Valuing Life - Die Idee hinter einer nutzenbasierten Bewertung des Lebens


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Vorraussetzungen für eine nutzenbasierte Lebensbewertung
1. 1 Wohltätigkeit
1. 2 Gerechtigkeit
1. 3 Utilitarismus in der Gesundheitsfürsorge

2 Umsetzung einer nutzenbasierten Lebensbewertung
2. 1 Allokation
2. 2 Rationierung und ihre Gründe
2. 3 Cost-Benefit- und Cost-Effectiveness-Analysen
2. 4 Wert und Qualität des Lebens
2. 5 QALYs

3 Kritik einer nutzenbasierten Lebensbewertung

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Als ich zum ersten Mal von der Bewertung des Lebens in quantitativen, sogar monetären Maßstäben las1, ließ es mich aufhorchen. Ich selbst besaß bisher die Weltanschauung, dass ein Menschenleben mehr "wert" sei, als ein Vermögen und überhaupt Menschenleben und Geld nicht zusammenpassen. Dass dies nicht hinterfragt ist, zeigt das Faktum, dass in vielen Regionen der Erde Menschen für weit weniger an "Gegenwert" getötet werden. Auch im Gesundheitswesen wird "der Tod in Kauf genommen", allein dadurch, dass Mittel, die Leben retten, zu knapp sind um sie jedem Bedürftigen zuteil werden zu lassen. Darunter fällt beispielsweise ein begrenztes Kontingent an transplantierbaren Organen. Eine Entscheidungsfindung über die Verteilung dieser knappen Ressourcen kann auch mit quantitativen Methoden unterstützt werden. Diese Methoden haben aber Grenzen, genauso wie die ihnen zugrunde liegenden ethischen Überzeugungen, Grenzen, die ich selbst intuitiv richtig oder wenigstens für bedenkenswert halte. Dennoch soll hier hinterfragt werden, welche Idee hinter dieser Art der Lebensbewertung stehen mag und wo Konfliktgebiete auszumachen sind.

Um dem nachzukommen wird im ersten Kapitel zunächst die "Szene gesetzt", d.h. die Rahmenbedingungen einer quantitativen Lebensbewertung, mit zwei grundlegenden Prinzipien der Medizinethik, "Wohltätigkeit" und "Gerechtigkeit", wie sie im einflussreichen Werk von Beauchamp und Childress dargestellt sind2, und einem Abriss über die Verwendung des Utilitarismus im Gesundheitswesen. Das zweite Kapitel dreht sich um das "Stück", vom Allgemeinen zum Speziellen werden Allokationsproblem, Kosten-Nutzen-Analysen und das Warum und Wie der Lebenswertbestimmung geklärt, um dann im letzten Kapitel die Kritiker sprechen zu lassen

1 Vorraussetzungen für eine nutzenbasierte Lebensbewertung

Die Ursache für die Notwendigkeit für "Valuing Lives"3 ist die konfliktreiche Beziehung der medizinethischen Prinzipien: "Beneficence" und "Justice" bzw. "Wohltätigkeit" und "Gerechtigkeit", die hier gegenübergestellt werden.4

1. 1 Wohltätigkeit

Das Wort "Wohltätigkeit" gibt nur unzureichend wieder, was Beauchamp und Childress mit "beneficence" ausdrücken wollen, denn auch "Wohltun", "Mildtätigkeit" oder "Fürsorge" kommen dem sehr nahe. "Beneficence" in der Medizin beschreibt das fürsorgliche Handeln eines jeden, der den gesundheitsbezogenen Status quo eines oder mehrerer Individuen verbessert. Das Prinzip der Wohltätigkeit ist eine "moral obligation to act for the benefit of others" (Beauchamp/Childress 2001, S. 166), also eine Verpflichtung für jedermann, dennoch heißt es: "To be appropriately beneficent generally requires that one determine which actions produce an amount of benefit sufficient to warrant their cost." (Beauchamp/Childress 2001, S. 166). Also ist "beneficence" keine Pflicht um jeden Preis.

