Gender, Sexualität und Organisationen


Seminararbeit, 1998

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 EINLEITUNG

1 GENDER UND SEXUALITÄT
1.1 EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
1.2 SEX, GENDER UND SEXUALITÄT - EINDEUTIGE ORDNUNGSKATEGORIEN?
1.3 GENDER-THEORIEN
1.3.1 UNTERSCHIEDLICHE FOKUSSIERUNGEN
1.3.2 BIOLOGISMUS/NATURALISMUS
1.3.3 MARXISMUS UND MATERIALISTISCHER FEMINISMUS
1.3.4 POSTMODERNE DEKONSTRUKTION
1.4 ZWISCHENFAZIT

2 GENDER UND ORGANISATIONEN
2.1 GENDER-TRENNUNG DER ARBEIT
2.2 GENDER UND ORGANISATIONEN - EINE KULTURELLE DIALEKTIK
2.3 SOZIALE VERHALTENSREGELN BEZÜGLICH GENDER UND ORGANISATIONEN

3 REFLEXION

LITERATUR

0 Einleitung

Diese Hausarbeit befaßt sich mit dem Zusammenhang von Gender, Sexualität und Organisationen. Ziel der Ausführungen ist,

1. das Konzept ‚Gender’ als soziale Konstruktion und damit als prinzipiell kontingent vorzu- stellen. Grundgedanke hierbei ist, daß Gender als das soziale Geschlecht nicht einfach ge- geben und wertbehaftet ist, sondern kulturell konstruiert wird und demnach auch kulturel- lem Wandel unterliegt.
2. Gender-Phänomene in bezug auf Organisationen (vornehmlich der Arbeitswelt) zu be- leuchten. Die diskutierte Frage hierbei ist, inwieweit kulturelle Konstruktionen von Gender sich auch auf Organisationen erstrecken und wie Organisationen selbst zu Gender- Konstruktionen beitragen. Hierzu nehmen wir eine dialektische Haltung ein, die besagt, daß sich in Organisationen sowohl kulturelle Muster spiegeln, umgekehrt aber auch Organisationen Gender-Konstruktionen beeinflussen können.
3. die beschriebenen Phänomene und Prozesse auch kritisch zu diskutieren und über Mög- lichkeiten zu spekulieren, wo Chancen zur Änderung bestehender Verhältnisse bestehen.

Vor allem dem dritten genannten Punkt liegt die Ideologie der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zugrunde. Diese Ideologie wiederum setzt an der Erkenntnis an - soviel sei hier schon vorweggenommen - daß Gender Unterschiede nach wie vor stark mit Unterschieden bzgl. Macht, Wertigkeit, Entfaltungsmöglichkeiten und dergleichen zugunsten von Männern assoziiert sind. Gender-Konstruktionen in Organisationen scheinen entscheidend zur Aufrechterhaltung der angedeuteten Herrschaftsverhältnisse beizutragen.

1 Gender und Sexualität

1.1 Einf ü hrung in die Thematik

Die Zweiteilung der Geschlechter in Männer und Frauen als sich gegenseitig ausschließende Ka- tegorien erscheint in weiten Teilen menschlicher Gesellschaften seit denkbar langer Zeit als unhin- terfragbare Tatsache. Während in früheren Zeiten der Frage nach dem Ursprung der Zweige- schlechtlichkeit mit einem Verweis auf die göttliche Schöpfung (im Christentum) begegnet wurde, wird die Existenz zweier Geschlechtskategorien in heutiger Zeit vorwiegend über die Natur (Evo- lution, Biologie) begründet (vgl. Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 201). Diese Letztbegründung bietet den Ausgangspunkt für alle darauf aufbauenden geschlechtsspezifischen Unterscheidungen (wie z. B. die der männlichen und weiblichen Sexualität) in diversen gesellschaftlichen Kontexten.

