'Not kennt kein Gebot' - Frauenalltag und Frauenkriminalität zwischen 1914 und 1924


Magisterarbeit, 1998

232 Seiten, Note: sehr gut (1,0)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Strukturfaktoren der Frauenexistenz 1914-1924
1.1. Vom Ausbruch des 1. Weltkrieges bis zur Stabilisierung
1.2. „Wann mag dieses Elend enden?“: Hunger, Teuerung und Not
1.2.1. Materielle Grundlagen: Kriegsunterstützung und Löhne
1.2.2. Rationierung und Teuerung der Nahrungsmittel
1.2.3. Wohnungsverhältnisse und Wohnungsnot
1.2.4. Gesundheitszustand und seelische Befindlichkeit
1.3. Frauenerwerbsarbeit
1.3.1. Die Entwicklung der Frauenerwerbsarbeit bis 1918
1.3.2. Die Rückkehr der Männer und die Demobilmachung der Frauen

2. Frauenkriminalität 1914-1924
2.1. Allgemeine Entwicklung der Kriminalität
2.2. Die Kriminalität nach Hauptdeliktgruppen
2.2.1. Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen
2.2.2. Diebstahl
2.2.3. Außerhalb der Reichskriminalstatistik: Die Übertretungen
2.3. Zeitgenössische Erklärungen für die Frauenkriminalität
2.3.1. ‘Die Eigenart der Weibesnatur’. Biologistische Erklärungen
2.3.2. ‘Vermännlichung’ oder vermehrte Gelegenheit: Das Vordringen der Frauen in die Öffentlichkeit
2.4. Reaktionen auf die veränderte (Frauen-) Kriminalität
2.4.1. Rechtsprechung: Zwischen Sanktionierung und Bagatellisierung
2.4.2. Anzeigeverhalten der Bevölkerung

3. Alltag, Not und Kriminalität
3.1. Frauen und Recht: Zur Analyse der weiblichen Kriminalität
3.2. Zur ökonomischen Bedingtheit von Kriminalität
3.3. Kriminalität und Sozialer Protest
3.3.1. Zur spezifischen Ausprägung der weiblichen Protest- und illegalen Selbsthilfeaktionen 1914-1924
3.3.2. Kriminalisierung von Selbsthilfe und Protest
3.4. ‘Not kennt kein Gebot’ - Rechtsbewusstsein und Existenzlogik

4. Schlußbetrachtung

Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Memoiren und zeitgenössische Darstellungen bis 1945
2. Literatur nach 1945

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Durchschnittliche Arbeiter-Jahresverdienste in 370 Unternehmen 1914-1918

Tabelle 2: Indizes der durchschnittlichen Realwochenlöhne (Tarif-löhne) 1920 bis 1923 für den Jahresdurchschnitt sowie den höchsten und niedrigsten Stand innerhalb des Jahres

Tabelle 3: Das Gewicht der offiziellen Lebensmittelrationen in Prozent des Friedensverbrauchs

Tabelle 4: Der durchschnittliche Nährwert der Rationen im Verhältnis zum Kalorienbedarf eines Erwachsenen

Tabelle 5: Die Entwicklung der weiblichen Kriminalität im deutschen Reich 1913 bis 1925

Tabelle 6: Die weiblichen Verurteilten wegen Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen

Tabelle 7: Weibliche Verurteilte wegen Diebstahl nach einzelnen Schweregraden

Tabelle 8: Urteile auf Grund der Zuwiderhandlungen gegen die aus Anlass des Krieges und/oder der Übergangszeit erlassenen Strafvorschriften

Tabelle 9: Der Anteil von Verurteilungen, Freisprüchen und Einstellungen an allen zur Anklage gekommenen Verfahren

Tabelle 10: Die wegen Verbrechen und Vergehen am häufigsten erkannten Strafen: Gefängnis und Geldstrafe

Tabelle 11: Kriminalisierung von Protest: a) Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung, b) Verurteilte wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt

Verzeichnis der Graphiken

Grafik 1: Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich 1913-1925: Verurteilte wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze

Grafik 2: Gesamtverurteilte nach den Hauptdeliktgruppen

Grafik 3: Parallelismus zwischen Diebstahl und Reallöhnen

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Deshalb bekommt das Verhalten der Frau in unseren Augen leicht etwas Unklares und Unlogisches, das sie zu entschlossener Tat zumeist nur in den Ausnahmefällen, wo ein ganz starkes persönliches Interesse auf dem Spiele steht, fähig macht.“[1]

Zu Recht werden die Jahre 1914-1924 als „unruhiges Jahrzehnt“[2] bezeichnet. Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ereignisse wurden von anfänglicher Euphorie begleitet, welche durch Hunger, Not, Teuerung und Mangel bald in Verzweiflung, Friedenssehnsucht und Radikalität umschlug. In der Folge kam es immer öfter zu Protesten, Unruhen, Streiks und Krawallen. Die Revolution beendete zwar das deutsche Kaiserreich und den Krieg, doch das Elend der Bevölkerung wurde durch die Jahre der nun folgenden Inflation eher noch verschärft, und erst Ende 1923, mit der Einführung der Rentenmark und dem Übergang in die Stabilisierungsphase, trat eine Besserung ein. Einen Aspekt dieser Unruhen stellte die Frauenkriminalität dar. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde eine ungewöhnliche Zunahme der Frauenkriminalität, insbesondere der Eigentumsdelikte, konstatiert. Diese Zunahme verlief bis zum Ende der Hyperinflation 1923 zwar ungleichmäßig, aber doch auf einem deutlich höheren Niveau als vor dem Krieg. Die zeitgenössischen Erklärungen und Reaktionen waren sehr unterschiedlich und auch widersprüchlich - aber einig war man sich darin, dass dieser Zustand eine moralische Gefahr für das deutsche Volk sei. Schließlich sei die Frau „als Hausfrau und Mutter“ in ihrer „Stellung innerhalb der sozialen Ordnung so wichtig, dass sie als asozial handelndes Subjekt höchste Beachtung verdient“.[3]

Das Interesse der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft an „den Randgängern der Geschichte“[4] hat in den letzten beiden Jahrzehnten zwar zugenommen, doch hat das Phänomen der erhöhten Frauenkriminalität zwischen 1914 und 1924 nur am Rande Aufmerksamkeit erlangt. In der bisherigen diesbezüglichen Literatur wurde und wird die mangelnde Berücksichtigung der Frauenkriminalität häufig mit der geringen Beteiligung der Frauen an der Gesamtkriminalität - durchschnittlich lag und liegt sie zwischen 10 und 20% - gerechtfertigt, wobei die Zunahme in den Jahre 1914-1924 zumindest als Ausnahmesituation wahrgenommen wird. Das mangelnde Interesse mag auch damit zusammenhängen, dass die Geschichte der Kriminalität besonders in Deutschland erst allmählich ein Forschungsfeld geworden ist, wobei der Schwerpunkt der Untersuchungen, ebenso wie in weiten Teilen der angelsächsischen und französischen Forschung, im wesentlichen die Entstehung der Kriminalität im 18. und 19. Jahrhundert[5] und dort die Kriminalität der Männer ist.[6] Oder aber die Forschung orientiert sich an dem aus der Kriminologie stammenden Labeling-Ansatz[7] und untersucht die Instanzen sozialer Kontrolle wie Polizei, Justiz und Strafrechtssystem[8], wobei aber auch die von diesen Instanzen möglicherweise anders praktizierte ‘Kriminalisierung’ der Frauen äußerst selten untersucht wird.

Daneben gibt es eine recht umfangreiche Forschungsliteratur für den Bereich des ‘Sozialen Protests’, die Überleitungen zur Kriminalität hergestellt hat.[9] Allerdings werden auch hier Frauen noch häufig ausgespart, oder ihr Verhalten wird als „Problem des weiblichen Charakters“[10] dargestellt. Zudem muss die Kriminalität vom sozialen Protest insofern abgegrenzt werden, als es sich bei ihr mehrheitlich um eine individuelle Verhaltensweise handelt, im Gegensatz zum kollektiven Handeln des sozialen Protests. Möglicherweise ist aber ein Zusammenhang beider Varianten nonkonformen Verhaltens darin zu sehen, dass kriminelles Verhalten in bestimmten Situationen und zu bestimmten Zeiten „als individuelle Variante sozialen Protests interpretiert werden kann“.[11] Noch deutlicher wird die Gemeinsamkeit zum Beispiel dort, wo Kriminalität in Verbindung mit den zumeist kollektiv durchgeführten Lebensmittelkrawallen entstand - dies scheint gerade für einen Teil der Frauenkriminalität typisch gewesen zu sein, - da hier die Grenzen zwischen Kriminalität und Protest und damit letztendlich auch zwischen individuell und kollektiv aufgehoben wurden. Diese These wird im Rahmen dieser Untersuchung zwar behandelt, dennoch soll klar hervorgehoben werden, dass nicht alle kleineren Gesetzesverletzungen unter den sozialen Protest subsumiert werden dürfen, da es grundsätzlich zuerst einmal um zwei verschiedene Verhaltensweisen geht.[12] Diese Eingrenzung ist zum einen deshalb nötig, weil bei einer zu starken Konzentration auf die Protestforschung das eigentliche Thema - die Kriminalität der Frauen - Gefahr liefe, in den Hintergrund gerückt zu werden, zum anderen, weil eine übermäßige Gleichsetzung beider Formen nonkonformen Verhaltens schnell zu einer unzulässigen Generalisierung führen würde.

Intention dieser Arbeit ist es, für die Jahre 1914-1924 die verstärkte Zunahme der Frauenkriminalität[13] auf dem Hintergrund der beschwerlichen Beschaffenheit des Alltags zu betrachten und zu analysieren. Die grundlegende These dieser Arbeit lautet, dass, da die Frauen in der Regel für die Versorgung der Familie, das heißt für den so genannten ‘Reproduktionsbereich’, zuständig waren und da diese Versorgung im Krieg und in der darauf folgenden Zeit der Inflation kaum legal möglich war oder zumindest sehr erschwert wurde, sie sich zunehmend ‘radikalisierten’, eine kritische Haltung dem Staat und seinen Institutionen gegenüber einnahmen und ein Wertebewusstsein entwickelten, welches den Normen und Regeln der Gesellschaft, kodifiziert im Strafgesetzbuch, widersprach. Diese Haltung manifestierte sich dann letztlich in der statistisch ausgewiesenen Kriminalität.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die zeitgenössische Rolle der Frauen mit ihren Pflichten, Rechten und Charakterzuschreibungen[14] zu betrachten. Gerade der ‘Alltag’[15] ist für diese Betrachtung besonders relevant, da Frauen im öffentlichen Leben von Politik und Wirtschaft noch keine entscheidende Rolle spielten. Unter dem Begriff ‘Alltag’ wird im Zusammenhang dieser Untersuchung der durchschnittliche, alltägliche Lebensablauf mit seinen dazugehörigen Aufgaben, Problemen und Einflüssen verstanden, das heißt der Bereich, der auch im umgangssprachlichen Verständnis mit Alltag bezeichnet wird. Allerdings muss im Rahmen dieser Arbeit berücksichtigt werden, dass Kriegs- und Krisenzeiten immer eine Abweichung des Alltäglichen nach sich ziehen und somit verzerrte Alltagssituationen entstehen lassen. Obwohl Krieg, Revolution und Inflation etwas „Nicht-Alltägliches“ sind, so bewirkte die lange Dauer dieses Ausnahmezustandes, dass die Menschen sich in ihm „eingerichtet“ hatten, „da sie nicht über Jahre völlig aus dem Alltag aussteigen konnten“.[16] Dennoch hat der Alltag besonders im Krieg, aber auch in den Zeiten des Umbruchs und der Krise, eine andere Qualität als in ‘normalen’ Friedenszeiten: „Es ist ein Alltag ohne Sicherheit und Ruhe, ohne emotionale Gelassenheit, ohne Geborgenheit und stabile Weltdeutung. Instabilität, Preisgegebensein, Verunsicherung sind seine täglich wiederkehrenden Merkmale.“[17] Da sich die Veränderungen des Alltags in materieller, physischer und psychischer Hinsicht in besonderem Maße für Arbeiterfrauen und Frauen aus dem Mittelstand bemerkbar machten, ebenso wie sich vorwiegend ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten als Hausfrauen, Mütter und Familienversorgerinnen änderten, werden vorrangig diese - und unter ihnen wiederum im wesentlichen die städtischen Frauen - und ihr Alltag den Untersuchungsgegenstand bilden[18], auch wenn die Kriminalstatistik keine Möglichkeiten zur schicht-spezifischen Differenzierung bietet.[19] Diese Beschränkung lässt sich sowohl mit der notwendigen Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes erklären als auch mit dem engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Not und Kriminalität, besonders der Eigentumskriminalität, rechtfertigen. Denn dieser Zusammenhang wird von einem nicht unerheblichen Teil der sowohl zeitgenössischen wie auch neueren Forschung vertreten, zumindest die allgemeine, das heißt männliche Kriminalität betreffend[20], denn auch hier werden Frauen selten berücksichtigt, oder die Not wird gerade bei ihnen als Ursache ausgeschlossen. Von dieser wirtschaftlichen Not und den dadurch entstehenden Subsistenzproblemen waren die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten am heftigsten betroffen[21], allerdings abhängig vom jeweiligen Wohnort. Zwar wurde auch das Leben der ländlichen Bevölkerung von den Folgen der Kriegs- und Inflationsjahre beeinflusst, dennoch ließen sich besonders die Subsistenzprobleme hier größtenteils einfacher lösen oder konnten zumindest in ihrer Wirkung abgemildert werden.[22]

Diese Betrachtungs- und Interpretationsweise der Ursachen der gestiegenen Frauenkriminalität - entlang dem Wandel von Alltag und geschlechtsspezifischer Rollenzuweisung - steht im Gegensatz zu den zwei gängigen zeitgenössischen Erklärungsmustern der weiblichen Kriminalität und ihrer Entwicklung. Dabei handelt es sich erstens um den biologistischen Ansatz, der weibliche Kriminalität einzig auf die biologische Konstitution der Frau zurückführt. Dieser Ansatz wurde 1894 von Lombroso begründet.[23] Hat er in den folgenden Jahren an Prägnanz verloren, so wurden weibliche Merkmale und Eigenschaften doch immer wieder zur Erklärung des kriminellen Verhaltens der Frauen herangezogen[24] und haben bis heute keineswegs an Aktualität und Brisanz verloren - mögen sie aus heutiger Sicht auch noch so absurd erscheinen.[25] Zweitens handelt es sich um eine eher soziologische Interpretation, die besonders im Zusammenhang mit den Entwicklungen während des Ersten Weltkrieges angeführt wurde. Danach habe durch die Zunahme der Frauenerwerbsarbeit und durch das Vordringen der Frauen ins öffentliche Leben eine ‘Vermännlichung’ der Frauenkriminalität stattgefunden. Frauen seien ähnlich stark wie die Männer kriminell aktiv gewesen, das heißt sie hätten auch hier die Männer ersetzt.[26] Erst neuere Untersuchungen, zum Teil beeinflusst von der feministischen Forschung, sehen die Ursachen - allerdings für die heutige Frauenkriminalität - im sozialen, alltagsbedingten und gesamtgesellschaftlichen Kontext.[27]

Auf Grund der engen Verbindung zwischen Alltag und Kriminalität, welche in dieser Untersuchung als Erklärungsgrundlage für die ungewöhnlich hohe Frauenkriminalität dient, wird besonders der Einfluss von Hunger, Mangel und Teuerung - als zentralen Momenten des Alltags dieses unruhigen Jahrzehnts - berücksichtigt werden müssen. Denn gerade in Notzeiten änderte sich die Quantität und Qualität der Frauenkriminalität im Vergleich zu den Vorkriegsjahren und der Zeit nach 1924, was vor allem mit der zunehmenden und zugleich erschwerten Zuständigkeit der Frauen für das Überleben der Familie, besonders der Kinder, in enger Verbindung zu stehen scheint. Die Rolle als ‘Überlebenssichernde’ der Familie in Notzeiten, im Krieg noch verschärft durch die Abwesenheit der Männer[28], legitimiert somit die Annahme, dass die Alltagsbedingungen dieses Jahrzehnts die kriminellen Aktivitäten der Frauen im wesentlichen verursachten oder zumindest stark beeinflussten.

Aus den vorangegangenen Überlegungen lässt sich die Frage ableiten, ob das Verhalten vieler Frauen der herkömmlichen Kriminalität zuzuordnen ist, oder ob sie mit der zunehmenden Verschärfung ihrer Lebensbedingungen und besonders ihrer Aufgabe als ‘Versorgende’ nicht viel eher ein eigenes Rechts- beziehungsweise Unrechtsbewusstsein entwickelten und nach einer eigenen Existenzlogik handelten, „wonach man frei, berechtigt und gezwungen war, sich selbst zu helfen, sofern Gesellschaft und Staatsordnung ihrer Schutzfunktion nicht genügten“.[29] Diese Entwicklung setzte erst einige Zeit nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein, woraus sich schlussfolgern lässt, dass die Frauen einige Zeit versucht haben, die Not zu verwalten so gut es ging.[30] Dies ist deutlich in den Kriminalstatistiken zu erkennen, denn erst allmählich, mit zunehmender Steigerung der Not, bedingt durch Hunger, Teuerung, Mangel und später durch die rasante inflationäre Entwicklung, nahm die Kriminalität der Frauen zu. Auch durch die These, dass eine „Kriminalisierung“[31] der Frauen stattgefunden hat, ließe sich diese statistische Auffälligkeit erklären. Darunter soll verstanden werden, dass die Daseinsvorsorge zum Delikt[32] wurde, also die unterschiedlichen Varianten der Selbsthilfe, darunter die besonders häufig anzutreffenden Hamsterfahrten, in der juristischen Betrachtung zu kriminellen Handlungen wurden und mit entsprechenden Strafen geahndet wurden. Hierfür waren die unzähligen Gesetze und Verordnungen, die aus Anlass des Krieges und der Übergangszeit erlassen wurden, verantwortlich, da durch sie alltägliche Verhaltensweisen verboten und kriminalisiert wurden, welche bis dahin unbestraft geblieben waren. Ausgehend von dieser These einer Kriminalisierung der Frauen bleibt die Tat an sich eine vorsätzliche und nach dem geltenden Recht eine rechtsbrechende, doch müssen die gesetzgebenden Instanzen, als Initiatoren des geltenden Rechts, in die Betrachtung einbezogen werden.

Besonders die Frage, ob sich die Haltung zum geltenden Recht im Verlauf dieser zehnjährigen Periode auch in den Institutionen der ‘sozialen Kontrolle’ verändert hat, wird zentral sein. Einen Hinweis darauf könnte eine veränderte Sanktionierung der strafbaren Handlungen sowohl im Strafmaß als auch in der Anwendung von Freisprüchen und Amnestien[33] geben. Dazu werden die Zahlen der Freisprüche, der Einstellungen des Verfahrens und der Anwendung milderer Straftatbestände ebenso wie die Zahlen der Anklagen wegen geringerer Delikte in ihrer zahlenmäßigen Entwicklung genauer untersucht werden müssen[34], da mit diesen Daten die Frage beantwortet werden kann, ob ein Teil der Kriminalität immer häufiger - sowohl in der Bevölkerung als auch bei den verschiedenen Strafrechtsorganen - als Ausweg aus einer höchst bedrängten Situation verstanden wurde, und damit weniger als eine kriminelle Handlung an sich angesehen wurde. Sollte eine solche Entwicklung vorliegen, könnte sie möglicherweise einen zunehmenden Legitimationsverlust von Regierung und Staat[35] widerspiegeln, der vermutlich auch dazu beigetragen hat, dass Frauen - ebenso wie Männer - stärker als bisher gegen bestimmte Gesetze verstießen, die bei großen Teilen der Bevölkerung an Gültigkeit und Überzeugungskraft verloren hatten. Dieses mangelnde Vertrauen in die Gesetze kann neben der Entwicklung der Verurteiltenzahlen auch durch die Zahl der Anzeigen von seiten geschädigter Privatpersonen zum Ausdruck gebracht werden. Darüber hinaus lässt sich hier die Vermutung anschließen, dass die schwankende und im Verlauf der zehnjährigen Periode teilweise rückläufige Verfolgungsintensität[36] Ausdruck einer gewissen ‘Rechtsstaat-Lethargie’ der Exekutivorgane war und die politischen Krisen einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Wandel der Normen hatten. Zwar kam es bis 1924 zu keiner wesentlichen Änderung oder Ergänzung des Strafgesetzbuches, dennoch hatten die wenigen Korrekturen[37] - welche auch auf den Wandel der politischen Machtverhältnisse zurückzuführen waren - Einfluss auf die Rechtsprechung.

An diese Fragen schließt sich notwendig eine Definition von Kriminalität an, so wie sie im folgenden verstanden werden soll. Unter dem Begriff Kriminalität werden jene Verhaltensweisen subsumiert, die als Verstöße gegen Normen des Strafgesetzbuches, anderer Reichsgesetze sowie der Gesetze aus Anlaß des Krieges und der Übergangszeit „durch staatliche Institutionen als solche definiert und erfaßt ... und als sichtbare, d.h. statistisch ausgewiesene Kriminalität, bestimmt“[38] wurden. Dabei soll - orientiert an der kritischen Kriminologie[39] - berücksichtigt werden, dass Kriminalität keine „Wirklichkeit für sich [ist], sondern abhängig von gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die auf Verbrechen antworten, sie verfolgen und ahnden“.[40] Demzufolge müssen das Verständnis, die Normen und die Auswahlkriterien, nach denen kriminelle Handlungen in den Jahren 1914-1924 be- und verurteilt wurden, soweit das vorhandene Material es zuläßt, betrachtet werden. Dies führt zu der Frage, ob der Verbrechensbegriff, welcher in Abhängigkeit zur jeweiligen Rechts- und Gesellschaftsordnung definiert wird, während der Kriegs- und Krisenzeiten anders interpretiert wurde als in ‘normalen’ Friedenszeiten.[41]

Von dieser statistisch erfaßten Kriminalität unterscheidet sich das kriminelle Verhalten, welches alle strafbaren Handlungen umfaßte, „unabhängig davon, ob dieses Verhalten justizförmig erfaßt“[42] wurde oder nicht. Dies schließt besonders das sogenannte Dunkelfeld mit ein, welches für den hier behandelten Zeitraum vermutlich extrem hoch[43] war, sich aber leider nicht genauer bestimmen läßt. Neben diesem statistisch nicht nachweisbaren Ausmaß kriminellen Verhaltens ist es notwendig, noch andere Probleme im Zusammenhang mit der Statistik zu nennen. Da in der Kriminalstatistik für das Deutsche Reich nur die „durch rechtskräftige richterliche Entscheidung - Urteil oder Strafbefehl - erledigten Fälle, insoweit, als sie sich gegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze erstrecken“[44], registriert wurden, wurde ein großer Teil anders abgeurteilter Delikte[45] nicht erfaßt. Darunter sind die Fälle, welche vor der Eröffnung eines Hauptverfahrens eingestellt wurden, häufig weil es an Beweisen oder Verdachtsgründen mangelte, wie auch diejenigen Verbrechen und Vergehen, die sich gegen Landesgesetze richteten oder von den Polizeibehörden erledigt wurden und sämtliche Übertretungen, zu denen auch der Mundraub gehörte.[46] Gerade die letztgenannte Einschränkung führt im Rahmen dieser Untersuchung zu dem Problem, dass über das wirkliche Ausmaß der ‘Notdelikte’ keine präzise Auskunft gegeben werden kann und die zur Verfügung stehenden Zahlen vermutlich wesentlich kleiner sind als die tatsächlich stattgefundene Kriminalität. Doch da diese statistischen Lücken allenfalls durch eine eingehende Untersuchung dieses Themenkomplexes anhand von Polizei- und Justizakten zu füllen wären, was im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten ist, wird sich diese Untersuchung auf die Auswertung der Zahlen der Kriminalstatistiken des Deutschen Reiches beschränken, um die erwähnte starke Zunahme der Frauenkriminalität in den Kriegs- und Inflationsjahren genauer zu differenzieren und die bisher genannten Fragen und Hypothesen zu beantworten.

