Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Fachliche Erkundungen
2.1. DieSchule
2.2. Das Praktikum
2.3. Die Klasse
3. DieUnterrichtsreihezu DerJungeimgestreiftenPyjama
4. DarstellungeinerabsolviertenUnterrichtsstunde
4.1. Sachanalyse
4.2. DidaktischeAnalyse
4.3. MethodischeEntscheidungen
4.4. PlanungderUnterrichtsstunde
4.5. ReflexionderUnterrichtsstunde
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
1. Einleitung
Vom 29. Februar 2016 bis zum 08. Juli 2016 habe ich mein Praxissemester im Rahmen der Lehrerausbildung des Master of Education an einem Gymnasium mit den Fachern Latein und Deutsch absolviert. Wahrend dieser Zeit konnte ich meine Kompetenzen hinsichtlich der Unterrichtsplanung, -durchfuhrung und -reflexion, der „Leistungsbeurtei- lung, padagogischer Diagnostik und individueller F5rderung“ (Ministerium fur Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: 2010) sowie des Erziehens aus- bauen. Aufterdem habe ich anhand meiner Praxiserfahrung ein persbnliches Selbst- konzept in meinem Beruf als Lehrerin aufgebaut. All dies orientiert sich an dem Ziel, „Theorie und Praxis professionsorientiert miteinander zu verbinden" (Ministerium fur Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: 2010). Dieser Zuwachs von Handlungskompetenzen wurde durch universitare Veranstaltungen vorbereitet und durch das Zentrum fur schulpraktische Lehrerausbildung und die Ausbildungsbeauftrag- ten sowie den Mentoren an der Schule begleitet. Aufterdem wurden diese Fahigkeiten durch diverse Aufgabenstellungen seitens des Seminars an der Universitat gezielt ge- fbrdert.
Anhand dieser Arbeit wird meine Praxisarbeit im Fach Deutsch dargestellt und reflek- tiert. Dafur wird zunachst das Gymnasium, an dem ich tatig war, aus fachlicher Sicht prasentiert. Urn dieses Bild zu komplettieren, wird auch meine fachliche Arbeit im Prak- tikum beschrieben. Daran schlieftt sich die Vorstellung einer Unterrichtsreihe, die ich in einer 7. Klasse mithilfe meiner Mentorin geplant, durchgefuhrt und evaluiert habe, an. Dafur wurde zunachst die Lerngruppe naher beschrieben, urn daran didaktische Ent- scheidungen hinsichtlich des Lernziels, der Planung und Phasierung sowie der gewahl- ten Methoden und Sozialformen zu begrunden. Eine Unterrichtsstunde der Reihe soil exemplarisch prasentiert werden. Dazu zahlt die Sachanalyse, die didaktische Analyse und die Darstellung der methodisch-didaktischen Entscheidungen. Abschlie^end erfolgt eine Reflexion der Unterrichtsstunde. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden im Fazit zu- sammengefasst.
2. Fachliche Erkundungen
2.1. Die Schule
Das Gymnasium, an dem ich wahrend meines Praxissemesters hospitiert, beobachtet und unterrichtet habe, zahlt mit seinen 1487 SuS[1], 113 Lehrerinnen und Lehrern und 8 Referendaren und Referendarinnen zu einer der grbftten Schulen der Bezirksregierung. Dementsprechend groft ist auch das Schulgebaude mit seiner Schulbibliothek, welche mit uber 20.000 Buchern ausgestattet ist. Sie bietet den SuS nicht nur viele klassische Werke der jeweiligen Facher, sondern auch eine grofte Auswahl an Jugendliteratur, welche die Lernenden zum Lesen animieren soil. Doch auch die Lehrkrafte werden fun- dig, wenn sie nach passender Literaturfur ihre Unterrichtsvorhaben recherchieren. Hier ergibt sich meiner Meinung nach die Problematik, dass auch die SuS Zugriff zu den Unterrichtsmodellen, aus denen die Lehrpersonen teilweise ganze Klausuren uberneh- men, haben. Meine Mentorin beschwichtigte dies hingegen, indem sie sagte, dass die Lernenden nicht gezielt nach diesen Werken Ausschau hielten. Neben der Ausleihe zahlreicher Bucher stehen sowohl Computer als auch Tablets fur die SuS zur Verfu- gung. Die Schulbibliothek mit ihren diversen Einzel- und Gruppenarbeitsplatzen und auch Sitzsacken zum entspannten Lesen findet bei den Lernenden besonders in ihren Pausen und Freistunden regen Zuspruch.
