Ein skeptischer Blick nach Süden. Das Italienbild in Schillers "Geisterseher" und seine Quellen


Hausarbeit, 2016

20 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Ein Italienbild aus zweiter Hand ... 3

2. Die untersuchten Werke ... 4
2.1. Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“ ... 4
2.1.1. Entstehungsgeschichte ...4
2.1.2. Vorbilder und Anregungen ...4
2.2. Die Vergleichstexte ... 6
2.2.1. J.W. von Archenholtz: „England und Italien“ (1785) ...6
2.2.2. Anonym: „Beschreibung von Venedig“ (1786) ... 7
2.2.3. J.J. Volkmann: „Historisch-kritische Nachrichten von Italien“, 2. Auflage (1777/78) ... 8

3. Schillers Italiendarstellung im Vergleich ... 9
3.1. Die Rahmenhandlung ... 9
3.2. San Marco ... 9
3.3. An der Brenta ... 11
3.4. Castello ... 12
3.5. San Giorgio Maggiore ... 13
3.6. Murano ... 14
3.7. Chioggia ... 15

4. Resumée: Skepsis statt Sehnsucht ... 17

Quellen- und Literaturverzeichnis ... 19

1. Einleitung: Ein Italienbild aus zweiter Hand

Im Studienbrief „Europäer in Italien“ des Studienmoduls L4 werden als Schwerpunkt Italienreisen und ihre literarische Verarbeitung im Zeitraum von der zweiten Hälfte des 18. bis in die erste Hälfte des 19. Jh. behandelt. Dabei wird u.a. auf die als „Grand Tour“ bezeichneten Bildungsreisen des Adels und auf Goethes Italienaufenthalt (1786 – 1788) und dessen literarische Folgen eingegangen.

Diese Hausarbeit bezieht sich auf ein Werk, das die Italienreise eines deutschen Adligen zur Rahmenhandlung hat und fast zeitgleich mit Goethes Reise entstand: Friedrich Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“ (1786 - 1789).

Schiller konnte als Nicht-Italienreisender für seine Darstellung des Landes nicht aus eigener Anschauung schöpfen, sondern musste sich fremder Schilderungen bedienen. Wie daraus „ein Italienbild aus zweiter Hand“ entstand, soll hier herausgearbeitet werden.

Die Arbeit beginnt mit einer einführenden Darstellung von Schillers Romanfragment sowie der drei zum Vergleich herangezogenen Werke. Archenholtz´ „England und Italien“ und der anonyme Artikel „Auszug aus einer neuen, noch ungedrukten Beschreibung von Venedig“ wurden herangezogen, weil sie in der Literatur zu Schillers Romanfragment namentlich als dessen Quellen benannt werden. Das dritte Werk, der „Volkmann“, wurde als zeitgenössisches Standardwerk zum Thema Italien hinzugenommen.

Diese drei Werke sollen mit dem „Geisterseher“ verglichen und herausgearbeitet werden, welche Elemente der fremden Reisebilder Schiller verwendet bzw. hervorhebt und welche er nicht berücksichtigt.

Dabei folgt die Arbeit (bis auf den „Murano“-Abschnitt 3.5., s. Anmerkung dort), den Reisestationen der Hauptfigur in Venedig und Umgebung, wobei vor allem die Textstellen betrachtet werden, die Aussagen zu „Land und Leuten“ enthalten.

Abschließend wird aus den so gewonnenen Fakten eine Charakterisierung von Schillers Italienbild entwickelt.

2. Die untersuchten Werke

2.1. Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“

2.1.1. Entstehungsgeschichte

Der „Geisterseher“ erschien zunächst als Fortsetzungsroman in Schillers Zeitschrift „Thalia“ in den Heften Nr. 4 (Januar 1787) bis Nr. 8 (Oktober 1789). Im November 1789 erschien die erste Buchausgabe mit einem sehr knappen Schluss des ersten Teiles des Gesamtromans, der zweite Teil folgte nie.

Schiller überarbeitete den Text für die späteren Buchausgaben (1792 und 1798) erneut. Es existieren somit vier verschiedene Textfassungen.1 Die Zitate in dieser Hausarbeit sind aus einer Leseausgabe von 20092, die der letzten Buchfassung folgt.

