Emotionale Reaktionen auf experimentell induzierten sozialen Ausschluss

Replikation des Cyberball-Paradigmas in einer studentischen Stichprobe


Diplomarbeit, 2010

57 Seiten


Leseprobe


Zusammenfassung

Seit Mitte der Neunziger Jahre wird intensiv und anhand verschiedener Methoden zu sozialem Ausschluss geforscht. In einer Reihe von Studien in den USA konnte Williams belegen, dass sich sozialer Ausschluss durch das von ihm entwickelte Cyberball-Paradigma in einer virtuellen Umgebung experimentell induzieren lässt und Probanden darauf starke aversive Reaktionen zeigen (Williams, Cheung & Choi, 2000; Zadro, Williams & Richardson, 2004). Cyberball ist ein Computer-Ballspiel, bei dem die Probanden von ihren vermeintlichen, in Wirklichkeit computergenerierten Mitspielern, ausgeschlossen werden, indem sie von ihnen keine Bälle mehr zugespielt bekommen. In der vorliegenden Studie wurde an einer studentischen Stichprobe (N =51) geprüft, ob die Befunde von Williams et al. (2000) in Deutschland repliziert werden können. Hierfür wurden die emotionalen Reaktionen von Probanden, die in dem Paradigma ausgeschlossen wurden (Experimentalgruppe, N = 26), verglichen mit den Reaktionen von Probanden, die von ihren Mitspielern nicht ausgeschlossen wurden (Kontrollgruppe, N = 25). Vor allem unmittelbar nach der Manipulation berichteten die Probanden der Ausschluss-Gruppe im Vergleich zu den Probanden der Einschluss-Gruppe eine deutlich schlechtere Stimmung und fühlten sich ihren Mitspielern weniger zugehörig. Zudem hatten sie ihrem Gefühl nach weniger Kontrolle über die Situation und empfanden ihr Dasein als weniger sinnvoll als die Probanden der Einschluss-Gruppe. Entgegen der Annahme zeigten sie im Vergleich zur Einschluss-Gruppe kein höheres Arousal und erlebten ihren Selbstwert nur tendenziell als stärker bedroht. Es zeigte sich, dass vor allem psychisch belastete Probanden, sowie Probanden mit sozialen Ängsten und aversiven sozialen Erfahrungen starke und lang anhaltende aversive Reaktionen auf den erlebten Ausschluss zeigten. Trotz einzelner abweichender Ergebnisse und methodischer Schwächen der Studie kann der Replikationsversuch insgesamt als erfolgreich angesehen werden und liefert einen erneuten Beleg für Williams Need-Threat-Theory (1997). Eine Generalisierung der Wirksamkeit des Paradigmas scheint somit zulässig zu sein.

Abstract

Since the Mid-1990s research on social exclusion has proliferated and a multitude of methods have been utilized in an attempt to further its progress. Williams developed the “Cyberball”-Paradigm and found that social exclusion could be induced in a simulated, virtual surrounding by showing that participants reported strong aversive reactions (Williams, Cheung & Choi, 2000; Zadro, Williams & Richardson, 2004). Cyberball is a ball-tossing-computer-game, in which participants experience exclusion by not receiving any more throws from the other two pseudo players, who are in fact, generated and controlled, by the computer. The present study is an attempt to replicate the findings of Williams et al. (2000) in Germany in a sample of students (N = 51). The emotional reactions of excluded participants (Experimental group, N = 26) were compared to the reactions of participants who had not been excluded (Control group, N = 25). Immediately following the manipulation, the excluded participants reported experiencing negative mood swings and felt as though they were less meaningful than the other players who were included. They also perceived having less control over the situation and experienced their existence as less meaningful. In contrast to various assumptions they did not report higher arousal and they did not feel a significant threat towards their self-esteem. Participants who were mentally burdened as well as participants with social anxiety and aversive social experiences showed a stronger and more persistent aversive reaction to the experienced rejection. Despite of some differing results and methodical weaknesses of the study, the replication in total can be considered as being successful and provides further proof for Williams Need-Threat- Theory (1997). Therefore, a generalization of the paradigm´s effectiveness seems to have been approved.

