen Ressourcen, welche die eine für einen gesunden Lebenswandel erforderliche Grundlage darstellen (Hurrelmann 2010: 26). Folglich verschlechtert sich der Gesund- heitszustand der Bevölkerung, je mehr Menschen sich in sozioökonomisch benachtei- ligten Gruppen befinden (Hurrelmann 2010: 27). Nach Hradil (2001) besteht soziale Un- gleichheit, wenn Menschen wegen ihrer Stellung in der Gesellschaft regelmäßig mehr von sogenannten „wertvollen Gütern“ erhalten als andere. Besitzen Menschen diese „wert- vollen Güter“, haben sie einen Vorteil gegenüber anderen, indem sie höher oder besser gestellt erscheinen (Hradil 2001: 28). Solche können zum Beispiel Einkommen aber auch Bildung sein und werden als „wertvoll“ angesehen, weil sich bestimmte Vorstellungen, Wünsche und Ziele damit verwirklichen lassen können (Hradil 2001: 28). Zur Erlangung dieser Ziele sind dabei unterschiedliche Lebens- und Handlungsweisen erforderlich (Hra- dil 2001: 28f.).

Ob nun jemand in der Position eines höher oder tiefer Gestellten bzw. besser oder schlechter Gestellten ist, wird vom Status festgesetzt (Hradil 2001: 33). Der sozioökonomische Status (kurz: „SES“) bildet eine der wichtigsten Ebenen zur Beschreibung der sozialen Ungleichheit (Lüdtke 1989; Hurrelmann 2010). Dieser lässt sich nach verschiedenen Kategorien, wie materielle Belohnung und Ressourcen, Kompetenz, Sozialprestige oder Macht klassifizieren (Lüdtke 1989: 20).

Der SES kann zu einem eindeutigen Index zusammengefasst werden, der den relativen Gesamtstatus einer Person misst (Lütdke 1989). Dieser kann über die Korrelation zwi- schen den Indikatoren Einkommen, Berufsprestige und Bildung ermittelt werden (Lüdtke 1989). Ganzeboom et al. (1992) entwickelte aus einer Metaanalyse von Daten aus meh- reren Ländern ein internationales sozioökonomisches Maß des beruflichen Status (kurz: „ISEI“). Die Analyse beruht dabei auf Daten zum Einkommen, der Bildung und dem Be- rufsstand. Die Eigenschaften des Berufs werden als vermittelnde Indikatoren zwischen dem Einkommen und dem Bildungsabschluss gesehen, da das Einkommen je nach Be- rufsprestige variiert und der Schulabschluss einen direkten Einfluss auf die Berufswahl hat. Das heißt, dass „Bildung“ durch den „Beruf“ zum „Einkommen“ konvertiert wird (Ganzeboom et al. 1992).

Wie man dem Forschungsstand entnehmen kann, wurden bereits Zusammenhänge zwi- schen dem SES und dem Übergewicht in einigen Ländern, insbesondere in den USA, untersucht (vgl. Sobal/Stunkard 1989; Zhang/Wang 2004). Sieht man sich die Anzahl an übergewichtigen Menschen in Deutschland an, kann man auch hier der Vermutung nach- gehen, dass der SES einen großen Einfluss hat (vgl. Statistisches Bundesamt 2014). Die erste Hypothese lautet daher:

Hypothese 1: Der sozioökonomische Status beeinflusst das Auftreten von Übergewicht innerhalb der deutschen Bevölkerung.

2.3 Lebensstile als Vermittler der sozialen Ungleichheit

Den Ausgangspunkt der Übertragung des Ungleichheitsmodells auf das Übergewichtsthema stellt die Kapitaltheorie aus Sicht des Soziologen Bourdieu (1982) dar. Die soziale Ungleichheit lässt sich in der Gesellschaft unter anderem nach Lebensstilen differenzieren (Lütdke 1989: 19). Bourdieu (1982) geht zunächst von einer Unterteilung in Klassen aus, deren Unterscheidungsmerkmal der Berufsstand ist. Da Ressourcen zwischen diesen Klassen unterschiedlich verteilt sind, existiert eine sozioökonomische Rangordnung von Lebensstilen (Bordieu 1982). Die Einteilung in die Rangordnung erfolgt nach der quantitativen Ausprägung des Kapitals einer jeweiligen Person.

Insgesamt werden drei Arten des Kapitals unterschieden, die wechselseitig konvertierbar sind: Das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital und das soziale Kapital (Bordieu 1983). Das ökonomische Kapital besteht aus Geld und Eigentum, welches unter anderem über das Einkommen konvertiert werden kann (Bordieu 1983).