Unter der Annahme also, dass das Niveau der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch eine Ausdehnung von "Wohltätigkeiten", z.B. in Form von zusätzlichem Screening und Prophylaxe oder monatlicher Blutuntersuchungen und Leistungstests, gesteigert werden könnte, wird schnell klar, dass solche Steigerungen auch mit wachsenden Ausgaben, also "Lasten" verbunden sind, oder mit zusätzlichen Behandlungsrisiken einhergehen können.5

Dennoch besteht die Frage, warum Wohltätigkeit ein Ideal oder eine Pflicht sein könnte. Als Motive dafür weisen Beauchamp und Childress (vgl. 2001, S. 173-175.) zum einen die Reziprozität innerhalb einer Gesellschaft als Ursache aus.6 Jede Hilfeleistung, die einem anderen gegenüber geleistet wird, wird mit dem Empfang einer anderen Hilfeleistung, die man empfangen hat oder notwendigerweise irgendwann empfangen möchte, in Verbindung gebracht. Zum anderen werden bestimmte Fürsorgeverpflichtungen an Rollenerwartungen geknüpft. So erwartet man vom Arzt nicht nur Hilfe, weil das seinen finanziellen Lebensunterhalt sichert oder er in professioneller Hilfeleistung ausgebildet ist, sondern er sich auch intentional der Fürsorge widmen will. Andererseits kann eine Verpflichtung zur Hilfeleistung auch aus allgemeingültigen und gemeinschaftlichen geteilten Moralvorstellungen und ihrer Festschreibung in Gesetzestexten Niederschlag finden.

1. 2 Gerechtigkeit

Wie beschrieben, handelte es sich um Lasten, wenn bislang von Einschränkungen der Fürsorgepflicht oder des Fürsorgeideals die Rede war. Ganz sicher handelt es sich dabei nicht unbedingt nur um "health-related sacrifices", die den "health-related benefits" gegenüberstehen. Wie auch immer diese "Opfer" aussehen, die die Fürsorge im Rahmen des "beneficence"-Prinzips erst ermöglichen, ihre Höhe als auch ihre Verteilung in bzw. Zuweisung zu Einzelleistungen und Patienten(gruppen) soll, dem "justice"-Prinzip folgend, gerecht sein. Nun ergeben sich daraus aber die Fragen, was unter "Gerechtigkeit" im medizinischen Zusammenhang verstanden wird und wer gerechte Maßstäbe und Normen festsetzen darf. Beauchamp und Childress fassen Gerechtigkeit als "fair, equitable, and appropriate treatment in light of what is due or owed to persons" (2001, S. 226) zusammen. Im medizinischen Kontext geht es zuerst nicht um die Art der Behandlung bzw. dem "treatment", denn Wohltätigkeit erfordert patientenindividuell immer das Maximum an Leistungen, wenn medizinisch indiziert, um die Gesundheit zu steigern. Es handelt sich um die o.g. Verteilungsfrage.7

