Die Lebenswelt von Kindern bipolar erkrankter Eltern


Bachelorarbeit, 2016

35 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Krankheitsbild der Bipolaren Störung
2.1 Symptomatik depressiver Episoden
2.2 Symptomatik manischer Episoden

3. Auswirkungen bipolarer Erkrankungen auf Kinder
3.1 Faktoren, die die Entwicklung beeinflussen
3.1.1 Genetische Belastungsfaktoren
3.1.2 Psychosoziale Belastungsfaktoren in deren Auswirkung auf die Lebenswelt der Kinder
3.1.2.1 Finanzielle Probleme
3.1.2.2 Stigmatisierung und Isolation
3.1.2.3 Partnerbeziehung
3.1.2.4 Erziehung, elterliche Zuwendung und Bindung
3.1.3 Schutzfaktoren
3.2 Reaktionen und Verhalten der Kinder bipolar erkrankter Eltern
3.2.1 Desorientierung, Angst und Ohnmacht
3.2.2 Schuldgefühle und Selbstwertverlust
3.2.3 Verantwortung und Parentifizierung
3.2.4 Verlust eigener Bedürfnisse
3.2.5 Rückzug und Isolation
3.2.6 Vertrauen und Beziehung
3.2.7 Andere Verhaltensauffälligkeiten

4. Fazit

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Seit es Psychiatrie gibt, fügen wir psychiatrisch Tätigen den Familien und Angehörigen psychiatrischer Patienten täglich Unrecht zu. (…) Denn solange wir Psychiatrie nur am Krankenbett und nur vom Schreibtisch (…) machen, sind wir zwar Täter des Unrechts, jedoch im Zustand der Unschuld, da wir nicht wissen, was wir tun, weil wir die Angehörigen psychiatrischer Patienten nur beiläufig und nicht so intensiv wie die Patienten wahrnehmen.“ (Dörner et al. 2001, S. 8)

In Deutschland begeben sich jährlich etwa 1,6 Millionen Menschen in Behandlung, da sie an einer psychischen Störung leiden. (vgl. Müller 2008., S. 7) Doch nicht nur sie leiden unter der Erkrankung, auch ihre Angehörigen werden durch die Umstände sehr belastet. Besonders den Kindern psychisch Erkrankter wurde bis vor einigen Jahren kaum Beachtung geschenkt, doch zunehmend geraten sie in den Fokus der Fachöffentlichkeit und Jugendhilfe.

Von einer flächendeckenden Versorgung dieser Heranwachsenden sind wir jedoch noch weit entfernt. (vgl. Lenz 2012, S. 7f.)

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Situation der Kinder psychisch Erkrankter am Beispiel der bipolaren Störung. Sie ist eine „affektive“ Erkrankung, charakterisiert durch eine krankhafte Veränderung des Gefühlslebens und der Stimmung mit Auswirkungen auf Verhalten und Denken. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 14)

An einer bipolaren Störung leiden in Deutschland mindestens zwei Millionen Menschen. Diese schwer verstehbare Erkrankung gehört zu den häufigsten psychischen Krankheiten. Die genaue Anzahl Kinder bipolar erkrankter Eltern ist nicht bekannt, die Dunkelziffer ist groß, weil beispielsweise in der Erwachsenenpsychiatrie die Kinderanzahl nicht abgefragt wird. Bekannt ist jedoch, dass Betroffene keinesfalls kinderlos sind. (vgl. ebd., S. 11)

Nicht nur die sich daraus ergebende Omnipräsenz der Thematik, auch die Besonderheit der phasenhaften Stimmungsschwankungen dieses Krankheitsbildes veranlassten mich zur Beschäftigung mit dem spezifischen Thema.

