Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen der Themenzentrierten Interaktion (TZI)

Warum das Modell der TZI am erfolgreichsten beim Selbstgesteuerten Lernen zur Geltung kommen kann


Hausarbeit, 2015

52 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion (TZI)
2.1 Ruth Cohn
2.2 Das Konzept der Themenzentrierten Interaktion
2.3 Das Vier-Faktoren-Modell der Themenzentrierten Interaktion
2.3.1 Ich
2.3.2 Wir
2.3.3 Es
2.3.4 Globe
2.1 Die drei Axiome der Themenzentrierten Interaktion
2.1.1 1. Axiom: Das existentiell-anthropologische Axiom
2.1.2 2. Axiom: Das ethische Axiom
2.1.3 3. Axiom: Das pragmatisch-politische Axiom
2.2 Die beiden Postulate der Themenzentrierten Interaktion
2.2.1 Das Chairperson-Postulat
2.2.2 Das Störungspostulat
2.3 Die Bedeutung der Themenzentrierten Interaktion für das Lernen
2.3.1 Dynamische Balance
2.3.2 Lebendiges Lernen
2.4 Die Hilfsregeln der Themenzentrierten Interaktion
2.4.1 Selbstorganisation und Selbstleitung
2.4.2 Selbstaussage
2.4.3 Lenkung der Aufmerksamkeit
2.4.4 Gesprächsorganisation
2.5 Persönliche Bedeutsamkeit der TZI

3. Lernen, Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen
3.1 Begriffsdefinitionen
3.1.1 Lernen
3.1.1.1. Lernen als Verhaltensänderung (behavioristische Sichtweise)
3.1.1.2. Lernen als Wissenserwerb (kognitive Sichtweise)
3.1.2 Offener Unterricht
3.1.3 Selbstgesteuertes Lernen
3.2 Formen des Offenen Unterrichts
3.2.1 Freiarbeit
3.2.2 Lernzirkel/Stationenlernen
3.2.3 Projektunterricht
3.2.4 Werkstattunterricht
3.2.5 Wochenplan
3.2.6 Selbstorganisiertes Lernen (SOL)
3.3 Was hat die Themenzentrierte Interaktion mit Lernen zu tun?
3.3.1 TZI, Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen
3.3.2 TZI, Selbstgesteuertes Lernen und John Hattie
3.3.3 Zwischenfazit: TZI, Hattie und Selbstgesteuertes Lernen

4. Das Modell der Themenzentrierte Interaktion im Offenen Unterricht
4.1 Bedingungen im Unterricht für das Gelingen des Modells der TZI
4.2 Die Lehrperson
4.2.1 Aufgaben der Lehrperson
4.2.2 Mögliche Herausforderungen für die Lehrperson
4.2.3 Mögliche Risiken für die Lehrperson
4.3 Warum das Modell der Themenzentrierten Interaktion insbesondere im Rahmen des Selbstgesteuerten Lernens gelingt
4.3.1 Lebendiges Lernen und das Selbstgesteuerte Lernen
4.3.2 Wahrung der Dynamischen Balance – TZI als ganzheitliche Arbeitsform
4.3.3 Lernen durch Interaktion im heterogenen Klassenraum
4.3.4 Individualität im durch die TZI angeleiteten Unterricht
4.3.5 Eigenständigkeit/Autonomie gemäß dem Chairperson-Postulat
4.3.6 Nachhaltigkeit der TZI für die Lehrperson

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Modell der TZI nach Ruth Cohn

Abstract

Das von Ruth Cohn in den 1950er und 1960er Jahren entwickelte Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) dient der Arbeit mit Gruppen und der Gestaltung von Inter­aktionen, welche sich innerhalb von Gruppen abspielen. Darüber hinaus ist TZI eine Haltung, die einen wertschätzenden Austausch zwischen Menschen ermöglicht und „Lebendiges Lernen“ fördert. TZI wird daher als ideales Konzept für die Führung und Begleitung von Gruppen erachtet, das den Prozess des Lernens optimiert. Dementsprechend wird das Modell der TZI angewendet, um mit Gruppen und Teams zu arbeiten, v.a. beim Unterrichten in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.

Der Themenzentrierten Interaktion liegt ein holistisches Menschenbild zugrunde und stellt somit das Individuum in den Mittelpunkt des Geschehens. Den Vorstellungen der TZI nach, ist das Individuum grundsätzlich bereit für und aufgeschlossen gegenüber Entwicklungen. Bei der Arbeit mit Gruppen nach dem Modell der TZI werden abweichende Meinungen und Lebensformen respektiert. Hierdurch entwickelt sich eine wertschätzende Atmosphäre, in der jedes Individuum wahrgenommen und in seiner Entwicklung, unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten und Wünschen, bestmöglich unterstützt wird.

Damit sich die Prinzipien der Themenzentrierten Interaktion frei entfalten können, müssen einige Bedingungen berücksichtigt werden, welche am erfolgreichsten beim Selbstgesteuerten Lernen zur Geltung kommen können. Selbstgesteuertes Lernen ermöglicht dem Lerner[1] seinen Lernprozess und -fortschritt eigenaktiv, eigenverantwortlich und so wenig fremdgesteuert wie möglich zu gestalten. Die Vorstellung der Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen stimmen daher mit dem Modell der TZI überein, sodass das Selbstgesteuerte Lernen die Grundgedanken der TZI optimal unterstützen kann. Gleichzeitig bereichert die TZI das Selbstgesteuerte Lernen hinsichtlich des Umgangs mit anderen Menschen innerhalb einer Gruppe.