Die Situationen, in denen Verteilungsgerechtigkeit thematisiert wird, betreffen Güterknappheit. Die prinzipielle "Unersättlichkeit" des Fürsorgeprinzips, d.h. ein jederzeit, durch weitere Gesundheitsleistungen, steigerbares Niveau der Gesundheit8, wird durch die in diese Leistungen investierten Mittel beschränkt. Somit wird sowohl die Verteilung der knappen Ressourcen auf den Begünstigten, als auch die Verteilung der Aufwendungen auf die Belasteten ein Thema für "distributive justice" sein. Abstrahiert man den Sachverhalt, dann konkurrieren die Leistungsempfänger um diese Mittel, um im Gegenzug mit den erhaltenen "Gesundheitsgütern" ihr Wohlbefinden zu erhöhen, bzw. eine Einbuße des Wohlbefindens zu vermeiden (vgl. Beauchamp/Childress 2001, S. 226). Nun stellt sich die Frage, welcher der Empfänger ein Recht auf welches Quantum an (maximal möglicher bzw. minimal benötigter) medizinischer Leistung hat, wenn schon nicht jeder Empfänger (mit maximaler Menge bzw. mit dem notwendigen Mindestmaß) berücksichtigt werden kann. Nach dem Prinzip der formalen Gerechtigkeit9 sollen alle diejenigen Patienten gleichbehandelt werden, die sich hinsichtlich der verteilungsrelevanten Eigenschaft(en) gleichen. Die Festlegung der relevanten Eigenschaft(en) erfolgt dann durch die materialen Gerechtigkeitsprinzipien, welche den Leistungsempfänger erst für die Maßnahme qualifizieren.10 In der plastischen Chirurgie könnte dies beispielhaft bedeuten, dass nach dem Prinzip des Bedarfs nur diejenigen bedacht werden würden, deren Anamnese eindeutig einen Krankheits- bzw. Leidenszustand aufzeigt. Welches Prinzipium auch immer gewählt wird, jedes unterliegt befürwortenden als auch kritischen Argumenten, keines ist aber grundsätzlich besser oder schlechter als das andere.

Beauchamp und Childress (2001, S. 230) meinen dazu, "some philosophers have concluded that abstract material principles of justice can offer little help until they have been integrated into a systematic framework or theory." Auf Grundlage der in dieser Arbeit zu beantwortenden Frage, welche Rationalität hinter der Verbindung des Begriffs des "Wert des Lebens" und der quantitativen Messung dessen in mehr oder weniger ökonomisch gefärbten Größen liegt, gibt die Theorie des Utilitarismus die Leitlinie vor.

Utilitarismus lässt sich damit charakterisieren, das er die Maximierung des Nutzens für die maximal mögliche Zahl an Individuen anstrebt. In Verbindung mit Gesundheitswesen und Medizin kann damit die Maximierung des Lebenswertes für die maximale Patientenzahl gemeint sein.11 Gerecht ist demnach jede (Um-)Verteilung die einen paretooptimalen Zustand herbeiführt, d.h. ein Zustand, wo kein Individuum einen höheren Nutzen erlangen kann, ohne dass einem anderen gleichzeitig eine mindestens gleich hohe Nutzeneinbuße widerfährt.

1. 3 Utilitarismus in der Gesundheitsfürsorge

Entscheidungen im Gesundheitswesen beziehen auch immer moralische Überzeugungen mit ein. Problematisch an diesen "ethical principle[s]" (Roberts/Reich 2002, S. 1055) ist die Vielfältigkeit und Konflikthaftigkeit ihrer Sichtweisen. So bestimmen Argumente der Effizienz, der Kultur, des Menschenbildes, der Menschenrechte oder der Fairness die Diskussion. Solche Argumente lassen sich zu größeren Argumentationskategorien und Theorien zusammenfassen, die für grundsätzliche Entscheidungen, sowohl gesellschaftsübergreifende als auch interindividuelle, handlungsleitend sind. Eine der Haupttheorien, die in medizinethischen Sachverhalten angewandt wird, entspricht der bereits erwähnten Denkrichtung des Utilitarismus, "which asserts that decisions should be judged by their consequences, in particular by their effect on the sum total of individual well being". Der Utilitarismus ist eine konsequenzialistische Ethik: Entscheidungsfindung basiert daher auf der Analyse der Ergebnisse oder Konsequenzen. Die beste und richtige Entscheidung führt zum besten Ergebnis im Sinne des maximalen (Gesundheits-)Gewinns oder der minimalen Kosten oder des minimalen Leids. Dieser Ansatz ist, besonders aus der ökonomischen Perspektive, sehr intuitiv. Um Ergebnisse nach "besser als" oder "schlechter als" und "um wieviel" unterscheiden zu können, werden Bewertungsinstrumente, z.B. die angesprochenen Kosten-Nutzen-Vergleiche benötigt.

