Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagentext - Eignung verschiedener GMGM-Materialien für die einzelnen mathematischen Inhaltsbereiche
2.1. Zur Idee von „Mathematik erfinden mit gleichem Material in großer Menge“
2.2. Analyse und Vergleich von GMGM-Materialien und deren inhaltliche Zuordnung
3. Szenenbeschreibungen mit mathematikdidaktischen Interpretationen
3.1. Turmbau
3.2. Wäscheklammernsonne
3.3. Buntstraße
4. Analyse eines Materials mit der SAMA-Matrix
4.1. Zahlen und Operationen
4.2. Raum und Form
4.3. Muster und Strukturen
4.4. Größen und Messen
4.5. Datenanalyse und Wahrscheinlichkeit
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Zeit im Leben, in der man sich am intensivsten mit Mathematik auseinandersetzt, ist wohl bei den meisten Menschen die Schulzeit. Doch viele von uns haben diesbezüglich negative Erfahrungen gemacht und so eine Abwehrhaltung entwickelt, sobald es darum geht, sich mit Mathematik zu beschäftigen. Wir haben gelernt, dass es zu Aufgabenstellungen in der Mathematik nur eine richtige Lösung gibt - und unzählige falsche. Was hat Mathematik also im Elementarbereich zu suchen, wenn jungen Menschen, salopp gesagt, noch früh genug die Lust daran vergeht? Außerdem wurde in den 60er und 70er-Jahren doch bereits versucht Mathematik in den Elementarbereich zu implementieren und das Vorhaben scheiterte auf ganzer Linie.
Ein Grund, der für die frühkindliche Beschäftigung mit Mathematik spricht ist, dass eine hohe Korrelation zwischen mengen- bzw. zahlenbezogenen Vorkenntnissen und den Mathematikleistungen bis zum Ende der Grundschulzeit besteht: Es lässt sich bereits im letzten Kindergartenjahr vorhersagen, wie ein Großteil der Mathematikleistungen gegen Ende des zweiten Schuljahres ausfallen wird. (Peter-Koop/Grüßing 2007, S. 135) In der Vergangenheit gab es falsche Annahmen über das fachliche Lernen. So war man der Überzeugung, ein Verständnis für Mathematik sei unabdinglich an den begrifflich-formalen Rahmen der Strukturmathematik geknüpft. (vgl. Wittmann, Erich 2004, S. 49) Vorläuferfertigkeiten im Bereich Mathematik sollen nicht über operationale Ansätze erlangt werden, sondern spielerisch und vielfältig, durch freies Tun. Wie dies konkret aussehen kann, damit beschäftigt sich die nachfolgende Hausarbeit.
Schwerpunkte der Ausarbeitung bilden dabei die kindlichen Aktivitäten mit dem sogenannten „gleichen Material in gleicher Menge“ und dessen Eignung für die verschiedenen mathematischen Inhaltsbereiche, sowie mathematikdidaktische Interpretationen zu bestimmten Szenenbeschreibungen. Im Mittelpunkt steht außerdem die Materialanalyse durch die SAMA-Matrix.
2. Grundlagentext - Eignung verschiedener GMGM-Materialien für die einzelnen mathematischen Inhaltsbereiche
Im folgenden Grundlagentext setze ich mich mit der Frage auseinander, welche GMGM-Materialien für welche mathematischen Inhaltsbereiche besonders geeignet sind, wobei ich mich v.a. auf eigene Praxiserfahrungen stützen werde. Zur Eignung verschiedener GMGM-Materialien gibt es bisher kaum Literatur, weswegen das Vergleichen verschiedener Meinungen in Bezug auf die Fragestellung nicht möglich ist. Bevor die einzelnen Materialien analysiert, miteinander verglichen und den Inhaltsbereichen zugeordnet werden, erläutert der Abschnitt 2.1. das Konzept des gleichen Materials in großer Menge.
2.1. Zur Idee von „Mathematik erfinden mit gleichem Material in großer Menge“
Das Konzept des Gleichen Materials in Großer Menge (GMGM) stammt aus der Freinetpädagogik und beinhaltet das gegenständliche (Abb-)bilden eigener Strukturvorstellungen. (vgl. Lee 2012, S. 103) Dabei gibt es keine konkreten Aufgaben oder Themenvorgaben, sondern es geht einzig um das Gestalten an sich und die daraus entstehenden Ideen zur Weiterentwicklung des kreativen Tuns. Benötigt wird dafür eine ausreichend große Menge an Material, bestehend aus hunderten bis tausenden von gleichwertigen Elementen. (vgl. ebd. 2006, S. 104 ff.)