Auch die Frauenforschung und Frauenbewegung hat in ihren frühen Stadien Konzepte auf Grund- lage der Zweigeschlechtlichkeit entwickelt und diese sozialisationstheoretisch begründet (vgl. dies., S. 202). In jüngerer Zeit läßt sich jedoch ein Wandel weg von der Akzeptanz natürlicher Geschlechtsunterschiede hin zur Dekonstruktion eben dieser Unterschiede erkennen. Frau (und teilweise auch man) geht mit Bezug auf bestimmte erkenntnistheoretische Annahmen (z. b. der konstruktivistischen Epistemologie) davon aus, daß die Zweigeschlechtlichkeit im sozialen Prozeß konstruiert wird (vgl. ebd. S. 207 u. 210ff.). In diesem Kapitel sollen zunächst die Geschlechtskategorien anhand der Konzepte „sex“ und „gender“ gegenübergestellt und kritisch beleuchtet werden. Im Zusammenhang damit wird auch die Sexualität als geschlechtsspezifisches Konstrukt definiert und diskutiert. Anschließend werden einige theoretische Grundpositionen vorgestellt, die Gender- und Sexualitätsdifferenzen oder deren Aufhebung in unterschiedlicher Weise erklären. Diese Erklärungsansätze werden wir im Hinblick auf ihre Sinnhaftigkeit und Konsequenzen aus unserer Sicht kritisch diskutieren.

1.2 Sex, Gender und Sexualität - eindeutige Ordnungskategorien?

Der Begriff Gender bezeichnet im anglo-amerikanischen Sprachraum das soziale bzw. kulturelle Geschlecht im Gegensatz zu „sex“ als Bezeichnung für das biologische Geschlecht bzw. den biologisch zugeschriebenen Status von Menschen als Männer oder Frauen. Eine solche Zuschreibung erfolgt aufgrund verschiedener anatomischer, morphologischer, physiologischer oder endokrinologischer Unterscheidungen (vgl. Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 209). So wird z. B. bei der Geburt eines Menschen anhand seiner äußeren Geschlechtsmerkmale das biologische Geschlecht (entweder Mädchen oder Junge) festgelegt. Im Alltagsverständnis der meisten Menschen ist diese Festlegung als selbstverständlich (da „natürlich“) verankert.

Allerdings scheint bei näherer Betrachtung der bestimmenden Kriterien für die Festlegung des „sex“ eine grundsätzliche und widerspruchsfreie Einordnung in zwei sich ausschließende Katego- rien (Mann/Frau) problematischer zu sein als alltäglich angenommen. Die für die Bestimmung trennscharfer Klassifizierungen verantwortlichen Wissenschaften (z. B. Biologie und Physiologie) entwerfen neuerdings ein weitaus differenzierteres Bild der binären biologischen Geschlechtszu- ordnung (vgl. dies. S. 209-210). Die Geschlechtskategorien „werden nicht mehr als zwei entge- gengesetzte, einander ausschließende Kategorien verstanden, sondern vielmehr als Kontinuum, bestehend aus dem genetischen Geschlecht, dem Keimdrüsengeschlecht und dem Hormonge- schlecht.“ (Lorber/Farell, 1991 - zitiert nach Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 209).

Darüber hinaus müssen die verschiedenen Geschlechtsfaktoren nicht unbedingt bei einer Person übereinstimmen und außerdem sind ihre Wirkungen umweltabhängig (vgl. dies., S. 209). An die- ser Stelle sei ein Beispiel zur Illustration angefügt: einer heterosexuellen russischen Athletin wird die Teilnahme bei den olympischen Spielen als Frau untersagt, da sie aus medizinischer Sicht (d. h. hinsichtlich ihrer Chromosomen) männlich ist (vgl. Gergen, 1996, S. 238). Somit erscheint eine eindeutige Zuordnung zu einem biologischen Geschlecht unter Berücksichtigung aller als relevant erachteten Unterscheidungskriterien entgegen alltäglicher und auch sozialwissenschaftlicher Erwartungshaltungen als unmöglich.