Als "Nutzen", "Vorteil" oder "Gewinn" zählt dabei der von Bentham (1748-1832) festgesetzte Begriff des "wellbeing" (Bentham 1996 o.S.); zit. n. (Roberts/Reich 2002, S. 1055) Der Utilitarismus kennt dabei nur diesen einzigen Wert, den "Nutzen", als eine absolute Größe. "Nutzen ist das Ausmaß des von einer Handlung bewirkten Glücks, Wohlbefindens oder der Befriedigung von Wünschen (Präferenzen)". (Düwell/Hübenthal/Werner 2002, S. 96) Getragen wird der Nutzen dabei vom einzelnen Individuum, wobei der Nutzen jedes Individuums gleichrangig in die "rein summativ[e]" Aggregation eines "Gesamtnutzen[s] oder Gemeinwohl[s]" eingeht.12 Der Utilitarismus folgt dabei einem Maximierungsprinzip, dass "the greatest happiness of the greatest number" anstrebt (Bentham 1996 o.S.; zit. n. Roberts/Reich 2002, S. 1055). Unter der Annahme, dass ein Mehr besser und nutzbringender ist als ein Weniger an "beneficence" sind nun die Gesundheitsgüter zu bestimmen, welche die "benefits" für den Empfänger oder die Empfänger maximieren.13

2 Umsetzung einer nutzenbasierten Lebensbewertung

2. 1 Allokation

Allokation gibt Auskunft darüber, wem welche Art von Leistung in welcher Menge zugeteilt wird. Zur Systematisierung von Allokationsentscheidungen benutzen Beauchamp und Childress (vgl. 2001, S. 251-253). eine gebräuchliche Unterteilung in gesellschaftliche Ebenen, auf denen Allokationsfragen unterschiedlicher Art auftreten. Zunächst mag eine Mittelentscheidung auf der sog. Makroebene stattfinden, auf welcher das gesamte zur Verfügung stehende "social budget" auf bestimmte soziale Güter, darunter auch für jegliche Form an Gesundheitssicherung und -verbesserung, aufgespalten wird. Die Gesellschaft oder die sie repräsentierenden Entscheider wägen bereits an diesem Punkt den sozialen Nutzen ab, den die Gesundheitsversorgung im Vergleich z.B. zu Verteidigung, Bildung, Wirtschafts- oder Kulturförderung der Gesellschaft und den ihr angehörenden Individuen spendet. Auf der zweiten Ebene werden von Beauchamp und Childress alle indirekt und direkt gesundheitsrelevanten Bereiche zusammengefasst, z.B. die generelle Hygiene, Versorgung mit keimfreiem Wasser, Erholungsmöglichkeiten, Lärmbelastung, der Lebensstandard i.S.v. Sicherung von Nahrungsmittelversorgung oder Schutz vor gesundheitsgefährdenden Substanzen u.v.m. Die dritte Stufe, die Mesoebene, beinhaltet Entscheidungen über die Allokation innerhalb des Gesundheitsfürsorge. Dazu lassen sich alle direkten, gesundheitsförderlichen Aktivitäten und Leistungen zusammenfassen, z.B. Präventivmaßnahmen, medizinische Behandlungen bei akuter Krankheit, als auch die Führung von Altenpflege- und Hospizeinrichtungen. Die letzte Ebene der Mikroallokation, beschäftigt sich mit der Frage "Who shall live when not everyone can live?" (Beauchamp/Childress 2001, S. 252) , der Verteilung begrenzter Behandlungsmöglichkeiten auf eine überproportionale Zahl möglicher und berechtigter Leistungsempfänger.14 Auf jeder dieser Ebenen lässt sich, vom utilitaristischen Standpunkt aus, theoretisch ein Paretooptimum für die Gesamtzahl der Patienten entwickeln. Jedoch kann in der Berechnung auch der medizinische oder gesamtgesellschaftliche Nutzen Platz finden.15 Was dieser "Nutzen" eigentlich ist und ob diese Art von Zuteilung eine für jedes Individuum tragbare Lösung darstellt ist dabei eine Frage. Eine andere beschäftigt sich mit der Messbarkeit dieses Nutzens.