Um aber keine reine ‘Zahlenschlacht’ zu veranstalten, werden nicht alle, die Gesamtkriminalität bildenden Einzeldelikte, sondern nur die von Frauen hauptsächlich begangenen Delikte in der Untersuchung berücksichtigt. Wie an entsprechender Stelle nachgewiesen wird, sind dies die Eigentumsdelikte und darunter wiederum der Diebstahl, welcher daher am detailliertesten untersucht wird.[47] Die zentrale These, dass die Frauen auf Grund ihrer Versorgungspflicht für die Familie ein eigenes Rechts- beziehungsweise Unrechtsbewußtsein entwickelten und vornehmlich aus einer Notsituation heraus kriminell handelten, wird dabei den roten Faden bilden.

Die Frage, inwieweit die kriminellen Aktivitäten der Frauen auch Ausdruck einer gewissen ‘Widersetzlichkeit’[48] oder sogar eines Widerstand artikulierenden Konfliktverhaltens waren, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig und interessant. Denn neben der Not als ausschlaggebendem Faktor beeinflußten möglicherweise auch die Unzufriedenheit über die Zustände und die allgemeine Delegitimierung des Systems das strafbare Handeln. Inwiefern dieses Zusammentreffen von Not und Unzufriedenheit Kriminalität zu einer Art „Sozialkriminalität“ werden ließ, in der sich „ein Protestbewußtsein ausformte, das den Protest als kollektive Aktion erst ermöglichte“[49] und somit möglicherweise als Vorläufer bzw. ‘Zünder’ der revolutionären Stimmung betrachtet werden könnte, wird zumindest knapp thematisiert werden.

Unabhängig davon, ob die kriminellen Aktivitäten der Frauen eine direkte und kurzfristige Reaktion auf die Notzeiten waren, damit also keine langfristige Perspektive für gesellschaftliche Veränderungen beinhalteten, oder davon, ob ihr Verhalten die gesellschaftliche und politische Entwicklung mitprägte, wird diese Untersuchung als weiteres Beispiel dafür dienen können, dass Frauen nicht nur duldend und passiv, sondern handelnd und aktiv an gesellschaftlichen Entwicklungen beteiligt waren. Doch soll diese aktive Beteiligung nicht mit einer emanzipatorischen Entwicklung gleichgesetzt werden, welche geschlechtsspezifische Verhaltensweisen zu verändern versuchte, sondern als eine mögliche Form des Handelns verstanden werden, um sich gegen Not, Hunger und Tod zu wehren und die Existenz zu erhalten. Ebenfalls muss betont werden, dass es gerade bei der Frage nach Kriminalität oder Kriminalisierung nicht um richtig oder falsch geht, beziehungsweise um eine Parteinahme für die Frauen. Es geht darum, ihre Situation in diesen unruhigen Jahren historisch nachzuzeichnen, um zu verstehen, warum sie so und nicht anders darauf reagiert haben.

Die Auswahl des Zeitabschnitts von 1914-1924 läßt sich „trotz gewiß fundamentaler politischer Zäsuren“ einerseits damit erklären, dass diese Jahre „durch ähnliche, im Zeitverlauf verschärfte wirtschaftlich-soziale Rahmenbedingungen“[50] geprägt waren. Andererseits erklärt sich die Auswahl durch den Untersuchungsgegenstand selbst, da Frauenkriminalität in dieser Zeitspanne von der ‘Normalität’ abwich. Zum Vergleich werden daher die Kriminalitätszahlen für 1913 und 1925 mitaufgeführt, da sie jeweils als ‘Normalzustand’ gelten können. Der zusammenhängenden Betrachtung des Jahrzehnts 1914-1924 liegt zudem die Annahme zugrunde, dass Not und Hunger, Unsicherheit und Unruhe ständige Begleiterscheinungen waren und erst mit der beginnenden Stabilisierung seit der Jahreswende 1923/24 an Bedeutung verloren.[51]

Die Literatur- und Quellenlage ist für die einzelnen Aspekte dieser Untersuchung quantitativ sehr unterschiedlich. Zum zentralen Thema der Frauenkriminalität finden sich neben den wenigen bereits erwähnten Studien keine detaillierten neueren Untersuchungen. Allerdings existiert eine umfangreiche Anzahl vor allem zeitgenössischer Untersuchungen, welche die Frauenkriminalität mit Hilfe eines biologistisch geprägten Ansatzes zu erklären versuchen. Neben dem bereits erwähnten ‘Standardwerk’ von Lombroso liegt für den deutschsprachigen Bereich besonders die einschlägige Studie von Wulffen[52] vor. Eine sozial-, alltags- oder geschlechtergeschichtliche Bearbeitung des Gesamtthemas existiert weder in der älteren noch in der neueren Forschung, so dass es nötig war, viele Studien, Aufsätze und Artikel einzubeziehen, die nur indirekt mit dem Thema in Zusammenhang stehen, um die Frauenkriminalität von 1914-1924 unter den oben dargestellten Fragestellungen untersuchen zu können. Die neuere kriminologische Literatur zur Frauenkriminalität[53] liefert zwar einige Anregungen, doch gehen diese Untersuchungen von den heutigen Gesellschaftsstrukturen aus, so dass ihre Heranziehung nur begrenzt sinnvoll ist. Die grundlegenden Definitionen von Begriffen wie Kriminalität, Verbrechen und Sanktionen innerhalb der heutigen Kriminologie haben auch für die Jahre 1914-1924 Gültigkeit, ebenso wie einzelne Theorien Rückschlüsse auf die damalige Zeit zulassen - darunter besonders der Labeling-Ansatz, welcher neue Blickrichtungen ermöglicht.

Zu den Strukturfaktoren des Alltags, seien es die Ernährungs-, Wohnungs- oder Arbeitsbedingungen, liegt reichhaltiges Material vor. In zunehmendem Maße werden dabei die Existenzbedingungen der Frauen ins Blickfeld gerückt oder zumindest berücksichtigt, auch wenn hier noch Lücken zu füllen sind. Neben den bereits genannten Untersuchungen existieren interessante und nützliche Lokalstudien[54] und eine fast unüberschaubare Anzahl an Aufsätzen. Von der zeitgenössischen Literatur seien hier besonders die Veröffentlichungen der Carnegie-Stiftung hervorgehoben.[55] Die Phase des Ersten Weltkriegs ist - spätestens seit der von Fritz Fischer ausgelösten Kontroverse über die Kriegsschuldfrage[56] - ein sehr gut untersuchter Zeitraum. Der von Michalka herausgegebene Sammelband[57] liefert einen guten Überblick zur Vielfalt der Weltkriegsforschung in Bezug auf Ausbruch, Wirkung, Wahrnehmung und Folgen des Krieges. Der von Gailus und Volkmann[58] herausgegebene Band beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Nahrungsmangel und Protest und berücksichtigt dabei auch die Lebensmittelunruhen[59] als Folge der existentiellen Krisen der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Für den Zeitraum der Inflation sind die Untersuchungen im Rahmen des Berliner Inflationsprojektes von entscheidender Bedeutung[60], allerdings behandelt keine dieser Untersuchungen die Inflationsjahre unter einer speziellen geschlechtsspezifischen Sichtweise.

Daneben stützt sich diese Untersuchung auf folgende gedruckte Quellen: auf die Kriminalstatistiken der Jahre 1913-1925, welche vom Statistischen Reichsamt im Rahmen der Statistik des Deutschen Reiches herausgegeben wurden[61], ebenso wie auf die dort veröffentlichten Erläuterungen zur Entwicklung der Kriminalität. Des weiteren auf die Berichte des Berliner Polizeipräsidenten zur Stimmung und Lage der Bevölkerung in Berlin[62], die leider nur für die Jahre des Weltkrieges existieren und schließlich auf einige veröffentlichte Feldpostbriefe, Tagebücher und Autobiographien.[63] Auffallend ist, dass die Jahre des Krieges und unter Umständen noch die Jahre der Revolution wesentlich besser dokumentiert worden sind als die Inflationsjahre, so dass hier stärker auf die Sekundärliteratur zurückgegriffen werden muss. Als Grundlage für die einzelnen Gesetze dient eine Ausgabe des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich von 1922[64] und zur Erläuterung das Lehrbuch von Liszt, ebenfalls in einer Ausgabe von 1922.[65]

Die für diese Untersuchung von der Verfasserin eigenhändig erstellten Tabellen und Grafiken zur Kriminalität basieren auf den Zahlen der Kriminalstatistiken, soweit dies nicht anders vermerkt ist. Weitere Erläuterungen zur Auswahl der Zahlen finden sich jeweils unter den Darstellungen.

Die gesamte Untersuchung gliedert sich in vier Kapitel:

Im ersten Kapitel werden einzelne Strukturfaktoren der Frauenexistenz dargestellt. Vorrangig werden es die alltägliche Lebenssituation in und mit der Familie und die weibliche Erwerbsarbeit sein. Besonders der Wandel des Alltags, die neuen Anforderungen und Probleme bei seiner Bewältigung stehen hierbei im Vordergrund. Die Aspekte Teuerung, Rationierung, Mangel, Wohnungsnot und die psychischen und physischen Belastungen und Folgen, welche kriegs- und krisenbedingt waren, werden im Mittelpunkt stehen. Die Frauenerwerbsarbeit wird primär unter quantitativen Gesichtspunkten untersucht werden und insbesondere für die Beantwortung der häufig anzutreffenden Frage dienen, ob der Krieg als „Emanzipationshelfer“[66] für die Frauen galt und ob sich die weibliche Rolle grundlegend geändert hat.

Im zweiten Kapitel wird eine ausführliche Untersuchung der Kriminalstatistiken vorgenommen. Die entsprechenden Ergebnisse werden dezidiert dargestellt und interpretiert. Schwerpunkt bei dieser Untersuchung werden die Vermögensdelikte sein, speziell der Diebstahl als die quantitativ auffälligste Form der Kriminalität von Frauen. Ferner werden die zeitgenössischen Erklärungen für die Frauenkriminalität und besonders für ihre Zunahme in diesen zehn Jahren vorgestellt und bewertet. Anschließend wird der Umgang mit beziehungsweise die Reaktionen auf die quantitativen wie qualitativen Veränderungen der Kriminalität genauer untersucht. Hierbei wird besonders die Frage, ob eine Wandlung in der Rechtsprechung zu erkennen ist, zentral sein. Dies wird anhand von Freisprüchen, Amnestiegesetzen und Reformbestrebung - bezogen auf das Strafgesetzbuch - geschehen.

Im dritten Kapitel wird die Zunahme der Frauenkriminalität schließlich mit dem Frauenalltag dieser Notzeiten in Verbindung gebracht und aus diesem veränderten Alltag heraus interpretiert. Kriminelles Handeln von Frauen wird hier als eine mögliche Reaktion auf alltägliche Not und Verzweiflung betrachtet und sowohl unter dem Aspekt der weiblichen Rollenzuweisung wie unter dem Aspekt der ökonomischen Bedingtheit von Kriminalität untersucht. Des weiteren werden die Fragen, inwieweit bei der Frauenkriminalität der Jahre 1914-1924 auch von Sozialkriminalität oder -protest gesprochen werden kann und inwiefern eine Kriminalisierung von Selbsthilfe stattfand, thematisiert werden, wie auch die Frage nach einem anderen, möglicherweise geschlechtsspezifischen Rechtsbewußtsein, verbunden mit einer eigenen Existenzlogik, erneut aufgegriffen werden wird.

Im vierten Kapitel - und damit in der Schlußbetrachtung - werden die aufgestellten Fragen zusammenfassend beantwortet und die Thesen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

1. Strukturfaktoren der Frauenexistenz 1914-1924

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges und dem daraus resultierenden endgültigen Zusammenbruch des „Hohenzollernreiches“[67] wurden die Lebens- und Arbeitsbedingungen eines Großteils des deutschen Volkes tiefgreifend von den krisenhaften Entwicklungen der nachfolgenden Jahre beeinflußt und einem rasanten „Veränderungstempo“[68] unterworfen.

Welche Auswirkungen diese Veränderungen speziell für ‘die’ Frauen hatten, wie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen beeinflußt, verändert und erschwert wurden, soll im folgenden dargestellt werden. Bedeutsam wird dabei zwar auch die Frage sein, ob diese Veränderungen und Einflüsse der Jahre 1914-1924 für die Frauen nur eine vorübergehende Ausnahmesituation darstellten, welche mit der 1924 einsetzenden Stabilisierung wieder in gewohnte Bahnen überging, oder ob der Krieg und die nachfolgenden Jahre der Krise zu einer dauerhaften Modifizierung ihrer gesellschaftlichen Rolle führten. Primär aber soll die Darstellung und Interpretation wesentlicher Aspekte der Frauenexistenz, im besonderen der erschwerten Umstände der Daseinsversorgung sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen Einblick in die Situation der Frauen geben, von denen ein nicht unerheblicher Teil spätestens seit 1916 zu illegalen Methoden der Existenzsicherung übergegangen war.

Zu Anfang dieses Kapitels wird etwas ausführlicher auf den Beginn des Krieges und auf die Entwicklung während der ersten Kriegsmonate eingegangen.[69] Dies ist notwendig, um die Ausgangsbedingungen für die darauf folgenden Jahre zu verdeutlichen und die Stimmung der Bevölkerung 1914, welche sich später bei vielen in ihr Gegenteil verkehrte, zu verstehen. Zudem wird hier davon ausgegangen, daß der Kriegsbeginn für den Anfang einer zehnjährigen Periode steht, die - was die Not betrifft - kaum Brüche erfahren hat, kaum Zeit ließ, etwas Ruhe zu finden und bis zur Stabilisierung 1924 kontinuierlich das Leben eines großen Teils der Bevölkerung - besonders aus der Arbeiterschaft und den mittleren Gesellschaftsschichten - in Unruhe versetzte, mit Entbehrungen, Leid und Hunger anfüllte.[70] Waren das Kriegsende und die Revolution erfüllt von der Hoffnung, daß sich die materielle Lage nun verbessern würde, so wurde diese Verbesserung für die Mehrheit doch erst mit der Stabilisierung 1924 langsam Wirklichkeit.

1.1. Vom Ausbruch des 1. Weltkrieges bis zur Stabilisierung

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges Anfang August 1914 wurde im Rückblick meistens mit einer überschwenglichen, alle Gegensätze beseitigenden Euphorie in Verbindung gebracht. „In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne Ich in Meinem Volk keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche.“[71] Diese Worte des Kaisers haben den Glauben an eine Einigkeit und Begeisterung, die das ganze Volk erfaßt zu haben schien, nicht unwesentlich beeinflußt. In neueren Untersuchungen wird dieses einheitliche Augusterlebnis als „Legende bezeichnet, welche die unterschiedliche Bereitschaft zum Krieg bei den verschiedenen sozialen Gruppen - von erschreckter Lähmung über den Glauben an seine Notwendigkeit bis hin zu offener Kriegsbegeisterung - übersieht“.[72] Dennoch darf dieses Ergebnis nicht zu dem Schluß verleiten, nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung habe den Krieg gewollt. Die breite Akzeptanz und die allerorts aufkommende Begeisterung großer Teile der Bevölkerung - welche die „einfache Tatsache, daß ein Krieg für die Betroffenen vor allem Leid und Entbehrungen, Schmerzen und Tod, Freisetzung von Aggressionen und Verrohung bedeutet“[73] überdeckte - spiegelte sich auch in den Erinnerungen der Zeitgenossen wider.[74] Die Gründe und Voraussetzungen für diese Haltung sind vielschichtig. Neben dem ‘alltäglichen Militarismus’ und seinem Eindringen in weite Teile der wilhelminischen Gesellschaft wurde besonders der Glaube an die Notwendigkeit des Krieges geschürt, indem eine allseitige Bedrohung und eine Einkreisungsgefahr propagiert wurde, die diesen Krieg als Verteidigungskrieg legitimieren sollte.[75] Aber nicht nur diese, vorrangig durch Propaganda und Staatspolitik erzeugten Bedingungen, sondern auch die „unterschiedlichen gesellschaftspolitischen, sozialen und emotionalen Hoffnungen und Bedürfnisse“[76] lagen der weitverbreiteten Begeisterung zugrunde. Besonders in bürgerlichen Kreisen war man sehr schnell bereit, der patriotischen Gesinnung auch Taten folgen zu lassen: so meldeten sich aus diesen Kreisen viele Männer und Jugendliche sofort freiwillig für den Krieg, ließen Frauen, Kinder und Mütter sowie ihre Geschäfte und Betriebe zurück, um Deutschland in diesen Tagen ‘höchster nationaler Not’ zu verteidigen.[77] Diese Bereitschaft, ‘schnellstens’ in den Krieg zu ziehen, war in Teilen der Arbeiterschaft zwar auch vorhanden, doch kann man hier weniger von einer allgemeinen Kriegsbegeisterung sprechen als in bürgerlichen Kreisen. Noch in den letzten Julitagen hatte die SPD zu mehreren Demonstrationen gegen den Krieg aufgerufen, ihre Mitglieder aufgefordert, den „Friedenswillen ... zum Ausdruck zu bringen“ und so fast eine halbe Millionen Menschen mobilisieren können.[78] Ihre Zustimmung zum Krieg und zu den Kriegskrediten[79] - wenige Tage später, am 4. August 1914 - führte in Teilen der Arbeiterschaft daher eher zu Verunsicherung, Ratlosigkeit und Resignation als zu Begeisterung.[80] Aber angeheizt durch die anschließende Kriegspropaganda der sozialdemokratischen Presse und nach ersten Siegen an der Ostfront nahm auch hier die Kriegsbegeisterung eindeutigere Formen an. So berichtete der Berliner Polizeipräsident im September 1914:

„Ganz Berlin, am meisten die Arbeiterviertel im Norden und Osten, ist ... mit Unmengen vaterländischer Fahnen geschmückt.“ ... „Kriminalbeamte, die dienstlich viel in Arbeiterkreisen zu tun haben, wollen es kaum glauben, daß es dieselben Leute sind, die noch vor kurzem in Protestversammlungen die Internationale hochleben ließen und jetzt patriotisch überschäumen.“[81]

Doch die Kriegsbegeisterung der ersten Wochen nahm mit der zunehmenden Verschlechterung der Lebenssituation an der ‘Heimatfront’ und dem „Grauen der ersten Schlachterfahrungen“[82] an der Front schnell ab und wurde zunehmend durch eine Stimmung der Ernüchterung ersetzt, als klar wurde, daß der Krieg nicht so schnell zu Ende sein würde, wie man zu Beginn geglaubt hatte. Mit der Steigerung der Not und des zunehmenden Hungers breiter Bevölkerungskreise schlug die Stimmung spätestens seit der zweiten Kriegshälfte in lauten Unmut und Protest um.