Das Pendant zu „sex“ als biologischem Geschlecht ist im englischen „gender“ als soziales bzw. kulturelles Geschlecht. Gender wird als in Sozialisationsprozessen erworbener Geschlechtsstatus definiert. Im klassischen Sinne (frühe Frauenforschung) werden analog zur biologischen Zweige- schlechtlichkeit ebenfalls zwei Gendertypen (maskulin/feminin) unterschieden. Welche Kriterien einer Unterscheidung zwischen maskulinem und femininem Gender zugrunde liegen, ist jedoch alles andere als eindeutig. So werden verschiedenste bipolare Konstrukte angeführt, und dem einen oder anderen Gender als typische Merkmale, Eigenschaften, Verhaltensweisen, etc. unter- stellt. Beispiele hierfür sind: rational/irrational, objektiv/subjektiv, stark/schwach, logisch/intuitiv, usf. (vgl. Seifert, 1992, S. 275).

Die Verwendung des Gender-Konzeptes bietet zunächst den entscheidenden Vorteil, daß Unter- schiede im Verhalten und Handeln zwischen den Geschlechtern losgelöst von dem jeweiligen „sex“ der Geschlechter erklärbar sind, da sie aufgrund der Gender-Sozialisation entstanden sein können. Andererseits besteht die Gefahr einer Manifestation des Denkens in zwei Kategorien, welche angeblich in einem (wenn auch unbestimmten) Zusammenhang mit den zugrundeliegenden biologischen Geschlechtskategorien stehen. Somit werden biologische Unterschiede, die je nach Wahl der Kriterien alles andere als eindeutig sind (s. o.), und soziale/kulturelle Unterschiede zwi- schen den Geschlechtern in einem gewissem Sinne parallelisiert. Gildemeister und Wetterer (1992) sprechen in diesem Zusammenhang von einem latenten Biologismus der Gesamtstruktur „sex-gender“ (a. a. O., S. 207).

Aus der Annahme, daß es (exakt) zwei biologische und zwei soziale Geschlechter gibt, die sich kongruent aufeinander abbilden lassen (damit ist gemeint, daß männliche Wesen maskulin sind und weibliche Wesen feminin, was immer das auch sein mag), folgt im Umkehrschluß, daß es keine „Mischtypen“ (maskuline Frauen, feminine Männer) gibt. Im Gegensatz zu der Annahme der sozialen Zweigeschlechtlichkeit zeigen Ergebnisse der kulturanthropologischen Forschung, daß in manchen Kulturen drei Gender-Identitäten nebeneinander gelebt werden, in anderen ein Wechsel zwischen verschiedenen sozialen Geschlechtern möglich ist und in wieder anderen Gen- derrollen z. T. unabhängig von körperlichen Merkmalen angenommen werden (vgl. Gildemeis- ter/Wetterer, 1992, S. 208, Gildemeister, 1992, S. 228-230). Zur Vermeidung der Dualität von Geschlechtskategorien schlägt Hagemann-White (1988) vor, von der „Null-Hypothese“ auszugehen, welche besagt, „daß es keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (zitiert nach Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 211).

Der Begriff der Sexualität wird variabler gebraucht, aber steht meistens im Zusammenhang mit Vorstellungen von Verlangen, Begehren, etc. (vgl. Burrell/Hearn, 1989, S. 2). Es gibt unter- schiedliche Definitionen von Sexualität, die enger oder weiter gefaßt sind. Am einen Ende des Kontinuums ist eine rein genitale Sexualität angeordnet, am anderen Ende sind eine Pluralität von polymorphen erotischen Wahrnehmungen, Gedanken, Emotionen mit in die Definition von Sexualität einbezogen (vgl. .Krell/Osterloh, 1993, S. 124).

Sowohl Gender als auch Sexualität lassen sich unter strukturellen und prozessualen Aspekten betrachten. Gender ist einerseits ein System kultureller Bedeutungen, auf deren Grundlage wir als Mann oder Frau konstituiert werden. Andererseits wird gender ständig im sozialen Prozeß herge- stellt („doing gender“), d. h. wir denken nicht nur auf Grundlage von gender, wir handeln auch so, daß gender entsteht (vgl. Mills, 1989, S. 33; Wetter, 1995, S. 227). Sexualität läßt sich ebenfalls sowohl strukturell (z. B. Bilder von Sexualität: Hetero-, Homo-, Bi-, Transsexualität) als auch prozessual (im Sinne eines „doing sexuality“) konzipieren. Gender und Sexualität hängen jedoch trotz ihrer konzeptuellen Unterschiedlichkeit zusammen. Burrell und Hearn führen hierzu aus: „This [the close relation between gender and sexuality] is so in the sense that it is difficult to imag- ine (within human society at least) sexuality without gender. or gender without sexuality“ (Burrell/Hearn, 1989, S. 2). Je nach theoretischem Blickwinkel werden sowohl die Entstehung von Gender als auch z. T. die daraus resultierende Verbindung zur Sexualität in verschiedener Weise erklärt. Nachfolgend werden einige ausgewählte theoretische Positionen zu dieser Thema- tik vorgestellt und diskutiert.