Dies „löst bei Kindern wie Erwachsenen den Reiz aus, diese zu begreifen und in eigenem Sinne neu zu gestalten.“ (ebd., S. 105) Das Material kann beispielsweise aus vielen Ein-Cent-Münzen bestehen, Augenwürfeln, Eisbechern oder Wäscheklammern.
Wichtig ist hierbei, dass das Material geometrisch gleichwertig ist - die Elemente müssen jedoch nicht identisch sein. Verschiedene Strukturmerkmale oder eine begrenzte Anzahl von Farben erweitern die mathematischen Möglichkeiten. (ebd.) Sicherlich gibt es Material, das sich zwar zur Unterstützung frühkindlicher mathematischer Bildungsprozesse eignet, wie z.B. Patternblocks oder Muggelsteine, aber nicht für das freie Gestalten mit GMGM. Hierfür ist Material vorgesehen, dass möglichst vielfältige Erfahrungsmöglichkeiten in den einzelnen Inhaltsbereichen zulässt und keine Vorgaben bezüglich seiner Verwendung impliziert. GMGM muss daher die Eigenschaft besitzen natürliche Zahlen zu repräsentieren. Lego- oder Kapla-Steine sind somit ungeeignet - sie geben ein Konstruieren komplexer Gebilde vor. (vgl. Lee 2012, S. 104)
Das Gestalten mit GMGM sollte in einer impulsarmen Umgebung stattfinden, d. h. der Raum sollte schlicht gehalten sein, damit die Kinder sich ganz auf die Eigenschaften des angebotenen Materials und ihre eigenen Ideen konzentrieren können. (vgl. ebd., S. 111) Durch ihre jeweiligen Eigenschaften sind die verschiedenen Materialien besonders für bestimmte mathematische Inhaltsbereiche geeignet. Dazu mehr im nachfolgenden Punkt:
2.2. Analyse und Vergleich von GMGM-Materialien und deren inhaltliche Zuordnung
Für den Inhaltsbereich Zahlen und Operationen eignet sich grundsätzlich jedes GMGM-Material, da dieser Inhaltsbereich u.a. das „Vergleichen von Mengen“, das „ ufsagen der Zahlwortreihe“, das „ bzählen von Dingen“ und das „Zuordnen der Zahl zu einer Menge“ enthält. (vgl. Rathgeb-Schnierer u.a. 2014, S. 11) Doch Material wie Ein-Cent-Münzen rücken schneller als Repräsentanten von Zahlen in den Vordergrund: Themen wie das Zählen der Münzen, die Alltagsbedeutung von Geld als Wert oder das Bilden von Mengen werden hier oft beobachtet (vgl. Lee 2010, S. 8)
Für Erfahrungen im Bereich Raum und Form ist besonders Material geeignet, welches man verbinden kann oder das stapelbar ist. Mit Wäscheklammern bspw. entstehen mehr Ideen Formen zu legen auf Grund ihrer länglichen Form, als mit Augenwürfeln. Aus Praxiserfahrungen kann ich sagen, dass mit Wäscheklammern eher Formen gelegt werden, z.B. Sterne, ein Weg, ein Dreieck oder Haus. Außerdem lassen sie sich aneinander klammern, was weitere Möglichkeiten bietet. Einfarbige Würfel hingegen eignen sich auch ideal für den Bereich Raum und Form, mit ihnen wird jedoch eher gebaut, also Figuren gebildet. Sie eignen sich durch ihre gleich großen Seitenflächen gut zum Stapeln und so werden mit ihnen vorwiegend Türme, Mauern oder Pyramiden gebaut. Im Rahmen des Forschungsprojekts „M THElino“ wurden freie ktivitäten von Kindern mit verschiedenen Materialien getestet. U.a. bekamen die Kinder 400 Augenwürfel in vier verschiedenen Farben, welche somit die Anforderungen an GMGM erfüllen. Hier wurde ebenfalls beobachtet, dass der Schwerpunkt des freien Tuns das Bauen ist. Muster wurden ebenfalls gelegt, welche vermutlich nach Farbmerkmalen erstellt wurden, was jedoch nicht erläutert wird. (vgl. Royar/Streit 2010, S. 31 ff.) Mit Wäscheklammern kann ebenfalls gebaut werden, auf Grund ihrer Form jedoch nur beschränkt. Doch gerade durch die Auseinandersetzung mit verschieden Materialien machen Kinder auch vielfältige Erfahrungen. So entdecken sie, welche Formen sich gut und welche sich schlecht stapeln lassen, dass Mauern durch Überlappungen stabiler werden oder wie einzelne Elemente positioniert werden müssen, dass es „passt“. (vgl. Kaufmann 2011, S. 93)