Einleitung

„ Was mache ich falsch? Warum werfen sich die anderen den Ball immer nur gegenseitig zu? Liegt das an mir? Ich bin entt ä uscht und durcheinander, dass mir der Ball nicht zugespielt wird und hoffe, dass ich den Ball wieder bekommen werde. Die Situation erinnert mich an meine Schulzeit, da habe ich beim Sport auch nie den Ball bekommen. Ich warte darauf, dass die anderen beiden merken, was in mir vorgeht, aber sie k ü mmern sich nicht darum. Meine Anwesenheit scheint irrelevant zu sein, ich f ü hle mich isoliert und frustriert, denn die anderen Spieler beachten mich gar nicht mehr. “

Diese Gedanken berichtete eine Teilnehmerin, die in der vorliegenden Studie experimentell induzierten sozialen Ausschluss erfahren hat. Das Zitat verdeutlicht, dass soziale Ausgrenzung selbst in einer künstlich hergestellten und wenig realen Situation das emotionale Erleben stark beeinflusst. Ausgegrenzt zu werden bedeutet ignoriert und ausgeschlossen zu werden. Dieses Phänomen wird in der Sozialpsychologie unter dem Begriff Ostrazismus untersucht. Der Begriff Ostrazismus basiert auf dem lateinischen Namen des altgriechischen Scherbengerichts (ostraca =Tonscherbe), einem Volksgericht, bei welchem unliebsame oder zu mächtig gewordene Bürger für einige Jahre aus dem politischen Leben der Stadt verbannt werden konnten. Entsprechend dieses Vorgangs versteht man unter Ostrazismus heute noch das Ignorieren und Ausschließen von Individuen oder Gruppen durch andere Individuen oder Gruppen (Williams, 2007; Williams & Zadro, 2001). Ostrazismus unterscheidet sich von anderen Formen der Zurückweisung dadurch, dass jegliche Art der Kommunikation mit dem Opfer abgelehnt und diesem implizit vorgeworfen wird etwas falsch gemacht zu haben (Williams et al., 2000). Anders als bei verbalen oder physischen Auseinandersetzungen ist Ostrazismus häufig uneindeutig, weil dem Opfer oft nicht klar ist, warum es ausgeschlossen wird. Statt im Mittelpunkt zu stehen und verspottet oder beschimpft zu werden, wird ein Opfer von Ostrazismus gemieden und nicht beachtet. Dieser soziale Ausschluss kann auf unterschiedliche Arten kommuniziert werden, beispielsweise durch das Vermeiden von Blickkontakt, durch die Verweigerung auf Fragen zu antworten oder auch durch das Nicht-Reagieren auf Nachrichten in einem Internet-Chatroom.

Das Phänomen Ostrazismus tritt bei allen sozialen Lebewesen überdauernd über Zeit und Kulturen auf (Williams, 1997, 2001); es ist universell und allgegenwärtig. Bereits in der Steinzeit und auch heute noch ist sowohl im Tierreich als auch bei den Menschen zu beobachten, dass unangepasste Mitglieder aus dem Rudel bzw. der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Aus Sicht der Agierenden dient dieser Ausschluss der Förderung des Gruppenzusammenhalts, denn der Ausschluss von Mitgliedern, die den Gruppenzielen nicht dienlich oder gar hinderlich sind, macht eine Gruppe effektiver und stärker und sichert das Überleben der Gruppe. Dieser Ausschluss hat vernichtende Konsequenzen für die Opfer von Ostrazismus: Evolutionär betrachtet bedeutet ausgeschlossen zu werden und nicht dazu zu gehören schutzlos dem Tod ausgeliefert zu sein (Gruter & Masters, 1986; Kling, Lancaster & Benitone, 1970). Der Schmerz, der durch sozialen Ausschluss ausgelöst wird, hat somit eine adaptive Funktion für das Überleben, denn er führt zu Verhaltenskonsequenzen mit dem Ziel mit der Ausgrenzung umzugehen (Spoor & Williams, 2007). Eine rasche Wahrnehmung des sozialen Ausschlusses ist somit hoch funktional, damit diesem sofort entgegen gewirkt werden kann (MacDonald & Leary, 2005). Übertragen auf unsere heutige westliche Welt stellt sozialer Ausschluss aus ökonomischer Sicht kaum einen Nachteil mehr dar, da der Mensch heute finanziell unabhängig und auch für sich alleine leben kann. Dennoch ist Ostrazismus aus psychologischer Betrachtung heraus eines der wirkungsvollsten Sanktionsinstrumente überhaupt (Williams, 2007).