1. Einleitung

Alexander Renkl (2008) behauptet: „Lernen ist ein aktiver Wissenskonstruktionsprozess, der nicht durch traditionellen Unterricht, sondern nur durch konstruktivistischen Unterricht, der viele aktivierende Elemente enthält, angestoßen werden kann.“ (S. 112). Mitunter das oberste Ziel eines Lehrers ist es bekanntlich, dass seine Schüler etwas lernen – und das nicht nur für die Schule – und Wissen erwerben, das anschlussfähig bleibt, sodass sie ein Leben lang darauf zugreifen und es stetig erweitern können.

Wie kann ein einzelner Lehrer allerdings die vielen individuellen und somit unterschiedlichen „aktivierenden Elemente“ seiner Schüler berücksichtigen? Eine Möglich­keit ist es, wie auch die Themenzentrierte Interaktion fordert, jeden einzelnen Schüler als Individuum wahrzunehmen und an seiner Persönlichkeit ehrlich interessiert zu sein. Gleichzeitig dürfen das zu bearbeitende Thema und die äußeren Einflussfaktoren nicht vernachlässigt werden. Die Lehrperson muss derweil nichtsdestotrotz ihre eigenen Interessen vertreten und ihnen nachkommen.

Wie, wiederum, kann der Lehrer 25 bis 30 unterschiedlichen Persönlichkeiten und deren Interessen, Bedürfnissen und abweichenden Voraussetzungen gerecht werden? Eine Chance hierfür bietet sich, indem der Lehrer die Verantwortung für den eigenen Lernprozess in die Hände der Schüler legt, soweit dies die Verfassung des einzelnen Schülers erlaubt. Dabei muss der Lehrer allerdings vermeiden, dass Beliebigkeit und Oberflächlichkeit Einzug in den Unterricht halten oder eigene Aspirationen zu vernachlässigen.

Die Ansätze und Vorstellungen des Modells der Themenzentrierten Interaktion, so die Behauptung, können am effektivsten im Offenen Unterricht und beim Selbstgesteuerten Lernen umgesetzt werden. Wie das Selbstgesteuerte Lernen und die TZI sich gegenseitig begünstigen können, soll die vorliegende Arbeit aufzeigen.

Im Kapitel Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion werden daher die hauptsäch­lich­en Leitgedanken der TZI beschrieben. Im Anschluss ist eine persönliche Stellungnahme der Autorin dieser Hausarbeit zur Themenzentrierten Interaktion zu finden.

Das darauffolgende Kapitel Lernen, Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen beleuchtet die einzelnen Begriffe sowie Realisierungsvarianten näher. Wie die Themenzentrierte Interaktion mit diesen Begriffen zusammenhängt, wird im abschließenden Abschnitt dargelegt.

In Das Modell der Themenzentrierten Interaktion im Offenen Unterricht werden die Bedingungen für das Gelingen der TZI im Unterricht sowie die Aufgaben, Herausforderungen und Risiken für Lehrkräfte aufgeführt. Zudem wird hervorgehoben, warum sich das Modell der TZI insbesondere im Rahmen des Selbstgesteuerten Lernens voll entfalten kann.

Das letzte Kapitel fasst die herausgearbeiteten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammen, indem Gemeinsamkeiten der TZI und des Selbstgesteuerten Lernens, aber auch die Einstellungen der TZI, die das Selbstgesteuerte Lernen bereichern können, übersichtlich dargelegt werden.

2. Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion (TZI)

2.1 Ruth Cohn

Ruth Cohn wurde maßgeblich von ihren existentiellen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime und ihren Vorstellungen der Humanistischen Psychologie geprägt. Diese bewegten Ruth Cohn zur Entwicklung und Veröffentlichung des Modells der Themenzentrierten Interaktion (TZI), welches den Austausch innerhalb von Gruppen erleichtern soll.

Ruth Charlotte Cohn, geborene Hirschfeld, wurde 1912 in Berlin in eine deutsch-jüdische Familie geboren, die der Oberschicht angehörte. Zwischen 1931 und 1932 studierte sie an den Universitäten von Heidelberg und Berlin Nationalökonomie und Psychologie. Bald nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland 1933 an die Macht kamen, floh Ruth Cohn nach Zürich, um der aufkommenden Unterdrückung und Verfolgung von Juden zu entkommen. (vgl. Ruth Cohn Institute for TCI-international o.J.b; Greving 2014, S. 18)

In der Schweiz angekommen, heiratete Ruth Cohn ihren langjährigen Freund Hans Helmut Cohn und ermöglichte so seiner Familie, der ausgehenden Bedrohung von Nazi-Deutschland zu entkommen. Noch Jahre später bekundete Ruth Cohn ihre andauernden Sorgen um Familie und Freunde, die in Deutschland geblieben waren. (vgl. Greving 2014, S. 18)

In Zürich setzte Ruth Cohn ihr Studium der Psychologie fort und absolvierte eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Des Weiteren widmete sie sich dem Studium der Pädagogik, Theologie, Literatur und Philosophie. (vgl. Greving 2014, S. 18)

1941 emigrierte Ruth Cohn schließlich mit ihrer Familie in die USA, um erneut der Verfolgung zu entkommen. In den Vereinigten Staaten verweigerte ihr allerdings das New Yorker Psychoanalytic Institute eine Arbeitserlaubnis als Psychoanalytikerin. Stattdessen gewährte es ihr allerdings die Arbeit mit Kindern. Über diese Entscheidung war Ruth Cohn wütend, da sie der Meinung war, dass die Probleme von Kindern als ebenso wichtig wie die der Erwachsenen zu betrachten waren. Ruth Cohn arbeitete daraufhin als Assistenzlehrerin an der Bankstreet School in New York und sammelte wichtige Eindrücke eines positiven und bereichernden Arbeitsumfelds. Später beschrieb sie die Bankstreet School als eine „Quelle Lebendigen-Lernens“ (Cohn & Farau 1991, S. 327), das den kindlichen Interessen nachging. (vgl. Greving 2014, S. 18f)