Besonders zeichnet sich das Gymnasium durch sein Fbrderungskonzept aus, welches nicht nur die individuelle Fbrderung sondern auch die Begabtenfbrderung umfasst. Dies beinhaltet naturlich auch die Arbeit im Fach Deutsch. Die fachbezogene Schulleistung wird auf zwei Wegen gefbrdert: zum einen durch die Fbrderplanarbeit mit Lehrerunter- stutzung und die Fbrderinseln durch Leistungskursschuler und zum anderen werden an fbrderungsbedurftige SuS Nachhilfelehrer vermittelt. Die gesamte Fbrderung findet nur freiwillig statt, da die Lernenden nicht gegen ihren Willen fbrderbar sind. Ziel der Arbeit ist nicht die anstehende Klassenarbeit, sondern die langfristige Verbesserung der Leis- tung in dem jeweiligen Fach. Angesprochen werden in diesem Bereich vor allem die SuS der Sekundarstufe I und die Schulformwechsler der Einfuhrungsphase. Die Bega- bungsfbrderung erfolgt anhand verschiedener Aspekte, wie das erweiterte Lernen in Arbeitsgemeinschaften, welche wiederum zum Teil von besonders begabten Jugendli- chen geleitet werden und das Drehturmodell. Dabei sind das Enrichment und die Ak- zeleration gleichberechtigt. Dieses Konzept, in dem pro Schuljahr ca. 50 Lehrkrafte be- teiligt sind, wurde deshalb mit dem Gutesiegel Individuelle Forderung ausgezeichnet. Fur SuS mit Leserechtschreibschwache wird in den Jahrgangsstufen 5 und 6 eine spe- zielle Fbrderarbeit angeboten.
Eine Auseinandersetzung mit literarischem Kulturgut wird durch die Literaturkurse, welche von den Jugendlichen gewahlt werden kbnnen, ermbglicht. Durch die Teilnahme an den Theater-Arbeitsgemeinschaften, welche nach Jahrgangsstufen aufgeteilt werden, kbnnen die SuS ihr schauspielerisches Talent beweisen. Fur die Klassen 5 und 6 wird eine Theater-AG „Pfiffikus“ angeboten, wahrend die anderen Jahrgange in einer Ar- beitsgemeinschaft zusammenarbeiten. Das Gymnasium kooperiert mit diversen Schau- spielhausern, sodass die Lernenden sich auch selbst Stucke anschauen kbnnen. Au- fterdem kbnnen die SuS ihre Lesefahigkeiten bei diversen Lesewettbewerben prasen- tieren.
Durch den Zuzug von Fluchtlingen hat sich mit den internationalen Klassen, welche sukzessive gegrundet werden, ein weiteres Arbeitsfeld fur die Lehrkrafte des Fachs Deutsch aufgetan. Doch auch die Fremdsprachendidaktiker werden in diesen Klassen- gemeinschaften tatig. Ihr Engagement reicht naturlich uber den fachlichen Bereich hin- aus, da der Umgang mit den Jugendlichen und ihren Eltern sehr viel soziale Arbeit er- fordert. Leider konnte ich mir selbst aufgrund von organisatorischen Problemen keinen Einblick in diese Arbeit verschaffen und mich nur bei den Lehrenden daruber informie- ren.
2.2. Das Praktikum
Wahrend meines Praxissemesters hospitierte ich in einem Deutschkurs der Q1 und be- obachtete dort eine gesamte Projektreihe zum Thema Informationsdarstellung von ver- schiedenen Medien und die Unterrichtsreihe zum Dramenfragment „Woyzeck“, welche von einem Referendar im Ausbildungsunterricht durchgefuhrt wurde. Dabei konnte ich sowohl den jeweiligen Reflexionsgesprachen mit der Fachlehrerin als auch dem Unter- richtsbesuch mit der anschlieftenden Nachbesprechung beiwohnen. Am Ende des Schuljahres wurde das abiturrelevante Thema Sprachursprung und Sprachwandel the- matisiert. In diesem Kurs habe ich in Arbeitsphasen stets unterstutzend mitgewirkt.