2. 2 Rationierung und ihre Gründe

Rationierung im medizinischen Sinne ist "ein Prozess, bei dem einzelnen Patienten oder ganzen Patientengruppen medizinische und/oder paramedizinische Leistungen vorenthalten werden, obwohl diese geeignet [wären], den Gesundheitszustand der Betroffenen zu verbessern beziehungsweise eine Verschlechterung zu verhindern oder zu verzögern" (Rothgang 1999 o.S.; zit.n. Gutmann/Schmidt 2002, S. 8). Das kann sich auf alle medizinischen Leistungen beziehen, die sowohl nur den geringsten Nutzen stiften als auch auf Leistungen ohne die ein Weiterleben nur unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen oder sogar überhaupt nicht möglich ist. (vgl. Gutmann/Schmidt 2002, S. 9)

Warum sollten jedoch "geeignete" Leistungen vorenthalten werden? Die Begründung lautet: Weil der aus der Leistung resultierende Nutzen im Vergleich mit den Kosten der Leistung für die Solidargemeinschaft oder Versicherungsgemeinschaft zu gering ist, obwohl aus medizinischer Sicht die Leistung definitiv vorteilhaftig ist. Somit werden der Medizin externe (wirtschaftliche) Zwänge auferlegt, weil nach medizinischer Denkstruktur, jede Leistung die sinnvoll auch notwendig ist, bei Nicht-Notwendigkeit aber zu unterlassen sei (vgl. Gutmann/Schmidt 2002, S. 10).

Externe Zwänge existieren, weil es nicht möglich ist, so Brock (2002, S. 1), "to provide all the resources to health, including health care and health care research, that might provide some positive health benefits without great and unacceptable sacrifices in other important social goods."

Nach Beauchamp und Childress (2001, S. 253) gibt es drei Interpretationen des Rationierungsbegriffs: Der erste ist die Rationierung durch den Marktmechanismus, oder der "ability to pay", nach staatlicher Limitierung oder nach einer Mischung von beidem.16 Gutmann und Schmidt (2002, S. 12) sehen Rationierung hingegen in erster Linie als ein "Zugänglichmachen" von medizinischen Leistungen für Empfänger, die sich diese zu den Markträumungspreisen17 nicht verschaffen könnten, wobei das Zur-Verfügung-Stellen durch staatliche Subventionierung erfolgt, die selbst wieder auf die Solidargemeinschaft zurückfällt bzw. durch den Steuerzahler getragen wird. Die subventionierten Preise sorgen für einen Nachfrageüberhang, da zu geringeren Preisen auch mehr Nachfrager am Markt auftreten.18

Die bisher genannte Ressourcenknappheit findet ihre Begründung zudem in den zunehmenden medizinischen Möglichkeiten, insb. die Medizintechnologie, die auf vielfältige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zurückgreifen kann, um den Lebenswert des Patienten steigern können. Einige Beispiele sind die Entwicklung des mittlerweile etablierten MRTs, die Einführung sondengesteuerter Operationen oder die Schaffung von "Lifestyle"-Pharmazeutika.

Die Rationierungsentscheidung ist untrennbar mit der Allokationsentscheidung verbunden, denn wenn geklärt ist, wieviele Mittel für eine bestimmte Leistungskategorie zur Verfügung stehen, ist auch schnell ersichtlich, ob das Leistungsangebot von der -nachfrage übertroffen wird. So finden auf den vorgenannten gesellschaftlichen Ebenen nicht nur Allokations-, sondern auch Rationierungsentscheidungen statt.