In den 1950ern und 1960er entwickelte und veröffentlichte Ruth Cohn ihre Arbeit zur Themenzentrierten Interaktion, um ebendieses „Lebendige Lernen“ zu unterstützen. Ziel des Konzepts war es, ein tolerierendes und akzeptierendes Umfeld zu schaffen, in dem Menschen mühelos und konstruktiv miteinander an einem Ziel arbeiten konnten. Ruth Cohn und ihre Kollegen gründeten daraufhin 1966 das Workshop Institute for Living Learning (WILL). Insbesondere Lehrer und Theologen waren fasziniert von dem ganzheitlichen Menschenbild des Konzepts. 2003 wurde WILL in Ruth Cohn Institute for TCI-international umbenannt. (vgl. Ruth Cohn Institute for TCI-international o.J.b; Greving 2014, S. 19–22)

Ruth Cohn kehrte erst 1974 endgültig nach Europa zurück und verstarb am 30. Januar 2010 in Düsseldorf. (vgl. Ruth Cohn Institute for TCI-international o.J.b; Greving 2014, S. 22f)

2.2 Das Konzept der Themenzentrierten Interaktion

Das zwischen 1950 und 1960 von Ruth Charlotte Cohn mitentwickelte Modell der Themenzentrierten Interaktion ist ein „umfassendes pädagogisches Handlungskonzept“ (Schneider-Landolf 2009, S. 71), welches den Austausch und die Zusammenarbeit in Gruppen begünstigen soll. TZI ist darüberhinaus eine Haltung, die den wertschätzenden Umgang von Menschen miteinander fördert. Nach Cohns Ansichten soll TZI Lebendiges Lernen unterstützen; TZI eignet sich daher insbesondere zur „Leitung und Begleitung von Lernprozessen“ (Spielmann 2009, S. 15).

Das Modell der Themenzentrierten Interaktion ist eine auf vier Faktoren gründende Theorie, die sich stark an den Vorstellungen des humanistischen Menschenbilds orientiert und den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt stellt. Das Individuum ist dabei autonom, steht aber gleichzeitig in einem interdependenten Verhältnis zu den Menschen in seinem Umfeld. Grundsätzlich wird bei der TZI davon ausgegangen, dass sich „Arbeits- und Lernprozesse und Entwicklungen human und humanisierend gestal­ten lassen“ (Spielmann 2009, S. 16).

Die vier Kräfte der TZI stellen ein komplexes Beziehungsgeflecht dar, sie beeinflussen sich gegenseitig und können nur, wenn sie sich in einem harmonischen Gleichgewicht befinden, einen erfolgreichen Austausch innerhalb der Gruppe ermöglichen. Im Zusammenhang mit der TZI wird dieses Gleichgewicht oft „dynamische Balance“ ge­nannt, die verlangt, dass alle vier Bereiche gleichwertig behandelt werden. Es obliegt dem Gruppenleiter, für diese Ausgewogenheit zu sorgen, was nicht heißt, dass alle vier Faktoren „in jeder Arbeitseinheit mit gleichen Zeit- und Kräfteanteilen vorkommen müssen“ (Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 107). „Zur dynamischen Balance gehört auch die zwischen intellektueller und emotionaler Beteiligung, Anspannung und Entspannung, zwischen Reden, Schweigen und Tun“ (Ruth Cohn Institute for TCI-international o.J.a). Das Modell der TZI verdeutlicht mit der Bezeichnung „dynamisch“, dass die Balance als Teil des Prozesses verstanden wird. Das Ruth Cohn Institute for TCI-international stellt hierbei eine Analogie zum Fahrradfahren her (vgl. Ruth Cohn Institute for TCI-international o.J.a).

Das Modell der Themenzentrierten Interaktion nutzt vier Einflussgrößen, welche die „Prozesse und Interaktionen in sozialen Situationen bestimmen und lebendiges Lernen ermöglichen“ (Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 16). Das Konzept wird dabei als Dreieck dargestellt, bei dem die drei Eckpunkte „Ich“, „Wir“ und „Es“ vom „Globe“ (als Kugel oder Kreis dargestellt) umrahmt werden. Die beiden Basispunkte „Ich“ und „Wir“ bilden dabei die menschliche Ebene, das „Es“, welches ober­halb dieses Fundaments steht, repräsentiert die faktische Ebene (siehe Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Modell der TZI nach Ruth Cohn (Vgl. Ruth Cohn Institute for TCI-international. (o.J.a))

Nachfolgend sollen die vier Faktoren nach dem Modell der TZI kurz beschrieben werden.

2.3 Das Vier-Faktoren-Modell der Themenzentrierten Interaktion

2.3.1 Ich

„Ich“ steht für die Person, das jeweilige Individuum mit seinen Gedanken und Gefühlen, seinen Kompetenzen, seinen Befürchtungen und Ansprüchen sowie seiner Biografie. Jede einzelne beteiligte Person (z.B. im schulischen Bereich: Lehrer und Schüler) stellt somit ein „Ich“ dar.

Das „Ich“ muss sich klar sein, dass sein Wollen und vor allem sein Tun Auswirkungen auf alle anderen sowie auf die faktische Ebene „Es“ hat.

Im Schulumfeld ist mit „Ich“ oftmals die Lehrperson gemeint, die sich ständig ihre eigenen Interessen und die ihrer Schüler vor Augen führen muss und die regelmäßig hinterfragen sollte, warum die Schüler bestimmte Sachverhalte lernen und verstehen sollten.