Eine Unterrichtsreihe habe ich in der siebten Klasse zum Jugendbuch Der Junge im gestreiften Pyjama geplant und teilweise auch selbst durchgefuhrt. Dabei hatte ich alle Freiheiten, auch das Thema der Klassenarbeit durfte ich selbst bestimmen. Ich habe mich dafur entschieden, dass die SuS anhand dieses Romans die Textsorte Charakte- risierung kennenlernen sollen. Da das Lehrbuch fur diese Reihe nicht verwendet wer- den konnte, habe ich eigens Arbeitsblatter in Anlehnung an ein Unterrichtsmodell ange- fertigt (vgl. Diekhans 2011). Diese sollten die Lernenden in einer Lesemappe sammeln, die zur Bewertung herangezogen worden ist.
Die ersten Stunden habe ich in Abwesenheit der Fachlehrerin als ihre Vertreterin unter- richtet, da diese einen Schuleraustausch nach England begleitet hat. Nachdem ich uber einige Wochen den Unterricht geleitet habe, musste ich leider die Durchfuhrung des Unterrichts wieder an die Kollegin ubergeben, da ich in diesem Kurs noch meine For- schungsaufgabe fur meine Arbeit in den Bildungswissenschaften durchfuhren musste. Jedoch hat sie sich an meiner Planung und den von mir erstellten Arbeitsblattern orien- tiert. Nach der Beendigung meiner Forschungsarbeit habe ich der Lehrperson assistiert. Durch die aufterst gute Betreuung seitens meiner Mentorin, die selbst erst seit November voll ausgebildet ist, habe ich im Fach Deutsch sehr viel dazu gelernt und fuhle mich nun wesentlich kompetenter als zu Beginn meines Praxissemesters. Sie hat mir viele Freiheiten gegeben, urn mich auszuprobieren, und stand mir zugleich stets unterstutzend zur Seite. Ich konnte in jeder Hinsicht von ihrer Arbeit profitieren.
2.3. Die Klasse
In dem Deutschkurs einer siebten Klasse befand ich mich seit der zweiten Praktikums- woche, sodass ich den SuS bereits vor der Durchfuhrung meiner eigenen Unterrichtsreihe in diversen Unterrichtssituation kennenlernen konnte. Diese Lerngruppe besteht aus 12 Schulerinnen und 15 Schulern. Der Deutschunterricht findet demnach mit 27 Lernenden statt.
Da die Lehrperson gleichzeitig als meine Mentorin fungiert, stehe ich seit Beginn meines Praktikums in engem Kontakt mit ihr, weshalb ich mit ihr viele Gesprache uber die Lerngruppe fuhren konnte. Die Lehrerin, welche diese wahrend ihres Referendariats ubernommen hatte, beschrieb die Lerngruppe als sehr umganglich und leistungsstark, was mir wahrend meiner Hospitation immer wieder positiv aufgefallen ist.
Besonders bei ihren eigenen Unterrichtsbesuchen habe sich die Klasse im Gesamten als sehr fachkompetent erwiesen. Dies hat sich auch bei meinem Unterrichtsbesuch bestatigt. Die SuS legten in jeder Hinsicht ein sehr gutes Verhalten an den Tag und ha- ben damit meiner Fachleiterin imponiert, was sie sowohl meiner Mentorin als auch mir mehrmals kundtat. Aufterdem hat sie sogar nach dem Unterrichtsbesuch das Gesprach mit einem Schuler gesucht, urn ihn persbnlich fur sein exorbitantes Fachwissen zu lo- ben. Dieser und noch zwei weitere Schuler der Klasse nehmen aufgrund ihrer heraus- ragenden Leistungen an der Begabtenfbrderung im Rahmen eines Drehturprojektes teil. Keine SuS sind in diesem Kurs hinsichtlich ihrer Leistung gefahrdet.
