Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Theoretischer Teil
1. Einleitung
1.1. Motivation und Hintergründe
1.2. Forschungsfrage und Zielsetzung
1.3 Methodologie
1.4 Aufbau der Arbeit
2. Begriffsbestimmungen
2.1. Delinquenz/ Jugenddelinquenz
2.2. Delinquenz in Abgrenzung zu Kriminalität
3. Erklärungsansätze für Delinquenz im Jugendalter
3.1. Familie als Sozialisationsinstanz
3.1.1. Sozialisation
3.1.2. Die soziale Kontrolle in der Familie
3.2. Elterliche Einstellungen und Erziehungshaltungen
3.3. Soziogenese und Biologische Prädispositionen
3.4. Gewaltausübung aus Sicht der Hirnforschung und der Neuropsychologie
4. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse
Empirischer Teil
5. Literaturreview
5.1. Vorgehensweise der Literaturrecherche
5.2 Beschreibung der Studien
5.3 Interpretation der Studien-
Gemeinsamkeiten der Studien und die Verbindung zur Theorie
6. Schlussfolgerung
7. Literaturverzeichnis
8. Internetquellen
Theoretischer Teil
1. Einleitung
1.1. Motivation und Hintergründe
„Jedes Kind beginnt sein Leben als ein asoziales Wesen, in dem es darauf besteht, dass seine Wünsche erfüllt werden, ohne die Wünsche und Forderungen seiner Mitmenschen zu berücksichtigen. Dieses Verhalten wird für das junge Kind als normal angesehen, jedoch als asozial oder dissozial, wenn das Kind älter wird. Das Kind muss zu einem Zustand der prosozialen Anpassung erzogen werden; diese Aufgabe kann nur erfüllt werden, wenn die emotionale Entwicklung des Kindes normal verläuft.“ (Aichhorn 1930, zitiert nach Steinhausen; Bessler 2008, S. 13).
Dieses Zitat verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Teilhabe, welche soziales Verhalten voraussetzt, durch den ‘normalen‘‚ Verlauf der sozial-emotionalen Entwicklung im Kindesalter gesichert werden kann. Bei der zwischenmenschlichen Interaktion tragen bestimmte Verhaltensmuster dazu bei, den Richtungsverlauf einer Verständigung zu bestimmen. Sprache allein reicht hierfür nicht aus. Hierbei ist der Erwerb sozialer Kompetenzen in der frühkindlichen Entwicklung ein wichtiger Teilprozess, wodurch die positive gesellschaftliche Teilhabe gesichert werden kann. Der Erwerb der emotionellen Regulationsfähigkeit sowie der Erwerb von prosozialen Verhaltens und der Fähigkeit zur Hemmung aggressiver Impulse sind unter anderem weitere wichtige Kompetenzen (vgl. Steinhausen, Bessler 2008, S.41), welche zwischenmenschliche Beziehungen in positivem Sinne aufrechterhalten.
Bei Menschen, die dissoziale Verhaltensweisen an den Tag legen, ist es wichtig, zu hinterfragen, welche zusammenwirkenden Faktoren zum Scheitern des sozialen Verhaltens führen. Verhaltensweisen, die von der Norm abweichen, können abhängig vom Schweregrad zu Straftaten führen, wenn sie einem Menschen oder einer bestimmten Gruppe von Menschen Schaden zufügen.
Um auch nur ansatzweise verstehen zu können, aus welchen Gründen ein Mensch straffällige Handlungen begeht, ist es von großer Bedeutung, sich die Frage zu stellen, welche Faktoren als Ursache für die jeweilige Straftat mitverantwortlich sind. Es gibt diesbezüglich verschiedene Forschungen, welche beispielsweise im Bereich der Psychologie, der Kriminalpsychologie, der Soziologie sowie der Biologie durchgeführt wurden und sich dabei auf straffälliges Handeln von Jugendlichen bezogen haben.