Welche Reaktionen zeigten nun die Frauen auf den Kriegsausbruch? Läßt sich eine spezifisch weibliche Einstellung zum Krieg erkennen oder reagierten sie gleich der Masse der Männer? Daß insbesondere Frauen sich in Bezug auf die anfängliche Kriegsbegeisterung kritischer verhielten, kann aus den vorliegenden Quellen nicht entnommen werden. Daher kann man davon ausgehen, daß ‘die’ Frauen anfänglich ebenso von der patriotischen Stimmung mitgerissen wurden und die ‘Verteidigung des Vaterlandes’ durch ihre Männer, Söhne, Brüder und Väter befürworteten wie ‘die’ Männer. Andererseits zeigen die Quellen aber, daß sich gerade unter den wenigen, die offen gegen den Krieg Stellung bezogen, sich aktiv für den Frieden und gegen den Krieg engagierten, mehrheitlich Frauen befanden.[83] Auch waren es in der Mehrzahl Frauen, die im Laufe des Krieges als erste eine kritische Haltung dem Krieg gegenüber einnahmen und dieser entschieden Ausdruck verliehen. Selbst wenn die vorhandenen Quellen zeigen, daß es hauptsächlich Frauen aus der Arbeiterschaft waren, die schon bald diese kritische Haltung einnahmen und äußerten, läßt sich dennoch feststellen, daß „auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene eine der Trennungslinien zwischen dem Stimmungslager des zunehmend kritischen und demjenigen des eher ‘durchhaltewilligen’ Teils der Bevölkerung entlang der Trennung in ‘die’ Frauen und ‘die’ Männer verlief“.[84] Sicherlich spielte ihre Funktion als Familienversorgerinnen, aber auch als diejenigen, die ‘zurückgelassen’ und von der Angst um das Leben ihrer Männer, Söhne, Väter und Brüder an der Front all die Jahre begleitet wurden, die entscheidende Rolle dabei, daß Frauen zuerst am Sinn des Krieges zweifelten und schon früh seine mörderische Realität zu ahnen begannen, unabhängig von ihrer Klassen- und Schichtzugehörigkeit. Für viele von ihnen bedeutete die allgemeine Mobilmachung zudem ein Ausbleiben der Löhne und Gehälter der Familienväter oder der Söhne.[85] Die Unterstützungssätze, die vom Reich und von den Städten gezahlt wurden, waren meist erheblich niedriger als die bisherigen Einkommen und führten somit für viele Familien schon früh zu ersten merklichen Einschränkungen und stellten zunehmend den Lebensunterhalt in Frage.[86]

Allerdings soll hier nicht ein Bild gezeichnet werden, welches Frauen grundsätzlich als Kriegsgegnerinnen darstellt. Neben den Frauen, die dem Krieg eher ablehnend gegenüberstanden, gab es auch diejenigen, welche den Krieg als Notwendigkeit, ja sogar als Chance betrachteten und zum Teil aktiv an seiner Durchführung mitarbeiteten. Besonders patriotisch und aktiv waren die Frauen, welche sich gleich zu Kriegsbeginn im ‘Nationalen Frauendienst’[87] zusammengeschlossen hatten. Der NFD wurde unter der Leitung von Gertrud Bäumer[88] am 1. August 1914 ins Leben gerufen. Fast alle bürgerlichen Frauenverbände und auch viele sozialdemokratische Frauen arbeiteten, einem eigenen Burgfrieden gleich, im NFD zusammen. Angegliedert an die kommunalen Einrichtungen bestanden die vordringlichsten Aufgaben des NFD in der Organisation der Lebensmittelversorgung, der Familienfürsorge für ‘Krieger-familien’ und Familien Arbeitsloser, der Arbeitsvermittlung für Frauen und der allgemeinen Auskunftserteilung. Aus diesen Reihen kamen - neben der offiziellen Propaganda für den Krieg[89] - die besonders an die Frauen gerichteten Durchhalteparolen. So schrieb Gertrud Bäumer Ende 1915:

„Als Schicksal und als Aufgabe, als Verhängnis und Forderung ist der Krieg von Monat zu Monat größer, wirklicher, eingreifender geworden. Und wir haben standzuhalten. Je mehr wir dem, was von uns verlangt wird, diesen Namen geben: ‘standhalten’ - um so wahrhaftiger werden wir vor uns selbst, um so gerüsteter vor unseren Pflichten stehen.“[90]

Wie stark der Einfluß dieser Durchhalteparolen von seiten des NFD war, läßt sich schwer bestimmen. Das, was von den Aktiven nachträglich veröffentlicht wurde, ist stark geprägt von Propaganda, Verherrlichung sowie dem Stolz auf das eigene nationale Verantwortungsgefühl und auf die angeblichen Errungenschaften der Frauen. Sicher ist aber, daß alle Propaganda die zunehmende Verbitterung und Friedenssehnsucht, die Zweifel am Sinn des Krieges, die zunehmende Selbsthilfe und Kriminalität der Frauen nicht verhindern konnte und immer mehr den existentiellen Bedürfnissen der Bevölkerung nach Nahrung und der vor allem gerechten Verteilung der vorhandenen Güter entgegenlief.[91]

Das bevorstehende Ende des Krieges im Oktober 1918 und die Bemühungen der deutschen Regierung um einen Waffenstillstand kamen für viele sicherlich plötzlicher als erwartet. „Nachdem jahrelang ein völlig unbegründeter Optimismus genährt worden war, mußte die Nachricht, Deutschland habe um Waffenstillstand nachgesucht, die meisten Menschen wie ein furchtbarer Schock treffen.“[92] Freilich wurde schon im März 1915 innerhalb der Bevölkerung eine erste Friedenssehnsucht konstatiert, welche mit zunehmender Kriegsdauer und andauernder Teuerung und Knappheit immer weitere Kreise der Bevölkerung erfaßte.[93] Wurde dieser zunehmende Stimmungsverfall immer wieder durch optimistische Berichterstattungen, Durchhalteparolen und Siegesaussichten aufzurichten versucht, so traten durch die plötzlichen und unerwarteten Waffenstillstandsbemühungen Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht bei der Mehrheit der Bevölkerung endgültig in den Vordergrund. Aber auch Bitterkeit, Wut und Zorn über die verfehlte Kriegspolitik und die unnötigen Opfer bestimmten die Stimmung. Die mit der Revolte der Matrosen in Kiel einsetzende Phase der Revolution 1918/19[94], genährt von anfänglicher Hoffnung auf bessere Versorgung und den verschiedensten Erwartungen in politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Hinsicht, aber bestimmt von weiterhin schlechten Lebensbedingungen und schon bald von politischen Enttäuschungen ihrer Protagonisten und Anhänger, wurde begleitet von der einsetzenden Demobilmachung des Heeres und der ‘Heimatfront’.[95] Auch wenn sich seit 1920 eine leichte Beruhigung der wirtschaftlichen Verhältnisse abzeichnete, die Inflation vorerst noch eine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt hatte und sich die Versorgungslage nach Aufhebung der Wirtschaftsblockade kurzzeitig besserte, so gehörten die Jahre 1920-1923/24 dennoch zu „den hektischsten, ereignisreichsten der Weimarer Republik“.[96] Diese Hektik, die Unüberschaubarkeit der Ereignisse und die Ungewißheit über die Zukunft prägten entscheidend das Leben der Zeitgenossen. Spätestens mit dem sich immer mehr beschleunigenden Tempo der Inflation und seinem Höhepunkt in der Hyperinflation 1923 wurden die Lebensbedingungen eines Großteils der Bevölkerung immer desolater und schlechter, sofern sie sich seit dem Kriegsende überhaupt geändert hatten.[97] Versorgungsschwierigkeiten, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und eine immer rasantere Entwertung des Geldes bestimmten den Alltag und führten zum Zusammenbruch des gesamten ‘normalen’ Daseins. Erst mit Beginn der Stabilisierungsphase ab 1924, durch die Einführung der Rentenmark und einer damit verbundenen auflebenden Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse stellten sich wieder normale Lebensbedingungen ein, erst jetzt war „eine Atempause erreicht“.[98]

Der Verlauf dieses unruhigen Jahrzehnts 1914-1924, welches geprägt war durch Krieg, Revolution und Inflation, bestimmt durch Hunger, Not und Verzweiflung und erst 1924 in eine vorläufige Stabilisierung überging, spiegelte sich - neben verschiedenen anderen Faktoren - auch in den Kriminalitätszahlen wider. Dies wird im zweiten Kapitel dieser Untersuchung gezeigt werden. Im folgenden wird anhand wichtiger Merkmale der Lebensführung - dies sind die Versorgung mit Geldmitteln, mit Gebrauchsgütern und mit Wohnraum sowie die aus einem Mangel derselben resultierenden psychischen und physischen Folgen - dieser Verlauf speziell für den Alltag der Frauen nachgezeichnet. Dabei ist von Bedeutung, daß die Jahre 1914-1924 als eine Periode fast kontinuierlicher Not und ständigen Mangels angesehen werden.

1.2. „Wann mag dieses Elend enden?“: Hunger, Teuerung und Not

Der Krieg stellte das Private, den Einzelnen in den Hintergrund und appellierte an die ‘Gemeinschaft des Volkes’, der jede und jeder sich unterzuordnen habe[99]. „Der Krieg, der große soziale Gleichmacher, räumte zunächst mit dem Individualismus als Auffassung des Einzelnen auf; er brachte die große Integration.“[100] Besonders im Bereich der Nahrungsmittelbewirtschaftung wurde diese Formel der ‘großen Integration’ beschworen und die Bevölkerung - besonders aber die Frauen - zu konsequentem Sparen und vernünftigem Haushalten aufgerufen. Dieser sogenannte „Kriegssozialismus“ wurde 1915 von Theodor Heuss auf die knappe Formel gebracht, daß es sich „hierbei um ein Wirtschaftssystem, das auf der Dividierung der vorhandenen Mengen durch die hungrigen Mäuler beruhe“ handele.[101] Doch nicht nur eine völlig verfehlte Bewirtschaftungspolitik lief den Grundsätzen der Gerechtigkeit entgegen, sondern auch der Umstand, daß die bestehenden Ungleichheiten in der Bevölkerung nicht aufgehoben werden konnten und wurden.[102] Gerade bei der Versorgung mit nötigen Nahrungsmitteln wurden die bestehenden Ungleichheiten von neuem deutlich. Wohlhabende und reiche Bevölkerungsteile, die Wertgegenstände zum Tausch oder genügend Geld besaßen, um die extrem hohen Schwarzmarktpreise zu bezahlen, kamen in den Genuß von Nahrungsmitteln, die für die Masse des Volkes mittlerweile unerreichbar waren.[103]

Ungeachtet dieser bestehenden Widersprüche wurden von den Frauen des NFD zahllose Ratschläge, Sparvorschläge und Ermahnungen bezüglich der Zubereitung, Verwendung und Aufbewahrung von Nahrungsmittel an die Öffentlichkeit, speziell an die Frauen, gerichtet.[104] Obwohl auch die meisten aktiven sozialdemokratischen Frauen ihre Mitglieder und Sympathisantinnen zur „Pflichterfüllung“ und zur „Beteiligung an der Kriegshilfe“ aufriefen, erkannten einige von ihnen dennoch die Widersprüche zwischen propagierter Gleichheit und real-existierender Ungleichheit, speziell in der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern. So betonte Luise Zietz[105], Mitglied im Vorstand der SPD, im Jahre 1915, daß sie es ablehne, „als ‘Sparapostel’ aufzutreten. ... Die Arbeiterfrauen haben solche Ermahnungen wahrlich nicht nötig, ihre schmalen Geldbeutel sind ihre täglichen unerbittlichen Mahner zur Sparsamkeit, viel mehr, als dies im Interesse ihrer Gesundheit, ihrer Arbeitsfähigkeit und der Entwicklung ihrer Nachkommenschaft wünschenswert ist.“[106] Vor allem für die Frauen aus der Arbeiterschaft bedeuteten die schlechten Bedingungen der Lebensführung lediglich eine Verschärfung ihrer ohnehin schon schlechten Lage. Viele von ihnen waren schon vor dem Krieg von der Doppelbelastung aus Hausarbeit und Fabrik- oder Heimarbeit betroffen[107], ebenso wie für einen Großteil von ihnen die Hausarbeit gekennzeichnet war durch ärmliche und arbeitsintensive Bedingungen. Diese ohnehin beachtlichen Belastungen wurden in den Kriegs- und Krisenzeiten 1914-1924 für viele der Frauen noch verschärft durch die stundenlange Suche und das Anstehen nach Nahrungsmitteln und anderen Gebrauchsgütern - aus der Doppelbelastung wurde zunehmend eine Dreifach- beziehungsweise Mehrfachbelastung.

„Steigende Preise, Rationierung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern, das zunehmende Elend und die ständige Sorge um die Verwandten an der Front“[108] bestimmten somit das Leben der meisten Frauen im Krieg und prägten in ähnlicher Weise ihr Leben in den anschließenden Jahren bis 1924 - mit dem ‘einzigen’ Unterschied, daß der langersehnte Frieden eingetreten und ein Teil der Männer wieder nach Hause gekommen war. Doch viele Frauen hatte der Krieg zu Witwen gemacht oder die Männer kamen als Invaliden zurück. Vor allem aber waren die folgenden Jahre weiterhin unsicher und unruhig und brachten noch lange nicht die erhoffte Besserung der Lebensbedingungen mit sich. Zusätzlich zu diesen Belastungen geriet mit Beginn des Krieges die Rolle der Frau als Versorgende der Familie zunehmend in den Blick der Öffentlichkeit, und ihre Hausarbeit wurde teilweise staatlicher Kontrolle unterstellt.[109] Neben der Kontrolle durch die Lebensmittelkarten wurden mit Hilfe von Überwachungsbeamten Stichproben über die richtige Einteilung und Zuteilung der Rationen durchgeführt. Sowohl bei zu schlechter als auch bei zu guter Versorgung der Angehörigen wurden den Frauen Vorwürfe gemacht: neben einer bisweilen öffentlichen Beschimpfung kam es auch zu Beschlagnahmungen oder Anzeigen bis hin zur Streichung von städtischen Zusatzleistungen.[110] All diese Maßnahmen führten im Endeffekt dazu, daß Frauen am ehesten Kritik an der Kriegspolitik, der Bewirtschaftung und der Unterstützung durch den Staat und letzten Endes am Krieg selbst äußerten.

1.2.1. Materielle Grundlagen: Kriegsunterstützung und Löhne

Die finanzielle Versorgung stellte eine wesentliche Grundlage für die Versorgung der Familien mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern dar. Der Umfang dieser Versorgung war davon abhängig, ob die Familien mit der Kriegsunterstützung für Frau und Kinder, mit den Löhnen der Männer und gegebenenfalls weiterer Familienmitglieder oder allein mit den Löhnen der Frauen auskommen mußten.

Das Gesetz „betreffend die Unterstützung von Familien in den Dienst eingetretener Mannschaften“ vom 28. Februar 1888 bestimmte in der geänderten Fassung vom 4. August 1914 die Höhe der Unterstützungssätze für die Familien der eingezogenen Soldaten.[111] Danach erhielt die Ehefrau in den Monaten Mai bis Oktober monatlich mindestens neun Mark, in den übrigen Monaten zwölf Mark. Für jedes - auch uneheliche - Kind unter 15 Jahren sowie Verwandte und Geschwister, welche bisher vom Eingezogenen unterhalten wurden, wurden monatlich sechs Mark gezahlt. Diese Mindestbeträge wurden in halbmonatlichen Raten von den jeweiligen Lieferungsverbänden - dies sind die zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte - ausgezahlt und sollten am Ende des Krieges diesen vom Reich erstattet werden. Während des Krieges wurde die Höhe der Mindestunterstützungen im Januar 1916 auf monatlich 15,00 und 7,50 Mark, im Dezember desselben Jahres für die Wintermonate November bis April auf 20 und 10 Mark erhöht und im April 1917 wurde diese Differenzierung in Winter und Sommer aufgehoben, so daß monatlich generell 20 Mark für die Ehefrau und 10 Mark für die sonstigen Berechtigten gezahlt wurden. Im November 1917 wurden die Lieferungsverbände verpflichtet, die Unterstützung „je nach den örtlichen Verhältnissen“ zu erhöhen, wobei 5 Mark dieser Beträge vom Reich erstattet wurden.[112] Bis zum Ende des Krieges wurden darüber hinaus noch der Kreis der Unterstützungsberechtigten ausgeweitet und verschiedene Sonderzahlungen bei Tod, Krankheit, Urlaub oder Rückkehr der Soldaten gewährt.[113] Zusätzlich waren die Kommunen verpflichtet, „im Falle des Bedarfs über die Mindestsätze hinaus das Erforderliche zu gewähren“.[114]

Ein Vergleich der anfänglichen Unterstützungssätze mit vormaligen Durchschnittseinkommen von Arbeiterfamilien[115] belegt, daß die Reichssätze in der Regel, besonders in den größeren Städten, unzureichend waren: So verringerte sich das Durchschnittseinkommen einer Familie eines gelernten Arbeiters mit einem Kind von 128,52 auf 30 Mark im Monat (=23,34%), einer Familie mit vier Kindern blieben noch gerade 49,56% des bisherigen Einkommens. Für Familien ungelernter Arbeiter sah dieses Verhältnis etwas ‘besser’ aus. Mit einem Kind verringerte sich ihr Einkommen von 99,62 auf 30 Mark (=30,11%), mit vier Kindern auf 69,73% des vormaligen Einkommens. Um eine finanzielle ‘Besserung’ zu erfahren, waren mindestens neun Kinder erforderlich, dann lag die Unterstützung bei 116,31% des bisherigen Einkommens. Da die meisten Familien keine Rücklagen besaßen, waren sie auf zusätzliche Unterstützungen oder auf Nebenerwerb von Frauen und Kindern angewiesen.

Bestand auf die Mindestsätze ein Rechtsanspruch, so unterlagen die individuellen Erhöhungen, die bei Bedürftigkeit zusätzlich, und zwar nach dem Gesetz aus den Mitteln der Lieferungsverbände, gezahlt werden sollten, der Willkür und dem Ermessensspielraum der zuständigen Lieferungsverbände und Gemeinden. Dies hatte zur Folge, daß die zusätzlichen Leistungen je nach Lieferungsverband in ihrer Höhe sehr divergierten und viele Gemeinden nur langsam dazu übergingen, aus eigenen Mitteln Unterstützungen einzuführen. Im September 1914 waren es von 3775 Gemeinden über 2000 Einwohner erst 926, Anfang 1915 dann 1729 Gemeinden, darunter alle Großstädte.[116] Die Höhe der Zuschüsse für eine verheiratete Frau ohne Kinder lag bei durchschnittlich 8 bis 12 Mark monatlich, für Ehefrauen mit Kindern wurden monatliche Höchstbeträge zwischen 8 und 65 Mark festgesetzt.[117] Zusätzlich zu den finanziellen Zuschüssen - oder ersatzweise - wurden in einzelnen Gemeinden und Städten bei Bedürftigkeit auch Naturalien und Kleidung ausgegeben[118], oder es wurden, da die Mieten von den bedürftigen Familien oft nicht mehr bezahlt werden konnten, Mietzuschüsse gewährt. Anfangs wurden von größeren Betrieben und von den Gewerkschaften zusätzliche Unterstützungen an die Angehörigen gezahlt, doch wurden diese Zahlungen im Laufe des Krieges zunehmend wieder eingestellt.[119] Diese Zahlungen wurden nicht auf die staatlichen Unterstützungssätze angerechnet, und hatten es sicherlich einigen Familien anfänglich ermöglicht, größere Not abzuwenden.

Da weite Teile der lohnabhängigen, aber auch der selbständigen Bevölkerung (gemeint sind Familien von Handwerkern und Gewerbetreibenden) auf diese Form des Geldeinkommens angewiesen waren, wurde im Laufe des Krieges „1/6 der Bevölkerung zu Staatsrentnern: Bereits Ende 1915 wurde die Anzahl der unterstützten Familien auf ca. 4 Mio., die der unterstützten Personen auf 11 Mio. geschätzt“.[120] Gegen Ende des Krieges und besonders in den größeren Städten war dieser Prozentsatz noch höher. Demzufolge waren auch die finanziellen Ausgaben des Reiches, der Lieferungsverbände und der Gemeinden für die Familienunterstützung enorm hoch. Zwar war man sich einerseits darüber im klaren, welche wichtige Bedeutung der Familienunterstützung zukam, wie die Worte des preußischen Innenministers verdeutlichen:

„Auf der anderen Seite darf aber auch in der Zahlung der Familienunterstützung, von derem regelmäßigen Fortgang die Kampfesfreudigkeit der vor dem Feinde stehenden Familienväter ebenfalls wesentlich abhängig ist, keine Unterbrechung eintreten.“[121]

Dennoch versuchte man andererseits, die hohen finanziellen Belastungen durch verschärfte Prüfungen der Bedürftigkeit, durch die Anrechnung jedes weiteren Einkommens ebenso wie durch die ‘Empfehlung’ an die Frauen, Erwerbsarbeit anzunehmen[122], zu reduzieren.

Die Bemühungen, Gelder einzusparen und nur die ‘wirklich’ Bedürftigen zu unterstützen, prägten in der Folge entscheidend das Bild der sogenannten „Kriegerfrauen“.[123] Obwohl die Unterstützungen offensichtlich nicht ausreichten, um den Lebensunterhalt der ‘Kriegerfamilien’ zu decken[124], gerieten gerade die ‘Kriegerfrauen’, als diejenigen, welche das Geld entgegennahmen und verwalteten, ins Schußfeld der öffentlichen Kritik. Häufig wurde ihnen vorgeworfen, daß sie die Gelder „unvorschriftsmäßig“ verwendeten und „in den Erfrischungsräumen der Warenhäuser“ viel Geld verschwendeten.[125] Die Folge war, daß die Unterstützungen immer stärker mit dem Anrecht der Behörden auf Kontrolle der Unterstützten verbunden wurden und den Frauen angedroht wurde, daß ihnen bei Verschwendung die städtischen Unterstützungen gestrichen würden.[126] Somit wurde der Begriff ‘Kriegerfrau’ letztlich ein „Kontrollbegriff, der ein für ‘Kriegerfrauen’ als ‘richtig’ erachtetes Verhalten vorgab und ihr ‘falsches’ Verhalten skandalisierte“.[127] Dabei überwog die Tendenz, ihnen Regelverletzungen zuzuschreiben und ein negatives Bild dieser sozialen Gruppierung zu entwerfen. Als Konsequenz entwickelten die Empfängerinnen der Familienunterstützung ein eigenes ‘Wir-Gefühl’ ebenso wie ein eigenes Rechtsbewußtsein, nach dem die Familienunterstützung die „Erfüllung eines moralischen Anspruchs“ sei.[128] Dementsprechend fordernd fiel ihr Verhalten gegenüber den Behörden bei Kontrollen und Prüfungen der Bedürftigkeit aus. Diese Haltung der Frauen wurde auch von den eingezogenen Männer unterstützt, welche sich darüber beschwerten, daß, während sie ihr Leben für das Vaterland riskierten, ihre Frauen mit der ohnehin niedrigen Unterstützung auskommen mußten und zudem noch beschimpft würden.[129] All dies änderte nichts an der Haltung der Behörden und eines Teils der Öffentlichkeit, ebensowenig wie es Einfluß auf die Höhe der Unterstützungen hatte, welche weiterhin viel zu niedrig waren und eine bedarfsdeckende Lebenshaltung kaum ermöglichten.

Nach dem Krieg wurde diese ‘Fürsorgetätigkeit’ für die Angehörigen der Einberufenen bei Bedarf durch die Unterstützung für die Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen ersetzt, welche allerdings auch sehr gering war und die Mittel für den Lebensunterhalt weiterhin auf ein Minimum reduzierte.[130]

Aber nicht nur die viel zu geringen Familienunterstützungen und später die Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge konnten mit der Teuerung während des Krieges noch während der Inflationsjahre Schritt halten. Auch die Löhne, welche sich zwar nominell erhöhten, blieben für die meisten Bevölkerungsgruppen mit ihrer Kaufkraft hinter der Teuerung zurück.[131] Besonders während der Kriegsjahre war es aber nicht nur die Teuerung, die eine ausreichende Lebenshaltung zunehmend erschwerte. Durch einen sich auf fast alle Gebrauchsgüter ausweitenden Mangel verlor das Geld seine Funktion als ‘Tauschmittel’. Gute Beziehungen, der Besitz von Tausch- und Wertgegenständen oder aber überdurchschnittlich hohe Einkommen wurden ausschlaggebend für eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern. „In dem Maße, in dem die Versorgung tatsächlich über Schleichhandel und Naturaltausch erfolgte, entfernten sich die Angaben über Lebenshaltungskosten und Reallöhne von der Wirklichkeit.“[132] Da aber trotz dieser Einschränkung die Entwicklung der Löhne und Gehälter ein entscheidendes Kriterium für die soziale Lage der Bevölkerung ist, weil es die Versorgung mit Geldmitteln widerspiegelt, sollen hier kurz einige zentrale Entwicklungen diesbezüglich aufgezeigt werden. Dabei werden die Reallöhne, das heißt die Nominallöhne bezogen auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, von entscheidender Bedeutung sein.[133]

Generell kann man für die Jahre 1914-1924 bezüglich der Reallöhne sagen, daß sie durchweg unter dem Niveau der Vorkriegszeit lagen. Wie Tabelle 1 zeigt, stiegen zwar die Nominallöhne erheblich an, doch blieben - aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten - die Reallöhne teilweise beträchtlich hinter dem Stand vom März 1914 zurück.