Die Beteiligung fallt je nach Thematik und Aufgabenstellung rege aus. Die meisten SuS sind am Unterrichtsgeschehen interessiert und arbeiten konzentriert mit. Problematisch wird es dann, wenn die Lernenden mit einer kreativen Aufgabe konfrontiert werden, da sie grofte Hemmungen haben, sich frei zu auftern. Doch wenn sie sich durch die Ermu- tigung seitens der Lehrkraft darauf einlassen, bringen sie aufterst gute Ergebnisse her- vor. Deshalb habe ich bei der Gruppeneinteilung stets darauf geachtet, dass extrover- tierte und introvertierte SuS zusammenarbeiten, damit sie sich gegenseitig ermutigen. Dies hat sich als sehr ertragreich erwiesen, was auch auf die hohe Sozialkompetenz derJugendlichen zuruckzufuhren ist, welche ein sehrangenehmes Lernklima schafft. Diese Bedingungsanalyse hat gezeigt, dass es zwar Schwierigkeiten in der Lerngruppe gibt, welche jedoch durch die beschriebenen praventiven Maftnahmen seitens der Lehrperson gemieden werden kbnnen.
3. Die Unterrichtsreihe zu DerJunge im gestreiften Pyjama
Der schulinterne Lehrplan des Gymnasiums schreibt im Jahrgang 7 die Lekture einer epischen Groftform vor, was auf den Aufgaben und Zielen des Deutschunterrichts ba- siert, die im Kernlehrplan formuliert worden sind. Neben der Steigerung der Lesemoti- vation intendiert die Auseinandersetzung mit diesem Lerngegenstand die Entwicklung von „eigene[n] Positionen und Wertehaltungen" (Ministerium fur Schule und Weiterbil- dung NRW 2010: 11). Daher hat sich die Fachkonferenz in diesem Jahr darauf geeinigt, den zeitgeschichtlichen Jugendroman Der Junge im gestreiften Pyjama im Deutschun- terricht zu bearbeiten. Die Auseinandersetzung mit dem mehrfach preisgekronten (vgl. Rauch 2012: 101) Werk erbffnet den SuS die Moglichkeit, ihre literarischen Kompeten- zen im Sinne des Kernlehrplans zu fbrdern (vgl. Rauch 2012: 101). Aufterdem hat das Werk nicht nur eine Gegenwarts- und eine Zukunftsbedeutung fur die Jugendlichen, da sie ideologischen Grenzen in ihrem Alltag immer begegnen und wohl auch leider immer begegnen werden, sondern ist es auch von exemplarischer Bedeutung (vgl. Klafki 1985: 215). Den Jugendlichen werden anhand des Romans Werte einer demokrati- schen Gesellschaft, wie Gleichheit, Mundigkeit, Kritikfahigkeit und Loyalitat vermittelt. Anhand dessen sollen die Lernenden die literarische Kompetenz der Charakterisierung erlangen, wobei sie „wesentliche Elemente eines Textes erfassen" (Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 18) mussen. Daraus ergibt sich als Ziel dieser Unterrichtsreihe, dass die SuS es vermbgen, eine Charakterisierung zu einer Figur zu verfassen, indem sie deren wichtige Eigenschaften antizipieren und in einer Beschrei- bung munden lassen. Somit entwickeln sie ein Textverstandnis anhand einer gezielten Fragestellung (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 34). Aufter- dem setzen sie dies in den Kontext des Nationalsozialismus’ und kbnnen das Handeln der Figuren auf diesem Hintergrund kritisch reflektieren (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 19). Da die Charakterisierung eine speziellere Form der Per- sonenbeschreibung ist, hat sich die Lehrerin dazu entschieden, dieses Thema, welches laut Lehrplan vorgeschrieben ist, nicht zu behandeln und die Unterrichtsreihe bis zu den Sommerferien erstrecken zu lassen.
Urn alle Materialien zu sammeln und das strukturierte Arbeiten der SuS zu fbrdern, sollen sie eine Lesemappe anfertigen, welche zusatzlich zur Klassenarbeit benotet wird.[2] Am Anfang der Unterrichtsreihe steht zunachst die Sensibilisierung fur den Roman. Da- bei sollen die SuS durch das kreative Schreiben anhand der variablen Uberschriften des Romans eine mbgliche Handlung antizipieren (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 17). Aufterdem soil durch die Anstellung von Vermutungen hin- sichtlich des Inhalts die Lesemotivation durch die angeregte Erwartungshaltung gestei- gert werden.