Dabei ist das Ziel der Arbeit ein genaueres Verständnis für die Situation der Kinder bipolar erkrankter Eltern zu schaffen. Schließlich kann ohne dieses Verständnis der Lebenswelt dieser Heranwachsenden keine Fachdiskussion darüber geführt werden, wie Unterstützungsangebote für diese Kinder aussehen sollen. Geeignete Hilfen werden in diesem Zusammenhang jedoch dringend gebraucht, denn Kinder sind durch die Erkrankung der Eltern unmittelbar mitbetroffen.

Um zu diesem Verständnis zu gelangen, folgt vorerst eine Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild der bipolaren Störung, welche das Verhalten der Eltern und die damit einhergehenden Veränderungen verdeutlichen soll.

Die sich aus der Symptomatik ergebenden Problemfelder in betroffenen Familien sollen den zweiten Kern der Arbeit bilden. Hierbei soll näher erörtert werden, welche Belastungen somit für Kinder bipolar erkrankter Eltern entstehen und mit welchen Schwierigkeiten sie daher tagtäglich konfrontiert sind.

Die Betrachtung dieser Belastungsfaktoren in ihrer Auswirkung auf die Lebenswelt der Kinder ermöglicht das Verständnis dieser Kinder und deren Reaktionen. Daher wird im dritten Schwerpunkt beschrieben, wie sie reagieren und welche Intentionen und Bewältigungsleistungen hinter diesem Verhalten stecken.

Um die Situation der Kinder erfahrbarer zu machen, wird an vielen Stellen zusätzlich von der illustrierenden Wirkung einiger Erfahrungsberichte Betroffener Gebrauch gemacht.

Natürlich lassen sich wie bei vielen psychischen Störungen viele Punkte weder verallgemeinern noch auf eine einzige psychische Diagnose spezifizieren, weshalb in dieser Arbeit herausgearbeitete Wirkmechanismen in vielen Aspekten ebenfalls für Kinder gelten, deren Elternteil eine andere psychische Störung hat.

Ich hoffe mit dieser Arbeit das Problembewusstsein bei Eltern, Angehörigen, Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und anderen professionellen Helfern zu schärfen und dadurch dazu beizutragen, dass Unterstützungsangebote besser auf die Bedürfnisse der betroffenen Kinder abgestimmt werden.

Denn, um an Hermann Nohls Kultformel zu erinnern, sollten auch Pädagogen sich immer erneut die Wichtigkeit des Verstehens der Alltagswelt der Klienten vor Augen führen:

Nicht die Schwierigkeiten, die ein Kind macht sind handlungsleitend für Interventionen, sondern die Schwierigkeiten, die es hat. (vgl. Nohl 1949, S. 157)

2. Krankheitsbild der Bipolaren Störung

Bipolare Störungen sind gekennzeichnet durch krankhafte Veränderungen von Gefühlsleben und Stimmung mit Einfluss auf Verhalten und Denken. (vgl. Bräuning et al. 2005, S. 14)

Die „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ beschreibt diese Erkrankung als

„Störung, die durch wiederholte (…) Episoden charakterisiert ist, in denen Stimmungen und Aktivitätsniveau des Betreffenden deutlich gestört sind. Bei dieser Störung treten einmal eine gehobene Stimmung, vermehrter Antrieb und Aktivität (…) auf, dann wieder Stimmungsschwankungen, verminderter Antrieb und Aktivität.“ (Dilling et al. 1999, S. 135).

Im Folgenden sollen übersichtshalber beide Phasen einzeln näher beschrieben werden. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass manche Krankheitsmerkmale nicht klar zu Manie oder Depression zuzuordnen sind, zumal auch depressive und manische Symptome in rascher Abfolge oder gar gleichzeitig auftreten können, man spricht hierbei von einer „gemischten Krankheitsepisode“. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 17)

Dabei sollen weder klare Diagnosekriterien, noch Typisierungen im Fokus stehen. Vielmehr geht es darum, ein Bild von Verhalten und Außenwirkung bipolar erkrankter Menschen zu erhalten.

