Auditive Wahrnehmungserziehung. Schulung des Gehörs im Musikunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Musikhören als Bestandteil des Kulturerzeugnisses „Musik“

2. Auditive Wahrnehmungserziehung – eine Betrachtung
2.1 Begriffsdefinitionen
2.2 Entstehung des musikpädagogischen Konzepts der Auditiven Wahrnehmungserziehung
2.3 Inhalte und anvisierte Ziele der Auditiven Wahrnehmungserziehung

3. Das Schulbuch Sequenzen
3.1 Das Schulbuch Sequenzen: Folge 1
3.2 Das Schulbuch Sequenzen: Folge 2
3.3 Sequenzen und Auditive Wahrnehmungserziehung – scheiterte das ambitionierte Projekt?

4. Fazit: Auditive Wahrnehmungserziehung – Konzeption oder Konzept?

5. Literaturverzeichnis
5.1 Sekundärliteratur:
5.2 Internetquellen:

6. Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung: Musikhören als Bestandteil des Kulturerzeugnisses „Musik“

Wenn man anthropologisch auf die Entwicklung des Hörsinns des Menschen zurückblickt, so leuchtet ein, dass dieser als überlebenswichtige Fähigkeit zur „Ortung von Schallquellen in der Umwelt“[1] und dem daraus resultierenden Verteidigungsmechanismen entwickelt wurde. Grundsätzlich werden Hörinformation gleichmäßiger Art als beruhigend und gefahrlos eingestuft, währenddessen zu dieser Art konträre Hörinformationen als Gefahr und beängstigend wahrgenommen werden und die Fluchtreflexe eines Menschen aktivieren.[2]

Wie und warum Musik Bestandteil unserer menschlichen Kultur wurde, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abgedeckt werden. Es soll allerdings erwähnt werden, dass die Frage hiernach sehr umstritten und Kernpunkt vieler Forschungen ist. Jedoch wird weithin spekuliert, ob der „Gemeinschaft stiftende Aspekt der Musik als eine wichtige adaptive Funktion“[3] für die Entwicklung einer Sozietät eine überlebenswichtige Rolle zuteil wurde. Jedoch wurde Musik, unabhängig der Klärung ihrer Herkunft, zu einem Hauptbestandteil unserer Kultur, welche als selbstgeschaffener Anteil des Menschen seiner spezifischen und spezifizierten Umwelt gesehen werden kann[4], und will somit auch verstanden werden.

Um Musik zu verstehen, da sie eindeutig kommunikativen Charakter aufweist, bedarf das Gehör einer Schulung sowie Anleitung, um die in Musik enthaltenen Informationen verarbeiten zu können. Beispielsweise fördert das Hörverständnis um Musik nicht nur die Möglichkeit des Erfahrens von „sich selbst verstärkenden Genusserleben[s, d. Verf.][5], sondern erleichtert die Teilhabe an sozial-kulturellen Aspekten von Musik, wie gemeinsames Singen von Liedern in Gottesdienst, oder bei der Arbeit.[6] Ebenfalls bietet es die Grundlage für musikalisches Gespür für Rhythmusempfinden.

An diesem Punkt setzen verschiedene Konzeptionen der Hörerziehung an. Als Grundlage eines erfolgreichen Anleitens sehen sie Musikverständnis, auch wenn diese per se nicht nachweisbar ist.[7] Aus der Sache heraus ergeben sich zwei verschiedene Herangehensweisen an eine Hörerziehung, welche sich in ihrem Ausgangspunkt als Unterrichtsgegenstand unterscheiden. Einerseits kann von der Musik als Objekt ausgegangen werden und die zum Verstehen benötigten Fähigkeit anerzogen werden, oder im Sinne ästhetischer Bildung der Schüler in den Mittelpunkt gestellt werden, welchem Instrumente zur Ausbildung einer kritischen Wahrnehmungsfähigkeit an die Hand gegeben werden sollen.[8] Die Auditive Wahrnehmungserziehung (im Folgenden mit AWE abgekürzt) gesellt sich zu den letztgenannten Ansätzen und soll im Folgenden detaillierter besprochen werden.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

2. Auditive Wahrnehmungserziehung – eine Betrachtung

2.1 Begriffsdefinitionen

Die Bezeichnung AWE ist aus drei Wörtern aufgebaut und umschreibt ein Bildungskonzept, welches mehrere Bereiche vereint.