In der folgenden Ausarbeitung wird überwiegend den diesbezüglichen Erklärungsansätzen aus den Ebenen der Soziologie und die der Biologie Betrachtung geschenkt. Um Fragen, die mit den Ursachen kriminellen Verhaltens von Jugendlichen einhergehen, beantworten zu können, wird eine sorgfältige und umfangreiche Recherche in den eben genannten Forschungsbereichen vorausgesetzt. Möglicherweise kommt man somit den Antworten auf die Fragen wie beispielsweise, ,,Warum hat er gemordet und geklaut?“, oder ,,Warum hat er Körperverletzung begangen?“, ein Stück weit näher.
1.2. Forschungsfrage und Zielsetzung
Ziel dieser wissenschaftlichen Ausarbeitung ist es, herauszufinden, welche Faktoren zu delinquentem Verhalten bei Jugendlichen beitragen. In erster Linie soll jedoch die Bedeutung der Familie von Jugendlichen mit delinquentem Verhalten untersucht werden. Die Forschungsfrage lautet: „Welche Einflüsse hat die Familie auf die Entstehung von delinquentem Verhalten bei Jugendlichen?“
Der Familie als Einflussfaktor wird hierbei die meiste Betrachtung geschenkt, da die Annahme vertreten wird, dass hauptsächlich die Familie, in der das Kind aufwächst, zur Prägung bestimmter Verhaltensmuster beiträgt. Obwohl der Fokus auf den Einflussfaktor Familie gesetzt wird, werden noch weitere Aspekte aus dem Bereich der Soziologie, dem der Biologie und der Kriminalpsychologie in die Arbeit mit eingebunden, da es bei diesem Thema unmöglich ist, die Ursachen des dissozialen Verhalten mit einer einzigen Erklärung zu versehen.
1.3 Methodologie
Die Ausarbeitung erfolgte sowohl mithilfe von wissenschaftlicher Literatur, für den theoretischen Teil, als auch mithilfe von internationalen Studien, aus verschiedenen Fachportalen, für den empirischen Teil. Für die Literaturauswahl wurde hauptsächlich das Suchportal der Universität Bremen in Anspruch genommen. Die Vorgehensweise der Literaturrecherche für das Literaturreview im empirischen Teil, wird in Kapitel 5, in der „Vorgehensweise der Literaturrecherche“, beschrieben und tabellarisch dargestellt.
1.4 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit besteht aus zwei Teilen. Zum einen bestehend aus dem theoretischenund zum anderen aus dem empirischen Teil, wobei der Schwerpunkt auf dem theoretischen Teil liegt.
Im ersten Teil der Arbeit werden wichtige Begriffe wie „Delinquenz“, beziehungsweise „Jugenddelinquenz“ definiert, die vorliegend für das Verständnis des Themas unvermeidlich sind. Zudem wird Jugenddelinquenz bei der Erklärung in Abgrenzung zur Kriminalität gesetzt.
Im fortführenden Kapitel werden Erklärungsansätze für Delinquenz im Jugendalter, sowie die Familie als Sozialisationsinstanz behandelt, da diese Instanz relevante Kriterien beinhaltet, die mit der Jugenddelinquenz in Verbindung gebracht werden können. Dieses Kapitel beinhaltet die Unterpunkte: „Sozialisation“ und die „sozi- ale Kontrolle in der Familie“, welche in diesem Zusammenhang näher erläutert werden.
Das nächste Kapitel beschreibt sowohl die Wichtigkeit der elterlichen Einstellun- gen und die ihrer Erziehungshaltungen als auch die Folgen von Deprivation. Im letzten Unterpunkt des Kapitels „Erklärungsansätze für Delinquenz im Jugend- alter“, sind die Soziogenese und biologische Prädispositionen als Einflussfaktoren für Delinquenz, anhand von bestimmten, angeborenen psychischen Störungen, dar- gestellt worden.