Muster und Strukturen ist ein oftmals unterschätzter mathematischer Bereich. Wir setzen Mathematik meist mit Rechnen gleich, dabei sind Mathematiker der Überzeugung, dass Mathematik aus Mustern und der „ ufdeckung von Regelhaftigkeiten“ besteht. (vgl. Lorenz 2012, S. 129) Gefördert werden kann dieser Bereich besonders mit Material, das Unterschiede in Farbe oder Beschaffenheit (z.B. Prägung) aufweist. Dabei sollte es nicht zu viele Unterschiede geben: zehn verschiedene Farben einschließlich Augenzahlen auf Würfeln wäre zu viel und würde die Konzentration auf das freie Gestalten gefährden. Eislöffel in vier oder fünf verschiedenen Farben oder einfarbige Würfel mit Augenzahlen von eins bis sechs regen Kinder dazu an, eine Struktur in der Komplexität der Menge zu erkennen und die Elemente nach einem bestimmten Muster anzuordnen bzw. zu legen.
In GMGM-Experimenten geht es im Bereich Größen und Messen vorwiegend um Höhen und Längen, die jeweils beschrieben, verglichen und arrangiert werden können. Hierfür sind alle Materialien gleichermaßen geeignet - Material, das sich gut stapeln lässt, ist tauglich für Höhenversuche und Material, das eher zum Legen anregt, eignet sich für Längenversuche. Auch Geld ist eine Größe, die Kinder aus ihrem Alltag kennen. Für GMGM-Experimente werden oft viele Ein-Cent-Münzen verwendet, was die Kinder nicht nur als Einladung zum Gestalten wahrnehmen, sondern oft wird auch die Sinnhaftigkeit der Münzen einbezogen. So kann es sein, dass bei den Kindern die Idee des Einkaufen-Spielens entsteht oder Gespräche darüber, was man sich von dem vorliegenden Geld alles kaufen könnte. Praxisbeispiele sind außerdem der Vergleich der eigenen Körpergröße mit der eines Turms aus ineinander gestapelten Eisbechern oder das Messen einer gelegten Straße mit Schritten als Maßeinheit.
Um den Zugang zum Bereich Datenanalyse und Wahrscheinlichkeit zu ermöglichen, eignet sich grundsätzlich jedes GMGM-Material, da es hier um die „ uftretenswahrscheinlichkeit von Ereignissen“ geht und somit um das Verständnis der Begriffe „möglich“, „sicher“, „unmöglich“. (vgl. Lorenz 2012, S. 147) Besonders eignet sich Material, welches Unterschiede aufweist, da diese in Strichlisten oder Tabellen festgehalten werden können und so das Auftreten der unterschiedlichen Farben, Formen oder andere Materialeigenschaften festgestellt werden kann. Doch auch ohne die eben genannten Materialunterschiede kann dieser Bereich in GMGM-Experimenten vorkommen: Kinder mutmaßen, wie Verläufe sich entwickeln oder wie ein Versuch ausgehen wird. Konkrete Beispiele, die ich diesbezüglich in der Praxis gemacht habe, war z.B. die Aussage eines Kindes: „Mein Turm wächst schneller“ oder die eines anderen: „Mal sehen, ob mein Löffel weiter weg landet als deiner“ beim Schnipsen von Eislöffelchen. Würfel mit ugenzahlen oder sonstigen Symbolen laden besonders zur Überprüfung von Wahrscheinlichkeiten ein, da dies der ursprüngliche Zweck des Materials ist und Kinder die Verwendung des Würfels meist von Brettspielen kennen.