Die meisten Menschen erleben Ausgrenzung in ihrem Leben, sei es als Quelle oder als Opfer. Jeder kennt das sogenannte silent treatment (Faulkner, Williams, Sherman & Williams, 1997), bei dem man vom Partner oder einem guten Freund, der erbost ist, ignoriert und angeschwiegen wird und der Blickkontakt offensichtlich gemieden wird. Schon Kinder und Jugendliche benutzen Ausgrenzung um darüber Konflikte auszutragen und Machtpositionen zu klären (Cairns, Cairns, Neckerman & Ferguson, 1989). Sozialer Ausschluss kann aber auch unabsichtlich stattfinden, beispielsweise wenn unauffällige Schüler von ihren Klassenkameraden kaum wahrgenommen werden (Williams, 2007).

Mit dem Ziel die Frage zu beantworten, warum Menschen sich beugen, zustimmen und möglichst konform mit anderen agieren, wird seit Jahrzehnten in der Sozialpsychologie zum Thema Angst vor Ablehnung und Ausschluss geforscht. Schachter fand schon 1951 heraus, dass antizipierte Ablehnung ein starkes Motiv für sozial konformes Verhalten ist. Es stellt sich die Frage, was uns davon abhält das Richtige zu tun, wenn wir uns der korrekten Lösung bewusst sind, aber andere um uns herum falsch handeln. Der Grund ist: Wir wollen Ausgrenzung vermeiden und dazugehören, wahrgenommen und beachtet werden (Williams, 2007). Menschen sind soziale Wesen und im Falle eines sozialen Ausschlusses werden Urinstinkte und -ängste geweckt. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit entfacht die starke Motivation positive und bedeutsame zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten (Baumeister & Leary, 1995). Nach Baumeister und Leary (1995) steckt auch hinter einer Vielzahl von anderen Bedürfnissen, wie z.B. dem Bedürfnis nach Macht, schlichtweg das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Die enorme Bedeutsamkeit des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit wird vor allem deutlich durch die Reaktionen von Individuen in Situationen, in denen dieses Bedürfnis nicht erfüllt ist - beispielsweise während des Erlebens sozialen Ausschlusses. Im Laufe der letzten Jahre sind verschiedene Modelle und Taxonomien zum Thema Ausgrenzung entwickelt worden (Williams, 2007). Eine Taxonomie, wie sie von Williams (2007) berichtet wird, ist in Abbildung 1 dargestellt und wird im Folgenden näher erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Taxonomie zu Ausgrenzung von Williams (2007).

Es wird zwischen kurz- und längerfristigen Reaktionen auf sozialen Ausschluss unterschieden. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass die direkten Reaktionen selbst auf minimale Formen von Ausgrenzung unangenehm und schmerzhaft sind und zu einem Anstieg von Traurigkeit und Ärger führen (Williams et al., 2000; Zadro et al., 2004). Nach der Need-Threat-Theory von Williams (1997) werden durch das Erleben von sozialem Ausschluss die vier fundamentalen Bedürfnisse Kontrolle, Selbstwert, Zugeh ö rigkeit und das Bedürfnis nach einem sinnvollen Dasein unmittelbar bedroht.