Das darauffolgende Kapitel befasst sich mit der Gewaltausübung aus der Sicht der Hirnforschung und der Neuropsychologie.
Zum Abschluss des theoretischen Teils sind alle Befunde aus der Theorie zusammengefasst dargestellt.
Im empirischen Teil der Ausarbeitung wird ein Literaturreview vorgenommen. Durch dieses soll der Beantwortung der Forschungsfrage, durch reale Befunde aus der Praxis, ein Stück weit nähergekommen werden. Dieser Teil der Ausarbeitung beinhaltet empirische Befunde aus internationalen Studien.
Für den Überblick über die Vorgehensweise der Literaturrecherche, die jeweiligen Studien mit ihren Stichproben und Erhebungsinstrumenten und zuletzt für den Überblick über die jeweiligen Forschungsbereiche der Studien sind insgesamt sieben Tabellen erstellt worden.
Zu Beginn wird die Vorgehensweise der Literaturrecherche vorgestellt.
Nach der Beschreibung der Studien erfolgt eine Interpretation dieser, welche die Gemeinsamkeiten der Studien und die Verbindung zur Theorie herstellt. Zum Abschluss wird im Fazit mithilfe der gesamten Ergebnisse aus dem theoretischen und empirischen Teil die eigentliche Forschungsfrage beantwortet.
2. Begriffsbestimmungen
Wie bereits angekündigt, ist es für das Verständnis dieses Themas unvermeidlich, sich mit den Begriffen „Delinquenz“, beziehungsweise „Jugenddelinquenz“ zu befassen. Im folgenden Kapitel wird der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit „Delinquenz“ nach der Definition in Abgrenzung zur Kriminalität gesetzt und auch der Grund für eine Abgrenzung erklärt. Zu beachten gilt es jedoch, dass es hierfür keine einheitliche Definition, sondern lediglich verschiedene Erklärungsansätze gibt.
Die folgenden Begriffsbestimmungen erfolgen hauptsächlich aus den Themengebieten der Soziologie, der Psychologie und denen der Kriminologie. Bei der Auseinandersetzung mit der Jugendkriminalität, ist es außerdem von großer Bedeutung, die Rolle des Jugendstrafrechts zu berücksichtigen, um sich zu vergegenwärtigen ab welchem Lebensalter ein Kind überhaupt strafmündig ist.
2.1. Delinquenz/ Jugenddelinquenz
Als Delinquenz werden von der Norm abweichende, dissoziale Verhaltensweisen bezeichnet, die - abhängig von ihrem Schweregrad - zu Straftaten führen können. Wenn nachgewiesen werden kann, dass Delinquenz als Folge oder Ausdruck bestimmter psychischer Defizite mit pathologischer Valenz ist, so kann sie nach dem delinquent-kriminellen Verhalten als ,,psychisch krank“ bezeichnet werden (vgl. Dechene 1975, S.25). Der Psychiater D. Abrahamsen (1952) ist durch seine Arbeit zu der Erkenntnis gekommen, dass krankhafte psychische Erscheinungen für kriminelles Verhalten verantwortlich seien. Er führte aus, dass ihn in seiner reichhaltigen Erfahrung nicht ein einziger Gesetzesbrecher begegnet sei, der nicht in irgendeiner Form pathologische Merkmale trug und dass somit der ,,normale“ Kriminelle, der also in einem seelisch gesundem Zustand gehandelt haben soll, ein Mythos sei (vgl. Dechene 1975, S.25).
Aus sozio-psychologischer Perspektive ist Delinquenz allgemein betrachtet einerseits durch das soziale Umfeld, wobei die Primärfamilie einen herausragenden Stellenwert hat, und andererseits durch die innerpersönliche Prägung gekennzeichnet (vgl. Neubacher Walter 1995, S. 52).
