Wohl kein Ereignis der Zeitgeschichte ist in jener Weise als entscheidendes Datum oder als Glanzpunkt deutscher Geschichte gedeutet worden wie der mißlungene Anschlag, den Claus Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler verübt hat.1 Obwohl der Umsturzversuch schon wenige Stunden nach seiner Ausführung endgültig gescheitert war, bot der Widerstand des 20. Juli mit seinen Leitbildern vom „anderen Deutschland“ und vom „Aufstand des Gewissens“ innerhalb der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur und -politik einen willkommenen Kontrast zu der verstörenden Tatsache der ungeheuerlichen Verbrechen während der NS-Diktatur.2 Der Umstand, daß der 20. Juli das einzige Anniversarium darstellt, das seit Gründung der Bundesrepublik ausdrücklich an den Nationalsozialismus erinnert, unterstreicht den zentralen Beitrag, den sein Vermächtnis zur historisch politischen Identität der deutschen Gesellschaft bis heute leistet.3 Der herausragende Stellenwert dieses Datums läßt sich vor allem daran ermessen, daß in den Jahren vor dem Umsturzversuch insgesamt 42 Attentate verübt worden waren, die in der bundesrepublikanischen Erinnerung jedoch auf keine nennenswerte Resonanz gestoßen sind. Als „prominentestes“ Beispiel gilt dabei das Sprengstoffattentat, das der Schreiner Johann Georg Elser am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller durchgeführt hat, wo Hitler regelmäßig zur Erinnerung an die „Blutzeugen“ seiner „Bewegung“ und an den 1923 fehlgeschlagenen Marsch auf die Feldherrnhalle sprach. Obwohl seine Bombe mehr noch als die von Stauffenberg ihr Ziel nur haarscharf verfehlte – nur wenige Minuten vor der Detonation hatte der Diktator den Ort des Geschehens verlassen, weshalb die enorme Sprengwirkung lediglich einige seiner anwesenden Parteigenossen erfaßte –, ist dem Schreiner Elser eine vergleichbare Anerkennung niemals zuteil geworden. [...] 1 Vgl. Steinbach, Widerstand im Widerstreit, S. 344. 2 Vgl. Hürter, Auf dem Weg zur Militäropposition, S. 527. 3 Vgl. Kirsch, „Wir haben aus der Geschichte gelernt“, S. 41. Seit 1952 wird der 20. Juli Jahr für Jahr staatlich zelebriert, ohne daß er allerdings jemals zu einem gesetzlichen Feiertag avancierte.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Die Rahmenbedingungen des Erinnerns
- 2.1 Die äußeren Rahmenbedingungen
- 2.1.1 Hitlers langer Schatten
- 2.1.2 Von der verweigerten Unterstützung zur Leugnung: Der Umgang der Alliierten mit dem 20. Juli
- 2.2 Die politischen und justitiellen Rahmenbedingungen
- 2.2.1 Das Bekenntnis der Bundesregierung 1951
- 2.2.2 Der Remer-Prozeß 1952
- 2.2.3 Die totalitäre Erfahrung der Nachkriegszeit: Der 17. Juni 1953
- 2.2.4 Der 20. Juli und die Gründung der Bundeswehr
- 2.3 Fazit
- III. Vom Vorwurf des Hoch- und Landesverrats zur Anerkennung des 20. Juli
- 3.1 Die Anerkennung des 20. Juli durch die Historiographie
- 3.2 Das Bekenntnis zum 20. Juli in den offiziellen Gedenkreden
- 3.3 Die Würdigung des 20. Juli in den Medien
- 3.4 Fazit
- IV. Die Kontroversen um die politischen Zielvorstellungen und Motive des 20. Juli
- 4.1 Die politischen Zielvorstellungen und Motive in der Historiographie
- 4.2 Die politischen Zielvorstellungen und Motive in den offiziellen Gedenkreden
- 4.3 Die politischen Zielvorstellungen und Motive in den Medien
- 4.4 Fazit
- V. Das Verblassen der Erinnerung
- 5.1 Historische Klischees auf dem Prüfstand: Der 20. Juli in der neueren Historiographie
- 5.2 Die Marginalisierung des 20. Juli in den jüngsten Gedenkreden
- 5.3 Regression in der Presse, Expansion im TV: Die Thematisierung des 20. Juli in den Medien
- 5.4 Fazit
- VI. Schlußbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit der Erinnerungskultur des 20. Juli 1944 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie analysiert, wie das Attentat auf Adolf Hitler in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen rezipiert wurde und welche Rolle es für die Entwicklung des Geschichtsbildes der Deutschen spielte.
- Die Konstruktion des 20. Juli als „deutscher Erinnerungsort par excellence“
- Die Rolle der Historiographie, der offiziellen Gedenkreden und der Medien in der Gestaltung des Erinnerungsbildes
- Die Kontroversen um die politischen Zielvorstellungen und Motive des 20. Juli
- Die Entwicklung der öffentlichen Erinnerung an den 20. Juli im Laufe der Zeit
- Der Einfluss des 20. Juli auf das Geschichtsbewusstsein der Deutschen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema ein und erläutert den Stellenwert des 20. Juli in der deutschen Geschichte und Erinnerungskultur. Sie stellt die Forschungsfrage und die methodische Vorgehensweise der Arbeit dar.
Kapitel II beleuchtet die Rahmenbedingungen des Erinnerns. Es analysiert die äußeren Rahmenbedingungen, wie z.B. Hitlers langer Schatten und der Umgang der Alliierten mit dem Attentat, sowie die politischen und justitiellen Rahmenbedingungen, die die Erinnerung an den 20. Juli prägten.
Kapitel III behandelt die Anerkennung des 20. Juli. Es untersucht die Rezeption des Attentats in der Historiographie, in den offiziellen Gedenkreden und in den Medien.
Kapitel IV befasst sich mit den Kontroversen um die politischen Zielvorstellungen und Motive des 20. Juli. Es analysiert die unterschiedlichen Perspektiven auf die politischen Ziele der Verschwörer, die in der Historiographie, den offiziellen Reden und den Medien vertreten wurden.
Kapitel V beleuchtet das Verblassen der Erinnerung. Es untersucht, wie sich die Rezeption des 20. Juli in der neueren Historiographie, in den jüngsten Gedenkreden und in den Medien verändert hat.
Schlüsselwörter
Die Magisterarbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Erinnerungskultur, Geschichtsbewusstsein, 20. Juli 1944, Widerstand, Attentat auf Hitler, Bundesrepublik Deutschland, Historiographie, Gedenkreden, Medien, politische Zielvorstellungen, Motive.
- Arbeit zitieren
- Marc Philipp (Autor:in), 2005, Der 20. Juli 1944 in der Erinnerung der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36020