Aus dem dargestellten Faktum, dass Rationierung im Gesundheitswesen unumgänglich ist, ergeben sich nun die Fragen, welche Leistungen mit welcher Priorität angeboten werden, welche davon nicht und welche rationiert werden müssen, und wie die rationierten Leistungen, z.B. anhand zuteilungsleitender Prinzipien, verteilt werden.

2. 3 Cost-Benefit- und Cost-Effectiveness-Analysen

Eine ganz bestimmte Denkrichtung, Prioritäten zu setzen, ist nach dem bereits genannten utilitaristischen Ansatz möglich. Ziel ist es, "to maximize the health benefits they produce, measured by either the aggregate health status or disease burden of a population" (Brock 2002, S. 1). Das Instrument dazu ist die Kosten-Nutzen-Analyse oder "cost-utility analysis (CUA)" (Beauchamp/Childress 2001, S. 257), die das beste Verhältnis zwischen Kosten und "Gesundheitsgewinnen" aufzudecken versucht, wobei "health benefits" in "terms of anticipated health gains" gemessen werden und Kosten "terms of expenditures of resources".19

Zusätzlich zu den Kosten können auch Trade-Off-Entscheidungen zwischen Vorteilen und Risiken entstehen, wie z.B. Erfolgsrisiken der Behandlung oder mögliche Schadensrisiken zu berücksichtigen sind.20

Die Nutzengröße innerhalb der CUA ist jedoch ein relativ ungenau definiertes Mittel, den formalen Versuch diesen "Nutzen" in quantitative Größen umzusetzen unternehmen die "cost-benefit-analyses" (CBA) und "cost-effectiveness analyses" (CEA) (Beauchamp/Childress 2001, S. 195-197). Ersteres von beiden, die CBA bemisst sowohl die Nutzen- als auch die Kostengrößen in quantitativen monetären Größen, indem die Kosten, die für die Rettung nur eines Lebens innerhalb eines bestimmten lebensrettenden Gesundheitsprogramms mit den Vorteilen verglichen werden, die mit diesen monetären Mitteln z.B. im Bildungssektor oder Umweltschutz erreicht werden könnten. Ein Art "Investitionsvergleich" findet statt, die die Maßnahme sucht, die den maximalen "return on investment", die höchste Wertsteigerung des "(monetary) value of life", generiert. Im Unterschied zur CBA versucht die CEA das Leben nicht in Geldgrößen zu fassen, sie evaluiert verschiedene Gesundheitsleistungen danach, welche, bei gleichem Gesamtausgabenniveau, die quantitative, aber nicht monetäre Größe der hinzugewonnenen Lebensjahre 21 maximiert. Jedes dieser Lebensjahre hat aber auch ein qualitatives Niveau, einen "value of life-years", der mit CEA auch in Verbindung gebracht wird.

Das der CEA entsprechende Maß wird repräsentiert durch "quality-adjusted life-years" (Beauchamp/Childress 2001, S. 196, 207-212), die sog. QALYs, die sowohl die "Lebensqualität" als auch "Lebensquantität" bemessen. Das Prioritätsproblem, lässt sich somit - zunächst - einfach lösen: Der Patient, dem für vergleichbare Kosten die meisten QALYs geschaffen werden können, wird für die Leistungsvergabe priorisiert (vgl. Dolan 2001, S. 1) Dennoch besteht Unklarheit darüber, was den qualitativen Teil des "Wert des Lebens" ausmacht, was "Lebensqualität" eigentlich ist und wie Lebensqualität in quantitative Größen transferiert wird.

[...]