Reiss bezeichnet Delinquenz als Folge des Mangels sozialer und personaler Kontrolle, worauf in Kapitel 3.2; unter der „sozialen Kontrolle in der Familie“, näher eingegangen wird.
Da der Fokus dieser Ausarbeitung auf dem Einflussfaktor Familie im Hinblick auf die Entstehung von delinquentem Verhalten bei Jugendlichen gerichtet ist, wird sich hauptsächlich dem Begriff der Jugenddelinquenz gewidmet.
Jugenddelinquenz setzt sich aus den Wörtern „jugendlich“ und „Delinquenz“ zusammen.
Der juristischen Definition zufolge ist man vom 14. bis 18. Lebensjahr Jugendliche/r. In diesem Alter habe man weder den Status eines Kindes, noch den Status eines Erwachsenen eingenommen (vgl. Rossmann 2012, S.133). In dieser Lebensphase wird das Verhalten stark von äußeren Einflüssen geprägt. Bestimmte Ereignisse werden nicht wie zuvor betrachtet, sondern aus einem anderen Blickwinkel.
Die medizinische Terminologie, welche Delinquenz als eine Krankheit beschreibt, besagt, dass ungefähr fünf bis acht Prozent der männlichen Jugendlichen als delinquent zu kategorisieren sind. Dem hingegen sind lediglich ein halb bis ein Prozent der delinquenten Jugendlichen weiblich (vgl. Dechene 1975, S.28). Eine Studie ergab, dass rund 90 Prozent der verurteilten Jugendliche in Jugendstrafanstalten, psychische Störungen aufweisen (vgl. Steinhausen, Bessler 2008, S. 29). Delinquente weisen nämlich ein bestimmtes Maß an psychopathologischen Störungen auf, welche neurobiologische und genetische Wurzeln haben (vgl. Steinhausen, Bessler 2008, S. 14). Aus diesem Grund wird der seelische Zustand eines straffälligen Jugendlichen im Justiz-System für Jugendliche stark berücksichtigt (vgl. Steinhausen, Bessler 2008, S. 18).
In die Kategorie der Jugenddelinquenz fallen zum Beispiel manipulatives-, betrügerisches Verhalten, Impulsivität, Verantwortungslosigkeit sowie Mangel an Schuldgefühlen und Perspektivlosigkeit, die Dissozialität hervorrufen können (vgl. Dirk 2000, S.65).
Wichtig zu beachten ist hierbei das Ausmaß des Schwerengrades und der Häufigkeit des dissozialen Verhaltens. Als Erklärung ist es unzureichend, ein kriminelles Verhalten durch delinquentes Handeln, welches von psychischen Störungen geprägt ist, zu begründen und die Ursache darin zu sehen. Denn für das ganzheitliche Verständnis delinquenten Verhaltens müssen Erklärungen zahlreicher unterschiedlicher Ursachen herbeigeführt werden. Dementsprechend werden hierfür im Laufe dieser wissenschaftlichen Ausarbeitung die Faktoren, die für delinquentes Verhalten mitverantwortlich sind, beschrieben.
2.2. Delinquenz in Abgrenzung zu Kriminalität
Obwohl beide Begriffe, sowohl Delinquenz, als auch Kriminalität mit der Straffälligkeit in Verbindung stehen, gibt es einige entscheidende Unterschiede die zu beachten sind. Jugenddelinquenz schließt wiederholte Rückfälligkeiten aus. Das heißt, dass Jugendliche erst durch das Wiederholen gesetzeswidriger Taten in die Kategorie ,,kriminell“ eingestuft werden können. Hinzu kommt, dass man nicht durch jedes delinquente Verhalten mit dem Gesetz in Konflikt gerät (vgl. Seitz 1995, S.222).