Jedes dieser Bedürfnisse ist wesentlich für das menschliche Überleben und Wohlergehen (Williams & Zadro, 2001). Vor allem, wenn der Ausschluss nicht als Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten des Opfers erfolgt, wird dadurch der Selbstwert des Opfers stark angegriffen. Zudem bekommt das Opfer das Gefühl keine Kontrolle über die Situation und die Interaktion zu haben, weil es, unabhängig von den eigenen Handlungen, von den anderen nicht beachtet wird. Einige Studien konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass ausgegrenzte und ignorierte Menschen ihre Grundbedürfnisse stärker bedroht sehen als Menschen die verbal schikaniert und beschimpft werden (Williams et al., 2000). Auch wenn es unangenehm und schmerzhaft ist beschimpft zu werden, haben die Opfer in diesem Fall - im Gegensatz zu den Opfern von Ostrazismus - noch einen Einfluss auf die Interaktion, weil zumindest mit ihnen kommuniziert wird. Sozialer Ausschluss führt außerdem dazu, dass die Opfer den Sinn ihres Lebens, ihr sinnvolles Dasein, in Frage stellen (Stillman, Baumeister, Lambert, Crescioni, DeWall & Fincham, 2009), weil ihnen bewusst wird, wie es wäre, wenn sie nicht existieren würden. Hinzu kommt, dass sie von jeglicher Art von sozialen Werten und Inhalten, die dem Leben potenziell einen Sinn geben, abgetrennt werden und ihnen das Gefühl vermittelt wird wenig bedeutsam zu sein. Laut der Need-Threat-Theory reagieren die Opfer von Ostrazismus auf die wahrgenommene Bedrohung dieser vier Bedürfnisse unmittelbar mit negativer Stimmung, Angst, physiologischem Arousal und Gefühlen von Verletztheit (Williams, 1997). In diversen eigenen Studien konnte Williams (1997, 2001, 2007) die zentralen Annahmen der Need-Threat-Theory bestätigen. Menschen reagieren auf Ausgrenzung so reflexartig, dass Informationen, die die Relevanz der Ausgrenzung verringern oder widerlegen würden, von ihnen zunächst nicht wahrgenommen werden.

Die beschriebenen Auswirkungen der unmittelbaren Reaktion auf sozialen Ausschluss sind also unabhängig von interindividuellen Unterschieden oder situativen Faktoren und treten universell auf (Williams, 2007).