TABELLE 1: Durchschnittliche Arbeiter-Jahresverdienste in 370 Unternehmen 1914-1918 (März 1914 = 100)*

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kocka, Klassengesellschaft, S. 14f. und 18. N = Nominalverdienste, R = Realverdienste auf der Basis des Lebenshaltungsindex; *Die Angaben beziehen sich immer auf den Monat September des jeweiligen Jahres; **Der Durchschnitt berechnet sich aus den Verdiensten der Kriegs- und Friedensindustrien und der Zwischengruppe.

Während des Krieges war es für die Höhe der Löhne vor allem entscheidend, welche Stellung der Industriezweig zur Rüstungsproduktion hatte.[134] In kriegswichtigen Industriezweigen waren die Löhne durchweg höher als in den anderen Bereichen, was besonders dazu führte, daß die Zeitgenossen die „wenig zahlreichen Großverdiener unter den Rüstungsarbeitern“ zum Maßstab für die Vermutung machten, „die Arbeiter hätten durch den Krieg ‘beträchtliche materielle Vorteile’ erreicht“.[135]

Die sinkenden Realverdienste sind ein deutliches Indiz dafür, daß sich für die überwiegende Mehrzahl der männlichen und weiblichen Arbeiter die Tendenz der Vorkriegszeit eines zwar langsam, aber generell steigenden Realeinkommens[136] merklich umkehrte. So fiel der reale Jahresverdienst zwischen 1914 und 1918 bei den männlichen Arbeitern durchschnittlich um 34,3%, bei den Frauen um 26,4%. Dieser „Verarmungsprozeß der Arbeiterschaft“[137] setzte sich in der Nachkriegsinflation fort und wurde erst nach 1923 aufgehalten. Um einen Eindruck von diesem Prozeß der ‘Verarmung’ zwischen 1920 und 1923 zu erhalten, sind in Tabelle 2 durchschnittliche Realwochenlöhne herangezogen worden, welche die allgemeine Tendenz der Reallohnbewegung widerspiegeln.[138] Deutlich wird vor allem, daß die Reallöhne der Vorkriegszeit von keiner Gruppe erreicht wurden.

TABELLE 2: Indizes der durchschnittlichen Realwochenlöhne (Tariflöhne) 1920 bis 1923 für den Jahresdurchschnitt sowie den höchsten und niedrigsten Stand innerhalb des Jahres (1913 = 100)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Scholz, Lohn und Beschäftigung, S. 286 und Statistisches Reichsamt (Hg.), Zahlen zur Geldentwertung, S. 41.

Auch wenn für die Jahre 1920 bis 1923 von keiner kontinuierlichen Ver-elendung der Arbeiterschaft gesprochen werden kann, da zumindest 1921 von einigen Arbeitergruppen die Vorkriegsverdienste fast erreicht wurden, so ist es doch naheliegend, daß die erheblichen Schwankungen im Laufe eines Jahres und die ab 1921/22 ständig sinkenden Einkommen die Lebensführung zunehmend erschwert und unsicher gemacht haben.

Neben diesen erkennbaren Reallohneinbußen der Arbeiterschaft war es ein weiteres Kennzeichen der Lohnentwicklung während des Krieges und der Inflation, daß eine Nivellierung zwischen den einzelnen Berufsgruppen - Arbeitern, Angestellten und Beamten - ebenso wie zwischen An- und Ungelernten sowie Männern und Frauen stattgefunden hat. Waren die finanziell bessergestellten Haushalte des Mittelstandes sowie der Beamtenschaft zu Beginn des Krieges durchaus noch in der Lage, Vorräte anzuschaffen, Einsparungen vorzunehmen und damit ihren Lebensstandard annähernd zu halten, so wurden etwa seit 1916 auch in diesen Schichten die realen Einkommenseinbußen immer deutlicher spürbar.[139] Die Nivellierung der Männer- und Frauenlöhne beruhte darauf, daß sich die Abnahme der realen Jahresverdienste der Frauen geringer als bei den Männern auswirkte, da die nominellen Zugewinne zumeist höher ausfielen, wie in Tabelle 1 gezeigt wurde.[140] Diese auf den ersten Blick ‘positive’ Entwicklung hatte ihre Ursache in den extrem niedrigen Durchschnittsverdiensten der Frauen vor dem Krieg. Zwar erhöhten sich ihre Löhne durch den Wechsel von den niedriger entlohnten Friedens- in die generell höher entlohnte Kriegsindustrien ‘zwangsläufig’, dennoch blieben „die Arbeiterinnenlöhne in der jeweils die Frauen bestbezahlenden Industrie niedriger als die Männerlöhne in der jeweils die Männer am schlechtesten entlohnenden Industrie“.[141] Durchschnittlich verdienten die Frauen nur etwa 50% der durchschnittlichen Männerlöhne.[142] Wesentliche Argumente für diese Minderbezahlung der Frauen waren zum einen ihre niedrige Qualifikation, zum anderen ihre geringe Körperkraft. Aber auch in Bereichen, wo beiden Gründen keine Bedeutung zukam, blieb dieses Ungleichgewicht bestehen.[143] In Anbetracht der allgemein sinkenden Reallöhne ist also festzustellen, daß die Verringerung der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen im wesentlichen nicht eine Folge der Erhöhung des Frauenlohnes war, sondern „daß die Angleichung durch Senkung beider Lohngruppen gegen das Existenzminimum eintrat“.[144] 1924 bewegten sich die Frauenlöhne bei etwa 60-80% der Männerlöhne, womit zumindest die Höhe „des Vorkriegs- und auch des Kriegs-Frauenlohnanteils von etwa 30 bis 60%“[145] überschritten wurde.

Für die Lebenshaltung der Familien ist es in Anbetracht der niedrigen Frauenlöhne maßgebend gewesen, ob die Frauen zum Familieneinkommen dazuverdienten, ihre Männer also der Einberufung ‘entgangen’ waren und somit auf mehrere Einkommen zurückgegriffen werden konnte, da dies zu einer relativen Stabilisierung der Lebensverhältnisse - zumindest in den ersten Kriegsjahren - beigetragen haben dürfte, oder ob die Frauen mit diesen Löhnen sich und ihre Kinder alleine ernähren mußten, während ihre Männer im Krieg waren und nicht zum Unterhalt der Familie beitragen konnten.[146] Für die Familien, für die letzteres zutraf, hatte dies merkliche Einbußen in der Lebenshaltung zur Folge.

Es bleibt festzuhalten, daß mit zunehmender Preissteigerung weder die Unterstützungssätze für die Familien der Einberufenen noch die Löhne der meisten Arbeiter und zunehmend auch nicht die Gehälter der Angestellten und kleinen bis mittleren Beamten zur Versorgung der Familien ausreichten. Während des Krieges waren es neben der Teuerung noch zwei weitere Faktoren, die eine ausreichende Versorgung so gut wie unmöglich machten. Zum einen verschärfte sich schon wenige Monate nach Kriegsbeginn der Mangel an Nahrungsmitteln und anderen Gebrauchsgütern beträchtlich, was mit zunehmender Dauer zum bereits erwähnten Funktionsverlust des Geldes führte.[147] Zum anderen wurde auf Grund des Mangels seit Februar 1915 ein System der Rationierung eingeführt, welches sich bis Ende des Krieges auf fast alle Nahrungsmittel sowie Gebrauchsgüter erstreckte. Die staatlich festgelegten Rationen entfernten sich allerdings immer mehr von dem tatsächlichen Bedarf und führten zu einer weitverbreiteten Unterversorgung der Bevölkerung. Mangel und Rationierung bestimmten auch über das Ende des Krieges hinaus das tägliche Leben und wurden 1921/22 durch eine sich zunehmend beschleunigende Preissteigerung abgelöst, welche in der Hyperinflation ihren Höhepunkt erreichte.

1.2.2. Rationierung und Teuerung der Nahrungsmittel

Die Versorgungskrise der Jahre 1914 bis 1924 brachte für die Mehrzahl der Bevölkerung bezüglich der Lebenshaltung wesentliche Veränderungen und Verschlechterungen mit sich. Teuerung, Mangel und Rationierung fast aller Waren bestimmten zunehmend das Leben dieses unruhigen Jahrzehnts. Von den Auswirkungen dieser zentralen Sachverhalte waren, neben Gebrauchsgütern wie Bekleidung, Heizmaterial, Petroleum und Hausrat, besonders die Nahrungsmittel betroffen.[148] Als Folge wurden die Möglichkeiten zur Existenz-erhaltung zunehmend erschwert und letztlich in Frage gestellt. Für die Hausarbeit der Frauen und damit für die Reproduktion der Familien bedeuteten die wirtschaftspolitischen Entwicklungen entscheidende Einschnitte und Veränderungen, und die Frauen in ihrer Funktion als Hausfrauen wurden damit frühzeitig und massiv konfrontiert. War der Mangel das zentrale Merkmal der Kriegsjahre, so wurden die Jahre der Inflation bestimmt von einer sich zunehmend beschleunigenden Teuerung.

Kam es zu Beginn des Krieges, ausgelöst durch Panik- und Vorratskäufe der privaten Konsumenten, der Kommunen ebenso wie des Heeres, zu erheblichen Preissteigerungen und einer plötzlichen Knappheit an Waren[149], so setzten spätestens ab September 1914 eine kontinuierliche Teuerung und ein sich immer weiter ausbreitender Mangel an Nahrungsmitteln, Gebrauchsgütern und Rohstoffen ein.

Die Ursachen für diese Entwicklung waren vielschichtig.[150] Entscheidend waren die Konsequenzen der alliierten Handelsblockade, welche anfänglich völlig unterschätzt wurden. Die Äußerung Helfferichs kurz vor Ausbruch des Krieges, „daß es ihm nur Theorie erscheine, über die Nahrungsmittelversorgung Deutschlands im Kriege sich Sorge zu machen“[151] entsprach folglich der herrschenden Meinung. Doch die Realität sah anders aus: zwar lag der Grad der Selbstversorgung des Deutschen Reiches für Getreide, Kartoffeln und Rüben bei über 90%, doch besonders Milchprodukte, Eier und Fette mußten zu einem großen Teil über Importe gedeckt werden. Noch gravierender war die Importabhängigkeit bei Düngemitteln und Viehfutter, so daß die landwirtschaftliche Produktion im Laufe des Krieges durch die Folgen der Blockade um ca. 30-40 Prozent gegenüber dem Vorkriegsniveaus zurückging und die Viehbestände erheblich reduziert werden mußten, da das nötige Futter fehlte und die Tiere als Nahrungskonkurrenten der Menschen betrachtet wurden.[152] Aber nicht nur die Auswirkungen der Blockade, auch die Zurückdrängung der Landwirtschaft zugunsten der Streitkräfte und der Rüstungsindustrie verringerten die landwirtschaftliche Produktion, weil Arbeitskräfte und Material in erheblichem Maße abgezogen wurden.[153] Zusätzlich führten Transportschwierigkeiten zu Verteilungsproblemen der vorhandenen Nahrungsmittel, und gerade in den größeren Städten und Industrieregionen, welche reine Bedarfsgebiete waren, kam es wiederholt zu extremen Mangelerscheinungen.[154]

Staatliche Maßnahmen angesichts der bestehenden und zukünftigen Probleme auf dem Ernährungssektor blieben anfänglich aus und setzten später nur sehr zögerlich ein, vor allem da die Illusion eines kurzen Krieges dies nicht nötig erscheinen ließ. „Durch optimistische Presseberichte zur Ernährungslage in trügerische Sicherheit gewiegt, verzehrte die Bevölkerung noch spät im Jahre 1914 mehr Kuchen als vor dem Krieg.“[155] Ferner wurde von staatlicher Seite zu spät erkannt, welche große Bedeutung der Ernährungssektor für die Kriegsführung hatte, wie stark Durchhaltewillen und Arbeitsleistung davon beeinflußt wurden.

So bestand die einzige gesetzliche Grundlage für eine staatliche Einflußnahme in dem Höchstpreisgesetz vom 4.8.1914, welches zunächst lokale Höchstpreise für „Gegenstände des täglichen Bedarfs“, seit dem 28.10.1914 reichsweite Höchstpreisfestsetzungen ermöglichte und im Dezember auf andere Gegenstände ausgeweitet wurde.[156] Doch erfolgte die Durchführung dieser Maßnahme nur sehr schleppend, meist erst auf Druck der Öffentlichkeit, und führte zudem nur begrenzt zum Erfolg.

Die ersten reichsweiten Höchstpreise wurden, gleichzeitig mit der Verordnung vom 28.10.1914, für Brotgetreide festgesetzt. Zusätzlich mußte dieses stärker ausgemahlen und durch Kartoffelzusatz gestreckt werden, womit das sogenannte K-Brot entstand.[157] Diesen ersten Höchstpreisen folgten weitere: 1914 noch für Futtergetreide, Kleie, Kartoffeln, Kartoffelfabrikate und Zucker. 1915 wurden dann allmählich für alle wichtigen Nahrungsmittel wie Hülsenfrüchte, Butter, Fisch, Wild, Milch, Schweinefleisch, Öle, Fette, Gemüse, Obst, alle Sorten Brotaufstrich, Zwiebeln und Sauerkraut Höchstpreise festgesetzt und erst ab März 1916 verlangsamte sich das Tempo der Höchstpreisfestsetzungen, auch weil es „kaum noch Lebens- und Futtermittel“ gab, „die noch nicht höchstpreisgebunden“ waren.[158]

War es das beabsichtigte Ziel, durch die Höchstpreisfestsetzungen den Konsumenten gerechte und ‘angemessene’ Preise zu garantieren, so bedeuteten die Höchstpreise doch nur eine Legalisierung der bereits stark angestiegenen Marktpreise.[159] Je später sie also festgesetzt wurden, desto höher lagen bereits die Marktpreise der entsprechenden Waren und damit die Höchstpreise. Eine weitere Folge der Höchstpreise war das Verschwinden der Waren vom Markt. Sobald für ein Produkt ein Höchstpreis festgelegt worden war, verschwand dieses vom Markt und wurde entweder auf dem Weg des Schleichhandels[160] teurer verkauft, oder die Händler und Produzenten hielten es zurück, bis der Höchstpreis heraufgesetzt wurde, was daher, um einen völligen Zusammenbruch der Versorgung zu verhindern, häufig der Fall war.[161] Gleichzeitig mit dem Verschwinden der höchstpreisgebundenen Produkte vom Markt stiegen, verursacht durch eine größere Nachfrage, die Preise für noch ‘freie’ Erzeugnisse.[162]

Darüber hinaus führte die „Beschaffungspolitik des Heeres“ zu weiteren Preissteigerungen, da die „Armeerationen“ oft unter Umgehung der Höchstpreise beschafft wurden und bei der Verteilung dieser Rationen „keine Rücksicht auf die knapp vorhandenen Lebensmittelvorräte genommen“ wurde.[163] Dieser verhängnisvolle Kreislauf der Preissteigerung führte zu einem ständigen Anstieg der gesamten Lebenshaltungskosten. Von Juli 1914 bis Juli 1915 stiegen in Berlin die durchschnittlichen monatlichen Nahrungsmittelkosten pro Kopf von 23,45 Mark auf 39,83 Mark, im Oktober 1915 betrug der Preisanstieg für Kartoffeln und Butter bereits 100%, für Brot 70%, für Milch 36% und für Eier 23%.[164]

Die Festsetzung von Höchstpreisen konnte letztendlich auch deshalb wenig Erfolg erzielen, da sie nichts an der Tatsache änderte, daß der Bedarf an Nahrungsmitteln beträchtlich über dem vorhandenen Angebot lag.

Nachdem schließlich immer offensichtlicher wurde, daß ein schnelles Ende des Krieges unwahrscheinlich sein würde, die Höchstpreise nur sehr begrenzt Erfolg zeigten und vor allem der Mangel an verschiedenen Produkten - und damit die begrenzte Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft - immer deutlicher wurde, begann 1915 die „öffentliche Bewirtschaftung der Nahrungsmittel“.[165] Den Anfang bildete die Bundesratsverordnung über die „Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl“ vom 25. Januar 1915, welche den Kommunalverbänden die Möglichkeit gab, die Verbrauchskontingente für Brot und Mehl zu reglementieren.[166] Diese Verordnung und die dazugehörige Gründung der Reichsgetreidestelle waren der Beginn des Systems der Lebensmittelkarten zum Zweck der Rationierung. Im Januar 1915 erfolgte die Brotrationierung in Berlin, im Juni 1915 reichsweit.[167] Trotz der Forderung weiter Kreise, die zentrale Bewirtschaftung auf andere Produkte auszudehnen, wurden im Jahre 1915 keine weiteren Schritte in dieser Hinsicht unternommen. Zwar wurden im September 1915 in Gemeinden über 10.000 Einwohnern Preisprüfungsstellen zur Kontrolle der Höchstpreise und zur Bekämpfung von Wucher und Schleichhandel eingerichtet, in einzelnen Städten schon vor der reichsweiten Einführung eine auf Marken beruhende Verteilung von Nahrungsmitteln, besonders Kartoffeln, durchgeführt, doch zu einer reichsweiten und damit effektiveren ‘Planwirtschaft’ konnte sich das dafür zuständige Reichs-amt des Inneren noch nicht entschließen.[168] Anstelle konkreter Maßnahmen gab das Ministerium des Inneren Ende 1915 einen Ratgeber heraus, welcher von Fehleinschätzungen und längst überholten Ratschlägen angefüllt war.[169] Daß mit dieser Form der Propaganda bei der Bevölkerung wenig ausgerichtet werden konnte und sie geradezu als Provokation empfunden wurde, verdeutlicht ein Eintrag aus dem Tagebuch der Anna Kohns vom April 1916:

„Wir lassen uns nicht aushungern! Der reinste Hohn ist dieser Ausspruch. Jeder hat Hunger bis in die kleinste Zehe.“[170]

Erst als im Winter 1915/16 der Ruf nach staatlichen Eingriffen zunahm, die einzige Besserung der Zustände im Ernährungsbereich von einem „Lebensmitteldiktator“[171] erwartet wurde und die Notwendigkeit, die lebenswichtigen Güter zu sichern sowie gerecht zu verteilen, als äußerst dringlich erkannt wurde, sah sich die Regierung genötigt, entsprechende Schritte zu unternehmen. Aber nicht nur die Tatsache, daß die Ernährungslage eine entscheidende Verschlechterung erfahren hatte, sondern auch die Einsicht, daß die ‘Sorge um das tägliche Brot’ immer mehr die patriotische Stimmung verdrängte und den Durchhaltewillen minderte, förderte diesen Entschluß.

Waren die „bürokratischen Verhaltensweisen“ der ersten beiden Kriegsjahre „gekennzeichnet von Schludrigkeit, Undurchsichtigkeit und Eigennutz in den leitenden Stellen der deutschen Kriegsernährungswirtschaft“[172], so wurden durch die Gründung des Kriegsernährungsamts (KEA) am 22. Mai 1916 einschneidende Maßnahmen für eine planvollere Kriegsernährungspolitik verwirklicht.[173] Aber der Erfolg des KEA war nur mäßig. Die öffentliche Erwartungshaltung war auf Grund der miserablen Ernährungslage so hoch, daß sie nicht erfüllt werden konnte. Und auch die konkreten Leistungen waren gering. Dies war darauf zurückzuführen, daß das KEA einerseits die bereits begonnene politische Richtung der Bewirtschaftung beibehalten mußte weil ihm die nötige Exekutivgewalt fehlte, es andererseits nicht in der Lage war, den Mangel abzuwenden, geschweige denn zu beseitigen.[174] Die Hauptaufgabe des KEA wurde somit die Verteilung der knappen Nahrungsmittel und Gebrauchsgüter auf alle Mitglieder der Gesellschaft.

Mit der Gründung des KEA begann die eigentliche Phase der Rationierung mittels Lebensmittelkarten. Waren bereits im Februar 1915 die Brotkarte, im Februar 1916 die Kartoffelkarte und im April die Zuckerkarte eingeführt worden, so wurden im August die Reichsfleischkarte, im September die Speisefettkarte und im Oktober die Eierkarte ausgegeben.[175] Es folgten weitere Karten für Milch, Quark und Käse, Marmelade, Kunsthonig, Sauerkraut und Reis, so daß fast alle Gegenstände des täglichen Bedarf bald nur noch über Karten zu beziehen waren, bis hin zu Bezugsscheinen für Bekleidung und Kohlenkarten für Brennstoffe. Produkte, welche nicht rationiert worden waren, waren kaum noch erhältlich, da sie entweder in den Kanälen des Schwarzmarkts verschwanden oder die große Nachfrage danach schnell zu einem Mangel führte. Die Lebensmittelkarten bedeuteten die Ausgabe bestimmter Rationen pro Kopf der Bevölkerung, stellten allerdings keine Garantie für den Erhalt der jeweiligen Mengen dar, sondern vielmehr das Verbot, mehr als vorgesehen zu erwerben. Im Verlauf des Krieges wurden diese Rationen immer kleiner oder waren zumindest erheblichen Schwankungen ausgesetzt, da schlechte Ernteerträge, Transportprobleme und die Zurückhaltung von Waren seitens der Landwirte dazu führten, daß die rationierten Höchstmengen den immer kärglicheren Vorräten angepaßt werden mußten.[176] Die Rationen deckten bald nur noch 50-60 Prozent des durchschnittlichen Bedarfs von etwa 2800 Kalorien pro Tag, oft noch weniger.[177] Trotz der Einführung von Rüstungs-, Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, der Zuteilung höherer Milchrationen an Schwangere und Kleinkinder und in einigen Fällen der Bevorzugung sogenannter Minderbemittelter ließ sich eine Unterversorgung fast der gesamten Bevölkerung nicht aufhalten, so daß sich Unterernährung und Mangelerkrankungen bedenklich ausbreiteten.[178]

TABELLE 3: Das Gewicht der offiziellen Lebensmittelrationen in Prozent des Friedensverbrauchs (1912/13 = 100)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zimmermann, Die Veränderungen, S. 457. Angegeben sind die jeweiligen Rationen eines Normalverbrauchers. Die Mengen gelten pro Kopf der Bevölkerung.