Nach dem deutschen Strafgesetz ist man vor dem 14. Lebensjahr schuldunfähig und deshalb auch nicht strafmündig. Als Jugendliche werden nach dem Jugendstrafgesetz 14 bis 17 Jährige bezeichnet, die nur bedingt straffähig sind und erst ab dem 18. bis 21. Lebensjahr als Heranwachsende als voll strafmündig gelten (§1 Abs. 2 JGG). Jedoch ist ein Gutachter für die Prüfung der altersgemäßen Reife und somit für die Zuschreibung der minderen oder vollen Straffähigkeit zuständig.
Junge Menschen begehen zudem im Vergleich zu Erwachsenen viel mehr spontane Straftaten, die somit ungeplant sind (vgl. Neubacher, Walter 1995, S. 234), woraus sich schließen lässt, dass möglicherweise starkes impulsartiges Handeln zum jeweiligen Handeln führt.
Kriminalität wird durch die Delinquenz verursacht, welche von der Norm abweichende, dissoziale Verhaltensweisen mitbringt. Es gibt verschiedene Gruppierungen von Strafdelikten, die in den Bereich der Kriminalität fallen. Mord/ Totschlag, Vergewaltigung, Raubdelikte, gefährliche und schwere-, oder einfache Körperverletzung, Stalking, Freiheitsberaubung, Nötigung, Drohung, einfacher- oder schwerer Diebstahl, Betrug, Urkundenfälschung, Sachbeschädigung sowie Rauschgiftdelikte sind einige davon (vgl. Neubacher, Walter 1995, 233).
3. Erklärungsansätze für Delinquenz im Jugendalter
3.1. Familie als Sozialisationsinstanz
„Ein Mensch wird dann aggressives Verhalten aufzeigen, wenn er in seiner Kindheit nicht gelernt hat, seine Triebe (Wünsche) aufzuschieben; sei es durch eigenes oder durch erziehe- risches Verhalten. Wobei das erzieherische das eigene Verhalten in hohem Maß mitbe- stimmt, wenn nicht sogar dafür ausschlaggebend ist!“ (zitiert nach Varbelow 2000, S. 135).
Dieses Zitat verdeutlicht, dass Erziehungsmethoden im Rahmen der Delinquenzentwicklung des Kindes, eine ausschlaggebende Funktion haben. Die Rolle der Familie nimmt in Hinblick auf die Sozialisation eines Kindes von Anfang an eine bedeutsame Funktion ein. Die Primärfamilie, also die Familie, in der das Kind aufwächst, lebt dem Kind bestimmte Normen und Werte vor, sodass es ab einem bestimmten Zeitpunkt dazu fähig ist, die vorgelebten Regeln nachzuahmen. Menschen besitzen die Fähigkeit, aus dem sozialen Verhalten ihrer Umgebung zu lernen, Dinge anzunehmen, zu reflektieren, zu projizieren und vieles mehr, wobei auf dieser Ebene ein lebenswichtiger Lernprozess stattfindet. Während der gesamten Lebenslaufbahn werden viele soziale Rollen, häufig auch unbewusst, übernommen.
Bei Jugendlichen mit delinquentem Verhalten ist es von großer Bedeutung, sich die Sozialisation und die soziale Kontrolle in der Familie in Hinblick auf die Verhaltensentwicklung zu vergegenwärtigen. Hierbei sollte neben der Bedeutung der Sozialisation im Elternhaus auch die Frage gestellt werden, welche Faktoren später besonders häufig delinquentes Verhalten auslösen können und ob Delinquenz als mögliche Folge mangelhafter Sozialisation betrachtet werden kann.
Für das Verständnis dieses Themas ist es von großer Bedeutung, sich mit den Begriffen „Sozialisation“ und „soziale Kontrolle“ vertraut zu machen. Erst durch diese ist nämlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Thema möglich.
