Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1) Einleitung: Mönchsleiche in Buddha-Statue gefunden
2) Die Weltsicht einer Religion
2.1.) Die Rolle des Leidens im Buddhismus
3) Rituale und Bräuche in der Religion - Kreieren einer Weltsicht
3.1.) Opferrituale
4) Das Ritual der Selbstmumifzierung im Shingon-Buddhismus
4.1.) Die Aufmerksamkeit der Medienwelt
4.2.) Selbstmumifzierung & Weltsicht
5) Fazit: Religiöse Rituale beschreiben Weltsicht
Literaturverzeichnis
1) Einleitung: Mönchsleiche in Buddha-Statue gefunden
Ende Februar 2015 machte eine Schlagzeile in den Medien die Runde: In dieser BuddhaStatue steckt eine Mumie.1 Wer sich weder mit Religionen auskennt noch dem Buddhismus angehört, wird diesen Zusammenhang nicht verstehen. Bei genauerer Recherche aber scheint deutlich zu werden, dass dahinter ein Ritual der Selbstmumifizierung steckt und auch mehr, als Zeitungs- oder Onlineartikel beschreiben.
Aus den gegebenen Informationen aber gelangt man beispielsweise zu folgenden Fragen: Wie ist diese Prozedur in den Buddhismus einzuordnen? Wer ist daran beteiligt? Was soll das für Folgen haben? Welche Denkweise steckt dahinter?
Diesen Aspekten soll sich in der vorliegenden Arbeit im zweiten Punkt angenähert werden. Dazu wird zuerst die Religion betrachtet und versucht, gedankliche Ursprünge herauszufiltern. Es ist hier nicht möglich, alle religiösen Facetten darzustellen, jedoch der am bedeutendsten scheinende Punkt des Leidens im Buddhismus klarer zu machen. Weiterhin wird herbei die Auswirkung auf die Rolle des Todes untersucht.
Geht man einen Schritt weiter und interpretiert die Denkweise einer Religion als Weltsicht, können die in ihr verankerten Rituale als eine Ausdrucksform jener formuliert werden. Der dritte Punkt der Arbeit widmet sich der Bedeutung von solchen Handlungen. Was sind Rituale? Wozu können sie benutzt werden? Welche Rolle spielen sie? Diese Fragen werden mit dem Focus auf das Feld der Religionen beantwortet. Dabei geht es nicht speziell um den Buddhismus, er sei hier neben andere religiöse Richtungen gestellt. Schließlich noch einmal besonders hervorgehoben wird der Begriff des Opferrituals.
Im Punkt vier der Arbeit fließen nun die Erkenntnisse über die Struktur des Buddhismus, die Rolle des Leidens, die Bedeutung von Ritualen und deren Potenzial ineinander. Das aktuelle Beispiel der gefundenen Mönchsleiche in einer Buddha-Statue wird betrachtet, um jene Faktoren zueinander zu führen und anschaulich zu machen. Schließlich sollen folgende Fragen beantwortet werden: Können religiöse Rituale tatsächlich Weltsichten ausdrücken und wie kann dies die Selbstmumifizierung im Buddhismus leisten?
2) Die Weltsicht einer Religion
Eine Religion besteht immer aus verschiedenen Sichtweisen auf das Leben, die Welt, Denkweisen oder Handlungen. Mit ihr schwingen Regeln oder Ansätze mit, die Gläubige beibehalten oder denen sie folgen. Fragt man jene beispielsweise wie die Welt entstanden ist, ob sie jemand führt oder wie sie am besten fortbestehen kann, wird wohl jeder Religionsanhänger anders antworten. Im Folgenden wird nun der Buddhismus betrachtet.
2.1.) Die Rolle des Leidens im Buddhismus
Die vorliegende Arbeit kann nicht leisten und hat auch nicht als Aufgabe, die Geschichte des Buddhismus vollständig aufzuzeigen. Weiterhin werden die Felder des Karma und der Kasten, wie es sie in dieser Religion gibt, nur soweit erklärt, wie es zum Verständnis des Hauptaugenmerkes nötig ist. Dieses liegt auf der Rolle des Leidensgefühls in buddhistischen Lebensweisen.
„Buddhahood can be defined as a capacity for compassionate acts.“2 Die Religion ist sehr bedacht auf Gefühle - sowohl die eigenen als auch die der anderen. Solche Gefühle sind logischerweise nicht immer positiv. Den Ursprung im Denken des Buddhismus erläutert man am besten mit einer Beschreibung des ersten Buddhas.