2.1 Symptomatik depressiver Episoden

Die Depression ist eine schwer definierbare und sogleich schwer verstehbare psychische Erkrankung, die sowohl Patienten, als auch Angehörige und Behandler verwirren kann. Oft wird sie beschrieben als eine der „leidvollsten Erkrankungen“. (Müller-Rörich et al. 2007, S. 2)

Dabei schildern Betroffene eine plötzlich merklich verdüsterte Stimmung, andere hingegen bemerken die Erkrankung vorerst nicht. Über Monate hinweg entwickeln sich Beschwerden an Leib und Seele. (vgl. ebd., S. 2)

Allgemein gesagt bedeutet Depression sich niedergeschlagen, lustlos, bedrückt und in tieftrauriger Stimmung zu fühlen. (vgl. Faust 1996, S. 111)

„Im äußeren Eindruck der Depressiven imponiert ihr bedrückter, niedergeschlagener, trauriger, resignierter Gestus, sie sprechen, wenn überhaupt, mit leiser monotoner Stimme; das oftmals verhärmte Gesicht, die niedergezogenen Mundwinkel und die reduzierte Mimik und Gestik bezeugen den Verlust an Vitalität und Lebensfreude.“ (Mertens 2008, S. 55)

Depressive Menschen benehmen sich ihrer Umgebung gegenüber oft gleichgültig, teilnahmslos und gereizt. (vgl. ebd., S. 55)

Obwohl das Krankheitsbild von der Fachliteratur unterschiedlich beschrieben wird, lassen sich bei den meisten depressiven Patienten bestimmte Kernsymptome finden, die im Folgenden erläutert werden sollen. Dabei muss beachtet werden, dass bei gleichzeitigem Vorliegen mehrerer dieser Symptome die Diagnose Depression gestellt werden kann, doch nicht alle der Symptome bei jedem Betroffenen gleichermaßen auftreten. (vgl. Müller-Rörich et al. 2007, S. 7)

Deprimierte Stimmung

Die traurige Verstimmung ist das Leitsymptom der Depression. Mit ihr verbunden sind die Niedergeschlagenheit, das Weinen, tiefe Traurigkeit und Verzweiflung. (vgl. Mertens 2008, S. 55)

Betroffene fühlen sich schlecht trotz guter Lebensumstände, was zeigt, dass die Symptome keine vorübergehenden Reaktionen auf Ereignisse sind, wie es beispielsweise bei Wut oder Trauer der Fall ist. Sie halten also mindestens über zwei Wochen an ohne äußeren Anlass, was als sehr bedrückend erlebt wird. (vgl. Müller-Rörich et al. 2007, S. 7)

So schildert eine Betroffene: „Seit gestern sitze ich nur noch heulend rum. Ich weiß nicht einmal so recht, warum. Die Tränen laufen und laufen und eigentlich dürften schon gar keine mehr da sein.“ (ebd., S. 4)

Auch die sinnliche Wahrnehmung ist bei depressiven Patienten verändert. Das Leben verdüstert sich, Farben verlieren ihre Strahlkraft und die Welt ergraut. Alle Lebensbereiche verlieren an Attraktivität und Gefühle werden verflacht und diffus. (vgl. ebd., S. 7-8)

Freud-, Interessen- und Gefühlslosigkeit

In der Depression kommt es zum Verlust der Fähigkeit Freude empfinden zu können und eine positive Verbindung zur Welt und zu Mitmenschen zu haben. „Es ist, als würde die ganze Welt ihre Attraktivität verlieren, als würde sie sich dem Kranken ganz verschließen.“ (Müller-Rörich et al. 2007, S. 9)

Viele Betroffene berichten davon, nichts mehr empfinden zu können und emotional zu versteinern. (vgl. Mertens 2008, S. 55)

So können Beziehungen zur Belastung werden, was auch enge Bindungen wie Mutter-Kind-Beziehungen betrifft, welche dann Stück für Stück verloren gehen. Interessen und Hobbies verlieren ihre Bedeutung, nichts begeistert den depressiven Menschen. (vgl. Müller-Rörich et al. 2007, S. 9)

Besonders gravierend ist jedoch der Bedeutungsverlust der Mitmenschen, welche als Folge der erlebten Gefühlslosigkeit gesehen werden kann. So verlieren jegliche Beziehungen in der Familie an Bedeutung, besonders Partnerschaften werden durch die Gefühlskälte sehr gestört.