3.1.1. Sozialisation
Die Sozialisation hat die Aufgabe der Normvermittlung und ist ein sozialer Formungsprozess, welcher nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt ist, sondern ein Leben lang stattfindet (vgl. Jacobsen 1970, S. 7f). Der Sozialisationsprozess wird durch die soziale Kontrolle gesteuert, worauf im fortführenden Kapitel eingegangen wird.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Anomie von Jaffe, der 1963 in seinen Untersuchungen zu der Erkenntnis kam, dass es notwendig sei, die Familienstruktur des Delinquenten zu beobachten, da in erster Linie die Kernfa- milie für die Prägung wesentlicher Verhaltensweisen verantwortlich sei. Die Ursa- che von Jugenddelinquenz sah er in der Folge der mangelnden Übereinstimmung über die gemeinsamen Werte in der Familie, dem Gefühl der Machtlosigkeit der Kinder und in der mangelhaft auftretenden „elterlichen Identifikation“. Mit dem sogenannten ‚So-Test‘ befragte er Probanden, ob sie in ihrem Verhalten Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen oder nicht. Er kam zu dem Ergebnis dass das Ge- fühl der Machtlosigkeit Folge fehlenden Selbstvertrauens und innerer persönlicher Angst sei, welches Jugendliche aus sogenannten „anomischen Familien“ zeigen. Er beschränkte seine Untersuchungen auf den Bereich der Familie und kam zu dem Entschluss, dass Jugenddelinquenz als mögliche Folge mangelhafter Soziali- sation zu betrachten ist (vgl. Jacobsen 1970, S. 41f).
Die Anomietheorie ist eine soziologisch orientierte Theorie, die die Entstehung Norm- abweichender Verhaltensweisen durch die Gegebenheit der sozialen Faktoren erklärt.
Durkheim erklärt die Ursache abweichenden Verhaltens mit der Störung gesellschaftlicher Funktionen (vgl. Hüpping, 2005, S. 22).
„Somit sind nicht die Folgen aus wirtschaftlichen Krisen wie Armut, Arbeitslosigkeit etc. als ursächliche Momente gesellschaftlicher Dysfunktionen und den daraus resultierenden abweichenden Verhaltensweisen anzuführen, sondern vielmehr die Störung des Gleichge- wichts innerhalb einer Gesellschaf, ausgelöst durch jedwede Form tief greifender Umstel- lungen des Sozialgefüges.“ (Durkheim 1983, zitiert nach Hüpping 2005, S. 24).
Er hat gesellschaftliche Dysfunktionen analysiert, indem er die möglichen Ursachen der Selbstmorde unterschiedlicher Gesellschaften untersucht hat. Die Ergebnisse hat er dann in seinem Werk „Le suicide“ verfasst. Er besagt, dass abweichendes Verhalten stark von der Moral, der Kultur und der Religion beeinflusst werde. Außerdem betont er die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Integration und die Akzeptanz der sozialen Regeln. Ein Ungleichgewicht zwischen der Norm und dem Ziel führe nach Durkheim zu einer Spannung und demzufolge zu aggressivem Verhalten (vgl. Hüpping 2005, S. 23f).
3.1.2. Die soziale Kontrolle in der Familie
Die soziale Kontrolle ist eine Instanz, die die Macht hat, das Verhalten zu steuern und die Entwicklung von bestimmten Verhaltensmustern durch ihren Einfluss zu bestimmen oder zumindest zu beeinflussen (vgl. Jacobi 1970, S. 1). Es wird sowohl die Aufgabe der Normvermittlung, als auch die Verschaffung der Normgeltung von der sozialen Kontrolle durchgeführt. Sie ist ein Mittel zur Gewährleistung der Aufrechterhaltung und Gültigkeit von bestimmten Regeln, die von der Gesellschaft bestimmt worden sind und hat die Funktion, den Prozess der Normübermittlung zu unterstützen, indem bestimmte Verhaltensmuster durch positive und negative Sanktionen, also durch Belohnung oder Bestrafung, gesteuert werden (vgl. Jacobi 1970 S. 4-8). Zu bedenken ist, dass diese in jedem Alter verschieden verarbeitet werden. Dass Verständnis für den Sinn von Lohn und Strafe werde erst ab dem zweiten Lebensjahr entwickelt (vgl. Jacobi 1970, S. 29).