In der Literatur zu mathematikdidaktischen Impulsen werden oft verschiedenförmige Perlen als geeignetes Material für alle Inhaltsbereiche aufgeführt (so z.B. von Prof. Dr. Rathgeb-Schnierer).
Diese erfüllen jedoch nicht die Voraussetzungen für GMGM. Außerdem lässt sich sagen, dass es keiner speziellen Fördermaterialien zur Bildung mathematischer Kompetenzen bedarf, sondern, dass Material, welches in der Kita vorhanden ist, bestens dafür geeignet ist. (vgl. Kaufmann 2011, S. 51)
3. Szenenbeschreibungen mit mathematikdidaktischen Interpretationen
Dieses Kapitel beinhaltet drei praktische Szenenbeschreibungen von GMGM-Experimenten, die jeweilige Einordnung der Aktivitäten in die vorkommenden mathematischen Inhaltsbereiche sowie Unterstützungsimpulse für die Fachkraft. An dieser Stelle muss betont werden, dass mathematische Erfahrungen im Rahmen von GMGM keine konkreten Unterstützungsimpulse vorsehen, da das freie Gestalten und die eigene Ideenentwicklung im Mittelpunkt stehen (s. Kap. 2.1.). Wenn die Kinder nicht mehr weiterkommen oder nachdem sie ihre gestalterische Tätigkeit beendet haben, sollten Impulse und eine gemeinsame Reflexion durchaus praktiziert werden. Die Inhaltsbereiche wiederholen sich in den verschiedenen Szenenbeschreibungen und so habe ich für jeden Inhaltsbereich verschiedene situationsbezogene Unterstützungsimpulse dargestellt.
Ich habe mich bewusst für die drei nachfolgend beschriebenen Szenen entschieden, da jede ein gelungenes GMGM-Experiment beinhaltet, das sich von den jeweils anderen zwei Experimenten durch die Ideen der Kinder als auch durch das Material unterscheidet. Die Kinder verwirklichen vielfältige Gestaltungsideen, welche durch Fotos unterstützend dargestellt werden. Die ausgewählten Szenen geben außerdem eine praktische Perspektive zu der im Grundlagentext erarbeiteten Frage: Sie zeigen auf, welche GMGM-Materialien besonders für welche mathematischen Inhaltsbereiche geeignet sind. Die Fotos zu den einzelnen Situationen fungieren als Veranschaulichung der Szenen und ergänzen dort, wo eine Beschreibung sprachlich nur umständlich zu formulieren gewesen wäre. Die Fotos der zweiten und dritten Szenenbeschreibung stammen aus eigener Quelle, die der ersten aus Unterlagen des Seminars M3/B2. Die Überschriften dienen lediglich der Szenenzuordnung und bilden keine inhaltlichen Schwerpunkte.
3.1. Turmbau
Szenenbeschreibung:
Simon (5;7) und Lars (5;10) sitzen auf dem Boden im Gruppenraum ihrer Kita. Neben ihnen befindet sich ein Haufen, der aus vielen kleinen Holzscheiben in den Farben schwarz, blau, rot und grün besteht.
Simon schlägt Lars vor, eine Ritterburg aus bunten Holzscheiben zu bauen. Lars fängt daraufhin an, eine Holzscheibe in Simons Richtung zu rollen und sagt: „Rad rollen.“ Simon rollt die Scheibe zu Lars zurück. Nun fängt Simon an, die Scheiben in scheinbar zufälliger Abfolge aufeinander zu stapeln und fragt Lars erneut: „Wie wär’s, wenn wir ne Ritterburg mit nem Turm bauen?“ Lars erwidert, dass die Farben beim Stapeln „nicht gemischt“ werden dürfen. Darauf antwortet Simon: „Ich mach nen schwarzen Turm, du nen blauen.“
Sie fangen an, die Scheiben Simons Vorschlag entsprechend farbig sortiert zu stapeln. Lars sagt, dass sein Turm schneller wachse als der von Simon. Simon fängt an, einen zweiten schwarzen Turm zu bauen und sagt: „Siehst du, wie ich’s mach?“ Lars erwidert darauf, dass Simon ihn immer nachmache und Simon antwortet: „ ber nicht arg.“
[...]