1.3 Gender-Theorien

1.3.1 Unterschiedliche Fokussierungen

Die nachfolgenden theoretischen Erklärungsansätze lassen sich anhand bestimmter grundlegender Foki unterscheiden. So werden z. B. die Gleichheit bzw. Ungleichheit der Geschlechter, die angeborenen oder erworbenen Geschlechtsunterschiede, die strukturellen oder prozessualen Begründungen von Geschlechtsunterschieden, sowie die Berücksichtigung von historischen Entwicklungen hervorgehoben. In den nachfolgenden Skizzen ausgewählter Ansätze1 sollen solche grundlegenden Kristallisationspunkte deutlich werden.

1.3.2 Biologismus/Naturalismus

Der Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist ein Rückgriff auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung in Bezug auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern (z. B. in den Bereichen Ana- tomie, Physiologie, Neurologie, Biopsychologie, Soziobiologie, etc.). Beispiele für naturalistische Unterschiede sind im Bereich von Genen, Hormonen, Trieben, Hemisphärendominanz, Breite des Corpus Callosum, Gebärfähigkeit der Frauen etc. zu finden. Diese Ergebnisse werden in einer Weise interpretiert, daß hieraus grundsätzlich unterschiedliche Motive, Fähigkeiten, Gefühle, Ei- genschaften, Handlungs- und Denkweisen etc. zwischen Männern und Frauen resultieren, die dann die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorfindbaren Geschlechtsunterschiede erklären sollen (vgl. Lorber, 1994, S. 37ff.).

So wird z. B. eine stärkere Ausprägung der Verbindung der zwei Hirnhälften (Corpus Callosum) bei Frauen als biologistische Erklärung für deren angeblich stärker emotional bestimmte Denkwei- se verwendet, da ein höherer Informationsaustausch zwischen den beiden weiblichen Hemisphä- ren stattfinden kann. Durch diesen Wechsel von Informationen könne die rechte Gehirnhälfte, welche u. a. für Emotionen zuständig sei, die linke Hemisphäre, welche den analytischen Verstand und die Sprache steuere, beeinflussen (vgl. Der Spiegel, 1996, S. 122-123).

Die Implikationen einer biologistischen Sichtweise sind offenkundig: wenn Männer und Frauen „von Natur aus“ unterschiedlich sind, sollten bzw. müssen sie auch in der Gesellschaft unter- schiedliche Genderrollen einnehmen, die diesen Unterschieden entsprechen. Somit wird auch die Sexualität von Männern und Frauen auf der Basis biologischer Erklärungen definiert. „Normale“ Sexualität ist demnach „monogamous, procreative, heterosexuality“ (Burrell/Hearn, S. 3-4)2, und es wird weibliche und männliche Sexualität aufgrund der biologischen Zweigeschlechtlichkeit un- terschieden (vgl. ebd.).

Aufgrund naturalistischer Letztbegründungen besteht nach dieser Position offenbar kein Verände- rungsbedarf in Bezug auf die geschlechtliche Rollenverteilung. Darüber hinaus wären Rollenände- rungen entgegen den „natürlichen“ Geschlechtsunterschieden dysfunktional für Mensch und Gesellschaft.

1.3.3 Marxismus und materialistischer Feminismus

Sexualität und gender werden in diesen Ansätzen als fundamentale politische Kategorien konzipiert, die historisch konstruiert wurden und aufgrund kollektiver Interessen in gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse strukturell eingebettet sind. In Bezug auf gender werden Männer- und Frauenklassen der Gesellschaft unterschieden, die aus sozialen Macht- und Veränderungsprozessen resultieren. Analog hierzu lassen sich Klassen von hetero- und homosexueller sowie männlicher u. weiblicher Sexualität unterscheiden (vgl. Burrell/Hearn, S. 6).