Je länger die Zeit zur kognitiven Bewertung einer erlebten Ausgrenzung, desto individueller und unterschiedlicher sind die Reaktionen darauf (Williams, 2007). Wie empfindlich Individuen auf sozialen Ausschluss reagieren ist abhängig von individuellen Eigenschaften, von den spezifischen Bedürfnissen, die bedroht werden, sowie von der Bewertung davon, wer ausgrenzt und warum (Williams, 2007). Ein in diesem Zusammenhang entscheidender Faktor ist die individuelle Sensitivität für Ablehnung. Diese wird vor allem von Menschen mit starken und lang andauernden Zurückweisungserfahrungen entwickelt und führt dazu, dass diese Ablehnung auch in mehrdeutigen Situationen erwarten und darauf feindselig reagieren, was in der Folge zu noch mehr Ablehnungserfahrungen führt (Downey, Mougios, Ayduk, London & Shoda, 2004). In diesem Zusammenhang zeigte sich, dass das Ausmaß und die Häufigkeit von zuvor erfahrener Ablehnung ein guter Prädiktor für die Art der Reaktion auf den erlebten Ausschluss ist (Murray, Rose, Bellavia, Holmes & Kusche, 2002), ebenso wie der Selbstwert einer Person. Vor allem bei einem geringen Selbstwert stellt sozialer Ausschluss für das betroffene Individuum eine enorme Bedrohung dar, weil ein geringer Selbstwert stark mit Gefühlen von Depression und Ängsten assoziiert ist und jegliche negativen Erfahrungen folglich als gravierender und schlimmer empfunden werden als von Menschen mit einem hohen Selbstwert. Bezüglich interindividueller Unterschiede in der Reaktion auf sozialen Ausschluss zeigte sich außerdem, dass sowohl sozial hochängstliche als auch niedrigängstliche Menschen zwar unmittelbare negative Reaktionen auf sozialen Ausschluss zeigen, jedoch diese negativen Effekte bei sozial hochängstlichen Menschen stärker ausgeprägt sind und länger anhalten (Zadro, Boland & Richardson, 2004; Oaten, Williams, Jones & Zadro, 2007). Mit dem Ziel den psychischen Diskomfort zu kompensieren, versuchen Opfer von Ostrazismus sowohl kognitiv, emotional als auch durch ihr Verhalten die bedrohten Bedürfnisse wieder zu stärken (Williams, 2007). Welche Verhaltensweisen gezeigt werden hängt davon ab, welches oder welche Grundbedürfnisse als am stärksten bedroht wahrgenommen werden. Die Reaktionen reichen vom übertriebenen Streben nach sozialer Aufmerksamkeit und Anerkennung auf der einen Seite (Maner et al., 2007; Williams et al., 2000; Williams & Sommer, 1997) bis hin zu aggressiven, antisozialen Handlungen und Racheakten auf der anderen Seite (Gaertner & Iuzzini, 2005; Twenge, Baumeister, Tice & Stucke, 2001; Warburton, Williams & Cairns, 2006). Welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ob pro- oder antisoziale Verhaltensweisen gezeigt werden, ist noch nicht ausreichend geklärt (Warburton et al., 2006). Mögliche moderierend wirkende Faktoren werden im Folgenden diskutiert. Weil das Zugehörigkeitsgefühl unabdingbar für die seelische Gesundheit und die Selbstsicherheit eines Individuums ist (Baumeister & Leary, 1995, Smith, Murphy & Coats, 1999), ist es häufig dasjenige Bedürfnis, welches in der Wahrnehmung des Individuums am stärksten bedroht ist. Dies löst folglich den starken Wunsch aus wieder dazuzugehören und gemocht zu werden, was zu einer Sensibilisierung für soziale Informationen (Gardner, Pickett & Brewer, 2000) und in der Folge zu (zum Teil übertriebenen) sozial erwünschten Verhaltensweisen und einer guten Anpassung an die Gemeinschaft führt (Maner et al., 2007; Pickett, Gardner, & Knowles, 2004), aber auch zum unbewussten Nachahmen anderer führen kann (Lakin & Chartrand, 2005). Im negativen Sinne kann sozialer Ausschluss jedoch ein solch starkes Verlangen nach Zugehörigkeit auslösen, dass sich die Betroffenen von radikalen Gruppen oder Sekten angezogen fühlen, weil diese ihnen die so nötig gewordene Anerkennung geben, die ihnen von anderen Menschen verweigert wurde. Derartige maladaptive Entscheidungen werden getroffen, weil die Fähigkeit zu einer moralischen Unterscheidung zwischen gut und böse in diesem Fall beeinträchtigt zu sein scheint (Warburton et al., 2006).