Die Bestrafung ist eine auf Verhaltensänderung gerichtete Maßnahme. Sie hat die Funktion, ein bestimmtes Verhalten zu verhindern, damit dies nicht wiederholt und nicht zur Gewohnheit werde. Belohnung hingegen wirke verhaltensbestätigend und befriedigend. Bei einem Verhalten, auf das eine Belohnung folge, sei die Wahrscheinlichkeit höher, es zu wiederholen, als bei einem unbelohnten (vgl. Jacobi 1970, S. 15f.).
Die erste Phase des Sozialisationsprozesses beginnt in der Kernfamilie, also in der sogenannten Primärgruppe, wo das Kind aufwächst. Denn die ersten sozialen Beziehungen werden in dieser Gruppe geknüpft (vgl. Jacobi 1970, S. 22). Eltern oder Dauerpflegepersonen sind demnach Träger des Sozialisationsprozesses und haben die wichtige Aufgabe, durch die soziale Kontrolle Normen zu vermitteln und somit zu der Sozialisation des Kindes beizutragen.
Während der Sozialisierungsphase lernt das Kind von der Geburt an, bis zum Ende des zweiten Lebensjahres die ersten sozialen Verhaltensweisen. Zum Beispiel führt das Stillen der Mutter zu einer Befriedigung des organischen Bedürfnisses des Kindes. Durch das Schreien setzt das Kind ein Zeichen der Erwartung, nämlich die, dass sein Bedürfnis nach Hunger gestillt werden soll. Durch die Beantwortung auf dieses Zeichen entwickelt sich ein sozialer Optimismus und das Schreien wird zu einer Art Ritual. Im weiteren Verlauf der Entwicklung werden soziale Verhaltensweisen durch Nachahmung zu Eigen gemacht und die Normverinnerlichung durch die soziale Kontrolle der Eltern oder der Dauerpflegepersonen unterstützt (vgl. Jacobsen, 1970, S.26f.). Die soziale Kontrolle soll die Persönlichkeit so beeinflussen, dass Interaktionen innerhalb einer Gruppe aufrecht erhalten bleiben. Die Wirksamkeit der sozialen Kontrolle wird jedoch durch bestimmte Gegebenheiten beeinflusst, wie zum Beispiel der ungünstigen wirtschaftlichen Situation einer Familie. Die Tatsache, dass in den meisten Fällen ein mangelndes Selbstvertrauen aufgrund der nicht befriedigten organischen sozialen Bedürfnisse zu Stande kommt, ist auf eine ungünstige wirtschaftliche Situation der Familie zurückzuführen. Die soziale Kontrolle hat des Weiteren die Aufgabe, kindliche Bedürfnisse zu befriedigen, (vgl. Jacobi 1970, S.46), welches jedoch aufgrund der Gegebenheit, einer schlechten finanziellen Lage, nicht immer gelingt. Die Bedeutung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit wird in Kapitel 3.3; unter der Soziogenese näher beschrieben.
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Wichtigkeit der stabilen sozialen Beziehungen in den Familien. Die Tatsache, dass die Familie vollständig ist, muss nicht unbedingt von positiver Bedeutung sein. Viel wichtiger ist ein gutes Verhältnis, welches zwischen den Familienmitgliedern vorherrscht. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Mangel an elterlicher Interaktion ein wichtiger Aspekt beim delinquenten Verhalten Jugendlicher sei, da positive Interaktion sozusagen zu gesunder Erziehung beitrage.
Gold kam nach seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Jugendliche aus den sogenannten ‚unteren Schichten‘, mit niedrigem sozialen Status häufiger de- linquent werden würden, als Jugendliche mit höherem sozialen Status.
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