Zusätzlich führt der Libidoverlust zu Enttäuschungen im Sexualleben. Viele Partnerschaften können der Depression nicht standhalten und zerbrechen. (vgl. ebd., S. 10)

Kraft- und Antriebslosigkeit

Jeder Anstrengung und Bewegung des Betroffenen tritt ein starker innerer Widerstand entgegen. Sehr oft fällt es ihnen schwer früh aufzustehen, weshalb sie stundenlang liegen bleiben. Diese Antriebshemmung weitet sich auf alle Lebensbereiche aus. Viele Menschen in einer depressiven Episode sprechen verlangsamt und angestrengt, sie sind ständig müde und matt, obwohl sie extrem viel schlafen. Für Außenstehende wirken sie eher gereizt, schlecht gelaunt und nicht selten auch faul, da für Mitmenschen der erlebte Zustand nur schwer nachvollziehbar ist. (vgl. ebd., S. 13-14)

Aufgaben können nicht erledigt werden, die Betroffenen fühlen sich bereits durch alltägliche, einfache Herausforderungen überfordert. Eine betroffene berichtet:

„Mir ist es schon zu anstrengend, eine Flasche Wasser aus der Küche zu holen, wenn ich Durst habe. Da sitze ich dann eine halbe Stunde lang, bin furchtbar durstig und kann einfach nicht aufstehen.“ (ebd., S. 13)

Wenn täglich erlebt wird, dass Aufgaben nicht bewältigt werden können, verstärkt das die Entwicklung von Minderwertigkeitsgefühlen. (vgl. ebd., S. 14) Diese können sich von leichten Selbstunsicherheiten bis hin zu wahnhaften Kleinheitsgefühlen steigern. (vgl. Mertens 2008, S. 55)

Doch nicht immer sind Betroffene einer depressiven Episode nur antriebslos. Kommt es im Rahmen der Erkrankung zu innerer Unruhe und Getriebenheit, spricht man vom agitiert-depressiven Syndrom. In diesem Fall sind die Erkrankten aufgeregt, rastlos und schreckhaft, sowie übersensibel.

Laute Geräusche und andere Reize sind für sie unerträglich.

Beide Ausprägungen, gehemmt und agitiert, können ebenfalls gleichzeitig auftreten, was für Betroffene als besonders quälend empfunden wird: „innerlich angespannt bis zum Zerreißen, aber trotzdem müde und unfähig etwas sinnvolles zu tun.“ (Müller-Rörich et al. 2007, S. 15-16)

Angst und Panik

Depressive Patienten leiden oft auch an Angstzuständen und Panikattacken, welche in verschiedenen Situationen unerklärlich und unvorhersehbar entstehen und nicht begründbar sind. Andere wiederum berichten von begründbaren Ängsten, wie Angst verlassen zu werden oder körperlich zu erkranken, welche jedoch keinen realistischen Anlass haben. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 16f.)

Viele verspüren somit Angst vor Neuem, vor Anforderungen, Krankheiten und anderen alltäglichen Dingen. Sogar die Angst bezüglich dem Auftreten neuer Angst- und Panikattacken beherrscht viele Lebensbereiche Betroffener:

„Ich denke, in mir steckt die Angst vor der Angst, sodass ich nur noch einen wallnussgroßen Lebensraum habe, in dem ich mich frei bewegen kann.“ (Müller-Rörich et al. 2007, S. 19)

Um trotz Angst und Minderwertigkeitsgefühlen im Alltag zu funktionieren bauen sich manche Erkrankte eine Schutzmauer, sie tragen eine Art Maske, womit sie versuchen, ihre vermeintliche Schwäche zu kaschieren. (vgl. ebd., S. 17-19)