Das kulturelle Kapital kann in drei Formen auftreten: das inkorporierte Kapital beinhal- tet das über das Alter hinweg angeeignete Wissen und Fähigkeiten (Bordieu 1983). Das objektivierte Kulturkapital enthält die Verfügbarkeit von kulturellen Gütern wie Bücher oder Instrumente (Bordieu 1983). Die institutionalisierte Form kann unter anderem als Ti- tel des Schulabschlusses angesehen werden (Bordieu 1983). Unter Umständen kann das kulturelle Kapital in ökonomisches Kapital konvertiert werden, wenn man sich durch den Schulabschluss einen Zugang zur Berufswelt verschaffen und Einkommen erzielen kann (Bordieu 1983).

Die dritte Art ist das soziale Kapital, welches aus Beziehungen und sozialen Verpflichtungen besteht (Bordieu 1983). Dieses kann unter Umständen ebenso in ökonomisches Kapital umgewandelt werden (Bordieu 1983).

In Anlehnung zu Bordieus Theorie unterscheidet Lütdke (1989) für die Rekonstruktion von Lebensstilen vier Bereiche (vgl. Lütdke 1989: 42f.): die sozioökonomische Situati- on, Kompetenz, Performanz und Motivation. Lebensstilelemente, die nach Lütdke (1989) Verhaltensfolgen eines Lebensstils erklären können, sind unter anderem die Verhaltens- weisen und Ausgaben im Ernährungsbereich, in Kultur und Freizeit und Wohnung (Lütd- ke 1989: 43). Verknüpft man folglich die Ansätze Bordieus und Lütdkes, wird deutlich, dass soziale Ungleichheit in Form vom SES einen Einfluss auf verschiedene Lebensstile haben kann.

Für das Gesundheitsverhalten spielen persönliche Entscheidungen über die Lebensfüh- rung eine wichtige Rolle, die vom SES abhängig sind (Hurrelmann 2010: 25). Die Ab- folge dieser individuellen Entscheidungen in der jeweils gegebenen sozialen und psychi schen Umwelt kann als gesundheitsbezogener Lebensstil verstanden werden (Hurrelmann 2010: 25). Aus diesen Erkenntnissen lässt sich folglich schließen, dass sozioökonomisch Benachteiligte einen ungesünderen Lebensstil führen als sozioökonomisch höher Gestell- te. Dass die Führung eines ungesunden Lebensstils einen direkten Einfluss auf das Über- gewicht haben kann, lässt sich mittlerweile aus der medizinischen Forschung herleiten. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Branca et al. 2007) ist die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas auf die Ernährungsgewohnheiten und einem inaktiven Lebensstil zurückzuführen. Diesen Annahmen zugrunde lässt sich ein Kausalmodell ent- wickeln, welches den Einfluss des SES auf das Übergewicht über einen gesunden bzw. ungesunden Lebensstil verbildlichen soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Kausaldiagramm: Interventionseffekt des Lebensstils

Der gesunde bzw. ungesunde Lebensstil in Form von Ernährungsweise und körperlicher Aktivität kann somit einen intervenierenden Effekt zwischen dem SES und dem Überge- wicht haben. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen in den sozioökonomischen Stän- den können einen ungesunden Lebensstil begünstigen und somit indirekt das Überge- wicht beeinflussen. Im Folgenden wird der Einfluss des SES auf die Ernährung bzw. auf die sportliche Aktivität beschrieben. Für die spätere Untersuchung ist vor allem Bordieus (1982; 1983) Theorie des ökonomischen und kulturellen Kapitals von Bedeutung. Die Theorie des sozialen Kapitals wird aufgrund der mangelnden Daten über das Verhalten der sozialen Kontakte für die Analyse und daher auch für die Argumentation nicht be- rücksichtigt.

2.4 Der Einfluss des SES auf die Ernährung

Bordieu (1982) betrachtete die Nahrungsmittelverfügbarkeit der damaligen Zeit und fand Unterschiede in der Ernährungsweise von Industriellen, Freiberuflern und Hochschulleh- rern (Bordieu 1982: 299). So ernährten sich Industrielle und Kaufleute eher von Meh- lerzeugnissen, alkoholischen Getränken und Fleischkonserven und weniger von Obst und Gemüse. Freiberufler hingegen hatten erhöhte Ausgaben für teure Lebensmittel wie Frisch- fleisch, -obst und -gemüse sowie Fisch. Sozioökonomisch Höhergestellte konnten sich somit „Luxuslebensmittel“, die sich durch ihre Qualität auszeichnen, eher leisten.