Zunächst ist es nötig den Begriff auditiv gänzlich von akustisch zu trennen, da es sich bei dem Einen um eine Beschreibung typischer Phänomene und Eigenschaften von Gehörtem handelt. Konträr hierzu beschreibt der Andere – akustisch – lediglich physikalisch hörbare Eigenschaften, welche in ihrer ohne jegliche Wertung beschreibbar sind. Somit stellt sich der akustisch erfahrbare Teil von Musik lediglich in den Dienst ihrer auditiven, so gesehen sinnlichen Erfahrbarkeit.[9]

Mit Wahrnehmungserziehung ist hierbei eine Art der ästhetischen Bildung gemeint, welche sich nicht nur auf das Hören einzelner Musikstücke spezialisiert, sondern den Schüler als Mittelpunkt hat und seine fortwährende Fähigkeitserweiterung mit Instrumenten zur wahrnehmenden Erschließung von Musik zum Ziel hat. Hierbei wird das Wahrnehmen und Hören von Musik nicht von anderen Sinneseindrücken getrennt und somit der Prozess als holistisches Gesamtbild gesehen, dessen Äußerungsmöglichkeiten die Instrumente und Hilfsmittel darstellen. Diese sind u.a. „ Klangexperimente, Improvisation, Komposition und Realisation“[10] durch die Schüler selbst.

In dem Wort Wahrnehmungserziehung steckt hierbei noch das Wort Erziehung. Mangels eines Synonyms, welches den Unterrichtsvorgang zutreffend beschreibt, wird dieser Begriff hier weiterhin verwendet. Jedoch ist eine klare Abgrenzung vom Wortursprung preußischer Militärschulen zu ziehen, da dieser eine Richtung impliziert. Dies ist allerdings im Kontext ästhetischer Bildung, wie der Auditiven Wahrnehmungserziehung nicht präsent, geschweige denn zutreffend.

2.2 Entstehung des musikpädagogischen Konzepts der Auditiven Wahrnehmungserziehung

„Die verschiedenen musikdidaktischen Konzepte dieser Zeit (Alt Antholz, Venus, auch die von Ehrenforth und Richter ab 1970 entwickelte „Didaktische Interpretation“) stimmten darin mit der AWE überein, daß [sic!] sie den Schülern Orientierung anbieten wollten, und die bestand in erster Linie in Hilfen zur Qualifizierung des Musikhörens .“[11]

Dieses Zitat von Thomas Ott umreißt in knappen Worten den Forschungsstand und die Entwicklung musikpädagogischer Konzeptionen nach der Mitte des 20. Jhd. In Deutschland. Die Konzeption der AWE entstand somit inmitten eines musikpädagogischen Diskurses der Achtundsechziger, einer Zeit in der viele Reformbewegungen und sinnliche Erfahrung in den Fokus jeglichen Diskurses an die Oberfläche traten und weithin betrachtet wurden.

Theodor Adorno, ein seit den 1950er Jahren sehr aktiver Philosoph, Musiktheoretiker und Musikpädagoge beschrieb zu jener Zeit einen nötigen Wandel der musikunterrichtlichen Praxis scheuklappenartiger Indoktrination hin zu einer „musikalische[n] Pädagogik [...] [,welche] die Fähigkeiten der Schüler derart [...] [steigert], daß [sic!] sie die Sprache der Musik und bedeutende Werke verstehen lernen; daß [!] sie solche Werke so weit darstellen können, wie es fürs Verständnis notwendig ist; [...] kraft der Genauigkeit der sinnlichen Anschauung, das Geistige wahrzunehmen, das den Gehalt eines jeden Kunstwerks ausmacht.“[12]

Die im Anschluss an die Bildungsreformbewegung der 1960er Jahre angestoßenen Überlegungen mündeten in der Forderung nach Chancengleichheit, Früherziehung, sowie nach innerer und äußerer Reform des Bildungssystems und sind folglich inhaltlich im Konzept der AWE wiederzufinden.[13]

2.3 Inhalte und anvisierte Ziele der Auditiven Wahrnehmungserziehung

AWE hat zum Ziel den einzelnen Schüler oder Lernenden an seinem individuellen Leistungsstand zu begegnen und von dort aus in Richtung eines Musikverstehens holistischen Sinnes zu fördern. So postulierte Hartmut von Hentig einen für die damalige Zeit neuen Kunstbegriff, welcher Kunst nicht der Summe aller Kunstwerke gleichsetzt, sondern diese mit Wahrnehmungsprozessen und ihrer Wirkung in soziale Verhaltensformen hinein beginnen lässt.[14] [15] Dies in Bezug auf AWE bedeutet, dass die Lebensumwelt des Einzelnen durch Musikunterricht erfahrbar und dekodierbar gemacht werden soll.