Buddha war den überlieferten Schriften nach wahrscheinlich eine historische Person, geboren zwischen 624 und 448 v.Ch. die durch überwiegende mythologische Umschreibungen zum Prototyp des göttlichen Menschen geworden ist.3 Als Prinz im Palast gut von der Außenwelt abgeschirmt, verlässt er diesen eines Tages unbeobachtet. Auf seinem Weg trifft auf einen Kranken, Toten und einen Asketen und verlässt schließlich schockiert und beeindruckt sein Zuhause um „den Weg der Befreiung aus der Situation des grundsätzlichen Leidens der menschlichen Existenz zu suchen.“4 Das Mitgefühl mit den Mitmenschen und der Versuch, das Leid zu bekämpfen, werden so zur Hauptmaxime des Buddhismus. Der aktuelle XIV. Dalai Lama beschreibt: „Im Buddhismus verdrängen oder meiden wir das Leiden nicht. Vielmehr konzentrieren wir uns darauf, wobei wir uns eine Art analytischer
Betrachtungsweise bedienen.“5 Jene gestaltet sich durch Wahrheiten, welche auf der Grundlage der ersten Buddhageschichte festgehalten werden. Die erste edle Wahrheit vom Leiden heißt: Alles ist Leiden.6 Um dies näher zu bestimmen, kann man sagen, dass der ganze Lebenskreislauf aus diesem Gefühl besteht, es jeder Mensch kennt und dadurch auch bei anderen sieht. „Diese Wahrheit bringt die Einsicht zum Ausdruck, daß [sic!] jedes an den Lebenskreislauf von Geburt, Alter, Tod und Wiedergeburt gebundene Lebewesen bereits in der ursprünglichen Weise seiner Existenz leidet, selbst wenn es dies nicht weiß, da es im Kreislauf der Wiedergeburten und durch das Wirken der Zeit nicht Festes und Letzes gibt, das beständiges und wirkliches Glück verheißen würde.“7 Dem Leiden zu entkommen, scheint laut Buddha jedoch auf verschiedene Arten möglich. Hierzu geben die weiteren edlen Wahrheiten der Leidensentstehung und der Leidenserlöschung Anleitungen. „Die Analyse des Ursprungs leidgebundener Existenz ist als Realisation dieses Wissens bereits in sich ein Befreien uns Loslösen vom Leiden.“8 Daraus geht hervor, dass alles Leiden ist, der Anfang des Leidens ist das Begehren und nur durch dessen Vernichtung verlöscht das Leiden.9 Das Begehren von Menschen, Dingen oder Zuständen schafft Erwartungen oder Ziele, deren Nicht-Erfüllung früher oder später in einem Punkt zu Tage tritt. Dann ist das Gefühl einer Verstimmung oder Trauer provoziert. Diese Ursache liegt im Denken und im Körper des Menschen begründet. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Welt, durch die Sinne bestimmt, welche durch das Leiden geprägt ist.10 Man kann jene Sinne und das Denken trainieren. Unsere Sinne schaffen eine Illusion der Welt. Man muss sich der „Nichtwirklichkeit der Welt“11 bewusst sein. „Empfindet man Gleichmut oder innere Ruhe, so nimmt zunächst einmal das mentale Leiden ab.“12 Frei von der Welt - die viele Täuschungen enthält - wird man durch das Erkennen und Sehen.13 Dies bringt jedoch nur eine teilweise Verbesserung, eher für den Moment des anhaltenden Lebens. Schließlich ist hier der schon vorhin erwähnte Aspekt der Wiedergeburten wichtig. „Im Buddhismus glauben wir an das Leben nach dem Tode […]“14, fokussiert der Dalai Lama. Wenn ein Mensch gestorben ist, wird er mit einem nächsten Leben wiedergeboren. Auch hier wird er jedoch wieder zu leiden haben. So ist die Wiedergeburt nicht - wie man vielleicht vermuten könnte - ein positiver Faktor der Religion.