Die Tabelle 3 läßt anhand des Vergleichs der Gewichtsmengen der offiziellen Lebensmittelrationen zum durchschnittlichen Friedensverbrauch aber nicht nur eine deutliche Unterversorgung erkennen, sondern auch einen Wandel der Ernährungsgewohnheiten. Vor allem Fleisch, Fett und Eier, welche vor dem Krieg den täglichen Speiseplan bestimmten, reduzierten sich auf Bruchteile des Friedensverbrauchs, und ihr Stellenwert in der Ernährung wurde abgelöst durch vegetabile Produkte, darunter besonders Kartoffeln, aber auch Obst und Gemüse; letzteres war entweder frei erhältlich, wurde im eigenen Garten, auf dem Balkon oder Fensterbrett gezogen oder durch Hamsterfahrten aufs Land beschafft.[179]

Der Erhalt der ohnehin niedrigen Rationen wurde im Verlauf der letzten Kriegsjahre immer unsicherer, und die angegebenen Mengen kamen immer seltener zur Verteilung. Die Qualität der Nahrungsmittel verschlechterte sich zunehmend, so daß sie nicht mehr als gleichwertig zum Vorkriegsstand angesehen werden konnte, und zahlreiche, zum Teil sehr fragwürdige Ersatzstoffe wurden eingeführt.[180]

„Mit am ausgedehntesten war die Salatöl-Ersatzfabrikation, die auf eine große Nachfrage rechnen konnte, weil bei der pflanzenreichen Kost ein öliges Salatbereitungsmittel von jeder Hausfrau gebraucht wurde. Unter Phantasienamen, wie ‘Salatan’, ‘Salatin’, auf den Markt gebracht, bestanden sie aus einem 98 bis 99prozentigen wasserhaltigen Pflanzenschleim, der gelb gefärbt und auch wohl zur Konservierung mit Benzolsäure versetzt war. ... Von einer Mineralisierung der Nahrungsmittel hat man gesprochen in Anbetracht des Gipses, der Schlämmkreide, des Sandes, der Asche usw., die manchen Ersatzmitteln zugesetzt wurden.“[181]

Der Hungerwinter 1916/17 brachte den Höhepunkt der Versorgungskrise, und die Kohlrübe, als Ersatz für die durch eine Mißernte extrem verminderte Kartoffelmenge verteilt, wurde zum verhaßten Symbol dieser Periode.

„Diese Kohlrübe tritt in allen Variationen auf: Kohlrübe in Wasser als reguläre Kohlrübe, Kohlrübe als Quetschkartoffelersatz, Kohlrübensuppe, Kohlrübe gehobelt als Sauerkrautersatz, Kohlrübe in Scheiben als ‘Bratkartoffel’, Kohlrübensalat, sogar als Kuchenteig findet sie Verwendung.“[182]

Neben der Senkung der Kartoffelration fast gegen Null mußten auch die Rationen für Fleisch, Fett und Zucker reduziert werden. Doch selbst die Zuteilung dieser geringen Mengen konnte oftmals nicht gewährleistet werden. Das Versorgungsniveau der Bevölkerung hatte mit knapp 1100 Kalorien pro Tag seinen absoluten Tiefstand erreicht.[183] Zusätzlich stiegen die Preise, einschließlich der Höchstpreise, weiterhin an, so daß immer weitere Bevölkerungsgruppen nicht einmal mehr die minimalen Rationen vollständig kaufen konnten. Als im April 1917 die Brotration gesenkt wurde, „war die Grenze des Erträglichen endgültig überschritten“.[184] Die Stimmung in der Bevölkerung verschlechterte sich fortwährend, wachsende Unzufriedenheit und Verbitterung griff um sich. Die Bereitschaft zum ‘Durchhalten’ wurde immer geringer, und als Konsequenz der verfehlten Ernährungspolitik verlor man weitgehend das Vertrauen in Staat und Gesetze. War es bereits in den Jahren 1915 und 1916 wiederholt zu Hungerkrawallen, Tumulten und kleineren Streiks gekommen, so führte die Kürzung der Brotration im April 1917 zu den ersten großen Massenstreiks seit Ausbruch des Krieges.[185] Ferner nahm die Selbsthilfe weiter Kreise der Bevölkerung an Intensität und Umfang zu, und Schwarzmarkteinkäufe sowie Hamsterfahrten wurden zum Charakteristikum der illegalen Selbstversorgung. Der illegale Zukauf von Nahrungsmitteln über den Schwarzen Markt wurde, als Folge der unzureichenden Rationen, der mangelnden Qualität und der ungenießbaren Ersatzmittel, trotz der überhöhten Preise immer unentbehrlicher zur Aufbesserung der offiziellen Rationen, und der Schwarzmarkt wurde quasi zum „Rettungsmittel“ für das Überleben und damit fast ein offizieller Teil des Lebensmittelmarktes.[186] Doch nicht nur die privaten Verbraucher nutzten diese ‘zweite Ökonomie’, sondern „auch manche Stadtverwaltungen, die die Not ihrer Einwohner zuerst zu spüren bekamen, versuchten auf illegalem Wege, zusätzliche Nahrungsmittel aufzukaufen, um so Streiks und Hungerkrawalle zu verhindern“.[187]

„Auf dem Gebiete der Ernährung ist es so weit gekommen, daß auch sonst durchaus zuverlässige Kreise der Bevölkerung, die sich lange bemüht haben, den unübersehbaren Rationierungsvorschriften sich zu fügen, sich jetzt ohne Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen bedenkenlos versorgen, so wie sie können. Sie nennen es Selbsthilfe, die sie sogar für rechtlich zulässig halten, weil die Behörden ihrer Verpflichtung zur gleichmäßigen gehörigen Versorgung der Bevölkerung nicht mehr nachkämen.“[188]

Die ständig steigenden Preise stellten für den überwiegenden Teil der Familien eine enorme Belastung ihres Haushaltsbudgets dar. Bei einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen von 250-350 Mark mußte eine vierköpfige Arbeiterfamilie etwa 60% der Gesamtausgaben einkalkulieren, um eine in etwa ausreichende Menge an Nahrungsmittel zu erhalten.[189] Da die hohen Schwarz-marktpreise[190] zunehmend nur noch von den wenigen Besserverdienenden zu bezahlen waren und es für Durchschnittsverdiener ohnehin immer mühsamer wurde, die ‘normalen’ Ausgaben durch die Einnahmen zu decken, wurde die Sicherstellung ihres Ernährungsbedarfs immer ungewisser. Dies betraf anfänglich besonders die Empfängerinnen der Familienunterstützung sowie Arbeiter und Angestellte der nichtkriegswichtigen Unternehmen, deren finanzielle Mittel oft nicht einmal ausreichten, um die ihnen zustehenden Rationen zu bezahlen. Aber auch die Löhne der Rüstungsarbeiter konnten mit den Preisen des Schwarzmarktes immer weniger mithalten.[191] So wurde der Schwarzmarkt zum ‘Tummelplatz’ der Wohlhabenden und unterlief die oft propagierte Gleichheit, so daß sich die Gegensätze zwischen Arm und Reich - ebenso wie bereits zwischen Stadt und Land - verschärften.[192] Diese zunehmende Ungleichheit war eine weitere wesentliche Quelle für die Verbitterung weiter Bevölkerungskreise.

Auffallend zahlreich und häufig waren Frauen an den Tumulten, Krawallen, Unruhen und Streiks beteiligt. Sicherlich war ihre Zuständigkeit für den Einkauf von Nahrungsmitteln ein oftmals auslösendes Moment für ihre Beteiligung. Schließlich wurden sie tagtäglich mit dem Mangel, den überhöhten Preisen und dem oft erfolglosen Anstehen nach Waren konfrontiert. Besonders in den Großstädten mußten die Frauen spätestens seit 1915 schon früh am morgen oder bereits in der Nacht vor den Geschäften ‘Posten beziehen’, um überhaupt etwas Eßbares zu erhalten. Der Einkauf wurde damit auch eine ‘Zeitfrage’, denn nur wer die Zeit hatte, stundenlang vor den Geschäften zu stehen oder auf der Suche nach Waren von Geschäft zu Geschäft zu laufen, konnte möglicherweise seine Rationen und zusätzliche freie Nahrungsmittel beziehen.[193] Das Schlangestehen in den sogenannten ‘Lebensmittelpolonaisen’ des Krieges bei Tag und Nacht, Wind und Wetter bedeutete für die Frauen eine enorme Belastung und beeinflußte erheblich ihre Stimmung. Doch nicht nur diese Mehrarbeit und die täglichen Mühen des Besorgens, sondern auch die ständig steigenden Preise, welche den Mangel an ausreichender Ernährung für viele Familien weiter verschärften, führten zu dem Stimmungsverfall, welcher bei den Frauen frühzeitig beobachtet wurde.

„Sobald z.B. irgend ein notwendiges Lebensmittel eine weitere, teilweise wucherische Preissteigerung erfahren hat, so stehen die kaufenden Arbeiterfrauen in kleineren und größeren Gruppen umher und geben ihren Unwillen in lebhafter Weise untereinander zum Ausdruck. Es herrscht hierbei eine äußerst gereizte Stimmung unter diesen Proletarierfrauen, und die Maßnahmen der Regierung erfahren hierbei häufig eine recht gehässige Kritik. Es darf nicht wundernehmen und muß damit gerechnet werden, daß es gelegentlich solcher Vorkommnisse mal zu Tumulten kommt und wucherischen Händlern die Waren kurzer Hand weggenommen oder zerstört und auf die Straße geworfen werden.“[194]

Diese Reaktionen der Frauen werden um so verständlicher, wenn man bedenkt, daß einerseits von ihnen erwartet wurde, daß sie die täglichen Mahlzeiten für die Familien zubereiten sollten, sie andererseits aber immer seltener wußten, womit sie dies tun sollten. Die tägliche Hausarbeit wurde in zunehmendem Maße geprägt durch Unregelmäßigkeit und Ungewißheit. Teuerung und Mangel aller notwendigen Produkte führten letztendlich dazu, daß viele Frauen die Versorgung nach eigenen Möglichkeiten und Rechtsvorstellungen bewerkstelligten und immer häufiger die Protagonistinnen der illegalen Aktivitäten wurden.[195]

Mit dem Ende des Krieges im November 1918 brach die Versorgung endgültig zusammen, und die sehnsüchtig erhoffte Besserung der Ernährungssituation trat nicht ein. Dieser Zustand lastete schwer auf der Bevölkerung, welche gehofft hatte, nun endlich ihren Nachholbedarf an guter und ausreichender Nahrung stillen zu können. So blieben Unmut, Protest und die illegale Beschaffung von Nahrungsmitteln weiterhin an der Tagesordnung.[196] Die Handelsblockade wurde noch bis zum 12.7.1919 aufrechterhalten und verhinderte die Einfuhr dringend benötigter Nahrungsmittel. Der Mangel besonders an Kartoffeln, Fleisch, Fett, Obst, Gemüse und Milch hielt weiterhin an, und die Versorgungslage 1918/19 war zeitweise so schlecht, daß sie der von 1917 ähnelte. 1919 stiegen dann die Preise so stark an, daß im April des Jahres ein Gesetz zur Einrichtung von Sondergerichten gegen Schleichhandel und Preistreiberei erlassen wurde und sich die Kommunen genötigt sahen, städtische Wucherämter einzurichten, „wohl wissend, daß das zeitweilige Angebot von teuren Lebensmitteln noch provozierender wirkte als der absolute Lebensmittelmangel“.[197] Auch mit dem Ende der Handelsblockade änderte sich an der schlechten Versorgung wenig. 1919/20 wurde der Alltag weiterhin geprägt durch Mangel und Teuerung, wieder mußte die Kohlrübe als Ersatz herhalten.[198] So blieben Schleichhandel und Hamsterfahrten auch in der Nachkriegszeit lebensnotwendig.

Trotz der weiterhin miserablen Versorgungslage begann man 1920 das System der Rationierung und Preisregulierung abzubauen[199], was dazu führte, daß sich, nach einer kurzfristigen Stabilisierung der Verhältnisse 1920, eine Verschiebung der Problemlage von einer Versorgungskrise hin zu einer Teuerungskrise abzeichnete. Mit zunehmender Teuerung, Geldentwertung und damit verbundenen sinkenden Reallöhnen wurde die Versorgung täglich von neuem schwieriger. Für viele Waren wurden die Schwarzmarktpreise zu Marktpreisen. So mußten im Oktober 1921 zum Beispiel in Moers für ein Pfund Schmalz 20 Mark, für Dauerwurst und Kaffee bis zu 34 Mark und für Speck 24 Mark ausgegeben werden.[200]

[...]


[1] Koppenfels, Sebastian von, Die Kriminalität der Frau im Kriege (Kriminalistische Abhandlungen, Heft 2), Leipzig 1926, S. 6.

[2] Scholz, Robert, Ein unruhiges Jahrzehnt: Lebensmittelunruhen, Massenstreiks und Arbeitslosenkrawalle in Berlin 1914-1923, in: Gailus (Hg.), Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin. Zur Sozialgeschichte der Straße (1830-1980), Berlin 1984, S. 79-123. Karin Hartewig betont statt dessen mehr die Unberechenbarkeit der Zeit als Ursache für die Unruhen und bezeichnet die Jahre daher als „unberechenbares Jahrzehnt“: Hartewig, Karin, Das unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet 1914-1924, München 1993. Letztendlich haben beide Bezeichnungen ihre Berechtigung und Gültigkeit.

[3] Bayrisches Statistisches Landesamt (Hg.), 50 Jahre Frauenkriminalität 1882-1932, bearb. von Josef Krug, München 1937, S. 3. Dass diese Sichtweise bis heute Aktualität behalten hat, zeigen: Andriessen, Margo/Japenga, Caren, Die großen Männer der Kriminologie und ihr Frauenbild, in: MschrKrim 68 (1985), S. 313-325; Lamott, Franziska, Der Risikofaktor >Frau<. Kriminalprävention und Mütterlichkeit, in: MschrKrim 68 (1985), S. 325-339.

[4] Blasius, Dirk, Kriminalität als Gegenstand historischer Forschung, in: Kriminalsoziologische Bibliographie 6 (1979), S. 1-15, hier S. 1.

[5] Vgl. besonders: Blasius, Dirk, Kriminalität und Alltag. Zur Konfliktgeschichte des Alltagslebens im 19. Jahrhundert, Göttingen 1978; Reif, Heinz (Hg.), Räuber, Volk und Obrigkeit. Studien zur Geschichte der Kriminalität in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1984. Dort jeweils auch weiterführende Literatur.

[6] „Spricht man von Kriminalität des Menschen, des Volkes schlechthin, so meint man die des ausgereiften Mannes; der Mann ist vielseitiger, erfindungsreicher, phantasievoller, schöpferischer und vor allem energischer und beharrlicher“; Sauer, Wilhelm, Kriminologie als reine und angewandte Wissenschaft, Berlin 1950, S. 82f. Auch wenn man davon ausgehen sollte, dass diese Ansicht heute so nicht mehr vertreten wird, kann sie doch eine Antwort darauf geben, warum die Frauenkriminalität noch kein größeres Interesse gefunden hat. Denn noch häufig wird abweichendes Verhalten von Frauen über ihre Sexualität wahrgenommen und dementsprechend aus der historischen Forschung ausgeblendet.

[7] Vgl. dazu und zu weiteren Grundlagen der Kriminologie: Kaiser, Günther, Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen, 8. neubearb. u. erg. Aufl., Heidelberg 1989.

[8] Vgl. besonders: Blasius, Dirk Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozialgeschichte Preußens im Vormärz, Göttingen 1976 sowie: ders., Kriminalität als Gegenstand.

[9] Zur Forschungsdiskussion und -kontroverse innerhalb der Protestforschung vgl.: Volkmann, H./Bergmann, J. (Hg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Opladen 1984; ferner die Beiträge von C. Tilly, Volkmann, Haupt und Hausen in: GG 3 (1977), S. 153-263, sowie Giesselmann, Werner, Protest als Gegenstand sozialgeschichtlicher Forschung, in: Schieder, W./Sellin, V. (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland, Bd. 3, Göttingen 1987, S. 50-77. Zur Verbindung zwischen Protest und Kriminalität vgl. besonders: Blasius, Dirk Sozialprotest und Sozialkriminalität in Deutschland: Eine Problemstudie zum Vormärz, in: Volkmann/Bergmann (Hg.), Sozialer Protest, S. 212-227.

[10] Lipp, Carola/Kienitz, Sabine/Binder, Beate, Frauen bei Brotkrawallen, Straßentumulten und Katzenmusik - Zum politischen Verhalten von Frauen 1847 und in der Revolution 1848/49, in: Assion, P. (Hg.), Transformationen der Arbeiterkultur, Marburg 1986, S. 49-63, hier S. 53.

[11] Guttmann, Barbara, Kriegsgegnerinnen und „liederliche Frauenzimmer“. Formen kollektiven Protests und individuellen nonkonformen Verhaltens von Frauen zur Zeit des Ersten Weltkrieges in Deutschland, in: Ludi, R. u.a. (Hg.), Frauen zwischen Anpassung und Widerstand. Beiträge der 5. Schweizerischen Historikerinnentagung im November 1988, Zürich 1990, S. 85-98, hier S. 92.

[12] Dazu: Blasius, Dirk Kriminalität und Geschichtswissenschaft. Perspektiven der neueren Forschung, in: HZ 233 (1981), S. 615-627; Volkmann, Heinrich, Kategorien des sozialen Protests im Vormärz, in: GG 3 (1977), S. 164-189.

[13] Diese Zunahme hat einige zeitgenössische Untersuchungen hervorgebracht, welche allerdings die Alltagssituation unzureichend berücksichtigen. Vgl. darunter besonders: Koppenfels, Die Kriminalität der Frau; Liepmann, Moritz, Krieg und Kriminalität in Deutschland, Stuttgart 1930, speziell S. 131-162. Dort auch ein ausführlicher Literaturüberblick. In der neueren Forschungsliteratur wird die Steigerung der Frauenkriminalität in Untersuchungen über die Jahre 1914-1924 zwar angesprochen, aber eine umfassende Untersuchung existiert nicht; vgl. besonders: Daniel, Ute, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989, S. 215-232 und Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 218-244.

[14] Vgl.: Hausen, Karin, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, W. (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363-393; dies., Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftspolitische Konstruktionen und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen, in: dies./Wunder, H. (Hg.), Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte. Frankfurt a.M. 1992, S. 81-88.

[15] Vgl. in diesem Zusammenhang zur Diskussion über die Alltagsgeschichte: Borscheid, Peter, Alltagsgeschichte - Modetorheit oder neues Tor zur Vergangenheit?, in: Schieder, W./Sellin, V. (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland, Bd. 3, Göttingen 1987, S. 78-100; Tenfelde, Klaus, Schwierigkeiten mit dem Alltag, in: GG 10 (1984), S. 376-394.

[16] Knoch, Peter, Kriegsalltag, in: ders. (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart 1989, S. 222-251, hier S. 222.

[17] Ebd., S.223.

[18] „Ohne Übertreibung kann es behauptet werden, dass die größten Änderungen, welche durch den Krieg in der Lebensführung der einzelnen gesellschaftlichen Klassen hervorgerufen wurden, bei den Frauen der unteren sozialen Schichten wahrzunehmen sind“; Auer, Georg, Über Verbrecher, Verbrechen und Strafen während des Krieges, in: ArchKrim 67 (1916), S. 133-148, hier S. 137. Zu den Arbeiterfrauen zählen hier alle Frauen aus Arbeiterfamilien, unabhängig davon, ob sie Lohnarbeit verrichteten oder nicht. Zu den Frauen aus dem Mittelstand gehören die Frauen aus dem Kleinbürgertum der Handwerker und Gewerbetreibenden, dem ‘neuen Mittelstand’ der Angestellten sowie der unteren und mittleren Beamtenschaft. Auf Grund der Literatur- und Quellenlage werden sich die Darstellungen einzelner Aspekte des Alltags dennoch hauptsächlich auf die Arbeiterfrauen beziehen. Doch gestalteten sich die Verhältnisse für die meisten Frauen des Mittelstandes vermutlich nicht wesentlich anders. Dort, wo entscheidende Unterschiede existierten, werden diese explizit genannt. Zum Mittelstand vgl.: Kocka, Jürgen, Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914-1918, Göttingen 1978², besonders S. 65-95. Zu den Auswirkungen des Krieges auf den Mittelstand auch: Günther, Adolf, Die Folgen des Krieges für Einkommen und Lebenshaltung der mittleren Volksschichten Deutschlands, in: Meerwarth, R. u.a., Die Einwirkung des Krieges auf Bevölkerungsbewegung, Einkommen und Lebenshaltung in Deutschland (Veröffentlichung der Carnegie-Stiftung), Stuttgart 1932, S. 99-279.

[19] Leider fehlt in der Kriminalstatistik für die Jahre von 1918-1925 eine detaillierte Aufstellung der persönlichen Verhältnisse der Verurteilten nach Alter, Familienstand, Beruf und Religion. Sie wurde, auf Grund von Einschränkungen des Personalbestandes und aus Ersparnisgründen, seit dem Jahrgang 1918 nicht mehr aufgestellt; vgl.: Kriminalstatistik für das Jahr 1918, Bd. 342, Berlin 1927, S. 3.

[20] Dennoch blieb die Frage nach dem Einfluß der Not auf die Kriminalität in der zeitgenössischen Diskussion „eine heiß umstrittene Frage“; Koppenfels, Die Kriminalität der Frau, S. 41-49, hier S. 43. Dazu auch als Überblick: Artikel Wirtschaftslage und Straffälligkeit, in: Handwörterbuch der Kriminologie und der anderen strafrechtlichen Hilfswissenschaften, (künftig abgekürzt HWK), Bd. 2 (1936), S. 1079-1116; Heiland, Hans-Günther, Wohlstand und Diebstahl. Eine Makroanalyse ausgewählter ökonomischer, sozialer und kriminalstatistischer Indikatoren unter Anwendung der multiplen Repressionsanalyse, Bremen 1983, besonders S. 11-54.