Wenn eine starke Bedrohung des Kontrollbedürfnisses empfunden wird, überwiegt dies den Wunsch gemocht zu werden (Warburton & Williams, 2005) und erhöht somit das Risiko von aggressiven Reaktionen und Gewalttaten gegen andere (Warburton et al., 2006). Das Ausüben von Gewalt ist in diesem Fall ein verzweifelter Versuch die abhanden gekommene Kontrolle wieder zu erlangen und ein Gefühl von Macht zu erleben. Die Bereitschaft antisozialer Verhaltensweisen steigt in diesem Zusammenhang nicht nur gegenüber den Menschen, die als Auslöser für den sozialen Ausschluss wahrgenommen werden, sondern generell gegenüber anderen Individuen (MacDonald & Leary, 2005; Twenge et al., 2001). Baumeister, Twenge und Nuss (2002) stellten hierzu die Theorie auf, dass sozialer Ausschluss zu einer kurzzeitigen kognitiven Einschränkung, einer emotionalen Taubheit (Baumeister & DeWall, 2005) sowie einer Beeinträchtigung der Selbstregulation führt (Oaten et al., 2007). Eine beeinträchtigte Hemmung negativer Verhaltensweisen bietet somit eine weitere mögliche Erklärung für impulsive und aggressive Reaktionen auf sozialen Ausschluss. Das wiederholte Erleben von Ereignissen, in denen die vier Grundbedürfnisse als bedroht wahrgenommen werden, hat gravierende Auswirkungen auf die seelische Gesundheit eines Individuums. Die Verwendung ungünstiger Copingstrategien, wie z.B. Vermeidung, wird evoziert (Boyes & French, 2009). In der Konsequenz resignieren Individuen und fühlen sich hilf- und wertlos (Warburton et al., 2006; Williams, Govan, Croker, Tynan, Cruickshank & Lam, 2002). Rückzug, soziale Isolation und Depression sind die Folgen (Williams, 1997, 2001, 2007). Weitere klinische Studien demonstrieren, dass Erfahrungen von sozialem Ausschluss das Risiko erhöhen, an einer sozialen Phobie zu erkranken (Crick & Grotpeter, 1996) sowie mit einer generell erhöhten Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen einhergehen (Wright, Crawford & Del Castillo, 2009; Masten & Wright, 2009). Egeland (2009) berichtete, dass sozial und emotional aversive Erfahrungen in der Kindheit und Jugend vergleichbare langfristige Folgen für die Herausbildung möglicher Psychopathologien haben können wie körperliche Gewalterfahrungen oder andere traumatische Ereignisse. In diesem Zusammenhang konnten bildgebende Studien zeigen, dass Erfahrungen von Ablehnung, Zurückweisung und Vernachlässigung dasselbe neuronale Netzwerk aktivieren und deshalb ebenso schmerzhaft wahrgenommen werden wie körperliche Schmerzen (Eisenberger, Liebermann & Williams, 2003; MacDonald & Leary, 2005). Eine niederländische Arbeitsgruppe fand heraus, dass soziale Zurückweisung zu einer vorübergehenden Veränderung der Herzfrequenz führt, was bedeutet, dass auch das vegetative Nervensystem durch derartige Erfahrungen beeinflusst wird (Moor, Crone, & van der Molen, 2010). Die Redensart "Das bricht mir das Herz" bekommt hiermit eine wissenschaftliche Fundierung.

Die genannten Befunde legen nahe, dass sozialer Ausschluss die Entwicklung sowohl psychischer als auch physischer Erkrankungen begünstigt und verdeutlichen zudem den engen Zusammenhang zwischen sozialen und physischen Schmerzen. Insgesamt veranschaulichen die gravierenden Konsequenzen von Ostrazismus, warum es für Menschen so wichtig ist dazuzugehören und warum die Angst vor Ausschluss so groß ist.

Die Brisanz und Aktualität des Themas wird deutlich durch die Flut an sinnloser Gewalt und die steigende Anzahl an Selbstmordattentätern in der heutigen Zeit (Newman, 2004). Das Ergebnis einer Analyse von Schulamokläufen seit 1995 konnte zeigen, dass Ostrazismus, Mobbing oder andere Arten der empfundenen Zurückweisung in 13 von 15 Fällen ein wesentlicher auslösender oder ursächlicher Faktor war (Leary, Kowalski, Smith & Phillips, 2003). Dieses Beispiel zeigt, dass erlebter sozialer Ausschluss - vermutlich im Zusammenhang mit einer vermehrten sozialen Isolation - weitreichende Auswirkungen nicht nur auf die psychische Gesundheit, sondern auch auf das Verhalten von Individuen hat und verdeutlicht zudem die erheblichen Risiken, die daraus für die Gesellschaft entstehen.

Mittlerweile wird seit ca. zwei Jahrzehnten aktiv zum Thema Ostrazismus geforscht.

Verschiedene klinische und sozial-psychologische Paradigmen (Williams, 2007) ermöglichen die experimentelle Untersuchung von sozialem Ausschluss. In anfänglichen Studien zum Thema fand sozialer Ausschluss überwiegend in realen Situationen, wie bei Frisbee- oder Ballspielen, Wartezimmergesprächen oder verschiedenen Rollenspielen, statt. Diese Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass jede dieser Ausschlusssituationen ein aversives Erleben auslöste. Die Probanden berichteten von niedergeschlagener Stimmung sowie von Gefühlen von Einsamkeit, Ängstlichkeit, Frustration, Unsichtbarkeit und Hilflosigkeit (Williams, 2007). Durch die Ausbreitung des Internets kam die Frage auf, ob sich sozialer Ausschluss auch in virtuellen Umgebungen induzieren lässt.