Das Hauptaugenmerk liegt bei diesen Positionen auf der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die ge- sellschaftliche Stellung von Frauen wird jeweils getrennt in der produktiven Arbeitswelt und im reproduktiven häuslichen Bereich analysiert. In beiden Bereichen findet eine systematische Unter- drückung und Ausbeutung der Frauen durch männliche Dominanz - sprich patriarchalische Herr- schaft - statt (vgl. Lorber, 1994, S. 2 u. 287). Als eine relevante Folge hiervon wird ein grund- sätzlicher Statusunterschied von Männern und Frauen gesehen, wobei Frauen in verschiedensten Bevölkerungsgruppen jeweils ein geringerer Status zukommt. Dieser äußert sich z. B. in einem geringeren Ansehen, schlechteren Zugangschancen zu Arbeits- und Bildungsmärkten, niedrigeren Einkommen und einem geringeren Anteil an Frauen in höheren gesellschaftlichen Positionen (vgl. dies., S. 34 u. 287).

Diese Ansätze fokussieren insbesondere auf strukturelle Unterschiede zwischen Gender-Klassen, die historisch begründet sind. Hierbei bleiben allerdings zweierlei Punkte aus unserer Sicht fraglich. Erstens werden jegliche individuellen und interaktionellen Entstehungsprozesse für GenderUnterschiede mit oder ohne hierarchischer Dimension ausgeblendet. Zweitens werden Veränderungsmöglichkeiten bestehender Gender-Unterschiede (z. B. Benachteiligung oder Unterdrückung von Frauen) nur auf breiter gesellschaftlicher Ebene gesehen.

1.3.4 Postmoderne Dekonstruktion

Diese Position kehrt den naturalistischen Erklärungen für Geschlechtsunterschiede den Rücken zu und geht davon aus, daß die Kategorie Geschlecht sozial konstruiert ist. Die zugrundeliegenden Konstruktionsprozesse sind Ausdruck von männlichen Herrschaftsakten, die es zu entlarven gilt (Thürmer-Rohr, 1995, S. 88-89). Die postmoderne Philosophie steht hierbei Pate, indem sie die moderne Kultur und Gesellschaft mit ihren Grundüberzeugungen, Ideologien, Klassifizierungen, Universalitätsansprüchen usw. ablehnt, ohne jedoch revolutionär im traditionellen Sinne zu sein. Postmoderne Feministinnen sehen als ihre erste Aufgabe eine Dekonstruktion der klassischen Geschlechterkategorien an, welche tief in der Gesellschaft verwurzelt sind und weitreichende oftmals unbewußte Einflüsse auf das soziale Denken und Handeln haben (ebd., S. 90-93).

Zur dekonstruktivistischen Position können verschiedene theoretische Richtungen, denen die vor- genannten Annahmen gemeinsam sind, zugeordnet werden. Es lassen sich hierbei zwei Gruppen unterscheiden, die verschiedene Erklärungen zur sozialen Konstruktion von Geschlecht hervor- bringen: die ethnomethodologischen und die diskurstheoretischen Ansätze (vgl. Wetterer, 1995, S. 225). Diese zwei theoretischen Richtungen unterscheiden sich allerdings in einigen grundlegenden Punkten, welche im folgenden erörtert werden.