Suizid

Das bedrohlichste Symptom der Depression ist die Suizidalität. Wenn Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit und Verzweiflung zu stark werden, erscheint meist kein anderer Ausweg möglich, als der Tod. Bei bipolar erkrankten Menschen liegt das Suizidrisiko bei 15-30 Prozent. (vgl. Mahnkopf 2009, S. 24)

Auch wenn kein Suizid erfolgt, so hat doch ein Großteil der Betroffenen Suizidgedanken oder unternimmt Suizidversuche.

Weitere Symptome einer depressiven Episode können Schuldgefühle, körperliche Beschwerden und Schmerzen, Appetitlosigkeit oder Wahngedanken sein. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 16.)

Doch welche Symptome auch immer auftreten, das Leben Betroffener ändert sich mit Eintritt der Depression. Und nicht nur die hohe Sterblichkeitsrate depressiv Erkrankter, auch die zusätzlich beschriebenen Merkmale des Krankheitsbildes sprechen eine deutliche Sprache: Bei depressiven Phasen handelt es sich nicht um harmlose Launenhaftigkeiten, sondern um sehr ernst zu nehmende Störungen der Gefühlswelt.

Die Manie ist bei bipolar Erkrankten jedoch selten die positive Kehrseite der Depression, wie im nächsten Kapitel geschildert werden soll.

2.2 Symptomatik manischer Episoden

In manischen Episoden erleben die Patienten einen gesteigerten Antrieb, beschleunigtes Denken, sowie Enthemmung, Gereiztheit und innere Getriebenheit. „Menschen mit einer Manie haben den Boden des Möglichen verlassen, sie entwickeln immer wieder neue Ideen und Ziele, bei welchen der Umwelt ganz schwindelig wird.“ (Bräunig et al. 2005, S. 14)

Sie geben übermäßig viel Geld aus, sind leichtsinnig und nehmen keine Kritik an. Oft fehlt ihnen jegliche Krankheitseinsicht. Sie sind anderen gegenüber schnell gereizt, vor allem, wenn sie auf ihr verändertes Verhalten angesprochen werden. (vgl. Mahnkopf 2009, S. 20)

In diverser anderer Literatur wird die Gereiztheit nicht als Krankheitszeichen verstanden, sie sei lediglich eine „Reaktion auf die verständnislose Umwelt, auf eventuelle Zwangsmaßnahmen bei der Hospitalisierung oder auf mißglückte zwischenmenschliche Beziehungen.“ (Kipp et al. 2006, S. 148)

Des Weiteren besitzen sie übersteigerte Energie, brauchen wenig oder fast keinen Schlaf, reden ununterbrochen und haben immer erneute Einfälle, Ideen und Ziele. Sie sind distanzlos und haben ein übersteigertes Selbstbewusstsein, bis hin zur Selbstüberschätzung. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 14-15)

Ihre ungezügelten Verhaltensweisen reichen vom Einkaufen bis zur Verschuldung, sehr riskanten beruflichen Entscheidungen, wie spontanen Kündigungen, bis hin zu vermehrten sexuellen Kontakten, auch mit verschiedenen Partnern.

Die Folgen dieses grenzüberschreitenden Verhaltens werden ignoriert und nicht wahrgenommen, was sie zu einer Hochrisikogruppe für Verkehrsdelikte, Drogenabhängigkeiten und anderen Problembereichen macht. (vgl. Hautzinger & Meyer 2011, S. 3)

Ihre exzessiven Handlungen werden dadurch erleichtert, dass in manischen Episoden weniger oder keinerlei Skrupel oder Schuldgefühle erlebt werden, Betroffene zerbrechen sich nicht, wie sonst, den Kopf über mögliche Folgen, sondern realisieren ihre Phantasien ungehemmt. (vgl. ebd., S. 148)