Er soll vermieden werden und man somit aus dem Kreislauf entfliehen. „Es hat entscheidende Bedeutung, Achtsamkeit über den Tod zu entwickeln […].“15 Er spielt eine wesentliche Rolle im Buddhismus. So muss der Gläubige schon während des Lebens sein Denken verbessern, jedoch immer auch das nächste im Blick haben und versuchen zur sogenannten Erleuchtung zu gelangen. „Das ist Selbst-Disziplin, welche aus dem Gewahrwerden von Ursache und Wirkung (Karma) entsteht.“16 Die höchste Form der Erleuchtung, das endgültige Nirvana, schließt sowohl die Befreiung aus dem Daseinskreislauf der Wiedergeburten als auch das Erlangen von Allwissenheit ein.17 „So gibt es Nirvana als Zustand derer, die in ihrem aktuellen Leben Erleuchtung erlangt haben und das Eingehen in das Nirvana der Erleuchteten nach dem Tod anstelle einer weiteren irdischen Existenz.“18
Man arbeitet also auf einen Tod hin, der einen erlösen kann. „Durch die schrittweise Verbesserung ihrer Leben kann die Befreiung erlangt werden und darauf basierend kann schließlich die Buddhaschaft erreicht werden.“19 Sie ist das höchste aller Ziele.20 Der Tod bekommt so im Buddhismus eine besondere Rolle. „Da Sie sich darauf vorbereitet haben, auf sinnvolle Weise wiedergeboren zu werden - dazu fähig die spirituellen Bemühungen fortzusetzen - gibt es keine Reue, Niedergeschlagenheit oder Angst, wenn der Tod kommt. Ihr Bewusstsein kann mit großer Zuversicht weiterziehen.“21 Das Bewusstsein über das Leiden im eigenen Leben und das der anderen kann helfen, gute Taten zu vollziehen und sich somit dem Weg der Erleuchtung zu nähern. Denn auch nur mit dem Tod ist es möglich, dass die Sinne zur Ruhe kommen, das Begehren aufhört und so auch das Leiden. „Der Weg des Buddhismus ist der Weg der Auslöschung des Selbst und damit der Welt der Sinneswahrnehmungen.“22 „Diese absolute Ruhe impliziert auch, daß [sic!] keine karmischen Wirkungen mehr vorhanden sind, die zu einer neuen Wiedergeburt führen können.“23 Der Tod, der im Buddhismus das Tor in ein neues Leben öffnen kann, wird möglicherweise jedoch auch ins erstrebenswerte Nirvana und zur Erlösung führen.
[...]
1 http://www.welt.de/geschichte/article137753302/In-dieser-Buddha-Statue-steckt-eine-Mumie.html, Stand: 16.03.2015, 20:14 Uhr. (weitere Quellen siehe Punkt 4)
2 Mathews, Chris: Sokushinbutsu: Esotheric Buddhism and the Ethics of Altruistic Suicide. Third International Applied Ethics Conference, Hokkaido, 2008. S. 6.
3 Eliade, Mircea / Culianu, Ioan P.: Handbuch der Religionen. Frankfurt am Main, 2003. Vgl. S. 265.
4 Elberfeld, Rolf: Phänomenologie der Zeit im Buddhismus: Methoden interkulturellen Philosophierens. Stuttgart; Bad Cannstatt, 2010. S. 66.
5 Dalai Lama XIV: Im Einklang mit der Welt. Der Friedens-Nobelpreisträger im Gespräch mit Jean Shinoda Bolen. Bergisch Gladbach, 1993. S. 37.
6 Elberfeld, Rolf. 2010. Vgl. S. 65.
7 Ebd. S. 67.
8 Ebd. S. 74.
9 Eliade, Mircea / Culianu, Ioan P. 2003. Vgl. S. 266.
10 Essler, Wilhelm K. / Mamat, Ulrich: Die Philosophie des Buddhismus. Darmstadt, 2006. Vgl. S. 141-142.
11 Hoover, Thomas: Die Kultur des Zen. München, 1991. S. 40.
12 Dalai Lama XIV. 1993. S. 53.
13 Essler, Wilhelm K. / Mamat, Ulrich. 2006. Vgl. S. 143.
14 Dalai Lama XIV. 1993. S. 55.
15 Dalai Lama XIV: Der Weg zum sinnvollen Leben: das Buch vom Leben und Sterben. hg. von Jeffrey Hopkins. Freiburg im Breisgau; Basel; Wien, 2003. S. 31.
16 Ebd. S. 34.
17 Ebd. Vgl. S. 57.
18 Grözinger, Karl Erich / Lange, Christian: Religionen und Weltanschauungen: Werte, Normen, Fragen in Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus/Buddhismus, Esoterik und Atheismus. Berlin, 2009. S. 55.
19 Dalai Lama XIV. 2003. S. 35.
20 Ebd. Vgl. S. 35.
21 Ebd. S. 88.
22 Eliade, Mircea / Culianu, Ioan P. 2003. S. 267.
23 Elberfeld, Rolf. 2010. S. 75.