Erst dann beginnt die eigentliche Lesephase, welche sukzessiv angelegt ist, damit sich die Lernenden dem sensiblen Thema des Holocausts langsam durch Begleitung der Lehrkraft nahern (vgl. Tilmann 2010: 43). Die SuS lernen den Protagonisten Bruno ken- nen, aus dessen Perspektive die Handlung geschildert wird. Diese Besonderheit ist ein Alleinstellungsmerkmal in diesem Genre: Die „bewusst inszenierte kindliche Erzahlper- spektive" (vgl. Rauch 2012: 112), die sich durch ihre Naivitat auszeichnet, ermbglicht zum einen eine unbefangenere Annaherung an diese Thematik und zum anderen regt sie den Rezipienten zum Nachdenken an (vgl. Tilmann 2010: 43). Urn die Lernenden fruhzeitig auf die Erstellung einer Charakterisierung vorzubereiten, notieren sie ihre Er- gebnisse stets mit Seiten- und Zeilenangaben. Aufterdem legen sie zu dem Protagonisten einen Steckbrief an, welchen sie selbststandig parallel zum Leseprozess ausfullen sollen.[3] Anhand dessen kann zu einem spateren Zeitpunkt eine Charakterisierung von Bruno verfasst werden.
Nachdem sich die Lernenden mit den Eigenschaften der Geschwister Bruno und Gretel auseinandergesetzt und diese verglichen haben, wird der geschichtliche Hintergrund anhand des Blicks auf das Lager durch das Fenster des Hauses von Brunos Familie in Auschwitz aufgearbeitet. So werden die SuS auf das nachste Kapitel vorbereitet, in dem „die verklausulierten Andeutungen durch Begriffe wie ,Furor’ und ,Aus-Wisch’ eine konkrete geschichtliche Bezugsgr5fte“ (Tilmann 2010: 46) erhalten, da Bruno sich mit dem Hitlergruft und der Gruftformel ,Heil Hitler’ von seinem Vater verabschiedet. Au- fterdem findet an dieser Stelle im Sinne des facherubergreifenden Lernens eine Koope- ration mit dem Fach Geschichte statt, in dem die SuS ihr Wissen uber den Nationalso- zialismus erweitern kbnnen, urn ein Verstandnis fur diese Lekture zu erhalten (vgl. Rauch 2012: 113).
Daran schlieftt sich die Betrachtung der Figur des Vaters an, der als Oberkommandant des Konzentrationslagers arbeitet. Hierbei werden die zwei Seiten des Vaters als Erzie- her und Mensch beleuchtet und anschlieftend verglichen. Aufterdem wird den SuS in einem Unterrichtsgesprach die dritte Dimension dieser Figur verdeutlicht: Er ist nicht nur ein fursorglicher Mensch und ein strenger, autoritarer Vater, sondern auch ein furchteinflbftender Kommandant. Die historische Vorlage zu diesem Charakter wird zu einem spateren Zeitpunkt in einem Exkurs genauer betrachtet. Auf dieser Grundlage wird die Figur der Groftmutter anhand eines Standbildes kontrastierend dargestellt und diese als einzig kritische Person des Romans hervorgehoben. Diese Unterrichtsstunde wird im nachsten Kapitel dieser Arbeit detailliert prasentiert.
Erst im zehnten Kapitel tritt der Junge im gestreiften Pyjama, Schmuel, auf. Im Rahmen der Charakterisierungen wird dieser naher begutachtet und dann mit Bruno verglichen. Spatestens durch den Einblick in Schmuels Perspektive wird den SuS deutlich, dass Bruno die „Herrenmenschenideologie“ (Rauch 2012: 107) seiner Eltern ubernommen hat und sich zwar uber die Geschehnisse in seinem Hause wundert, aber nicht in der Lage ist, sie zu reflektieren, da er in dem Propagandasystem des Nationalsozialismus’ gefangen ist und ihm deshalb niemand seine Fragen beantwortet.
Nachdem die Charakterisierung induktiv erarbeitet worden ist und dafur Adjektive ge- sammelt worden sind, fertigen die SuS eine Charakterisierung zu dem Protagonisten Bruno an. Dabei wird ihnen auch das richtige Anwenden von Zitaten vermittelt, welches sie dann auf ihre eigenen Charakterisierungen transferieren sollen (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 34). Durch Stationenlernen uberarbeiten sie ihre Texte nochmals. Die Klassenarbeit dreht sich urn die Figur der Groftmutter, da sie nur durch das Standbild angesprochen wurde und den SuS dadurch genugend unbearbei- tetes Material zurVerfugung steht.[4]
Nach der Klassenarbeit wird die Anreise der Protagonisten nach Auschwitz betrachtet und verglichen, wodurch Brunos Unaufgeklartheit erneut verdeutlicht wird (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 34). Aufterdem wird der Furor, wie Adolf Hitler in diesem Buch bezeichnet wird, thematisiert (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 34). Anhand ihres neu gewonnen geschichtlichen Wissens kbnnen sie in Bezug auf die Textstelle erklaren, weshalb sich niemand gegen Hitler ge- wehrt hat.