2.3.2 Wir

Die Gruppe und die daraus resultierenden Beziehungen und Interaktionen zwischen den Beteiligten innerhalb dieser Gruppe werden „Wir“ genannt. Das „Wir“ ist somit mehr als die Summe der einzelnen Teile, d.h. sie ist mehr als die einzelnen Gruppenmitglieder zusammenaddiert. Die Gruppe stellt sich nicht automatisch ein, sondern entsteht erst durch die Interaktionen und aktive Zuwendung zum Thema. Die Gruppe findet i.d.R. unter den unterschiedlichsten Gründen aber wegen eines gemeinsamen Anliegens zusammen und interagiert mit dem „Ich“ und der faktischen Ebene, dem „Es“. Sowohl positive als auch negative Gefühle und Haltungen können innerhalb einer Gruppe zum Ausdruck kommen. Es ist daher wichtig, eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen, sodass diese Emotionen das Beziehungsgefüge nicht in ein Ungleichgewicht bringen. (vgl. Schneider-Landolf 2014, S. 120; Cohn & Farau 1991, S. 343f)

„Wir“ bedeutet nicht, dass sie die einzelnen Gruppenmitglieder zurücknehmen und den Meinungen der anderen den Vorrang geben, sondern, dass sich jedes einzelne Individuum angemessen in die Gruppe einbringt. Ruth Cohn charakterisiert das „Wir“ folgendermaßen: „ Das Wir wird stärker nicht durch Mitglieder, die sich selbst aufgeben, sondern durch die, die sich eingeben. “ (Cohn & Farau 1991, S. 354)

2.3.3 Es

Das „Es“ repräsentiert die zu bearbeitende Thematik, einen Sachinhalt, eine Aufgabe, ein Anliegen oder auch den Lehrstoff. Das „Es“ steht für das gemeinsame Ziel, auf welches das „Ich“ und das „Wir“ hinarbeiten. Die Thematik ist der Grund für das Zustande­kommen der Gruppe, weshalb sich aus ihr auch der Name der Themenzentrierten Interaktion ableitet.

2.3.4 Globe

Mit „Globe“ werden die Rahmenbedingungen, der Kontext und die Einflussfaktoren des Umfelds bezeichnet. In ihm findet die Interaktion zwischen dem „Ich“, dem „Wir“ und dem „Es“ statt. Zudem werden alle Faktoren, welche die Interaktion zusätzlich beeinflussen, zum „Globe“ gezählt: Raum, Zeit, Geschehnisse und vorgegebene Strukturen (z.B. die Schulordnung).

2.1 Die drei Axiome der Themenzentrierten Interaktion

Die drei aufeinander aufbauenden Axiome der TZI werden als „Kompass des methodischen Handelns“ (Schneider-Landolf 2009, S. 70) und als „nicht verhandelbare Voraus­setzungen für die Arbeit mit TZI“ (Von Kanitz 2009b, S. 78) verstanden. Sie stellen die Grundsätze der TZI dar, wobei es keinen vorformulierten Weg gibt, bestimmte Richtungen aber von vornherein ausgeschlossen werden, die die Prinzipien der TZI verletzen würden. (vgl. Von Kanitz 2009b, S. 78)

2.1.1 1. Axiom: Das existentiell-anthropologische Axiom

Das erste Axiom stellt die Grundlage des ganzheitlichen Prinzips der TZI und ihres Menschenbildes dar. Individuelle Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Erfahrungen, ganz gleich welcher Art, werden als untrennbare Grundeinheiten verstanden. Darüberhinaus steht das Individuum trotz seiner Autonomie in direkter Abhängigkeit (Interdependenz) zu den Menschen in seinem Umfeld. Die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen wird durch die Bewusstheit um dieses Spannungsverhältnis und unter Bearbeitung eines Themas beeinflusst (vgl. Faßhauer 2009, S. 80). Ruth Cohn sagt zum existentiell-anthropologischen Axiom: „ Ich bin um so autonomer, je mehr ich die Welt bewußt in mich einlasse. “ (Cohn & Farau 1991, S. 357)

2.1.2 2. Axiom: Das ethische Axiom

Das zweite Axiom fordert jeden Menschen auf, sich ehrfürchtig und achtend gegenüber anderen Lebensformen und -weisen zu verhalten. Er soll andere Meinungen und Lebensentwürfe respektieren und ihnen wohlwollend begegnen, auch wenn diese seinen eigenen Einstellungen widersprechen oder sich von ihnen unterscheiden (vgl. Vogel 2009). Ruth Cohn fasst das ethische Axiom folgendermaßen zusammen: „ Ehrfurcht gebührt allem Lebendigen und seinem Wachstum. “ (Cohn & Farau 1991, S. 357) Sie fährt fort, dass humanes Verhalten verlangt, dass keine Lebewesen gequält oder mehr von ihnen, als zur Lebenshaltung nötig ist, getötet werden dürfen. Cohn betont, dass sie unter dem Begriff „des Tötens auch das Abtöten von seelischen und geistigen Fähigkeiten“ versteht (Cohn & Farau 1991, S. 357).