1 (vgl. Beauchamp/Childress 2001, S. 195)

2 Jedenfalls in den USA spielen diese Prinzipien und die weiteren von Beauchamp und Childress in ihrer "Prinzipienethik" zusammengefassten medizinethischen Handlungsanleitungen eine wichtige Rolle in der Entscheidungsfindung (vgl. Düwell/Hübenthal/Werner 2002, S. 249)

3 Der Titel der Hausarbeit entspricht der einer Unterabschnittsüberschrift im Werk von Beauchamp und Childress (Beauchamp/Childress 2001, S. 206) und soll auch deutlich machen, dass die Thematisierung des Lebenswertes in der Medizin zuerst und am meisten in anglo-amerikanischen Raum vorangetrieben ist.

4 Jedoch sind Gerechtigkeit und Wohltätigkeit nicht als alleiniges Prinzipienpaar, sondern im Zusammenhang mit weiteren Prinzipien, z.B. Autonomie und Schadensvermeidung (vgl. Beauchamp/Childress 2001, S. 57, 113) zu sehen.

5 Das Fürsorgeprinzip trifft in seiner Definition den Kern seiner zugrunde liegenden ethischen Theorie, dem Utilitarismus. Denn handlungsleitend ist die "Wohltat" bzw. der aus der Wohltat entstehende "Nutzen", der dem oder den Patienten bzw. Individuen aus der Handlung entsteht. Dieser Nutzen wird mit dem "negativen Nutzen", eben jenen Lasten, verrechnet. Das Ziel und Prinzip der utilitaristischen Denkweise nun ist es, diesen "Nettonutzen" zu maximieren.

6 Nach der "Golden Regel", die besagt, da man andere so behandeln solle, wie man erwartet selbst behandelt zu werden (vgl. Höffe 1986, S. 93)

7 Der hier relevante Begriff der Verteilungsgerechtigkeit wird von Beauchamp und Childress (2001, S. 226) als "fair, equitable, and appropriate distribution determinded by justified norms that structure the terms of social cooperation" aufgefasst. Weiter heisst es: "Distributive justice refers broadly to the distribution of all rights and responsibilities in society, including, for example, civil and political rights."

8 Jederzeit steigerbar ist Gesundheit nur unter der Annahme, dass nicht nur versucht wird den maximalen Gesundheitsgrad zu erreichen, sondern auch das Risiko für Erkrankungen, Verletzungen und vorschnelles Altern zu minimieren, beispielsweise durch eine höhere Frequenz sämtlicher medizinischer Vorsorgeuntersuchungen

9 "Equals must be treated equally, and unequals must be treated unequally" (Aristoteles; zit. n. Beauchamp/Childress 2001, S 227)

10 Gültige Prinzipien sind z.B.: Verteilung nach gleichen Teilen, Bedarf, Anstrengung, gesellschaftlicher Verdienst, Marktpreissystem oder gesellschaftlichem Beitrag (vgl. Beauchamp/Childress 2001, S. 228)

11 Das gilt nur unter der Voraussetzung, dass ein Patient dadurch beschrieben wird, dass er einen "geringeren Lebenswert" als ein Gesunder aufweist. Eine zweite Voraussetzung ist, dass der individuelle Lebenswert mit Erreichen des "Gesundheitszustandes" bereits absolut maximal ist, d.h. der Fürsorgebedarf mit Erreichen einer Grenze tatsächlich gedeckt wäre. Sonst würde sich jedes Individuum als "Patient" bezeichnen lassen müssen.

12 Der Utilitarismus macht keinen Unterschied also, wessen Nutzen betroffen ist, die Bewertung von Konsequenzen ist somit unparteilich, alle von der Handlung Betroffenen gehen gleichgewichtig in die Bewertung ein.

13 Umgekehrt kann auch eine gesellschaftliche Einigung auf ein festzulegendes Maß an "Wohltun" oder Nutzen, im Sinne eines gesundheitspolitischen Ziels stattfinden, welches unter zu minimierenden Kosten erreicht werden soll.

14 Das bedeutet, dass alle die notwendige Eigenschaft nach materiale Gerechtigkeitsansichten besitzen, um zum Leistungsempfang berechtigt zu sein.