[21] Vgl. dazu: Geyer, Martin H., Teuerungsprotest und Teuerungsunruhen 1914-1923. Selbsthilfegesellschaft und Geldentwertung, in: Gailus/Volkmann (Hg.), Der Kampf um das tägliche Brot, Opladen 1994, S. 321-345; Hurwicz, E., Studien zur Statistik der Sozialkriminalität, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 63 (1915), S. 312-371; Trommer, Harry, Urkundenfälschung und Betrug im Weltkriege ( Kriminalistische Abhandlungen, Heft 6), Leipzig 1928, speziell S. 57-70.

[22] Vgl. zum Stadt-Land-Gegensatz und zu seiner Verschärfung während der Kriegs- und Krisenjahre: Tenfelde, Klaus, Stadt und Land in Krisenzeiten. München und das Münchener Umland zwischen Revolution und Inflation 1918-1923, in: Hardtwig, W./Tenfelde, K. (Hg.), Soziale Räume in der Urbanisierung. Studien zur Geschichte Münchens im Vergleich 1850-1933, München 1990, S. 37-57; Daniel, Arbeiterfrauen, S. 182, 221 und 283 Anm. 42. Zur Situation der Landbevölkerung vgl.: Ziemann, Benjamin, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, Essen 1997.

[23] Vgl. Lombroso, C./Ferrero, G., Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Anthropologische Studien, gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, Hamburg 1894.

[24] Vgl. als Überblick: Kaufmann, Hilde, Das Bild der Frau im älteren kriminologischen Schrifttum, in: MschrKrim 50 (1967), S. 143-153.

[25] Vgl.: Ebd., S. 152f.; Dürkop, M./Hardtmann, G., Frauenkriminalität, in: Kritische Justiz 7 (1974), S. 219-236, besonders S. 222.

[26] Vgl. besonders: Exner, Franz, Krieg und Kriminalität (Kriminalistische Abhandlungen, Heft 1), Leipzig 1926, S. 8; auch Liepmann, Krieg und Kriminalität, S. 162.

[27] Vgl.: Gipser, D./Stein-Hilbers, M. (Hg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen. Alltägliches Leiden und abweichendes Verhalten von Frauen, Weinheim/Basel 1987²; Gransee, C./Stammermann, U., Kriminalität als Konstruktion von Wirklichkeit und die Kategorie Geschlecht. Versuch einer feministischen Perspektive, Pfaffenweiler 1992; Rotter, Mechthild, Die Frau in der Kriminologie, in: Kriminalsoziologische Biographie 6 (1979), S. 83-100; Smaus, Gerlinda, Das Strafrecht und die Frauenkriminalität, in: Kriminologisches Journal 22 (1990), S. 266-283.

[28] Vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 128. Danach waren „Ende 1915 weit über ein Drittel aller Ehemänner" zum Front- oder Garnisonsdienst eingezogen.

[29] Tenfelde, Klaus, Kollektive Selbsthilfe. Sozialer Protest in Deutschland während der Inflation 1923, unveröffentlichtes Manuskript <1983>, S. 21.

[30] Diese ‘Verwaltung der Not’ wurde von verschiedener Seite unterstützt und propagiert. Besonders die im ‘Nationalen Frauendienst’ zusammengeschlossenen Frauenorganisationen betrieben kräftig diese ‘Überzeugungsarbeit’. Vgl. die Jahrbücher des Bundes Deutscher Frauenvereine, hg. von Altmann-Gottheiner, E., Berlin 1912-1919. Aufschlußreich sind besonders die Jahrgänge 1915-1917. Wiederholt wurde zu Sparsamkeit und Ausnutzung aller Waren aufgerufen sowie Aufklärung und Erziehung für den „Kriegsdienst" im deutschen Haushalt betrieben; vgl.: Jahrbuch 1916, S. 142ff. Zur Politik und Funktion des Nationalen Frauendienstes siehe auch: Aurand, Detel/Stoehr, Irene, Frauen im I. Weltkrieg ~ Opfer oder Täter?, in: Courage 11+12 (1982), S. 43-50 und S. 44-50.

[31] Vgl.: Kaiser, Kriminologie, S. 163-177. Unter Kriminalisierung wird die Definition bestimmter Verhaltensweisen als kriminelle Handlungen verstanden. Der dazu erforderliche Verbrechensbegriff wird durch Veränderungen im Bereich der „Strafbarkeit“ beeinflußt, ist also abhängig von einem Wandel der Strafrechtsnormen und der Verfolgungsintensität. Vgl. zu diesem Themenkomplex insbesondere Kapitel 2.4.

[32] Vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 215.

[33] Sowohl während des Krieges als auch in den anschließenden Jahren hat es verschiedene Amnestiegesetze gegeben. Zum Inhalt und zu ihrer Anwendung vgl. Kapitel 2.4.1.

[34] Da die statistischen Quellen dies z.T. nur unzureichend wiedergeben, wird die Untersuchung zu diesem Komplex leider nur punktuell möglich sein. Vgl. dazu Kapitel 2.4.

[35] Vgl.: Kocka, Klassengesellschaft, speziell S. 131-137.

[36] Diese rückläufige Verfolgungsintensität wurde meist mit dem Mangel an Personal bei Polizei und Justiz während des Krieges begründet. Für die Nachkriegszeit wurden die Wirren der Revolution und der folgenden Jahre als Ursache genannt; vgl.: Statistisches Reichsamt (Bearb.), Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich seit 1882, in: Kriminalstatistik für das Jahr 1927, Band 370 der Statistik des Deutschen Reiches, Berlin 1930, S. 31-63, hier S. 33.

[37] Als bedeutend sind zu nennen: Das Gesetz zur Erweiterung des Anwendungsgebietes der Geldstrafen und zur Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen vom 21.12.1921, das Gesetz zum Schutz der Republik vom 21.7.1922, welches speziell im ‘politischen’ Bereich zu Veränderungen der Rechtsprechung führte, das Jugendgerichtsgesetz vom 1.7.1923, welches die Grenze der Strafmündigkeit von 12 auf 14 Jahre heraufsetzte, was bei der statistischen Entwicklung der Kriminalität berücksichtigt werden muss, die Strafjustizreform von 1924, die zur Umorganisierung der Strafgerichte und zur Aufhebung des Verfolgungszwangs gewisser Vergehen führte; vgl. Statistisches Reichsamt (Bearb.), Einleitung in die Kriminalstatistik für das Jahr 1931, Band 433 der Statistik des Deutschen Reiches, Berlin 1934, S. 9.

[38] Brökling, Elsbeth, Frauenkriminalität. Darstellung und Kritik kriminologischer und devianzsoziologischer Theorien. Versuch einer Neubestimmung, Stuttgart 1980, S. 4.

[39] Vgl.: Sack, Fritz, Kriminalität, Gesellschaft und Geschichte: Berührungsängste der deutschen Kriminologie, in: Kriminologisches Journal 4 (1987), S. 241-268. Die kritische Kriminologie betrachtet Kriminalität besonders in Abhängigkeit zur gesellschaftlichen Entwicklung und zu den bestehenden Herrschaftsverhältnissen. Kriminalität wird so zu einer sozialen Erscheinung. Die Labeling-Theorie weist dem Strafrecht dabei eine „aktive ... Rolle in bezug auf den Umfang und die Struktur der Kriminalität“ zu; ebd., S. 247. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zur traditionellen Kriminologie, welche „die Konzeption menschlichen Handelns in der individualistischen Reduktion und Abstraktion des Strafrechts konzipiert“ und dabei die „zentralen Fiktionen, Konstruktionen und Dogmen normativer Prägung aus dem Strafrecht“ übernimmt; ebd., S. 244f. Dazu ausführlicher Kapitel 2.

[40] Artikel Kriminalität, in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, (künftig abgekürzt KKW), hg. v. Kaiser/Kerner/ Sack/Schellhoss, 3., völlig neubearbeitete u. erweiterte Aufl., Heidelberg 1993, S. 238-246, hier S. 239.

[41] Vgl. zum Verbrechensbegriff: Kaiser, Kriminologie, S. 168-177; Artikel Verbrechensbegriff, in: KKW, S. 566-570.

[42] Brökling, Frauenkriminalität, S. 4.

[43] Dies wird auch von den zeitgenössischen Autoren angenommen. Allerdings liegen keine brauchbaren Schätzungen über das Dunkelfeld dieser Jahre vor; vgl. dazu: Liepmann, Krieg und Kriminalität, S. 8f. Zum Dunkelfeld vgl.: Artikel Dunkelfeld, in: KKW, S. 99-107.

[44] Statistisches Reichsamt (Bearb.), Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich seit 1882. Anlage II zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. Reichstag, III. Wahlperiode 1924/27, Drucksache Nr. 3390, Berlin 1927, S. 2.

[45] Die abgeurteilten Delikte wurden nach §1 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen aufgeteilt. Danach war:

- ein Verbrechen eine Handlung, welche „mit dem Tode, Zuchthaus, oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren“ bedroht wurde;
- ein Vergehen eine Handlung, welche mit „Festungshaft bis zu 5 Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als 1500 Mark“ [Stand 21.12.1921] bedroht wurde;

eine Übertretung eine „mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark“ [Stand 21.12.1921] bedrohte Handlung.

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Gesetz zum Schutz der Republik, Geldstrafengesetz, Militärstrafgesetzbuch und andere strafrechtliche Nebengesetze des Reiches und Preußens mit den Bestimmungen über die bedingte Strafaussetzung, hg. von Schäfer, Ernst/Hartung, Fritz, Berlin 1922. S. 12. Diese Ausgabe des Strafgesetzbuches dient hier als Grundlage für weitere gesetzliche Definitionen. (Im Folgenden abgekürzt StGB).

[46] Vgl.: Statistisches Reichsamt (Bearb.), Die Entwicklung der Kriminalität, Anlage II, S. 2. Zur Begründung, warum Übertretungen nicht miterfaßt wurden, vgl.: dass., Einleitung in die Kriminalstatistik für das Jahr 1931, S. 7.

[47] Die Prostitution ebenso wie die Abtreibung als die wenigen Straftaten, welche fast ausschließlich von Frauen begangen wurden und werden, werden aus inhaltlichen Gründen nur am Rande thematisiert, da diese Handlungen eine eigene Untersuchung erforderlich machen würden.

[48] Dirk Blasius geht davon aus, „dass auch Diebstähle ein Moment von ‘Widersetzlichkeit’ enthielten, soziales Aufbegehren in bestimmten Notsituationen waren“; Blasius, Kriminalität als Gegenstand, S. 12. Vgl. ebenfalls für die Interpretation von Eigentumskriminalität als Mittel der Austragung von politischen und sozialen Konflikten: Grüttner, Michael, Unterklassenkriminalität und Arbeiterbewegung. Güterberaubungen im Hamburger Hafen 1888-1923, in: Reif (Hg.), Räuber, Volk und Obrigkeit, S.153-184.

[49] Blasius, Sozialprotest und Sozialkriminalität, S. 215.

[50] Tenfelde, Selbsthilfe, S. 1. Vgl. auch: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 9-13.

[51] Zur Periodisierung aus Sicht der Inflationsforschung besonders: Schneider, Michael, Deutsche Gesellschaft in Krieg und Währungskrise 1914-1924. Ein Jahrzehnt Forschungen zur Inflation, in: AfS 26 (1986), S. 301-319. Schneider betont zwar, dass zwischen der „Kriegswirtschaft“ 1914-1918 mit ihren Sonderbedingungen und der Inflationszeit 1919-1924 trotz eines engen Zusammenhangs differenziert werden sollte, besonders, da im Krieg zwar auch eine nicht unerhebliche Teuerung zu verzeichnen war, diese aber nicht gleichzusetzen ist mit der inflationären Entwicklung der Nachkriegszeit. Allerdings weist er auch auf die kontinuierliche Existenz der Not in dem gesamten Zeitraum hin; ebd. S. 303f.

[52] Wulffen, Erich, Das Weib als Sexualverbrecherin. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte, Berlin 1923. Neben den sehr eindeutigen Werken von Lombroso und Wulffen findet sich dieser Ansatz, die Frauenkriminalität auf weibliche Wesensarten, biologische Merkmale und Konstitutionen zu reduzieren, z.T. allerdings in abgemilderter Form u.a. auch bei: Aschaffenburg, Gustav, Das Verbrechen und seine Bekämpfung. Einleitung in die Kriminalpsychologie für Mediziner, Juristen und Soziologen; ein Beitrag zur Reform der Strafgesetzgebung, 3. verb. Auflage, Heidelberg 1923; Exner, Franz, Kriminologie [1939], 3., verb. u. ergänzte Auflage, Berlin 1949; Hentig, Hans v., Das Verbrechen. III) Anlage-Komponenten im Getriebe des Delikts, Berlin 1963.

[53] Vgl. dazu die in Anm. 27 aufgeführte Literatur.

[54] Davon seien hier genannt: Schwarz, Klaus-Dieter, Weltkrieg und Revolution in Nürnberg. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Stuttgart 1971; Niehuss, Merith, Arbeiterschaft in Krieg und Inflation. Soziale Schichtung und Lage der Arbeiter in Augsburg und Linz 1910 bis 1925, Berlin 1985; Ullrich, Volker, Die Hamburger Arbeiterbewegung vom Vorabend des Ersten Weltkrieges bis zur Revolution 1918/19, 2 Bde., Hamburg 1976.

[55] Davon besonders: Bumm, Friedrich (Hg.), Deutschlands Gesundheitsverhältnisse unter dem Einfluss des Weltkrieges, 2 Bände, Stuttgart 1928; Meerwarth, R./Günther, A./Zimmermann, W., Die Einwirkung des Krieges auf Bevölkerungsbewegung, Einkommen und Lebenshaltung in Deutschland, Stuttgart 1932; Umbreit, P./Lorenz, Ch., Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse, Stuttgart 1928; Skalweit, August, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft, Berlin 1927.

[56] Vgl.: Fischer, Fritz, Griff nach der Weltmacht: die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1964³.

[57] Michalka, Wolfgang (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994.

[58] Gailus, M. / Volkmann, H. (Hg.), Der Kampf um das tägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungskrise und Protest 1770-1990, Opladen 1994.

[59] Vgl. aus diesem Sammelband besonders die Aufsätze von: Geyer, Teuerungsprotest und Teuerungsunruhen 1914-1923, S. 321-345 und Lefèvre, Andrea, Lebensmittelunruhen in Berlin 1920-1923, S. 346-360. In beiden Aufsätzen werden zudem Frauen als Akteure der Unruhen benannt.

[60] Feldman, G. D./Büsch, O. (Hg.), Historische Prozesse der deutschen Inflation 1914-1924. Ein Tagungsbericht, Berlin 1978; ders. u.a. (Hg.), Die deutsche Inflation: Eine Zwischenbilanz, Berlin 1982; ders. u.a. (Hg.), Die Erfahrung der Inflation im internationalen Zusammenhang und Vergleich, Berlin 1984; ders. u.a. (Hg.), Die Anpassung an die Inflation, Berlin 1986; ders. u.a. (Hg.), Konsequenzen der Inflation, Berlin 1989.

[61] Kriminalstatistiken für die Jahre 1913-1925, Bände: 272, 284, 297, 301, 302, 304, 311, 320, 328, 335, 342, 346, 354 der Statistik des Deutschen Reiches (Neue Folge), bearbeitet im Reichsjustizministerium und im Statistischen Reichsamt, hg. vom Statistischen Reichsamt, (Berlin 1918-1928), Neudruck Osnabrück 1977-1978.

[62] Dokumente aus geheimen Archiven, Band 4, 1914-1918. Berichte des Berliner Polizeipräsidenten zur Stimmung und Lage der Bevölkerung in Berlin, 1914-1918, bearbeitet von Ingo Materna und Hans-Joachim Schreckenbach, Weimar 1987.

[63] Von den Briefen: Hagener, Edith, „Es lief sich so sicher an Deinem Arm“. Briefe einer Soldatenfrau 1914, Weinheim/Basel 1986; Kachulle, Doris (Hg.), Die Pöhlands im Krieg. Briefe einer sozialdemokratischen Bremer Arbeiterfamilie aus dem 1. Weltkrieg, Köln 1982. Ein Tagebuch: Kohns, Anna, „Wann mag dieses Elend enden?“ Aus dem Kriegstagebuch einer Bonnerin, in: Journal für Geschichte 2 (1980), S. 28-34. Autobiographie: Heymann, L. G./Augspurg, A., Erlebtes - Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940, (hg. von M. Twellmann), Meisenheim am Glan 1972. Zusätzlich werden auch noch zwei autobiographische Romane herangezogen: Kestien, Käte, Als die Männer im Graben lagen, Roman, Frankfurt a.M. 1935; Scharrer, Adam, Vaterlandslose Gesellen (1929), Neudruck Berlin 1973.

[64] Das hier vorliegende StGB ist die Fassung vom 15. Mai 1871 mit den bis 1922 enthaltenen Änderungen und Ergänzungen.

[65] Liszt, Franz von, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Berlin 192224.

[66] Frevert, Ute, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt a.M. 1986, S. 146.

[67] Ullrich, Volker, Als der Thron ins Wanken kam. Das Ende des Hohenzollernreiches 1890-1918, Bremen 1993. Ullrich geht detailliert auf die politischen Ursachen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges sowie auf die deutsche Politik während des Krieges ein und beschreibt die Ursachen als „ein Gemisch aus übertriebenen Befürchtungen, irrationalen Erwartungen und dilettantischen Fehlrechnungen“; ebd. S. 8. Zur Politik des Deutschen Kaiserreichs grundlegend: Wehler, Hans-Ulrich, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 19886 und Ullrich, Volker, Die nervöse Großmacht 1871-1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt a.M. 1997.

[68] Mai, Gunther, Das Ende des Kaiserreichs: Politik und Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, München 1987, S. 7. Wesentlich ist dabei die Betonung, daß sich das Tempo der meisten sozialen, wirtschaftlichen und organisatorischen Entwicklungen änderte, die Entwicklungen selbst aber nicht neu, sondern bereits im Entstehen begriffen waren. Zu den gesellschaftlichen Verhältnissen vor 1914 vgl.: Ritter, G. A. / Tenfelde, K., Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, Bonn 1992; Saul, Klaus u.a. (Hg.), Arbeiterfamilien im Kaiserreich. Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914, Düsseldorf 1982.

[69] Da diese Darstellung verständlicherweise nur einige wenige Aspekte herausgreift, vgl. an einschlägigen Studien zur Sozialgeschichte des Ersten Weltkrieges: Feldman, G. D., Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914-1918, Berlin 1985; Kocka, Klassengesellschaft. An regional- und branchenspezifischen Detailanalysen zur Lage besonders der Arbeiterschaft vgl.: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt; Schwarz, Weltkrieg; Ullrich, Die Hamburger Arbeiterbewegung.

[70] Zur Forschungsdiskussion dieser Periodisierung vgl. als Übersicht: Schneider, Deutsche Gesellschaft. Diese These, daß die Phase der Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1924 eine kontinuierliche Belastung und Unsicherheit darstellte, wird auch vertreten von: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt; Niehuss, Arbeiterschaft in Krieg und Inflation; dies., Lebensweise und Familie in der Inflationszeit, in: Feldman u.a. (Hg.), Die Anpassung an die Inflation, Berlin 1986, S. 237-265.

[71] Zit. in: Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 14.

[72] Rohkrämer, Thomas, August 1914 - Kriegsmentalität und ihre Voraussetzungen, in: Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, S. 759-777, hier S. 759.

[73] Ebd.

[74] Die „übereinstimmenden Beschreibungen des ‘August-Erlebnisses’ durch viele Zeitgenossen vom Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes Claß bis hin zum Pazifisten Stefan Zweig“ verdeutlicht diese weit verbreitete Begeisterung; Rohkrämer, August 1914, S. 760. Vgl. auch die Beschreibungen bei: Heymann/Augspurg, Erlebtes - Erschautes, S. 123f.; Lüders, Marie-Elisabeth, Das unbekannte Heer. Frauen kämpfen für Deutschland 1914-1918, Berlin 1936², S. 3ff.

[75] Besonders mit dem Feind Rußland wurden Ängste mobilisiert, die bis zu einer „antirussischen Massenhysterie“ gesteigert wurden und bereits „rassische Elemente“ enthielten; Ullrich, Als der Thron, S. 94f. Vgl. auch: Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 19; Rohkrämer, August 1914, S. 766. Neben den zentralen Ideologien des Kaiserreichs, dem Militarismus und dem Nationalismus, wird von Rohkrämer zusätzlich der bestehende Generationenkonflikt als Grund für die Kriegsbegeisterung genannt; vgl. ebd. S. 766ff.

[76] Daniel, Arbeiterfrauen, S. 24. Zu den unterschiedlichen Hoffnungen, die mit dem Krieg verbunden wurden, vgl. auch: Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 9-30; Wehler, Das deutsche Kaiserreich, insbesondere S. 207-212.

[77] Als Beispiel für diese nationale Bereitschaft, das Vaterland zu verteidigen, vgl.: Hagener, „Es lief sich so sicher“. Die Briefe von Julius Boldt spiegeln diese Bereitschaft eindringlich wider; als Gegensatz vergleiche die Briefe eines sozialdemokratischen Arbeiters: Kachulle (Hg.), Die Pöhlands im Krieg.

[78] Vgl. den Aufruf der SPD vom 25.07.1914 in: Fricke, Dieter (Hg.), Dokumente zur deutschen Geschichte, Bd. 4 (1914-1917), Frankfurt a.M. 1977, S. 26. Zur Stellung und zum politischen Verhalten der Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg vgl. aus zeitgenössischer Sicht: Umbreit, Paul, Die deutschen Gewerkschaften im Kriege, in: ders./Lorenz, Ch., Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse (Veröffentlichung der Carnegie-Stiftung), Stuttgart 1928, S. 1-305. Aus der neueren Forschung besonders: Bieber, H. J., Gewerkschaften in Krieg und Revolution. Arbeiterbewegung, Industrie, Staat und Militär in Deutschland 1914 - 1920, 2 Teile, Hamburg 1981; Ritter, Gerhard A., Staat, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung in Deutschland. Vom Vormärz bis zum Ende der Weimarer Republik, Berlin 1980, besonders S. 81-85 und Mai, Das Ende des Kaiserreichs. Siehe auch den Forschungsbericht von Husung, Hans-Gerhard, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg: Neue Forschungen über Deutschland und England, in: Tenfelde, K. (Hg.), Arbeiter und Arbeiterbewegung im Vergleich. Berichte zur internationalen historischen Forschung (HZ-Sonderheft 15), München 1986, S. 611-664.