2.1.3 3. Axiom: Das pragmatisch-politische Axiom

Im Zentrum des pragmatisch-politischen Axioms stehen die Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des Individuums, welche allerdings von inneren und äußeren Kräften bestimmt werden und sich daher nur in bestimmtem Maße entfalten können. Als innere Grenzen werden kognitive und physische Begrenzungen aber auch der Mangel an Förderungsmöglichkeiten angesehen, als äußere Grenzen, das soziale und internationale Milieu. Ausschlaggebend für die Arbeit mit dem Modell der TZI in pädagogischen Situationen ist die Erfahrung, wie Freiheitsgrade durch vorgegebene Einschränkungen beschnitten werden, aber auch die Erkenntnis, dass jedes Individuum ein handelndes Subjekt ist und Grenzen verhandelbar sind. (vgl. Von Kanitz 2009a, S. 90) Ruth Cohn definiert das pragmatisch-politische Axiom wie folgt: „ Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen; Erweiterung dieser Grenzen ist möglich. “ (Cohn & Farau 1991, S. 357)

2.2 Die beiden Postulate der Themenzentrierten Interaktion

Die beiden sich aus den Axiomen ableitenden Postulate der TZI werden als „konkrete Vollzugs- oder Praxishilfen“ (Von Kanitz 2009, S. 79) verstanden. Zusammen mit den drei Axiomen, die den Wert eines jeden Individuums betonen, stellen die beiden Postulate eine Anleitung zur und eine Forderung der Lebensgestaltung dar, welche eine erfolgreiche und – vor allem – sowohl psychisch als auch körperlich ungefährliche Interaktion zwischen Menschen gewährleistet. Wie die Postulate konkret gelebt werden, liegt allerdings in der Verantwortung einer jeden Person. (vgl. Von Kanitz 2009, S. 79; Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 95)

2.2.1 Das Chairperson-Postulat

Cohn definierte das Chairperson-Postulat so: „ Sei dein eigener Chairman/Chairwoman, sei die Chairperson deiner selbst. “ (Cohn & Farau 1991, S. 358) Nach Diskussionen über neutrale Schreibweisen, die beide Geschlechter gleichermaßen einschließt, werden nun auch folgende (emotionsloseren) Aussagen aufgeführt: „ Sei deine eigene Leitperson “ oder „Bestimme dich selbst“ (Cohn & Farau 1991, S. 358).

Das Chairperson-Postulat fordert das Individuum auf, sich selbstbestimmt, selbstverantwortlich und selbstbewusst zu verhalten. Es soll sich dabei nicht von Idealen und Autoritäten fremdbestimmen lassen (vgl. Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 95). Die anleitende Person versucht durch ihre Führung, die Mitglieder dazu zu bringen, Selbstverantwortung für sich zu übernehmen (vgl. Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 97).

Jens G. Röhling (2009, S. 98) vergleicht das Chairperson-Postulat mit dem Leitspruch zur Aufklärung von Immanuel Kant: „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.“

2.2.2 Das Störungspostulat

Das Störungspostulat besagt, dass Störungen aus der Welt geschafft werden müssen, bevor mit der eigentlichen Aufgabe, mit dem eigentlichen Thema oder Ziel weiterge­macht werden kann. Störquellen können unterschiedlicher Art sein und sowohl von den Gruppenmitgliedern („Ich“ und/oder „Wir“) als auch den äußeren Gegebenheiten („Globe“) ausgehen. Wichtig ist es, die Störungen zu beseitigen, sodass sie sich nicht in den Vordergrund drängen und das gemeinsame Lernen, Arbeiten und Entwicklung behindern und somit das Lebendige Lernen hemmen (vgl. Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 101). Störungen müssen ernst genommen werden und zumindest insoweit bearbeitet werden, dass die Gruppe wieder handlungs- und arbeitsfähig wird. Das Störungspostulat fordert somit die Bearbeitung der Störung ein, um die dynamische Balance zu wahren bzw. wieder herzustellen. Zudem kann der Umgang mit Störungen selbst als Prozess verstanden werden, der Lernchancen bietet. (vgl. Schneider-Landolf, Spielmann & Zitterbarth 2009, S. 101)

2.3 Die Bedeutung der Themenzentrierten Interaktion für das Lernen

2.3.1 Dynamische Balance

In ihrem Leben werden Menschen ständig mit Wandel konfrontiert, ihre Welt orientiert sich unablässig neu und steht nicht still. Das Prinzip der dynamischen Balance soll darauf aufmerksam machen, dass Lebendiges Lernen und Lehren sowie lebendiges Leben immerzu stattfindet (vgl. Cohn & Farau 1991, S. 353). Sie wird als das Gleichgewicht angesehen, das angestrebt wird, um die vier Faktoren Ich, Wir, Es und den Globe in einem sich begünstigenden und konstruktiven Austausch zu halten. Keine der vier Kräfte sollte daher übermäßig stark an Gewicht gewinnen, da der Austausch innerhalb der Gruppe ansonsten gefährdet wird.

2.3.2 Lebendiges Lernen

Lebendiges Lernen entsteht laut Ruth Cohn (1993, S. 12f) im Austausch zwischen min­destens zwei Menschen durch lebhafte Diskussion und ist Bestandteil unseres Alltags. Leben und Lernen dürfen deshalb nicht getrennt werden, da das Individuum im Laufe seines Lebens ständig hinzulernt. Das bedeutet auch, den Interessen der Einzelperson zu folgen und von ihnen ausgehend, die Welt zu erforschen: „Denn im Hier-und-Jetzt des Erlebens liegt der Ausgangspunkt jeden Lernens, das nicht aufgepfropft wird, sondern lebendig mit Leib, Seele, Intellekt und Geist erfaßt werden kann.“ (Cohn & Farau 1991, S. 327).

2.4 Die Hilfsregeln der Themenzentrierten Interaktion

Ruth Cohn verfasste zahlreiche Hilfsregeln, die als Empfehlung dienen sollen, um die Postulate in die Praxis umzusetzen. Ruth Cohn merkte allerdings an, dass diese Hilfsregeln nicht als Befehle verstanden werden sollen, sondern als Angebote, welche die Interaktionen in Gruppen und das Lernen im Allgemeinen bereichern sollen.