2.1.2. Vorbilder und Anregungen

Schiller knüpfte mit den Hauptelementen seines Romans an damals vieldiskutierte Themen an, denn er wollte sich mit diesem Werk ausdrücklich „den Geschmack des Publikums zu nutzen machen“3 – und diesem Geschmack entsprachen Geister- und Geheimbundgeschichten. Die Entstehungszeit des „Geistersehers“ war eine Zeit des Zweifels und der Verunsicherung. „Das Licht der Aufklärung verlor an Glanz4“, oder, wie Postma formuliert: „Auf dem Höhepunkt der Aufklärungs-Epoche, im Zeitalter der Vernunft, war man der ewigen Appelle an den Verstand zuletzt müde geworden und delektierte sich am Unheimlichen, Unerklärlichen, Übersinnlichen.5“ Ebenso hatte „am Vorabend der Revolution das Logen- und Geheimbund-Wesen in Europa einen immensen Aufschwung genommen6“. Schiller hatte bei seiner Themenwahl also „die (Schreib-)Hand am Puls der Zeit“7 und fand entsprechend leicht Vorlagen und Anregungen: Allein in der Mai-Ausgabe der „Berlinischen Monatsschrift“ des Jahrganges 17868 standen drei Artikel, die als Anregungen für den „Geisterseher“ angenommen werden: Die Ausgabe begann mit dem Artikel „Elisa an Preißler. Nebst einer Vorerinnerung der Herausgeber und einer Nachschrift der Verfasserin Frau von der Recke in Mitau, über Cagliostro.“ Elisa von der Recke entlarvt darin den berühmt-berüchtigten Cagliostro als Betrüger und schildert dessen „Geisterbeschwörungen“ in Details, die sich auch in der entsprechenden Szene des „Geistersehers“ finden.

Der zweite Text, „Verbreitung des Katholicismus“ von J.E. Biester, schildert die Umtriebe des - offiziell aufgelösten – Jesuitenordens und dessen vermutetes Bemühen, „sich in dem Kopfe eines Regenten“9 festzusetzen und daraus „eine vom Fürsten selbst unterstützte Priesterherrschaft erwachsen“10 zu lassen, was recht genau dem Verschwörungsziel im „Geisterseher“ entspricht.

Und als Drittes, für die Gestaltung des Schauplatzes Venedig, die anonymen „Auszüge aus einer neuen, noch ungedrukten Beschreibung von Venedig. Von einem Manne, welcher sich drei Jahre daselbst aufgehalten hat.“11 Dieser Artikel wird, da er als einziger der drei Texte Bausteine zum hier interessierenden Italienbild Schillers enthält, in dieser Arbeit näher untersucht.

Als Vorbilder für die Verschwörung, welche den Kern der Romanhandlung bildet, nennt Safranski neben den Jesuiten auch die esoterisch-geisterbeschwörenden Rosenkreuzer sowie die eher weltlich-aufklärerisch gesinnten Freimaurer samt ihrem „politisch-umstürzlerischen“ Ableger, den Illuminaten.12 Laut Saathoff ging der „Geisterseher“ sogar aus einem von Schiller geplanten Aufsatz über die drei genannten Bünde13 hervor.

Die Entscheidung Schillers für den Schauplatz Venedig hängt wohl „mit der Vielfalt der Assoziationen zusammen, die Venedig schon zu jener Zeit auslöste und deren Inhalte teilweise von den Reiseberichten verbreitet wurden: Venedig als Stadt der Masken, des Glückspiels, als Ort erotischer Abenteuer, als Finanzplatz und kosmopolitischer Treffpunkt der Begüterten Europas – all diese Funktionen werden in Schillers Geisterseher aktualisiert und in der Figur des Prinzen zentriert.“14 Als Ort für Verschwörungen war Venedig Schiller zudem bereits durch seine Beschäftigung mit der dortigen „Spanischen Verschwörung von 1618“ ein Begriff.15

2.2. Die Vergleichstexte

2.2.1. J.W. von Archenholtz: „England und Italien“ (1785)

Johann Wilhelm von Archenholtz (1741 – 1812) absolvierte nach einer Militärkarriere umfangreiche Reisen, welche er u.a. in seinem Werk „England und Italien“ (1785 dreibändige Ausgabe, 1787 vermehrte Ausgabe in 5 Bänden) beschrieb.16

Sein Italienbild ist ein durchgehend negatives, geprägt von Despotie, Unfreiheit und Aberglauben und dient vor allem dazu, das Positivbild Englands als Hort von „Aufklärung, Volksglück und Anstand“ umso heller erscheinen zu lassen.17

Daher wurde sein Werk lange und intensiv als eindimensional negativ, vor allem in Bezug auf die von ihm den Italienern zugeschriebenen schlechten Eigenschaften, kritisiert.18 Allerdings stellt er seiner Beschreibung Italiens die Prämisse voran, dass „die die Verschiedenheit der Regierungsformen den Charakter der Völker bestimmt“19, z.B. als Ursache für die eher zurückhaltende Wesensart des Venezianers: „Die Furcht vor der Staatsinquisition und ihren Spionen hält seine Zunge in Fesseln.“20

In Archenholtz´ Werk hat das „Politische“ Vorrang vor dem „Malerischen“: Man findet kaum genauere Ortsschilderungen, dafür um so mehr gesellschaftskritische und wirtschaftliche Betrachtungen.

2.2.2. Anonym: „Beschreibung von Venedig“ (1786)

Die „Berlinische Monatsschrift“ war die wichtigste Zeitschrift der Berliner Aufklärung, zu den Autoren zählten u.a. Moses Mendelssohn und Immanuel Kant.21 In der Mai-Ausgabe des Jahres 1786 erschienen die in 2.1.2. genannten Artikel, die als Quellen für den „Geisterseher“ angenommen werden.