[79] Vgl. zur Burgfriedenspolitik und zur internen Diskussion aus zeitgenössischer Sicht: Müller, Richard, Vom Kaiserreich zur Republik. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung während des Weltkrieges, Wien 1924; Fricke (Hg.), Dokumente. Die Bedeutung des Burgfriedens für die „vaterlandslosen Gesellen“ der SPD bestand u.a. darin, daß sie nun „scheinbar in die Gesamtnation aufgenommen“ wurden. Doch diese „fiktive Volksgemeinschaft“ hatte nur bis 1916 Bestand; Wehler, Das deutsche Kaiserreich, S. 211.

[80] Vgl.: Ullrich, Volker, Kriegsalltag und deutsche Arbeiterschaft 1914-1918, in: GWU 43 (1992), S. 220-230, besonders S. 221 sowie: Schwarz, Weltkrieg.

[81] Dokumente aus geheimen Archiven, Stimmungsberichte Nr. 4 u. 5, Sept. 1914, S. 6ff.

[82] Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 25.

[83] Vgl. zur ‘Frauenfriedensbewegung’: Brinker-Gabler, Gisela (Hg.), Frauen gegen den Krieg. Frühe Texte, Frankfurt a.M. 1980; Guttmann, Barbara, Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918, Weinheim 1989, speziell S. 167-181; Hering, Sabine, Die Kriegsgewinnlerinnen. Praxis und Ideologie der deutschen Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg, Pfaffenweiler 1990, insbesondere S. 81-108; Heymann/Augspurg, Erlebtes - Erschautes.

[84] Daniel, Arbeiterfrauen, S. 17.

[85] Waren im Dezember 1914 schon 5 Millionen Männer eingezogen, so stieg diese Zahl bis Ende des Krieges auf mindestens 13 Millionen. Dies entsprach knapp 50% aller deutschen Männer zwischen 15 und 60 Jahren. Bis Ende 1915 waren darunter weit über ein Drittel aller Ehemänner, und mindestens drei Viertel aller Familien hatten einen oder mehrere Angehörige im Krieg. Vgl. dazu: Ebd., S. 127f; Kocka, Klassengesellschaft, S. 12; Berlin, Jörg (Hg.), Die deutsche Revolution 1918/19. Quellen und Dokumente, Köln 1979, S. 36.

[86] Vgl. dazu Kapitel 1.2.1.

[87] Zum ‘Nationalen Frauendienst’ (im folgenden NFD) vgl. aus zeitgenössischer Perspektive: Lüders, Das unbekannte Heer, insbesondere S. 13-79; Altmann-Gottheiner, Elisabeth (Hg.), Kriegsjahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1915, Berlin 1915; dies. (Hg.), Jahrbuch des BDF 1916: Heimatdienst im 1. Kriegsjahr, Berlin 1916. Aus der neuen Forschung besonders: Hering, Die Kriegsgewinnlerinnen, S. 47-80; Aurand/Stoehr, Frauen im I. Weltkrieg.

[88] Gertrud Bäumer (1873-1954) war eine der führenden Vertreterinnen des gemäßigten Teils der bürgerlichen Frauenbewegung und von 1910-1919 Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF). Die Initiative, den ‘Nationalen Frauendienst’ zu organisieren, hatte G. Bäumer bereits vor dem Kriegsausbruch ergriffen und seit dem 1. August 1914 tatkräftig umgesetzt.

[89] Zur Propaganda und „Aufklärung“ der Bevölkerung durch die Zivil- und Militärbehörden vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 240, 249-55. Dort auch weiterführende Literatur zur Entstehung und Organisation der Propagandatätigkeit.

[90] Bäumer, Gertrud, Weit hinter den Schützengräben. Aufsätze aus dem Weltkrieg, Jena 1916, S. 60.

[91] Vgl. zur ‘öffentlichen Meinung’: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 233-255; Ulrich, Bernd, Feldpostbriefe im Ersten Weltkrieg - Bedeutung und Zensur, in: Knoch, P. (Hg.), Kriegsalltag, Stuttgart 1989, S. 40-83.

[92] Ullrich, Als der Thron, S. 193. Dort auch weitere Einzelheiten zu den Bemühungen der Regierung, einen Waffenstillstand zu erreichen. Zur offiziellen Berichterstattung und der Tätigkeit der Zensurbehörden vgl.: Mühsam, Kurt, Wie wir belogen wurden - Die amtliche Irreführung des deutschen Volkes, München 1918.

[93] Vgl. dazu und zum folgenden besonders die Stimmungsberichte des Berliner Polizeipräsidenten, in: Dokumente aus geheimen Archiven. Seit März 1915 wird regelmäßig von dieser Friedenssehnsucht weiter Bevölkerungskreise berichtet; ebd. S. 48ff. und passim.

[94] Vgl. zur Revolution 1918/19: Berlin (Hg.), Die deutsche Revolution; Abelshauser, W. / Himmelmann, R. (Hg.), Revolution in Rheinland und Westfalen. Quellen zu Wirtschaft, Gesellschaft und Politik 1918-1923, Essen 1988; Peukert, Detlev J. K., Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987, besonders S. 32-86; Schwarz, Weltkrieg, besonders S. 280-328.

[95] Zur Demobilmachung der Heimatfront vgl. Kapitel 1.3.2.

[96] Peukert, Die Weimarer Republik, S. 61.

[97] In der Inflationsforschung ist besonders im Zusammenhang mit der Reallohnentwicklung die Frage noch unbeantwortet, ob sich der Verelendungsprozeß - speziell für die Arbeiterschaft - nach 1918 fortsetzte oder ob eine Verbesserung der Lebenssituation eingetreten war. Besonders von W. Abelshauser wird die These vertreten, daß sich die Situation, mit Ausnahme der Zeit der Hyperinflation, verbesserte; Abelshauser, Werner, Verelendung der Handarbeiter? Zur sozialen Lage der deutschen Arbeiter in der großen Inflation der frühen zwanziger Jahre, in: Mommsen, H./Schulze, W. (Hg.), Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 445-476. Diese These und auch Abelshausers methodisches Vorgehen sowie seine ökonomistische Sichtweise sind nicht unumstritten. Vgl. als Kritik dazu: Scholz, Robert, Lohn und Beschäftigung als Indikatoren für die soziale Lage der Arbeiterschaft in der Inflation, in: Feldman u.a. (Hg.), Die Anpassung an die Inflation, Berlin 1986, S. 278-322; Mai, Gunther, „Wenn der Mensch Hunger hat, hört alles auf“. Wirtschaftliche und soziale Ausgangsbedingungen der Weimarer Republik (1914-1924), in: Abelshauser (Hg.), Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft, Stuttgart 1987, S. 33-62. Eine ebenfalls stark ökonomistische Betrachtungsweise, welche Löhne und Preise zum Maßstab der sozialen Verhältnisse macht, vertritt auch Holtfrerich. Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß von einer Verelendung der Arbeiterschaft schon ab Sommer 1922 gesprochen werden kann; Holtfrerich, Carl-Ludwig, Die deutsche Inflation 1914-1924. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin/New York 1980. Dagegen sprechen sich K. Hartewig ebenso wie R. Scholz dafür aus, auch andere soziale Indikatoren bei der Betrachtung und Bewertung der sozialen Verhältnisse miteinzubeziehen; Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 12.

[98] Peukert, Die Weimarer Republik, S. 86. Zu den Verhältnissen der Weimarer Republik vgl. darüber hinaus besonders: Abelshauser, Werner (Hg.), Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft, Stuttgart 1987; Kolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, München 1988²; Flemming, Jens u.a., Familienleben im Schatten der Krise. Dokumente und Analysen zur Sozialgeschichte der Weimarer Republik 1918-1933, Düsseldorf 1988; Hagemann, Karen, Frauenalltag und Männerpolitik. Alltagsleben und gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen in der Weimarer Republik, Bonn 1990.

[99] Kohns, „Wann mag dieses Elend enden?“, S. 28.

[100] Rosenbaum, Hilde, Kriegskriminalität, in: DStZ 4 (1917), Sp. 271-275, hier Sp. 272.

[101] Zit. in: Schwarz, Weltkrieg, S. 143. Zur „Diskreditierung des Sozialismus“ durch die Kriegs- und Zwangswirtschaft im Weltkrieg vgl.: Feldman, G. D., Kriegswirtschaft und Zwangswirtschaft: die Diskreditierung des “Sozialismus“ in Deutschland während des Ersten Weltkrieges, in: Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, S. 456-484.

[102] Zur staatlichen Bewirtschaftung vgl.: Hardach, Gerd, Der Erste Weltkrieg. 1914-1918 (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert Bd. 2), München 1973; Daniel, Arbeiterfrauen, S. 183-215. Ausführlich zur Ernährungspolitik: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft. Zu den weiterhin bestehenden Ungleichheiten und den innenpolitischen Interessen- und Kräftekonstellationen vgl.: Kocka, Klassengesellschaft, S. 96-137; Wehler, Das deutsche Kaiserreich, S. 192-226.

[103] Vgl. dazu: Schwarz, Weltkrieg, S. 157. Mit zunehmendem Ausbau der Höchstpreispolitik verlagerte sich ein immer größerer Teil der vorhandenen Lebensmittel auf den Schwarzen Markt. Daher folgerte der Vorwärts im September 1918: „Die Binsenwahrheit, für Geld ist alles zu haben, gilt heute mehr denn je. Seien es Räucherwaren, Fische, Käse, Obst oder andere Leckerbissen, die der gewöhnliche Sterbliche mehr oder weniger nur noch vom Hörensagen kennt, weil diese Nahrungsmittel aus dem öffentlichen Handel so gut wie verschwunden sind, beim Schleichhändler sind sie immer noch zu haben“; zit. bei: Malich, Uwe, Zur Entwicklung des Reallohns im ersten Weltkrieg, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (1980), S. 55-70, hier S. 61, Anm. 36. Vgl. zur Höchstpreispolitik und zum Schwarzen Markt Kapitel 1.2.2.

[104] Vgl. z.B.: Bäumer, G., Die Regelung des Nahrungsmittelverbrauchs, in: Die Frau 22 (1915), S. 214-219; Altmann-Gottheiner, E., Hausfrauenpflichten in der Kriegszeit, in: dies., Kriegsjahrbuch, S. 19-26.

[105] Luise Zietz (1865-1922) gehörte ab 1908 als erste und einzige Frau zum Vorstand der SPD. 1917 trat sie zur USPD über, auch weil ihre radikaleren Positionen sie innerhalb der SPD häufig zu Kompromissen zwangen.

[106] Zietz, Luise, Die sozialdemokratischen Frauen und der Krieg. Ergänzungshefte zur Neuen Zeit, Nr. 21 vom 16.7.1915, Nachdruck Glashütten im Taunus 1976, S. 29.

[107] Vgl. zur Frauenerwerbsarbeit Kapitel 1.3.

[108] Knoch, Kriegsalltag, S. 231.

[109] Schon früh hatte man von staatlicher Seite erkannt, daß die „Schützengräben ... durch die Küchen der deutschen Hausfrauen“ führten, und hatte dementsprechend die „Aufklärung“, aber auch die Kontrolle vorangetrieben. Zitat bei: Zahn-Harnack, Agnes von, Die arbeitende Frau, Breslau 1924, S. 93.

[110] Vgl. dazu und zum folgenden: Daniel, Arbeiterfrauen, besonders S. 215-220, 233ff.

[111] Vgl. dazu: Gesetz vom 28.2.1888, RGBl (1888), S. 59-61; Gesetz zur Änderung des Gesetzes von 1888 vom 4.8.1914, RGBl (1914), S. 332f. Zur historischen Entwicklung des Gesetzes vgl.: Albrecht, G., Die Unterstützung der Familien Einberufener. Entwicklung und gesetzliche Grundlagen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 151 (1940), S. 66-84, insbesondere S. 67-71 und Daniel, Arbeiterfrauen, S. 169-172. Darüber hinaus vgl. die umfangreiche Untersuchung zu Praxis und Auswirkung der Kriegsunterstützung von Kundrus, Birthe, Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995, besonders S. 33-199.

[112] Verordnung vom 2.11.1917, RGBl (1917), S. 958f.; vgl. auch: Albrecht, Die Unterstützung, S. 71-74.

[113] Vgl. dazu: Gesetz vom 30.9.1915, RGBl (1915), S. 629; Verordnung vom 21.1.1916, RGBl (1916), S. 55-58; Verordnung vom 3.12.1916, RGBl (1916), S. 1323; Verordnung vom 20.4.1917, RGBl (1917), S. 371; Verordnung vom 28.9.1918, RGBl (1918), S. 1223; Verordnung vom 9.12.1918, RGBl (1918), S. 1411f.

[114] Verordnung vom 21. Januar 1916, RGBl (1916), S. 56, §4.

[115] Vgl. dazu und zum folgenden: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 29. Die Zahlen gelten für Berlin und beinhalten schon die 100%ige Zulage der Stadt auf die Mindestunterstützungssätze. Als Beispiel, was diese unzureichenden Unterstützungssätze für das konkrete Familienleben bedeuteten, vgl.: Kachulle (Hg.), Die Pöhlands im Krieg, S. 113, 130, 182f. Im Verhältnis dazu wesentlich besser sah die Versorgung der Familien einberufener Beamter aus, „die nach dem Reichsmilitärgesetz ihr Gehalt weiter gezahlt“ bekamen; Baudis, Dieter, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“. Streiflichter zur Entwicklung der Lebensverhältnisse in Berlin im Ersten Weltkrieg (August 1914 - Frühjahr 1919), in: JWG-Sonderband (1986), S. 129-157, hier S. 132.

[116] Vgl.: Umbreit, Die deutschen Gewerkschaften, S. 68.

[117] Dazu: Ebd. In Berlin wurde z.B. schon am 6. August 1914 eine 100% Zulage beschlossen; Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 130.

[118] Z.B. in Nürnberg; vgl. Schwarz, Weltkrieg, S. 120. In Nürnberg wurden zudem die reichsgesetzlichen Unterstützungssätze teilweise um mehr als 200% erhöht; ebd., S. 129.

[119] Vgl.: Umbreit, Die deutschen Gewerkschaften, S. 69. Die Gewerkschaften hatten bis zum 30.09.1918 insgesamt 26,95 Mill. Mark an Unterstützungen gezahlt; ebd.

[120] Daniel, Arbeiterfrauen, S. 173. Allein in Preußen wurden von 1914-1918 4166,3 Mio. Mark für die Mindestsätze aufgewendet; ebd.

[121] Der preußische Innenminister am 30.09.1914 an den Regierungspräsidenten, zit. in: Ebd., S. 175.

[122] Vgl.: Umbreit, Die deutschen Gewerkschaften, S. 68; Kachulle (Hg.), Die Pöhlands im Krieg, S. 29. Neben der gewöhnlichen Prüfung der Bedürftigkeit wurden auch Personalakten der Polizei herangezogen und Frauen, die ‘auffällig’ geworden waren, als „nicht geeignet“ empfunden; ebd.

[123] Zum gesellschaftlichen Paradigma Kriegerfrau, sowohl bezüglich der Selbstwahrnehmung der Frauen als auch der gesellschaftlichen Zuschreibungen, vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 176-182.

[124] Vgl. dazu die Haushaltsrechnung einer Kriegerfrau aus Elberfeld vom Juli 1915, welche verdeutlicht, daß selbst bei sparsamster Lebenshaltung mit der Unterstützung die nötigsten Ausgaben nicht gedeckt werden konnten, in: Müller, Vom Kaiserreich, S. 148f.

[125] Dokumente aus geheimen Archiven, Stimmungsberichte Nr. 26 vom Januar und Nr. 37 vom April 1915, S. 38f, 56f.

[126] Vgl. dazu im Zusammenhang mit Kinobesuchen: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 177.

[127] Ebd.

[128] Ebd., S. 179f. Dazu auch: Nimmesgern, Susanne, In „eiserner Zeit...“. Lebensverhältnisse von Frauen und Mädchen im Ersten Weltkrieg, in: Labouvie, E. (Hg.), Frauenleben - Frauen leben. Zur Geschichte und Gegenwart weiblicher Lebenswelten im Saarraum (17.-20. Jahrhundert), St. Ingbert 1993, S. 64-85, besonders S. 72f; Kundrus, Kriegerfrauen, S. 200-211.

[129] Vgl. die Äußerungen eines Unteroffiziers 1917, zit. in: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 179.

[130] Vgl. dazu: Niehuss, Arbeiterschaft in Krieg und Inflation, S. 139f.

[131] Für die Entwicklung der Löhne und Gehälter im Krieg und der Inflation liegt eine umfangreiche Literatur vor. Zu den Nominal- und Realverdiensten im Krieg besonders: Kocka, Klassengesellschaft, S. 12-21; Zimmermann, Waldemar, Die Veränderungen der Einkommens- und Lebensverhältnisse der deutschen Arbeiter durch den Krieg, in: Meerwarth, R. u.a., Die Einwirkung des Krieges auf Bevölkerungsbewegung, Einkommen und Lebenshaltung in Deutschland, Stuttgart 1932, S. 281-474, besonders S. 358-415. Zur Einkommensentwicklung während der Inflation vgl.: Holtfrerich, Die deutsche Inflation, insbesondere S. 224-246. Von weiterhin großer Bedeutung zur Frage der Verteilungswirkungen: Eulenburg, Franz, Die sozialen Wirkungen der Währungsverhältnisse, in: JNS 122 (1924), S. 748-795. Für einen Vergleich zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten: Kunz, Andreas, Verteilungskampf oder Interessenkonsensus? Einkommensentwicklung und Sozialverhalten von Arbeitnehmergruppen in der Inflationszeit 1914-1924, in: Feldman u.a. (Hg.), Die deutsche Inflation: Eine Zwischenbilanz, Berlin 1982, S. 347-384.

[132] Kocka, Klassengesellschaft, S. 19. Vgl. zum Funktionsverlust des Geldes auch: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 183; Zimmermann, Die Veränderungen, S. 354.

[133] Als kritische Bewertung über die Zulässigkeit und Aussagekraft von Verteilungsrechnungen für die soziale Lage vgl. besonders: Scholz, Lohn und Beschäftigung, insbesondere S. 319ff.; Tenfelde, Kollektive Selbsthilfe, S. 2f. Tenfelde warnt vor einer Überbewertung der Reallohnentwicklung in Anbetracht anderer, sich negativ auswirkenden Faktoren. Bei der Reallohnberechnung ist besonders zu berücksichtigen, daß die Heranziehung der Lebenshaltungskostenindizes nicht unproblematisch ist. Vgl. zur Indexproblematik: Holtfrerich, Die deutsche Inflation, S. 26-43; Niehuss, Arbeiterschaft in Krieg und Inflation, S. 100-112; Malich, Zur Entwicklung des Reallohns. Malich errechnet einen Lebenshaltungskostenindex unter Berücksichtigung der Schwarzmarktpreise und kommt so zu einem Reallohnindex für Sept. 1918 von nur 40% des Vorkriegsniveaus; ebd., S. 69.

[134] Vgl. zur Aufteilung der Industriegruppen in Kriegsindustrien, Friedensindustrien und einer sog. Zwischengruppe: Kocka, Klassengesellschaft, S. 13.

[135] Ebd., S. 17. An zeitgenössischen Studien, die diese Annahme vertreten, vgl.: Tyszka, Carl von, Der Arbeitsmarkt nach dem Kriege, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 111 (1918), S. 641-688, besonders S. 660-669; Schultze, Ernst, Not und Verschwendung. Untersuchungen über das deutsche Wirtschaftsschicksal, Bd. 1, Leipzig 1923. Als ein Argument für den Sittenverfall und die Kriminalität wird diese Annahme herangezogen bei: Baumgarten, Otto, Der sittliche Zustand des deutschen Volkes unter dem Einfluß des Krieges, in: ders. u.a., Geistige und sittliche Wirkungen des Krieges in Deutschland (Veröffentlichung der Carnegie-Stiftung), Stuttgart 1927, S. 1-88, speziell S. 25; Höpler, E., Wirtschaftslage - Bildung - Kriminalität, in: ArchKrim 76 (1924), S. 81-109.

[136] Vgl. dazu: Ritter/Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, besonders Kapitel VI. Allerdings wird hier betont, daß bei der Beurteilung der Reallohnentwicklung zwischen Jahrhundertwende und Kriegsausbruch „Vorsicht angebracht ist“; ebd., S. 471.

[137] Kocka, Klassengesellschaft, S. 17.

[138] Vgl. dazu: Scholz, Lohn und Beschäftigung, insbesondere S. 285ff.; Statistisches Reichsamt (Hg.), Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1914-1923. Sonderheft zu Wirtschaft und Statistik, Berlin 1925, S. 40f.

[139] Vgl. zur Entwicklung der Gehälter von Angestellten und Beamten: Kocka, Klassengesellschaft, S. 71-76; Kunz, Verteilungskampf. Zur Lebenshaltung dieser Bevölkerungsgruppen auch: Niehuss, Lebensweise und Familie, S. 244ff., 258f.; Zimmermann, Die Veränderungen, S. 434ff.

[140] Vgl. zu den Frauenlöhnen: Karbe, Agnes, Die Frauenlohnfrage und ihre Entwicklung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, Rostock 1928; Bajohr, Stefan, Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914-1945, Marburg 1979, besonders S. 28-56.

[141] Bajohr, Die Hälfte der Fabrik, S. 31. Diese Konstellation wurde nur von wenigen Ausnahmen unterbrochen; vgl. ebd. Zur Entwicklung der Frauenerwerbsarbeit im Krieg vgl. Kapitel 1.3.

[142] Vgl.: Ebd., S. 34 und Daniel, Arbeiterfrauen, S. 111ff.

[143] Vgl.: Bajohr, Die Hälfte der Fabrik, S. 40. Zu den unterschiedlichen Argumenten für die Minderbezahlung der Frauen vgl. ebd., S. 70-100.

[144] Karbe, Die Frauenlohnfrage, S. 88.

[145] Bajohr, Die Hälfte der Fabrik, S. 46.