Die Freundschaft zwischen Bruno und Schmuel, die trotz aller Differenzen immer enger wird, soil mit all ihren Charakteristika betrachtet werden (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 34). Die letzten zwei Kapitel des Romans werden gemein- sam in der Schule gelesen, damit die Lehrkraft das emotionale Ende, mit dem die Ver- gasung der beiden Freunde einhergeht, begleiten und ggf. Fragen unverzuglich beant- worten kann.
Da John Boyne seinem Roman den Untertitel Eine Fabel verliehen hat, sollen die Ju- gendlichen ihr Wissen uber diese Textgattung, welche im vergangen Schuljahr intensiv besprochen worden ist, auf das Werk transferieren (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 40). Dabei werden sie auf die Semantik des englischen Wor- tes fable aufmerksam gemacht, da die Ubersetzung in Parabel hier wohl die treffendere ware (vgl. Rauch 2012: 111). Der Jugendroman wird somit in den Bereich der Lehrdich- tung eingeordnet, welche seinem Rezipienten eine Moral vermitteln will. Daher sollen die SuS in einem nachsten Schritt selbst eine Lehre verfassen, welche zunachst in Gruppen und dann im Plenum diskutiert wird. Die Lernenden sollen verstehen, dass in der moralischen Botschaft die Starke des Romans liegt (vgl. Seuss 2007).
Aufterdem wird das Motiv des Zauns untersucht, welches zentral fur dieses literarische Werk ist. Es wird bereits im Klappentext aufgegriffen, in dem es heiftt: „Zaune wie die- ser existieren auf der ganzen Welt". Boynes Aussage wird anhand von Bildern, welche die SuS in Gruppen naher betrachten sollen, visualisiert. Dadurch wird den Lernenden nochmals der Aktualitatswert dieses Romans bewusst, da es der Autor intendiert „die ideologischen Grenzen zwischen Kulturen und Nationen abzubauen" (Rauch 2012: 108), die auch heute noch, wie an den Bildern deutlich wird, existieren. Somit erschlieftt sich auch die von Klafki postulierte Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung des Lernge- genstandes (vgl. Klafki 1985: 215). Durch diese Arbeit werden die Jugendlichen aufter- dem fur die Lesart des Romanendes sensibilisiert: „Dies ist das Ende der Geschichte von Bruno und seiner Familie. Naturlich geschah dies alles vor langer Zeit, und etwas Ahnliches kbnnte nie wieder passieren." (Boyne 201013: 266). Die SuS erkennen den provokanten Ton dieser Textstelle und verstehen, weshalb hier ein Perspektivwechsel von dem personalen Erzahler Bruno zu einem auktorialen Erzahler stattfindet.
Urn die Lernenden auf die historischen Parallelen und Unterschiede zum Roman aufmerksam zu machen, sollen sie sich in den letzten Stunden der Unterrichtsreihe im Rahmen einer Projektarbeit mit diversen Themen des Nationalsozialismus’[5] auseinan- dersetzen. Sie durfen sich dafur selbst in Gruppen einteilen und vorgegebene Exkurse auswahlen bzw. ihre eigenen Themen einbringen.
[...]
[1] Im Folgenden werden Schuler und Schulerinnen im fortlaufenden Text als SuS abgekurzt
[2] Die beste Lesemappe befindet sich als Beispiel im Anhang.
[3] Dadurch wird nicht nur das selektive Lesen gefordert, sondern auch die Arbeitstechniken der SuS (vgl. Ministerium fur Schule und Weiterbildung NRW 2010: 17).
[4] Die beste Klassenarbeit findet sich als ein Beispiel im Anhang. [Fur die Veroffentlichung aus Datenschutzgrunden entfernt]
[5] Der zweite Weltkrieg, die Reichsprogromnacht, die Erziehung im Nationalsozialismus, Rudolf Hoft, Sophie Scholl, Oskar Schindler.