Der Artikel „Auszüge aus einer neuen, noch ungedrukten Beschreibung von Venedig. Von einem Manne, welcher sich drei Jahre daselbst aufgehalten hat.“22 konnte bislang keinem Autor zugeordnet werden und blieb, obwohl die Herausgeber bereits zu Beginn die „versprochene Fortsetzung“23 erwähnen, ein Einzelstück. Ob es sich um einen authentischen Reisebericht des Verfassers (im Folgenden schlicht „Anonymus“ genannt) oder nur um eine aus der Ferne zusammengestellte Kompilation von Gehörtem handelt, bleibt somit unklar.

Der Artikel beginnt mit einer eingehenden Schilderung der politisch-juristischen Staatsbehörden Venedigs wie dem „Rat der Zehn“ und der „Staatsinquisition“. Sie werden hier zum Inbegriff einer bedrohlichen, gesichtslosen Staatsmacht. Der „Rat der Zehn“ war – fern aller Gewaltenteilung - „Gesetzgeber, Verwaltungsbehörde und Gericht in einem“24, die „Staatsinquisition“ , bestehend aus dreien der o.g. „Zehn“, wurde eingerichtet, um „die Bedrohung Venedigs durch den Verrat von Staatsgeheimnissen (…) zu verhindern“25.

Beim Anonymus ist deren Macht vor allem auf Angst gegründet: „Die Staatsinquisitoren fühlen es wohl, daß ihre Gewalt verlieren muß, sobald sie Furcht und Achtung verlieren.“26

[...]


[1] Heiko Postma: „Die Fortsezzung folgt“ - Friedrich Schiller und sein Roman „Der Geisterseher“. München: JMB Verlag 2011

[2] Friedrich Schiller: Der Geisterseher. Aus den Memoiren des Grafen von O***. Husum: Hamburger Lesehefte Verlag 2009

[3] Postma: „Die Fortsezzung folgt“, S. 16

[4] Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. München: Carl Hanser Verlag 2004, S. 241

[5] Postma: „Die Fortsezzung folgt“, S. 16

[6] Ebd., S. 32

[7] Ebd., S. 33

[8] Berlinische Monatsschrift, Mai 1786, Digitalisiert auf: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/berlmon/berlmon.htm, 4.12.2015, 10:36 Uhr

[9] Ebd., S. 439

[10] Ebd.

[11] Anonym: Auszug aus einer neuen, noch ungedrukten Beschreibung von Venedig. Von einem Manne, der sich drei Jahre daselbst aufgehalten hat. In: Berlinische Monatsschrift, Mai 1786, Digitalisiert auf: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/berlmon/berlmon.htm, 4.12.2015, 10:36 Uhr

[12] Safranski: Schiller, S. 238 ff.

[13] Jens Saathoff: Friedrich Schillers Geisterseher und die Grenzen der Aufklärung. Norderstedt: GRIN Verlag 2000, S. 3

[14] Angelika Corbineau-Hoffmann: Paradoxie der Fiktion. Literarische Venedig-Bilder 1797 – 1984. Berlin: Walter de Gruyter 1993, S. 113

[15] Postma: „Die Fortsezzung folgt“, S. 32

[16] Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Leipzig: Vinstingen - Walram 1875, Band 1, S. 511 f., Digital abgerufen über: https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Archenholz,_Johann_Wilhelm_ von, 09.01.2016, 19:59 Uhr

[17] Stefan Oswald: Italienbilder. Beiträge zur Wandlung der deutschen Italienauffassung 1770 – 1840. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1985, S. 12

[18] Ebd., S. 13

[19] Johann Wilhelm von Archenholtz: England und Italien. Nachdruck der dreiteiligen Erstausgabe Leipzig 1785. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1993, Band II, S. 1

[20] Ebd., S. 12 f.

[21] Peter Weber (Hrsg.): Berlinische Monatsschrift (1783 – 1796). Auswahl. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun. 1985, S. 356 ff.

[22] Berlinische Monatsschrift, Mai 1786, Digitalisiert auf: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/berlmon/berlmon.htm, 4.12.2015, 10:36 Uhr, S. 457 ff.

[23] Ebd., S. 457

[24] Kurt Heller: Venedig: Recht, Kultur und Leben in der Republik 697 – 1797. Wien: Böhlau Verlag 1999, S. 301

[25] Ebd., S. 315

[26] Berlinische Monatsschrift, Mai 1786, S. 462

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ein skeptischer Blick nach Süden. Das Italienbild in Schillers "Geisterseher" und seine Quellen
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Neuere deutsche Literatur und Medienwissenschaft)
Note
2,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V317979
ISBN (eBook)
9783668172104
ISBN (Buch)
9783668172111
Dateigröße
715 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der Geisterseher, Italienische Reise, Friedrich Schiller
Arbeit zitieren
Gerhard Schmidt (Autor:in), 2016, Ein skeptischer Blick nach Süden. Das Italienbild in Schillers "Geisterseher" und seine Quellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317979

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