Das Internet bietet mittlerweile eine Vielzahl von Möglichkeiten um soziale Erfahrungen zu machen und Kontakte zu knüpfen. Diese neue Ebene von Beziehungen bringt jedoch auch eine ganz neue Art zwischenmenschlicher Probleme mit sich (Cummings, Sproull & Kiesler, 2002). Mit den vermehrten Gelegenheiten zum Erleben von sozialem Einschluss steigen gleichzeitig auch die Möglichkeiten ausgeschlossen und ignoriert zu werden, denn trotz der immens hohen Quantität an möglichen zwischenmenschlichen Interaktionen nimmt die Qualität der zwischenmenschlichen Kontakte stark ab und persönliche Kontakte werden immer seltener. In diesem Zusammenhang konnten Kraut, Patterson, Lundmark, Kiesler, Mukophadhyay & Scherlis (1998) zeigen, dass Internetnutzung generell das Risiko von Depression und Einsamkeit erhöht. Rintel und Pittam (1997) berichteten, dass Internetnutzer beispielsweise starke Unsicherheit und Unwohlsein erlebten, wenn die Kommunikation in einem Chatroom von ihrem Gesprächspartner unterbrochen wurde. Das Phänomen, im Internet ausgeschlossen zu werden, trägt den Namen Cyberostrazismus (Williams et al., 2000). Die berichteten Befunde verdeutlichen die Bedeutsamkeit einer Untersuchung zu sozialem Ausschluss im Internetkontext. Außerdem ist ein Computerspiel für die experimentelle Untersuchung von sozialem Ausschluss effizienter und weniger aufwändig als die bisher üblicherweise verwendeten Paradigmen.