[146] Zum Familieneinkommen vgl.: Zimmermann, Die Veränderungen, S. 412f. Selbst wenn die Frauen die „Haupternährer“ waren, wurden sie in der Regel bei der Lohnzahlung wie Ledige behandelt und erhielten keine Zuschläge für „Familienstatus und Kinderzahl“; Mai, „Wenn der Mensch..“, S. 42. Bei den Kriegerfamilien ist zudem zu berücksichtigen, daß das Einkommen der Frauen ganz oder teilweise auf die Familienunterstützung angerechnet wurde und somit nur selten oder zumindest sehr begrenzt einen Zuverdienst zur niedrigen Unterstützung bedeutete. Zu den Auswirkungen dieser Regelung auf die Mobilmachung der Frauen besonders in der zweiten Kriegshälfte vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 61-64. Oft war die Differenz zwischen Familienunterstützung und Frauenlöhnen so gering, daß es für die Frauen ökonomisch eher unsinnig war, neben der Hausarbeit auch noch einer Erwerbsarbeit nachzugehen; vgl. ebd., S. 63. Dazu auch Kapitel 1.3.1. Zur Zahl der einberufenen Männer vgl. Anm. 19.

[147] Dieser Funktionsverlust führte im Laufe des Krieges auch dazu, daß selbst gutbezahlte Arbeiter sich „nicht mehr allein für die Lohnhöhe, sondern ebenso dringlich für die Gewährung von Ernährungszulagen...seitens der Betriebe interessierten“, da sie ihre benötigte Versorgung auch mit größeren Geldmitteln nur selten erreichen konnten; Zimmermann, Die Veränderungen, S. 417.

[148] Vgl. zum Problem der Nahrungsmittelversorgung im Ersten Weltkrieg grundlegend: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft; Roerkohl, Anne, Die Lebensmittelversorgung während des Ersten Weltkrieges im Spannungsfeld kommunaler und staatlicher Maßnahmen, in: Teuteberg, H. J. (Hg.), Durchbruch zum modernen Massenkonsum. Lebensmittelmärkte und Lebensmittelqualität im Städtewachstum des Industriezeitalters, Münster 1987, S. 309-370. Zu den Auswirkungen von Teuerung, Mangel und Rationierung auf die Gebrauchsgüter vgl.: Zimmermann, Die Veränderungen, S. 418, 421ff.; Abel, Wohnung und Kleidung, in: Bumm, F. (Hg.), Deutschlands Gesundheitsverhältnisse unter dem Einfluss des Weltkrieges, Bd. 2, Stuttgart 1928, S. 123-142, insbesondere S. 138-142. Nicht nur der Mangel des Kleider- und Wäschevorrats belastete viele Familien, sondern auch der Mangel an Heizmaterial. Dies führte teilweise dazu, daß ganze Kücheneinrichtungen „nach und nach verheizt worden“ sind; Soziale Praxis 1920, zit. in: Niehuss, Lebensweise und Familie, S. 253.

[149] Vgl.: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 154f.; Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 131.

[150] Dazu und zum folgenden besonders: Hardach, Der Erste Weltkrieg; Kielmansegg, Peter, Deutschland und der Erste Weltkrieg, Frankfurt a.M. 1968, S. 172-182; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 5-25; Feldman, Armee, besonders S. 94-107.

[151] Zit. bei: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 148.

[152] Vgl.: Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 112. Der Rückgang betrug 1917 im Vergleich zur Ernte von 1913 für Weizen 51%, für Kartoffeln 36% und für Hafer sogar 62%. Zum sog. „Schweinemord“ vom Frühjahr 1915 sowie zur Reduzierung der Rinderbestände vgl.: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 92-114. Durch die gleichzeitige Schlachtung von Milchkühen wurde die Milchproduktion erheblich reduziert, so daß Milch immer seltener und nur noch in minimalen Mengen erhältlich war; ebd., S. 113.

[153] Vgl. dazu: Hardach, Der Erste Weltkrieg, speziell S. 119-125. Zusätzlich fehlten während des Krieges die ca. 1 Million ausländischen Saisonarbeiter, da ihre Anwerbung unterbrochen wurde. Im Laufe des Krieges wurde allerdings die Bedeutung der Landwirtschaft erkannt und im Dezember 1916 wurde sie im Rahmen des Hilfsdienstgesetzes zum kriegswichtigen Sektor erklärt; Hilfsdienstgesetz vom 5.12.1916, RGBl (1916), S. 1333-1339. Zur Einflußnahme des Kriegsamtes auf die landwirtschaftliche Produktion vgl.: Feldman, Armee, besonders S. 230ff.

[154] Die Situation in Berlin, veranschaulicht durch die Berichte des Polizeipräsidenten, war dafür ein prägnantes Beispiel; Dokumente aus geheimen Archiven. Zur Berliner Situation auch: Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“. Zur Situation in schwerindustriellen Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet vgl.: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 153-188.

[155] Feldman, Armee, S. 95. Zur Verschwendung der vorhandenen Nahrungsmittel in den ersten Kriegsmonaten sowie zur umfangreichen Verschickung von Liebesgaben an die Front vgl. auch: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 26f.

[156] Gesetz, betreffend Höchstpreise vom 4. August 1914, RGBl (1914), S. 339f; Bekanntmachung vom 28.10.1914, RGBl (1914), S. 458f.; Bekanntmachung vom 17.12.1914, RGBl (1914), S. 513-518. Die Umwandlung des Gesetzes von lokalen zu einheitlichen reichsweiten Höchstpreisen im Oktober war eine Folge des Umstandes, daß die lokalen Höchstpreise es den landwirtschaftlichen Erzeugern ermöglichten, ihre Waren dort zu verkaufen, wo sie die besten Preise erzielen konnten. Von dieser Praxis wurde auch reichlich Gebrauch gemacht, was zur Folge hatte, daß besonders die Städte mit niedrigen Höchstpreisen oftmals leer ausgingen, und der Konkurrenzkampf der Städte auf dem Lebensmittelmarkt florierte; dazu: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 155; Schwarz, Weltkrieg, S. 117f.; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 118f.

[157] Dazu: RGBl (1914), S. 459-464. Zum Kriegs- bzw. Kartoffel-Brot, welches den Beginn der zunehmenden Qualitätsminderung der Nahrungsmittel darstellte sowie zur stärkeren Ausmahlung des Getreides zum Zweck der Streckung der vorhandenen Vorräte vgl.: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 26-36, besonders S. 30ff. Paradoxerweise entstand durch die stärkere Ausmahlung das heutzutage bevorzugte Vollkornbrot. Daß dies von den Zeitgenossen als mindere Qualität betrachtet wurde, lag einerseits sicherlich an den Beimischungen von Kartoffeln, Rüben u.a., andererseits aber auch an dem damaligen Status des hellen Weizenbrotes. Daß das Brot durch die höhere Ausmahlung mehr Nährwerte besaß, schien ernährungswissenschaftlich nicht so geläufig zu sein. Auch in der neueren Literatur wird fälschlicherweise angenommen, daß es schon allein durch die höhere Ausmahlung zu einer Qualitätsminderung käme. So bei: Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 314.

[158] Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 120.

[159] Zur Höchstpreispolitik, ihren Schwächen und Folgen vgl.: Ebd., S. 115-145.

[160] Unter Schleichhandel wurde der Verkauf von Waren unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften verstanden. Die Folge war die Herausbildung eines Schwarzen Marktes mit stark überhöhten Preisen. Zum Schleichhandel des Schwarzen Marktes vgl.: Ebd., S. 218-229.

[161] Dazu: Ebd., S. 133ff.; Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 321ff. Zwischen Februar und Juli 1916 verdreifachten sich z.B. in Berlin die Höchstpreise für Kartoffeln; Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 142.

[162] Weil z.B. parallel zur Festsetzung der Getreidepreise die Höchstpreisfestsetzung für Fleisch ausblieb, konzentrierten sich viele Landwirte auf die Produktion von Fleisch, da die Preise dafür ungehindert stiegen und somit gute Verdienstmöglichkeiten boten. Dies führte zu wiederholten Umgehungen des Verfütterungsverbotes von Brotgetreide und Kartoffeln, einer Reduzierung der Bestände dieser Nahrungsmittel und zur Vernachlässigung der Produktion und des Vertriebs höchstpreisgebundener Waren. Dazu ausführlich: Hardach, Der Erste Weltkrieg, S. 126; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 89-92.

[163] Zur Rolle des Heeres bezüglich der Nahrungsmittelversorgung: Feldman, Armee, S. 94-107, hier S. 94. Vgl. zur Versorgung des Heeres auch: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 200f.

[164] Angaben bei: Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 138. Zur ständigen Preissteigerung vgl. auch die Preislisten bei: Kohns, „Wann mag dieses Elend enden?“, S. 30ff. Spätestens seit Anfang Oktober 1914 war die Preissteigerung auch ein zentrales Thema der Stimmungsberichte. Für Berlin wurde Ende Juni 1915 von einer Teuerung der wichtigsten Nahrungsmittel um 80% im Vergleich zum Juni 1914 berichtet; Dokumente aus geheimen Archiven, Bericht des Polizeipräsidenten Berlin an den Minister des Inneren, S. 68ff.

[165] Zur Organisation, Entstehung und Wirkung grundlegend: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 146-218, hier S. 146.

[166] RGBl (1915), S. 35-45. Damit wurde seit dem 1. Februar die gesamte Getreidemenge von der Kriegsgetreidegesellschaft (K.G.), welche im November 1914 gegründet worden war, beschlagnahmt und von der Reichsverteilungsstelle nach festgelegten Bedarfsanteilen auf die Kommunalverbände, d.h. die Stadt- und Landkreise, verteilt. Diese hatten die Aufgabe, die jeweiligen Mengen in Rationen an die Bevölkerung weiterzugeben. Wenig später wurden die K.G. und die Reichsverteilungsstelle zur Reichsgetreidestelle zusammengefaßt, welche „das Muster für fast alle zukünftigen Zentralstellen auf dem Ernährungssektor“ bildete; Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 316. Zu Aufbau und Funktion der einzelnen Reichsstellen und Kriegsgesellschaften vgl. auch: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 162-179, 240-246.

[167] Vgl.: Feldman, Armee, S. 97. Bis 1917 betrug die Brotration pro Kopf annähernd gleichbleibend dreieinhalb Pfund wöchentlich. Im Frühjahr 1917 wurde diese Menge erstmals reduziert und bis zum Ende des Krieges schwankte sie häufig; vgl.: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 211f. Zudem war die Höhe der Ration regional sehr unterschiedlich. Zum Problem der uneinheitlichen Rationierung in den einzelnen Gebieten des deutschen Reiches, besonders den Disparitäten zwischen Produktions- und Bedarfsgebieten, vgl.: Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, besonders S. 356-367.

[168] Zu den Preisprüfungsstellen vgl.: Bekanntmachung vom 25.9.1915, RGBl (1915), S. 607-614; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 130ff. Zur mangelnden Entschlußkraft der Zivilbehörden, „die sich nicht entscheiden konnten, ob den Verbraucher- oder den Erzeugerinteressen der Vorzug zu geben sei“, vgl.: Feldman, Armee, hier S. 100.

[169] Ministerium des Inneren (Hg.), Die Ernährung im Kriege, Berlin o.J. <1915>. Zur offiziellen Ansicht über die Ernährungsfrage vgl. auch die „Leitsätze für die Behandlung der Volksernährungsfragen in der Presse“. Schreiben der Oberzensurstelle an die Zensurstellen vom 27.12.1915, in: Deist, Wilhelm (Bearb.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918, 2 Bde. (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 2. Reihe), Düsseldorf 1970, S. 279-282.

[170] Kohns, „Wann mag dieses Elend enden?“, S. 33.

[171] Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 180.

[172] Feldman, Armee, S. 94.

[173] Vgl. zum Kriegsernährungsamt (KEA): Ebd., Armee, S. 103ff.; Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 179-187; Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 335-342.

[174] Vgl.: Feldman, Armee, S. 104f.; Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 179f; Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 146.

[175] Vgl.: Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 336. Da schon vor der reichsweiten Einführung in einzelnen Städten und Kommunen ein Kartensystem existierte und selbst die reichsweiten Verordnungen uneinheitlich umgesetzt worden sind, sind die in der Literatur angegebenen Termine für die Einführung der jeweiligen Karten zum Teil sehr unterschiedlich und entsprechen nur ungefähr den o.g. Zeitpunkten.

[176] Die Rationen für Kartoffeln schwankten z.B. in Essen von 1914 bis 1918 zwischen 2 und 43 Pfund, für Fleisch zwischen 400 und 2025 Gramm im Monat; Angaben bei: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 159.

[177] Dazu besonders: Rubner, Max, Der Gesundheitszustand im Allgemeinen, in: Bumm, F. (Hg.), Deutschlands Gesundheitsverhältnisse unter dem Einfluss des Weltkrieges, Bd. 1, Stuttgart 1928, S. 63-86; ders., Das Ernährungswesen im Allgemeinen, in: Ebd., Bd. 2, S. 1-41.

[178] Zu den Zulagen vgl.: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 203-209, 233f.; Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 159; Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 344. Daniel weist darauf hin, daß die Zulagen sich zwar positiv auf die Arbeitsleistungen auswirkten, andererseits aber als massive Ungerechtigkeit empfunden wurden, zumal sie eine Reduzierung der normalen Rationen bedeuteten. Davon besonders betroffen waren die Frauen und Kinder, da sie nur selten zulageberechtigt waren; Daniel, Arbeiterfrauen, S. 194ff. Zu den durch die unzureichenden Kalorienmengen verursachten Krankheitsverhältnissen siehe Kapitel 1.2.4.

[179] Zur unfreiwilligen Veränderung der Nahrungsgewohnheiten vgl.: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 165f.; Zimmermann, Die Veränderungen, S. 446-456. Zum Anbau von Gemüse in den Städten: Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 144. 1917 wurde der Anbau von Gemüse und Kartoffeln durch eine Verordnung der Regierung, welche bestimmte, daß ungenutzte Landflächen für „kleingärtnerische oder landwirtschaftliche Nutzung“ bereitzustellen seien, besonders in größeren Städten gefördert; dazu: Reck, S., Arbeiter nach der Arbeit. Sozialhistorische Studie zu den Wandlungen des Arbeiteralltags, Lahn-Gießen 1977, S. 154. Zu den Hamsterfahrten der Stadtbewohner aufs Land vgl.: Schwarz, Weltkrieg, S. 157ff. und Kapitel 3.3.

[180] Zum Qualitätsverlust vgl.: Hardach, Der Erste Weltkrieg, S. 130; Hartewig, Karin, „Anarchie auf dem Warenmarkt“. Die Lebenshaltung von Bergarbeiterfamilien im Ruhrgebiet zwischen Kriegswirtschaft und Inflation (1914-1923), in: Tenfelde, K. (Hg.), Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 241-274, hier S. 254. Zu den Ersatzstoffen besonders: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 50-61.

[181] Ebd., S. 58f.

[182] Scharrer, Vaterlandslose Gesellen, S. 177.

[183] Diese Kalorienmenge entsprach etwa dem Bedarf eines Kleinkindes; vgl.: Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 181. Die durchschnittlichen Wochenrationen pro Kopf der Bevölkerung betrugen 1916/17 etwa: für Brot 1900g, für Kartoffeln 2500g (z.T. durch Kohlrüben ersetzt), für Speisefett 70g, für Fleisch 250g, für Zucker 182g. Dazu kamen noch ein halbes Ei und „freie Nahrung“, besonders Obst und Gemüse; Rubner, Das Ernährungswesen, S. 15ff.

[184] Baudis, Vom „Schweinemord“ zum „Steckrübenwinter“, S. 152. Grundsätzlich reagierte gerade die Arbeiterbevölkerung sehr empfindlich auf jede Kürzung der Brotration, da es für diejenigen, die tagsüber in den Fabriken beschäftigt waren, das Hauptnahrungsmittel darstellte und nur schwer durch andere Produkte zu ersetzen war. Dazu auch: Scholz, Ein unruhiges Jahrzehnt, S. 82.

[185] Davon betroffen waren besonders die Städte Berlin und Leipzig. Vgl.: Dokumente aus geheimen Archiven, S. 184-206; Schwarz, Weltkrieg, S. 146-154. Überwogen anfangs wirtschaftliche Not, Kriegsmüdigkeit und Erbitterung, so wurde die Massenbewegung zum Ende des Krieges immer stärker von politischen Motiven geprägt. Dazu: Kocka, Klassengesellschaft, S. 33-57; Feldman, Gerald D. u.a., Die Massenbewegungen der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des I. Weltkrieges 1917-1920, in: Politische Vierteljahresschrift 13 (1972), S. 84-105; Boll, Friedhelm, Spontaneität der Basis und politische Funktion des Streiks 1914-1918. Das Beispiel Braunschweig, in: AfS 17 (1977), S. 337-366.

[186] Vgl.: Dokumente aus geheimen Archiven, Verwaltungsbericht des Polizeipräsidenten Berlin für die Zeit vom 1. April bis Ende Oktober 1918 an Kaiser Wilhelm II, S. 301; Kocka, Klassengesellschaft, S. 44; Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 364f.

[187] Ebd., S. 370. Zu den Auswirkungen dieser offiziellen illegalen Tätigkeit auf die Moral der Bevölkerung vgl. Kapitel 3.4.

[188] Monatsberichte der stellvertretenden Generalkommandos vom 3.4.1917, zit. in: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 224. Zur Selbsthilfe der Bevölkerung und zum Wandel des Verständnisses von Recht und Unrecht siehe Kapitel 3.3. und 3.4.

[189] In absoluten Zahlen hieß dies: Im April 1917 mußten 142,80 Mark und im April 1918 bereits 203,88 Mark veranschlagt werden, um trotz der geringeren Menge, der schlechten Qualität und der Umstellung hin zu Gemüse, Obst und Ersatzstoffen halbwegs existieren zu können. Alle Angaben nach den Haushaltsrechnungen, welche 1916-1918 vom Kriegsausschuß für Konsumenteninteressen erhoben wurden, in: Zimmermann, Die Veränderungen, S. 431-456. Zu den Haushaltsrechnungen als sozialhistorische Quelle vgl.: Feldman/Niehuss, Haushaltsrechnungen aus der Inflationszeit. Anhang von: Niehuss, Lebensweise und Familie, S. 265-276.

[190] Malich weist zu Recht darauf hin, daß die Schwarzmarktpreise der Kriegs- und Nachkriegszeit, welche bis zum 15fachen über den Vorkriegspreisen lagen - kostete ein Pfund Butter vor dem Krieg noch 1,40 Mark, so mußte man im Juni 1917 schon 15 Mark und im September 1918 bereits 22 Mark dafür bezahlen - bei den Lebenshaltungskostenstatistiken nicht berücksichtigt wurden. Diese Statistiken hatten ihre Fehlerquellen darin, daß zum einen davon ausgegangen wurde, daß die offiziellen Höchstpreise auch tatsächlich galten, zum anderen, daß die Rationen in voller Höhe erhältlich waren. Durch diese fehlerhafte Berechnungsgrundlage für die Reallöhne entstand ein falsches Bild der Lebensverhältnisse, da die Lohnsteigerungen überbewertet wurden; dazu: Malich, Zur Entwicklung des Reallohns, S. 63-65. Vgl. auch Kapitel 1.2.1., Anm. 67.

[191] Dazu: Mai, „Wenn der Mensch..“, S. 54ff.; Zimmermann, Die Veränderungen, S. 471f. Für die generell niedrigen Frauenlöhne gilt dies prinzipiell; vgl. Kapitel 1.2.1.

[192] Dazu: Wehler, Das deutsche Kaiserreich, S. 203; Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 178; Hardach, Der Erste Weltkrieg, S. 131. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land resultierte einerseits aus der Tatsache, daß viele Landwirte Waren zurückhielten oder spekulative Geschäfte damit betrieben, andererseits daraus, daß es den Selbstversorgern in der Regel besser ging, weil ihre Rationen zumindest in voller Höhe sichergestellt waren; dazu: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 209f.

[193] Besonders problematisch wurde diese zeitintensive Beschaffung, wenn die Frauen ebenfalls außerhäusliche Arbeit leisteten, entweder als Zuverdienst, oder weil ihre Männer eingezogen waren und sie von der niedrigen Kriegsunterstützung nicht leben konnten. In solchen Fällen waren es dann oft die Kinder, die den Einkauf erledigen mußten. Teilweise wurden die jeweiligen Mengen auch direkt an die Betriebe geliefert, um der arbeitenden Bevölkerung so das zeitraubende Einkaufen zu ersparen, und um ihnen die Rationen bzw. Zulagen zu sichern; für den Bergbau vgl.: Hartewig, „Anarchie auf dem Warenmarkt“, S. 247. Vgl. zum zeitraubenden Schlangestehen die Berichte in: Skalweit, Kriegsernährungswirtschaft, S. 200ff.; Müller, Vom Kaiserreich, S. 146; Ullrich, Die Hamburger Arbeiterbewegung, passim.

[194] Dokumente aus geheimen Archiven, Bericht der Abteilung VII, Exekutive, 3. Kommissariat an den Polizeipräsidenten Berlin, vom 30.9.1915, S. 86. Zur Beteiligung der Frauen bei Ausschreitungen und ‘gewalttätigen’ Übergriffen vgl. Kapitel 3.3.

[195] Zur individuellen und oftmals auch illegalen Daseinsvorsorge vgl.: Daniel, Arbeiterfrauen, S. 215-232. Dazu auch Kapitel 3.3.1.

[196] Zur Lebenshaltung der Nachkriegszeit vgl. besonders: Mai, „Wenn der Mensch..“; Niehuss, Lebensweise und Familie; Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 154-181.

[197] Ebd., S. 172.

[198] Hartewig, „Anarchie auf dem Warenmarkt“, S. 257f.

[199] War bereits 1920 die Rationierung für die meisten Nahrungsmittel aufgehoben, so blieb sie für das K-Brot bis Oktober 1923 bestehen; vgl. dazu die Übersicht bei: Roerkohl, Die Lebensmittelversorgung, S. 336. Einzelne Städte und Kommunen behielten das System der Rationierung auch nach 1920/21 weiterhin aufrecht, da die Versorgung der Bevölkerung sonst nicht hätte gewährleistet werden können. Vgl. für Dortmund: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 169.

[200] Angaben bei: Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, S. 175. Diese Preise waren selbst von den Spitzenreitern der Lohnhierarchie nur begrenzt aufzubringen; ebd., S. 174f.

Ende der Leseprobe aus 232 Seiten

Details

Titel
'Not kennt kein Gebot' - Frauenalltag und Frauenkriminalität zwischen 1914 und 1924
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie)
Note
sehr gut (1,0)
Autor
Jahr
1998
Seiten
232
Katalognummer
V35593
ISBN (eBook)
9783638354578
ISBN (Buch)
9783640686469
Dateigröße
1884 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gebot, Frauenalltag, Frauenkriminalität
Arbeit zitieren
Manuela Azzolini (Autor:in), 1998, 'Not kennt kein Gebot' - Frauenalltag und Frauenkriminalität zwischen 1914 und 1924, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35593

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