Mithilfe der Massenproduktion können in der heutigen Zeit Lebensmittel und Fertigpro- dukte hergestellt werden, die zu günstigen Preisen auf dem Markt angeboten werden kön- nen und die sich auch die sozioökonomisch niedriger Gestellten finanziell leisten können. Greift man auf die Kapitaltheorie von Bordieu (1983) zurück, lässt sich das Argument ableiten, dass sich sozioökonomisch niedrig Gestellte aufgrund ihres niedrigen ökonomi- schen Kapitals weniger qualitativ wertvolle Lebensmittel leisten können. Es scheint ratio- nal zu sein, dass sich Menschen mit niedrigem ökonomischen Kapital eher für günstige Fertigprodukte als für teure Qualitätswaren entscheiden. Folglich können es sich Leu- te mit geringen finanziellen Ressourcen eher leisten, in einem Fast-Food-Imbiss essen zu gehen, als in einem Restaurant, dessen Besuch mit hohen Kosten verbunden ist.Das Angebot dort besteht jedoch überwiegend aus günstigen Fertigprodukten und frittierten Speisen während in den meisten Restaurants die Speisen frisch zubereitet werden.

Ein weiteres Argument für den Einfluss des SES auf die Ernährungsweise ist die ungleiche Verteilung des kulturellen Kapitals insbesondere des inkorporierten kulturellen Kapitals. Da Menschen mit niedrigerem Status nach Bordieu (1983) weniger kulturelles Kapital besitzen, kann man auch davon ausgehen, dass diese weniger Wissen über eine gesunde Ernährungsweise besitzen als Menschen mit höherem Status. Fehlt zum Beispiel das Wis- sen über die Folgen von erhöhten Cholesterin-Werten, wird beim häufigen Verzehr von frittierten Lebensmitteln und Süßigkeiten auf keine Gefahren geachtet. Ebenso könnte, Bordieus (1983) Theorie nach, das kulturelle Kapital in ökonomisches Kapital konver- tiert werden. Demnach haben Menschen mit niedrigem SES einen niedrigeren Schulab- schluss und somit eine begrenzte Bandbreite der Berufsauswahl, welches wiederum zu einem niedrigeren Einkommen und somit niedrigem ökonomischen Kapital führt. Über diese Argumente lässt sich folglich die zweite Hypothese ableiten:

Hypothese 2: Je höher der sozioökonomische Status ist, desto seltener erkranken Menschen an Übergewicht, da sie sich gesünder ernähren.

2.5 Der Einfluss des SES auf die sportliche Aktivität

Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die körperliche Aktivität in der Oberschicht höher ist als in der Unterschicht (Sobal/Stunkard 1989). Auch Bordieu (1983: 342f.) betonte, dass die Häufigkeit regelmäßiger sportlicher Betätigung und vor allem der Individualsport mit dem sozialen Status zunimmt. In Bezug auf die Kapitaltheorie von Bordieu (1983) können es sich Menschen mit niedrigem SES aufgrund ihres niedrigen ökonomischen Kapitals weniger leisten, Sport zu treiben, als Menschen mit hohem Status. Vor allem in der Auswahl der Sportart gibt es Differenzen im SES, da Kosten für eventu- elle Ausrüstungen wie Trainingskleidung oder Sportgeräten anfallen (Bordieu 1982: 338).

Eine Rolle kann in diesem Fall ebenso die Wohnumgebung spielen. Da Mietwohnungen in Industriegebieten meist günstiger sind, lässt sich nach der Theorie des ökonomischen Kapitals vermuten, dass sich sozioökonomisch niedrig Gestellte solche eher leisten können. Bewegungsmöglichkeiten sind in solchen Gebieten seltener vorhanden, was mit dem Zustand und der Ästhetik der Umgebung die Bereitschaft zu sportlicher Betätigung beeinflussen kann (Branca et al. 2007). Die Ausweichmöglichkeiten in ein Fitnesscenter sind mit finanziellen Kosten verbunden, weswegen sich viele Geringverdiener aus rationaler Sicht eher gegen einen Mitgliedsbeitrag entscheiden.

Ein begrenzter Zugang zum ökonomischen Kapital, wie es beispielsweise bei Arbeitslo- sen oder Geringverdienern der Fall ist, kann sich ebenso auf die psychische Gesundheit auswirken. Eine bekannte Studie, welche sich mit der sozialen Ungleichheit und der Psy- che beschäftigt hat, war die „Arbeitslosen von Marienthal“ -Studie (Jahoda et al. 1975). Es hat sich herausgestellt, dass Langzeitarbeitslosigkeit zu passiver Resignation und An- triebslosigkeit führen kann (Jahoda et al. 1975). Unter Berücksichtigung dieser Befunde lässt sich ableiten, dass Menschen mit niedrigem SES eher keine Motivation finden, sich sportlich zu betätigen.