Um herauszufinden, ob sich sozialer Ausschluss auch in virtuellen Umgebungen induzieren lässt, entwickelte Williams (1997) deshalb - basierend auf einer eigenen Erfahrung - das „Cyberball“- Paradigma. Die teilnehmenden Probanden werden dabei einzeln getestet und gehen davon aus an einem „Experiment zur geistigen Vorstellungskraft“ teilzunehmen. Mit zwei vermeintlich im Nebenraum sitzenden anderen Probanden spielen sie über ein Netzwerk am Computer ein Ballspiel. Per Mausklick können sie jeweils entscheiden, wem von den anderen beiden Mitspielern sie den Ball zuwerfen möchten. Sie wissen nicht, dass es in Wirklichkeit keine anderen Mitspieler gibt, sondern deren Würfe vorprogrammiert sind. Zur Unterstützung der Coverstory haben die Probanden die Aufgabe, sich während des virtuellen Ballspiels eine reale Situation sowie ihre Mitspieler möglichst genau vorzustellen. Geistige Vorstellungskraft ist für die Untersuchung von sozialem Ausschluss jedoch irrelevant und dient der Verschleierung der wahren Intention. Um die Coverstory glaubhaft zu machen, erhält der Versuchsleiter vor Beginn des Spiels einen fingierten Anruf aus dem Nebenraum mit der Nachricht, dass die Mitspieler bereit seien das Spiel zu starten. Zu Beginn des Spiels bekommt jeder Proband die Möglichkeit den Ball einmal zu fangen und einmal zu werfen. Anschließend verwendete Williams ursprünglich vier Versuchsbedingungen, welche sich in dem Anteil der Würfe unterschieden, die ein Proband zugespielt bekam. Probanden in der Overinclusion -Bedingung erhielten 67% aller Würfe und Probanden in der Inclusion -Bedingung erhielten 33% aller Würfe, während Probanden in der Bedingung partieller Ostrazismus 20% aller Würfe erhielten und Probanden in der Ostrazismus -Bedingung gar keine Würfe mehr erhielten. Als abhängige Variablen erfasste Williams die Stimmung, den wahrgenommenen Gruppenzusammenhalt und die Intensität des gefühlten Ausschlusses. Da diese Variablen ähnliche Ergebnismuster zeigten, berechnete er daraus einen sogenannten Aversive Impact Index, um die negativen Auswirkungen des sozialen Ausschlusses zusammenzufassen (Williams et al., 2000). Auch wenn die Ausschlusssituationen vergleichsweise minimal und künstlich waren, zeigte sich: Je stärker die Versuchspersonen ausgeschlossen wurden, desto schlechtere Stimmung berichteten sie, desto weniger berichteten sie Kontrolle über die Situation gehabt zu haben und desto weniger fühlten sie sich der Gruppe zugehörig (Williams & Zadro, 2005). Der selbstberichtete Distress stieg also linear zum Ausmaß der sozialen Ausgrenzung. Diese Befunde bestätigten, dass das Cyberball-Paradigma in der Lage ist ein aversives Erleben von sozialem Ausschluss zu induzieren. Zadro et al. (2004) fanden, dass selbst bei einem expliziten Hinweis auf computergenerierte Mitspieler der Ausschluss als aversiv empfunden wird und die Teilnehmer physiologische Reaktionen zeigen. In einer anderen Studie gingen die Probanden davon aus, dass sie entweder mit Ingroup- Members (Menschen mit einer ähnlichen politischen Überzeugung), mit rivalisierten Outgroup- Members (Menschen mit einer gegensätzlichen politischen Überzeugung) oder mit verachteten Outgroup-Members (Menschen, die zum Ku Klux Klan gehörten) spielten. Es zeigte sich, dass die Probanden sich in allen Bedingungen ähnlich ausgeschlossen und in ihren Grundbedürfnissen bedroht fühlten, selbst wenn sie mit Menschen spielten, die sie verachteten (Gonsalkorale & Williams, 2007). Eisenberger et al. (2003) ließen Probanden in einem MRT Cyberball spielen und fanden eine starke Aktivierung im anterioren cingulären Cortex - der Region, die auch beim Erleben von physischen Schmerzen aktiviert ist - selbst wenn die Probanden davon ausgingen, dass ihre Computer noch gar nicht mit denen der anderen Spieler verbunden waren. Durch Cyberball werden also nicht nur psychische, sondern auch physiologische Veränderungen induziert. In weiteren Variationen des Paradigmas versuchten Williams und Kollegen, Zugehörigkeit mit negativen Stimuli zu belegen, indem sie z.B. den Cyberball als Bombe darstellten und angaben, dass diese in jedem Moment explodieren könne oder sie Zugehörigkeit etwas haben kosten lassen, indem sie den Spielern für jeden erhaltenen Wurf Geld abgezogen haben und dennoch wurde der Ausschluss als stark aversiv und stressend erlebt (Van Beest & Williams, 2004). Interessanterweise zeigte sich, dass die negativen Reaktionen auf sozialen Ausschluss durch Cyberball am Computer genauso stark sind wie die in einer realen Situation (Williams et al., 2000). Zusammenfassend bestätigen diese Ergebnisse das Cyberball-Computerspiel als effiziente Alternative zu den vorher verwendeten realen Ballwurf- und anderen Paradigmen.

Die bisherige Forschung zum Thema erfolgte fast ausschließlich im angloamerikanischen Kulturkreis. In den USA wurden seit 1995 über 5000 Teilnehmer in den verschiedenen Variationen des Szenarios getestet, aber es ist nach wie vor unklar, in wie weit das Paradigma und die berichteten Befunde auf den europäischen Kulturraum sowie auf andere als die untersuchte Population übertragbar sind. Studien an deutschen Stichproben sind für die Verallgemeinerung des Konzepts auf Deutschland somit unerlässlich.

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Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Emotionale Reaktionen auf experimentell induzierten sozialen Ausschluss
Untertitel
Replikation des Cyberball-Paradigmas in einer studentischen Stichprobe
Hochschule
Universität Bielefeld
Autor
Jahr
2010
Seiten
57
Katalognummer
V322127
ISBN (eBook)
9783668567528
ISBN (Buch)
9783668567535
Dateigröße
864 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialer Auschluss, Emotionen, Reaktionen, Experiment, Soziologie, Cyberball, Auschluss, Einschluss, Gruppe
Arbeit zitieren
Miriam Sander (Autor:in), 2010, Emotionale Reaktionen auf experimentell induzierten sozialen Ausschluss, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322127

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