Nach dem Abschluss des Amsterdamer Vertrages durch die Mitgliedsstaaten der EU im Sommer 1997 äußerten sich viele Beobachter enttäuscht über die Ergebnisse. Die gemachten Fortschritte erschienen den Kritikern als zu gering, insbesondere auf die bevorstehende Osterweiterung sah man die EU nach Amsterdam als unzureichend vorbereitet. In den zähen Verhandlungen der Regierungskonferenz schienen die erhofften Reformen steckengeblieben zu sein. In einem Artikel des European Policy Centre heißt es frustriert: „Given the inability of the EU's leaders to confront the task of reform {...} the existing process of intergovernmental conferences to amend and adapt the Union's Treaties has reached the end of its useful life.“ Und die Europa-Experten Christiansen und Jørgensen behaupten: „If anything, Amsterdam, in its high incidence of ‚non decisions’ has further formalised the way in which governments have accepted their inability to control the process.“ Ganz anders sieht das der Harvard-Professor Andrew Moravcsik. Aus der Perspektive seines ‚Liberalen Intergouvernementalismus’ beurteilt er die Konferenz von Amsterdam als äußerst erfolgreich, oder besser; effizient. Gerade in den relativ bescheidenen Integrationsfortschritten sieht er den Beleg für die zentrale These seines Theorieansatzes, dass auf dem europäischen Parkett nach wie vor die nationalen Regierungen das Sagen haben. Laut Moravcsik haben sich die europäischen Regierungen in Amsterdam in einem rationalen Abwägungsprozess nur auf solche Positionen geeinigt, die ihren jeweiligen nationalen Interessen nicht widersprechen, ungeachtet institutionellen Drucks oder politischen Idealismus. Einschätzungen, die dem europäischen Integrationsprozess eine den nationalstaatlichen Akteuren die Kontrolle mehr und mehr entziehende Eigendynamik zurechnen, stellt sich Moravcsik mit dem rationalistischen Ansatz des Liberalen Intergouvernementalismus entgegen.
In dieser Arbeit soll das Konzept des Liberalen Intergouvernementalismus vor dem Hintergrund des Amsterdamer Vertrages diskutiert werden. In einem ersten Teil wird zunächst Moravcsiks theoretischer Ansatz erläutert. Im Folgenden wird dann dieser Ansatz an Hand unterschiedlicher Betrachtungsweisen der Konferenz von Amsterdam erörtert, wobei die These von der Dominanz nationaler Regierungen im Mittelpunkt steht. Abschließend steht eine zusammenfassende Einschätzung der gewonnenen Erkenntnisse.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Liberale Intergouvernementalismus
- In den Nationalstaaten: gesellschaftliche Akteure
- Zwischen den Staaten: gouvernementale Akteure
- Der Amsterdamer Vertrag – Triumph nationaler Interessen?
- Amsterdam aus der Perspektive des Liberalen Intergouvernementalismus
- Amsterdam aus anderen Blickwinkeln
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit diskutiert das Konzept des Liberalen Intergouvernementalismus von Andrew Moravcsik im Kontext des Amsterdamer Vertrages. Das Ziel ist es, die Gültigkeit von Moravcsiks Theorieansatz, der die Dominanz nationaler Regierungen in der europäischen Integration betont, zu untersuchen.
- Der liberale Ansatz des Liberalen Intergouvernementalismus zur Erklärung der Präferenzbildung innerhalb von Nationalstaaten
- Die intergouvernementalistische Perspektive auf die Rolle der nationalen Regierungen in europäischen Verhandlungen
- Die Analyse des Amsterdamer Vertrages aus der Perspektive des Liberalen Intergouvernementalismus
- Eine Diskussion über die Bedeutung nationaler Interessen im europäischen Integrationsprozess
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt die Relevanz des Amsterdamer Vertrages und die Kontroversen um seine Ergebnisse dar. Sie führt Moravcsiks Konzept des Liberalen Intergouvernementalismus ein und stellt die zentrale These der Arbeit vor.
- Der Liberale Intergouvernementalismus: Dieses Kapitel erläutert die theoretischen Grundlagen des Liberalen Intergouvernementalismus, der die Entstehung und Durchsetzung von „state preferences“ auf nationaler und internationaler Ebene betrachtet. Dabei werden die zentralen Annahmen des Ansatzes und die Bedeutung von Interdependenzen zwischen den Staaten hervorgehoben.
- In den Nationalstaaten: gesellschaftliche Akteure: Dieser Abschnitt beleuchtet die liberale Perspektive des Liberalen Intergouvernementalismus, die den Prozess der Präferenzbildung innerhalb von Nationalstaaten anhand des Einflusses gesellschaftlicher Akteure untersucht.
- Zwischen den Staaten: gouvernementale Akteure: Dieser Abschnitt analysiert die internationale Ebene des Liberalen Intergouvernementalismus. Hier liegt der Fokus auf der Rolle der nationalstaatlichen Regierungen in internationalen Verhandlungen und der Durchsetzung ihrer Präferenzen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf den Liberalen Intergouvernementalismus, nationalstaatliche Interessen, den Amsterdamer Vertrag, europäische Integration, gesellschaftliche Akteure, Interdependenzen und Regierungskonferenzen. Die Analyse untersucht die Rolle rationaler Akteure, Präferenzbildung, nationale Interessen und den Einfluss auf den europäischen Integrationsprozess.
- Arbeit zitieren
- Andreas Schiel (Autor:in), 2003, Stärkt Europa den Nationalstaat?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36153