Ruth Cohn verschwieg die Quellen ihrer ausformulierten Hilfsregeln, gab aber den Hinweis, dass manche dieser Regeln in jeder Situation Anwendung finden können, andere hingegen müssen der jeweiligen Situation angepasst werden. Diese Bemerkung kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Hilfsregeln anerkannt sowie in verschieden Situationen ausprobiert und verfeinert wurden.

Im Laufe der Zeit wurde eine abweichende Anzahl an Hilfsregeln erwähnt. Ruth Cohn selbst gab nur eine unspezifische Angabe zur Anzahl der Hilfsregeln, das Ruth Cohn Institute for TCI-international nennt dagegen acht Hilfsregeln. David Keel (2014) sortierte einige dieser Hilfsregeln in Kategorien ein, die letztendlich Ratschläge zur Selbstorganisation und Selbstleitung, zur Selbstaussage, zur Lenkung der Auf­merk­samkeit, sowie zur Gesprächsorganisation beinhalten (S. 195ff).

2.4.1 Selbstorganisation und Selbstleitung

Ruth Cohn führte einige Richtlinien für das Individuum ein, sodass es sich selbstständig und eigenverantwortlich organisieren und leiten kann, wenn es innerhalb einer Gruppe interagiert. Sie verkündete daher die Notwendigkeit des Sendens von Ich-Botschaften durch das Individuum. Damit drückte sie aus, dass das Individuum sich selbst repräsentiert und folglich „Ich“, anstatt von „wir“ oder „man“, sagen muss, wenn es mit anderen spricht. Somit wird das Projizieren von eigenen Meinungen und Standpunkten auf andere Haltungen vermieden. Zusätzlich schlug Ruth Cohn vor, dass sich das Individuum beim Unterhalten mit anderen wohl überlegt ausdrückt. Es ist dabei wichtig zu entscheiden, was und insbesondere wann etwas gesagt werden soll und wann lieber geschwiegen werden sollte. (vgl. Keel 2014, S. 195ff)

2.4.2 Selbstaussage

Um reine Selbstaussagen zu machen, schlug Ruth Cohn vor, auf Verallgemeinerungen und Interpretationen zu verzichten. Des Weiteren muss eine Person, wenn sie etwas erfragen möchte, klar stellen, warum und wozu sie diese Frage stellt und was sie ihr bedeutet. Zusätzlich zu diesen Einschränkungen forderte Ruth Cohn, dass Individuen nur für sie bedeutungsvolle und wichtige Fragen stellen und es vermeiden, andere Personen auszufragen, da dieses Verhalten als unhöflich und unangebracht verstanden werden könnte. Alles in allem, wollte Ruth Cohn, dass Menschen ihre eigenen Gedanken äußern, wenn sie sich mit anderen unterhalten. (vgl. Keel 2014, S. 196)

2.4.3 Lenkung der Aufmerksamkeit

Sowohl die Körpersprache des Individuums als auch die seines Gegenübers sagen etwas über das Befinden der jeweilig involvierten Personen aus und können bei Nichtbeach­tung eine Unterhaltung aus dem Gleichgewicht bringen. Aus diesem Grund behauptete Ruth Cohn, dass das Individuum während eines Gesprächs die Signale aus seiner Körpersphäre beobachten und denen der anderen Aufmerksamkeit schenken muss. Um eine Unterhaltung zu wahren ist es daher wichtig, dass das Individuum seine Aufmerksamkeit, aber auch seine Konzentration, auf die Konversation lenken kann. (vgl. Keel 2014, S. 196)

In diesem Zusammenhang stellt eine Unterhaltung auch eine Lernsituation für beide Gesprächspartner dar. Menschen lernen bekanntermaßen nicht nur durch eigenständige Ausführung von Tätigkeiten, sondern auch durch das Beobachten ebendieser Vorgänge, wenn sie von anderen Individuen durchgeführt werden. Spiegelneuronen belegen, dass das menschliche Gehirn gleichermaßen aktiv ist. Demnach steuern die gleichen Hirnareale die Wahrnehmung und Ausführung von Aktivitäten und umgekehrt regen diese die Spiegelneuronen an. Wird nun die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Gegenübers gelenkt, lernt das Individuum unweigerlich hinzu. Damit das Individuum aber überhaupt lernen kann, ist die Lenkung der Aufmerksamkeit vonnöten: Nur das kann sich entwickeln, dem Aufmerksamkeit zuteil wird.

2.4.4 Gesprächsorganisation

Die Hilfsregeln für die Gesprächsorganisation sind wichtig für die Gruppeninteraktionen. Sie erlauben der Dynamischen Balance im Gleichgewicht zu bleiben, da jedes Gruppenmitglied als gleich wichtig verstanden wird. Eine Regel besagt, dass immer nur eine Person zum jeweiligen Zeitpunkt spricht. Eine zweite, dass Seitengespräche direkt thematisiert und angesprochen werden müssen, da sie oftmals stören und für die Gesprächsteilnehmer, die in sie verwickelt sind, von Wichtigkeit sind. Schließlich erklärte Ruth Cohn, dass Störungen und andere emotionale Verwicklungen sofort unterbunden werden müssen, sodass die Gruppe wieder befähigt wird, zum Thema zurückzukehren. (vgl. Keel 2014, S. 196f)