15 Mit dem medizinischen Nutzen wird die Erfolgwahrscheinlichkeit der Behandlung z.B. auf Grundlage der medizinischen Vorgeschichte des Patienten oder dessen Eignung für den möglichen Eingriff zusammengefasst. Verschwendung soll damit vermieden werden. Soziale Nutzengesichtspunkte beziehen die Bedeutung der Genesung des Patienten für die Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt mit ein. So kann ein bedeutender Regierungsminister oder Unternehmenslenker eher für eine rare Maßnahme in Frage kommen.

16 Die staatliche Begrenzung schränkt das Individuum, oder die Individuen auf den Erhalt bestimmter Güter unabhängig vom Preis dieser Güter ein, entweder weil diese Güter generell in zu geringem Maße vorhanden sind oder sich die Gesellschaft entschieden hat, nur ein begrenztes Budget für diese damit in der Menge begrenzten Güter auszugeben. Die dritte Form der Rationierung setzt sich aus den zwei vorherigen Typen zusammen, indem ein gewisses begrenztes Mindestmaß an Grundversorgung jedem Individuum zugestattet wird, aber darüber hinausgehende Gesundheitsleistungen über den Markt zugekauft werden müssen.

17 Markträumungspreise sind Preise, wo das Güterangebot mit der Güternachfrage übereinstimmt und alle verfügbaren Güter sozusagen den Eigentümer wechseln. Damit "verschwinden" sie vom Markt.

18 Obwohl man aus der Intuition heraus meinen möchte, dass ein Arzt nur aufgesucht wird, wenn man ihn auch wirklich benötigt, scheint es dennoch plausibel, dass man mit seiner eigenen Gesundheit risikofreudiger umgeht, wenn der Preis zur Wiederherstellung der persönlichen Gesundheit sinkt. Daneben wird der Durchschnittsbürger auch bei gleichem Gesundheitsverhalten mehr Leistungen wahrnehmen, da ihm dadurch Nutzen durch Sicherheit entsteht. Ein Beispiel wären freiwillige Vorsorgeuntersuchungen, die öfter als zu vorherigen Preisen wahrgenommen werden würden.

19 Brock beschreibt die Verwendung der CUA folgendermaßen: "Applying cost effectiveness or utilitarian standards, preventing or treating the very prevalent but low impact disease or condition at a given cost will receive higher priority when doing so produces greater aggregate benefits than using the same funds to treat or prevent the disease or condition that has a very great impact on each individual affected." (2002, S. 11)

20 Auf Risiken und ihre Bewertung innerhalb der "risk-benefit-analises" (RBA) wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Es läßt sich aber sagen, dass auch das Risiko in quantitative Größen, sogenannte Erwartungswerte, aufnehmen läßt, insofern statistische Werte über die Risikowahrscheinlichkeit vorhanden sind

21 Dies gilt auf der Mesoebene natürlich für eine Gruppe von Patienten mit verschiedenen Krankheiten. Jeder der Patienten wird je nach Behandlung eine unterschiedliche Veränderung in seiner Lebenserwartung aufzeigen.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Valuing Life - Die Idee hinter einer nutzenbasierten Bewertung des Lebens
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Fakultät für Sozial-und Verhaltenswissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar Medizinethik
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V33579
ISBN (eBook)
9783638340236
ISBN (Buch)
9783638761529
Dateigröße
1899 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit wird die "Bewertung des Lebens" aus einer utilitaristischen Perspektive erschlossen. Welche Kriterien bei einer Vergabe von z.B. lebensnotwendigen Transplantaten einen Patienten einen anderen vorzugswürdig erscheinen lassen, wird beispielsweise kritisch geklärt.
Schlagworte
Valuing, Life, Idee, Bewertung, Lebens, Proseminar, Medizinethik
Arbeit zitieren
Christian Bacher (Autor:in), 2004, Valuing Life - Die Idee hinter einer nutzenbasierten Bewertung des Lebens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33579

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