Kommt es zu einer „Manie mit psychotischen Merkmalen“, so können ebenfalls bizarre Wahninhalte auftreten. Dazu gehören beispielsweise Größenwahn oder Halluzinationen, welche oft eine Kommunikation mit dem Betroffenen unmöglich machen. (vgl. Müller-Rörich et al. 2007, S. 57)

Eine Mutter berichtet über ihre manischen Episoden:

„Ich werde zur Mutter Gottes oder zu Harry Potter und muss meine Kinder vor dem Teufel oder Voldemort schützen. Das letzte Mal wollte ich mit meinen Kindern zum Bahnhof und nach dem Bahnsteig suchen, der uns – wie in den Büchern von Rowling – ins sichere Hogwarth bringen sollte. Das war mitten in der Nacht und meine Kinder bekamen Angst vor mir, sie verstanden mich nicht.“ (Hautzinger, Meyer 2011, S. 3)

Sowohl in manischen, als auch in depressiven Episoden, können die beschriebenen Symptome unterschiedlich starker Ausprägung sein und nicht alle müssen vorhanden sein, um eine Diagnose stellen zu können.

Die Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild hat jedoch gezeigt, dass sich die bipolare Störung, in Manie sowie auch Depression, stark auf das Interaktionsverhalten eines Menschen auswirkt, seine Persönlichkeit verändert und somit auch Einfluss auf andere Familienmitglieder hat.

Welchen Belastungen dabei Kinder bipolar erkrankter Eltern durch deren Krankheitsbild und die veränderten Familienstrukturen ausgesetzt sind, soll im Folgenden näher erörtert werden.

3. Auswirkungen bipolarer Erkrankungen auf Kinder

Zwar gibt es keine genauen Zahlen über die Anzahl bipolar erkrankter Eltern und betroffener Kinder, da die Datenlage je nach Studiendesign differiert.

Jedoch zeigen Hochrechnungen für die Bundesrepublik Deutschland, dass zwischen 200.000 und 500.000 minderjährige Kinder einen psychisch kranken Elternteil haben. (vgl. Schone, Wagenblass 2002, S. 12)

Nicht wenige dieser Kinder haben einen bipolar erkrankten Elternteil, denn die bipolare Störung gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und viele der Betroffenen sind Eltern. Dabei steht beispielsweise fest, dass Eltern mit einer bipolaren Störung mehr Kinder haben, als Eltern, die an einer Schizophrenie leiden. (vgl. Bräunig et al. 2005, S. 32)

Ein möglicher Grund für die vergleichsweise hohe Kinderanzahl bipolarer Eltern könnte die gesteigerte sexuelle Aktivität dieser in der Manie sein, diese Theorie wurde jedoch nie bestätigt. (vgl. ebd., S. 32 f.)

Klar ist jedoch, dass es zahlreiche Kinder in Deutschland gibt, welche mit einem bipolar erkrankten Elternteil aufwachsen und von den Auswirkungen dieser Krankheit ebenfalls direkt betroffen sind.

So ergab eine Schätzung von Klaus Ernst, dass ein Drittel der Kinder hospitalisierungsbedürftiger psychisch Kranker durch die Erkrankung der Eltern aufs Schwerste belastet sind, die Hälfte mittelgradig und lediglich ein Fünftel „unerheblich“. (Ernst 1978, S. 427-431)

[...]

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Lebenswelt von Kindern bipolar erkrankter Eltern
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
35
Katalognummer
V346691
ISBN (eBook)
9783668361379
ISBN (Buch)
9783668361386
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder psychisch kranker Eltern, Kinder bipolar erkrankter Eltern, Angehörige psychische Störungen, Angehörige bipolare Depression, Bipolare Depression, Kinder depressiver Eltern, Kind Depression Elternteil, Depression, Wenn Kinder psychisch kranke Eltern haben, Manie
Arbeit zitieren
Anne-Marie Trenschel (Autor:in), 2016, Die Lebenswelt von Kindern bipolar erkrankter Eltern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346691

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