Nach der kulturellen Kapitaltheorie lässt sich vermuten, dass das Wissen über die gesund- heitlichen Aspekte der sportlichen Aktivität im niedrigen SES seltener vorhanden ist. So ist das theoretische Wissen über bestimmte Bewegungsabläufe und Auswirkungen von Übungen Voraussetzung für ein effektives Training (Bordieu 1982: 341). Personen mit höherem SES haben aufgrund ihrer höheren Bildung daher einen Vorteil. Unter Berück- sichtigung der oben genannten Argumente lässt sich nun die dritte Hypothese aufstellen:

Hypothese 3: Je höher der sozioökonomische Status ist, desto seltener erkranken Menschen an Übergewicht, da sie sich aktiver sportlich betätigen.

3 Daten und Methoden

3.1 Beschreibung des ALLBUS 2004

Für die Untersuchung des Einflusses des SES auf das Übergewicht über einen gesunden bzw. ungesunden Lebensstil werden Daten von der allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) verwendet, die im Jahre 2004 vom GESIS-Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften verfügbar gemacht wurden. Diese wurden mittels münd- licher Befragung mit standardisiertem Fragebogen und zwei Zusatzbefragungen als CA- SI (Computer Assisted Self-Interviewing) im Rahmen des ISSP (Splitverfahren) im Jahr 2004 von der TNS Infratest Sozialforschung (München) erhoben. Die Stichprobe setzt sich aus in Deutschland lebenden Personen zusammen, die zum Befragungszeitpunkt in Privathaushalten lebten und vor dem 01.01. 1986 geboren sind und wurde über eine zweistufige, disproportional geschichtete Zufallsauswahl in West- und Ostdeutschland erhoben. Im Datensatz befanden sich insgesamt 2946 Befragte. In der standardisierten Befragung wurden unter anderem die berufliche Stellung, das Einkommen, die Bildung, die Körpergröße und das Gewicht erhoben und Fragen über die Konsumhäufigkeiten von bestimmten Lebensmitteln sowie Freizeitaktivitäten gestellt.

3.2 Operationalisierung

Die für die Prüfung der Thesen zentralen Variablen werden aus den Themen Freizeit, Gesundheit und soziale Ungleichheit herausgefiltert und im Statistikprogramm Stata aufbereitet. Fehlende Werte werden stets als „missings“ codiert.

Die unabhängige Variable (UV) bildet der SES, welcher über den „International Socio- Economic Index of Occupational Status“ (ISEI) gemessen wird. Die ISEI-Werte beziehen sich auf ISCO-88 nach Ganzeboom et al. (1992) und beinhalten codierte Angaben über die Standardklassifikationen der Berufe innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Für die Skalenkonstruktion von ISEI wurden Informationen über das soziale Ansehen und die Ausbildung sowie das Einkommen, bezogen auf die jeweiligen Berufe miteinander in Beziehung gesetzt (Ganzeboom et al. 1992). Diese Konstruktion passt sich Bourdieus (1983) Kapitaltheorie an, in der sich das kulturelle Kapital in das ökonomische Kapital konvertieren lässt. Unberücksichtigt bleibt jedoch das soziale Kapital. Die kontinuierli- chen Werte haben einen metrischen Rang von unter 20 bis 90 wobei unter 20 für den niedrigsten SES steht und 90 für den Höchsten (Ganzeboom et al. 1992).

Die abhängige Variable (AV) ist das Übergewicht, welches über den Body-Mass-Index (BMI) ermittelt wird und daher metrische Werte aufweist. Die Verrechnung erfolgte vom ALLBUS, indem das Gewicht der Person durch die quadrierte Körpergröße (in m) geteilt wurde. Ein Wert, der mindestens 25 kg/m2 beträgt, bedeutet nach Definition der WHO, dass die Person übergewichtig ist (Branca et al. 2007).

Für die Erfassung des gesunden bzw. ungesunden Lebensstils werden zwei Variablen er- stellt: die „Ernährung“ und die „körperliche Aktivität“. Für deren Operationalisierung dienen die Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ (DGE 2015).

Die Interventionsvariable (Z1) „Ernährung“ wird über die Zusammenfassung der Kon- sumhäufigkeiten bestimmter Lebensmittel operationalisiert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Soziale Ungleichheit und Lebensstil. Der Einfluss des sozioökonomischen Status auf Übergewichtigkeit in Deutschland
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Methoden der empirischen Sozialforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
29
Katalognummer
V317268
ISBN (eBook)
9783668162884
ISBN (Buch)
9783668162891
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheit, Übergewicht, Deutschland, Lebensstil, sozioökonomisch, Gewicht, sozialer Status, soziale Ungleichheit, Ernährung, Sport, Regression, Bevölkerung, multivariate Anlayse, BMI
Arbeit zitieren
Martina Truong (Autor:in), 2015, Soziale Ungleichheit und Lebensstil. Der Einfluss des sozioökonomischen Status auf Übergewichtigkeit in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317268

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