Als Ergänzung zu den o.g. Richtlinien, die den Fortbestand der Unterhaltung sicherstellen wollen, merkte Ruth Cohn an, dass das Individuum dann das Gespräch unterbrechen darf, wenn es ihm nicht länger möglich ist, dem Verlauf zu folgen. Denn aufgrund der Bedeutung eines jeden Gruppenmitglieds ist es entscheidend, dass sich jedes Individuum auf die gegebenen Aktivitäten und Umstände konzentrieren kann. (vgl. Keel 2014, S. 196f)

Eine Unterhaltung kann demnach einfach mithilfe der Hilfsregeln der TZI organisiert werden, die es zudem der Gruppe ermöglichen effektiv miteinander zu interagieren und die Störungen auflösen, sobald sie auftreten. (vgl. Keel 2014, S. 196f)

2.5 Persönliche Bedeutsamkeit der TZI

Das Beeindruckendste an dem Modells der Themenzentrierten Interaktion finde ich, ist das Menschenbild und die damit verbundene Forderung, dass der Mensch im Mittelpunkt des gesamten Ansatzes steht. Die TZI sagt, dass alle Menschen gleich wichtig sind und die „Selbstverwirklichung nur partnerschaftlich möglich“ ist (Cohn 1993): Jedes Subjekt ist eigenständig und interdependent. Nicht nur der Lehrer oder der Gruppenleiter ist die wichtigste Person in dem Beziehungsgefüge, sondern auch die einzelnen Gruppenmitglieder stellen Individuen dar, die gleichwertig und gleich wichtig sind (demokratisches Prinzip). Dadurch, dass auch das gemeinsame Thema und der Globe als wichtige Einflussgrößen erachtet werden, die in einem Gleichgewicht gehalten werden müssen, entsteht einerseits ein komplexes Beziehungsgefüge. Andererseits lassen sich meiner Meinung aber auch Chancen und Herausforderungen erkennen, wie eine Gruppe gemeinsam und zusammen wachsen kann. Darüberhinaus ermöglicht die Arbeit mit der Themenzentrierten Interaktion Abwechslung und Einsichten, die in einem konventionellen Unterricht oftmals undenkbar wären: Auch der Gruppenleiter kann noch etwas von den Gruppenmitgliedern lernen.

Auf den Schulkontext bezogen, bedeutet dies wiederum, dass alle Schüler dort abzuholen sind, wo sie gerade stehen. Gleichzeitig sind sie aber auch bestmöglich zu fördern. Dies bedeutet, dass sie weder unterfordert noch überfordert werden dürfen. Jeder Schüler ist ein für sich unabhängiges Individuum, welches aber für die gesamte Gruppe wichtig ist – mit seinen Schwächen und Stärken. Darüberhinaus wird auch der Lehrer als Teil der Gruppe verstanden. Er hat Vorbildfunktion und verhält sich daher konform hinsichtlich der Axiome und Postulate. Entscheidend fand ich in diesem Kontext die Aussage des Ruth Cohn Institute for TCI-international (o.J.a): Der Lehrer „bringt sich selbst selektiv und authentisch mit seinen Gedanken und Gefühlen ein.“ Authentisches Menschsein (in gewissem Maße) ist demnach ein entscheidender Faktor, um eine erfolgreiche Gruppeninteraktion zu ermöglichen. Oft habe ich den Eindruck, dass Lehrer nur noch als Dienstleister (oftmals unüberlegt) Leistung erbringen und schlussendlich den Schüler als reines Erziehungsobjekt behandeln. Die Wandlung hin zum „menschlich-Sein“ des Lehrers und die gleichzeitige Anerkennung der Schüler als wertvolle Menschen, erachte ich für überfällig und notwendig.

Bei der Arbeit mit Gruppen sind Harmonie und das ganzheitliche und lebendige gemeinsame Lernen wichtige Komponenten, die eine gute Zusammenarbeit gewährleisten. Sie ermöglichen so mitunter das Miteinander-Lernen, selbst unter widrigen Bedingungen. Das Modell der TZI sagt, dass jedes einzelne Gruppenmitglied wichtig ist und Mitverantwortung – je nach dem individuellen Vermögen – übernehmen soll. Wenn sich alle Gruppenmitglieder für gleichwertig und gleich wichtig erfahren fühlen, steigt die Zufriedenheit des Einzelnen und damit auch die innerhalb der Gruppe.

Das Ruth Cohn Institute for TCI-international (o.J.a) schreibt weiter auf seiner Website: „[E]in durch TZI geprägter Führungs- und Leitungsstil verbindet Kompetenz, Motivation, Wertschätzung und Zielorientierung.“ Ein Lehrer, der also nach dem Vorbild der Einstellungen und Haltungen der TZI handelt, respektiert demnach seine Schüler und schätzt sie, verliert dennoch sein Ziel nicht außer Augen und berücksichtigt die Einflüsse von außen. Er ist motiviert und weiß seine Schüler zu motivieren, er hat Fachwissen und weiß dies zu vermitteln, berücksichtigt dabei aber die Interessen der Gruppe und die des Einzelnen. Daraus folgt wiederum, dass Bildung und Lehren mehr als reine Wissensvermittlung bedeuten, es bedeutet auch, dass ich als Lehrerin meinen Schülern helfe, eigenständige und unabhängige Menschen, d.h. (selbst-)kritische mündige Bürger und somit Chairpersons ihrerseits, zu werden, die in der Gesellschaft bestehen können.

Hansfried Nickel (2012, S. 1f) verfasste anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel zu ihrem 100. Geburtstag eine Laudatio auf Ruth Cohn. Er erwähnte, dass Ruth Cohn von ihrem Kollegen Harry Stuck Sullivan die Entdeckung Freuds übernahm, der sagte, „dass der einzelne nicht als vereinzelte Einheit, sondern als Teil und Ausdruck seiner Beziehungen zu seiner Umwelt zu betrachten ist“ und dass die Idee der TZI ein vertrauensvolles und kooperatives Miteinander ermöglicht. Das ist für mich die Beschreibung, wie idealerweise Lernen in einer gelingenden pädagogischen Beziehung stattfinden kann und sollte.