Im Unterrichtsalltag bedeutet das, den Schüler aus seinem Alltag mit seinen musischen und musikalischen Gebrauchsstrukturen abzuholen und von hier aus einen Weg der Erfahrbarkeit zu beginnen, in dessen Interesse es steht, dem Schüler verschiedene Instrumente zur Bewältigung seiner Aufgaben an die Hand zu geben. Alltagsbezug ist in der Praxis der AWE eine wichtige Säule, welche eine Erschließung von Hören - als begriffsimmanenter Bestandteil von AWE - durch Hörgewohnheiten der Schüler ermöglicht. Musik im Sinne der AWE lässt sich nach Ulrich Günther als "geordneter und immer aufs Neue zu ordnender Ausschnitt aus der hörbaren Wirklichkeit"[16] beschreiben. Nimmt man Musik hier als allgemein akustisch hörbares Phänomen an und bezieht auditive Eigenschaften des sozialen Kontextes um die Entstehung von Musik ein, sowie den Hörer als auf die eine oder andere Weise ausgestatteten Erfahrenden an ,so erhält man einen Lernraum in dem sich AWE vollständig entfalten kann.[17]

[...]


[1] Hellbrück, J. 2008. Das Hören in der Umwelt des Menschen. In: Lehmann (Hrsg.) et al. Musikpsychologie. Das neue Handbuch. Hamburg: Rowohlt Taschen buch Verlag, S. 17

[2] Vgl. ebd. S. 17ff.

[3] Ebd., S. 20

[4] Vgl. Oerter, R. 1998. Kultur, Ökologie und Entwicklung. In Oerter & Montanda (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. (4. Auflage, S. 84 – 127). Weinheim: PVU

[5] Hellbrück, J. 2008.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. Dopheide, B. 1978. Musikhören – Musikerziehung. In Erträge der Forschung, Bd. 91. Darmstadt: WBG. S. 3f., 150f.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Frisius, R. 1973. Musikunterricht als auditive Wahrnehmungserziehung. In: Musik und Bildung 1/ 1973. Bezug über: http://www.schott-musikpaedago gik.de/de_DE/material/sekundarstufe/nsp/reflexion/frisius/show,15628.html (26.4.2016), Abs. 2

[10] Ebd. Abs. 3f.

[11] Ott, T. 2006. Auditive Wahrnehmungserziehung. In: Diskussion Musikpädagogik 30/ 2006. Hamburg: Hildegard-Junker-Verlag. S. 5

[12] Adorno, Th. 1969. Zur Musikpädagogik. In: Dissonanzen (4. Aufl.). Göttingen: Suhrkamp. S. 102

[13] Vgl. Helms, S. et al. 1994. Neues Lexikon der Musikpädagogik. (3. Aufl.). Kassel: Bosse. S. 26f.

[14] Vgl. Ott, T. 2006. S. 5

[15] Vgl. Hentig, H. v. 1967. Ästhetische Erziehung im politischen Zeitalter. Einige Grundbegriffe In dem Wörterbuch der Kunsterziehung. In: Die Deut- sche Schule (Jg. 59) . Darmstadt: Hermann Schroedel Verlag. S. 580 - 600

[16] Günther, U. 1971. Zur Neukonzeption es Musikunterrichts. In: Forschung in der Musikerziehung 5-6 . Mainz: Schott. S. 17

[17] Vgl. Wille, M. 2009. Auditive Wahrnehmungserziehung. Bezug über: http://www.dirk-bechtel.de/wiki/index.php?title=Auditive_Wahrnehmungser ziehung (27.4.2016).

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Details

Titel
Auditive Wahrnehmungserziehung. Schulung des Gehörs im Musikunterricht
Hochschule
Hochschule für Musik Würzburg  (Musikpädagogik, Schulmusik)
Note
1
Autor
Jahr
2016
Seiten
19
Katalognummer
V341585
ISBN (eBook)
9783668313859
ISBN (Buch)
9783668313866
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auditive Wahrnehmungserziehung, Raphael Schollenberger, Musikpädagogik
Arbeit zitieren
Raphael Schollenberger (Autor:in), 2016, Auditive Wahrnehmungserziehung. Schulung des Gehörs im Musikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341585

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