Die Magisterarbeit untersucht zwei heterogene Werke der lateinamerikanischen Literatur, Os sertões (1902) von Euclides da Cunha aus Brasilien und La guerra del fin del mundo (1981) von Mario Vargas Llosa aus Peru. Beide reflektieren dasselbe historische Ereignis, den Canudos-Krieg im Nordosten Brasiliens (1897, Kap. 1), differieren aber in ihrer Gattung. Ziel der Arbeit ist es, die beiden Werke im Hinblick auf die unterschiedliche Gewichtung von Historiographie und Fiktion zu untersuchen.
Kap. 2 diskutiert die Frage nach der Gattung der Werke, um die unterschiedliche Aufbereitung der historischen Fakten herauszuarbeiten. Os sertões vermischt wissenschaftlichen, historiographischen und literarischen Diskurs. La guerra… hingegen ordnet sich in die Subgattung des historischen Romans bzw. der „nueva novela histórica“ ein.
Kap. 3 untersucht die ideologischen und literaturtheoretischen Prämissen, denen die Werke verpflichtet sind. Da Cunha orientiert sich wissenschaftlich am Positivismus und Sozialdarwinismus. Vargas Llosa dagegen bezeichnet in seiner Romantheorie den Schriftsteller als „Gottesmörder“, der „fortwährend gegen die Wirklichkeit rebellier[t]“ und der den „Wahrheitsgehalt“ des Dargestellten nicht wie Da Cunha „an seiner Nähe zur Realität“, sondern „am Gelingen der literarischen Persuasionsstrategien“ misst.
Kap. 4 beschäftigt sich mit darstellungsästhetischen Aspekten, wobei der Erzählsituation und der Sprache in beiden Werken besondere Aufmerksamkeit zukommt.
Kap. 5 befasst sich mit der Funktion der Personenkonstellation und der Charakterisierung einzelner Figuren, wodurch die ideologische Positionierung von Os sertões (als Hypotext) und La guerra… (als Hypertext) manifest wird. Euclides da Cunhas Wissenschaftsverständnis bringt dabei andere Wertungen und Einschätzungen zu Tage, als der Roman von Vargas Llosa. So stellt Da Cunha die sertanejos aufgrund ihres Mischlingscharakters als genetisch determinierte Relikte dar. Dagegen führt Vargas Llosa ökonomische und psychologische Gründe für den Canudos-Konflikt an und „falsifiziert“ die Argumente Da Cunhas.
Aus Kap. 6 geht die philosophische Dimension der divergenten Wirklichkeits-, Wahrheits- und Geschichtskonzeptionen der beiden Werke hervor. Beide Autoren wurden von einem unterschiedlichen Geschichtsverständnis geleitet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: ereignisgeschichtlicher Abriss
- Das Problem der Gattung
- Historisches und literarisches Erzählen
- Der historische Roman
- Gattungsbestimmung der beiden Werke
- Os sertões: Wissenschaft und Fiktion
- La guerra del fin del mundo: Intertextualität und Referentialität
- Ideologische und literaturtheoretische Voraussetzungen
- Das Wissenschaftsverständnis und die politische Haltung Euclides da Cunhas
- Die Romantheorie Mario Vargas Llosas
- Darstellungsästhetische Aspekte
- Erzählsituation und Sprache in beiden Werken
- Struktur und Argumentationsführung
- Os sertões: spannende Argumente
- La guerra del fin del mundo: spannende Geschichten
- Personen und Personengruppen im Vergleich
- Die Besetzer von Canudos
- Die sertanejos
- Antonio Consejero
- Galileo Gall
- Moreira César und die Soldaten
- Rufino und Jurema
- Der kurzsichtige Journalist
- Der Baron von Cañabrava
- Wirklichkeit, Wahrheit und Geschichtskonzeption
- Versionen der Wahrheit
- Möglichkeiten, Grenzen und Sinn der Geschichtsschreibung
- Die Geschichtskonzeption in beiden Werken
- Fiktion und Wirklichkeit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit beschäftigt sich mit zwei bedeutenden Werken der lateinamerikanischen Literatur, Os sertões von Euclides da Cunha und La guerra del fin del mundo von Mario Vargas Llosa. Beide Romane thematisieren den Canudos-Krieg, einen regionalen Bürgerkrieg im Nordosten Brasiliens Ende des 19. Jahrhunderts. Die Arbeit untersucht die Gattungszugehörigkeit der beiden Werke, die ideologischen und literaturtheoretischen Voraussetzungen sowie die darstellungsästhetischen Aspekte. Im Mittelpunkt stehen die Figuren und Personengruppen, die in beiden Romanen dargestellt werden, sowie die Frage nach Wirklichkeit, Wahrheit und Geschichtskonzeption.
- Die literarische Auseinandersetzung mit dem Canudos-Krieg
- Die Gattung des historischen Romans und ihre Besonderheiten
- Die Darstellung von Gewalt und Religion in den Romanen
- Die Rolle der Figuren und Personengruppen im historischen Kontext
- Die Bedeutung der Geschichtskonzeption in beiden Werken
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den historischen Hintergrund des Canudos-Krieges dar und erläutert die Biographie der beiden Autoren. Anschließend wird das Problem der Gattung beleuchtet, wobei die Besonderheiten des historischen Romans im Vordergrund stehen. In den folgenden Kapiteln werden die ideologischen und literaturtheoretischen Voraussetzungen sowie die darstellungsästhetischen Aspekte der beiden Werke analysiert. Es werden die Erzählsituation, die Sprache und die Argumentationsführung untersucht. Im fünften Kapitel stehen die Figuren und Personengruppen im Vergleich, wobei die Besetzer von Canudos, Galileo Gall, Moreira César und andere wichtige Charaktere beleuchtet werden. Schließlich wird die Frage nach Wirklichkeit, Wahrheit und Geschichtskonzeption in beiden Werken behandelt.
Schlüsselwörter
Canudos-Krieg, historischer Roman, Os sertões, La guerra del fin del mundo, Euclides da Cunha, Mario Vargas Llosa, Brasilien, Lateinamerika, Gewalt, Religion, Figuren, Personengruppen, Geschichtskonzeption.
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- Doris Wieser (Author), 2003, Lateinamerikanische Wirklichkeit in Historiographie und Fiktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32912