Zum Abschluss möchte ich eine Anekdote erzählen, die verdeutlichen soll, wie wichtig es ist, auf die Einflüsse des Globes einzugehen: Es war der dritte Schultag des neuen Schuljahres 2001/2002 meiner elften Klasse auf dem Gymnasium. Tags zuvor hatten die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon stattgefunden. In der ersten Stunde verzichtete mein damaliger Mathematiklehrer auf den Unterricht, um stattdessen mit uns über die Ereignisse zu sprechen. In den darauffolgenden Stunden sprach uns kein weiterer Lehrer auf die schrecklichen Bilder an, die wir alle im Fernsehen gesehen hatten – sie machten weiter, wie als wäre nichts gewesen. Ich bin mir sicher, dass mein Mathematiklehrer von damals nichts von der Themenzentrierten Interaktion wusste und dennoch intuitiv richtig reagierte. Er erkannte, dass dies eine einmalige Erfahrung war und dass wir über die Ereignisse reden mussten, bevor wir mit dem eigentlichen Mathematikunterricht weitermachen konnten.

Die Themenzentrierte Interaktion ist für mich mehr als eine Möglichkeit den Unterricht und Gruppenarbeiten zu gestalten. Sie ist eine Haltung und Einstellung, die jedes Mitglied der Gruppe als das anerkennt, was und wer es ist und welche Voraussetzungen und Fähigkeiten es mitbringt. Die TZI fordert, dass auch ich mich als Lehrerin aktiv in die Gruppe miteinbringe und dass nur, indem die Interaktion störungsarm funktioniert, das angepeilte Ziel gemeinsam erreicht werden kann.

3. Lernen, Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen

Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen werden oftmals synonym verwendet. Dennoch lassen sich beide Begriffe unterscheiden, wobei der Offene Unterricht den Rahmen für das Selbstgesteuerte Lernen bietet und das Selbstgesteuerte Lernen an sich nicht institutionsgebunden ist. Grundlage für das Selbstgesteuerte Lernen ist das Lernen selbst.

Um die drei Begriffe Lernen, Offener Unterricht und Selbstgesteuertes Lernen differenzierter betrachten zu können, sollen sie unten­stehend näher erläutert werden.

3.1 Begriffsdefinitionen

3.1.1 Lernen

Lernen ist im Wesentlichen ein Prozess, der eine relativ überdauernde Verhaltensänderung infolge von Erfahrungen bewirkt, allerdings Verhaltensänderungen aufgrund von Reifung oder Degeneration vernachlässigt. (vgl. Myers 2008, S. 340; Hasselhorn & Gold 2009, S. 35f) Darüberhinaus ist Lernen ein aktiver und vor allem ständiger und lebenslanger Vorgang des Individuums, d.h. jeder kann nur für sich selbst lernen (vgl. Spitzer 2002, S. XIII u. 4).

Der Begriff des Lernens kann unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden: Lernen als Verhaltensänderung (behavioristische Sichtweise) und Lernen als Wissenserwerb (kognitive Sichtweise), wobei sich beide fortdauernd beeinflussen.

3.1.1.1. Lernen als Verhaltensänderung (behavioristische Sichtweise)

Beim Lernen als Verhaltensänderung lässt sich zwischen zwei Varianten unterscheiden: dem assoziativen Lernen und dem Beobachtungslernen. Das assoziative Lernen geht auf die klassische oder operante Konditionierung zurück. Das Beobachtungslernen hin­gegen besagt, dass Individuen lernen, indem sie andere beobachten und nachahmen. Spiegelneuronen im Frontallappen des Gehirns sind ein Indiz dafür, dass Beobachtungs­lernen neuronal begründet werden kann: Sie sind immer dann aktiv, wenn das Indivi­duum eigenständig Tätigkeiten durchführt, aber auch wenn jemand anderes beobachtet wird, der diese Handlungen vornimmt. (vgl. Myers 2008, S. 342 u. 376)

Alfred Bandura erforschte Anfang der 1960er in diesem Zusammenhang, welche Faktoren darüber entscheiden, ob ein Vorbild, d.h. Modell, nachgeahmt wird. Er fand heraus, dass vornehmlich Menschen nachgeahmt werden, von denen das Individuum annimmt, dass sie ihm ähnlich seien und die es für erfolgreich und/oder bewunderungswürdig hielt. Vor allem Handlungen, die nicht bestraft werden, werden bevorzugt nachgeahmt. (vgl. Myers 2008, S. 376)

[...]


[1] In der nachfolgenden Arbeit wird zur Wahrung der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit überwiegend die männliche Schreibweise verwendet, welche die weibliche Form selbstverständlich miteinschließt.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen der Themenzentrierten Interaktion (TZI)
Untertitel
Warum das Modell der TZI am erfolgreichsten beim Selbstgesteuerten Lernen zur Geltung kommen kann
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Veranstaltung
Das Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) als Orientierung beim Lernen in gelingenden pädagogischen Beziehungen
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
52
Katalognummer
V336395
ISBN (eBook)
9783668261280
ISBN (Buch)
9783668261297
Dateigröße
1048 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
TZI, Themenzentrierte Interaktion, Ruth Cohn, Selbstgesteuertes Lernen, Offener Unterricht
Arbeit zitieren
Helene Weitzel (Autor:in), 2015, Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen der Themenzentrierten Interaktion (TZI), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336395

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