Diskurstheorie

Die Diskurstheorie nach Fouceault ist ein prozeßorientierter Ansatz, der die diskursive Herstellung von Geschlecht betont. Dieser Ansatz ist im Rahmen poststrukturalistischer Theorien entstanden, die einen erkenntnistheoretischen Zugang zu letzten Bedeutungen von Natur und Gesellschaft ab- lehnen. Vielmehr werden die diesbezüglichen vorfindbaren Repräsentationen auf ein symbolisches System, das gesellschaftlich produziert ist, zurückgeführt. Solche symbolischen Ordnungssysteme werden durch sprachliche Konstrukte (= Diskurse) hergestellt. Diskurse bezeichnen gesellschaft- lich relevante Themen und Problematiken; sie werden durch Macht i. V. m. Wissen in die Welt gesetzt und schaffen somit eine bestimmte Form von gesellschaftlicher Wirklichkeit. Hieraus fol- gen weitere Konsequenzen, wie z. B. die Aufgabe von humanistischen Subjektvorstellungen und die Betrachtung von Geschlecht als diskursiv hergestellter Kategorie (vgl. Butler, 1991, S. 23-24; Seifert, 1992, S. 270ff.). Judith Butler analysiert z. B. die diskursive Konstruktion von Zweige- schlechtlichkeit auf der Grundlage philosophischer Texte und kommt zu dem Schluß, daß diese keine letzte Verbindlichkeit beinhaltet und auch eine Pluralität von Geschlechtsidentitäten sowie ein Gender-Rollentausch denkbar sind (vgl. Butler, 1991, S. 23).

Die diskurstheoretische Betrachtungsweise von Geschlecht beschäftigt sich also mit Fragen nach vorfindbaren Geschlechtskonstruktionen und ihren Funktionen, dem Zusammenspiel mit anderen Diskursen sowie der zugrundeliegenden Macht, die für die Aufrechterhaltung der Geschlechtsdis- kurse verantwortlich ist. Fouceault konzipiert Sexualität als Diskurs; sexuelle Ideologie und Gen- der-Identitäten werden auf einem sehr tiefen Level sozial/diskursiv konstruiert. Diskurse von Se- xualität werden beibehalten durch die Ordnung der Diskurse und die verstärkenden Beziehungen von Macht, Wissen und Spaß. Gender und Sexualität existieren nicht isoliert, sondern in ihren spezifischen Verbindungen mit anderen Abgrenzungen wie z. B. Alter, Ethnie, Klasse und Körperausstattung (vgl. ebd.).

Aus diskurstheoretischer Perspektive bestehen Widerstandspotentiale gegenüber (defizitorientier- ten) Geschlechterkonstruktionen „in den Bruchstellen der Diskurse“; d. h. wenn konfligierende gesellschaftliche Interessen und Diskurse aufeinanderstoßen. „In dem Maße, in dem identitätsre- levante Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit auch die weibliche Subjektivität mitkonstituie- ren, wird der Widerstand gegen Verhältnisse, in denen Weiblichkeit auf Subalternität und auf ein Defizit hin konstruiert wird, wachsen“ (Seifert, 1992, S. 277).

[...]


1 Neben den nachfolgend vorgestellten Positionen gibt es eine Reihe weiterer Theorierichtungen, wie z. B. die Psychoanalyse oder rollentheoretische Ansätze, welche andere Erklärungen für Gender-Unterschiede liefern (vgl. Lorber, 1994, S. 2-3 u. 33; Burrell/Hearn, 1989, S. 4-5; Due Billing/Alvesson, 1994, S. 25ff.). Diese Ansätze werden hier aus Platzgründen nicht behandelt.

2 Homosexualität, die auf biologische und/oder genetische Ursachen zurückgeführt wird, wird als „therapiebedürftig“ von biologistisch orientierten WissenschaftlerInnen angesehen Als geeignete Therapieformen werden z. B. Gehirnoperationen oder hormonelle Behandlungen während der Schwangerschaft vorgeschlagen (vgl. Haj Kheder, Rima/Lindenberg, Dorothea, 1997, S. 30).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gender, Sexualität und Organisationen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Fakultät für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Seminar: Arbeit und Liebe - Sexualität, Herrschaft und Gefühle in Organisationen
Note
1,0
Autoren
Jahr
1998
Seiten
22
Katalognummer
V3625
ISBN (eBook)
9783638122399
ISBN (Buch)
9783656532873
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dicht - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Gender, sex, Organisation, Sexualität, Biologismus, Materialismus, Postmoderne, Dekonstruktion, Marxismus, Feminismus, Arbeit, Verhaltensregeln, kulturell, Dialektik, soziale Konstruktion, Macht, Her
Arbeit zitieren
Sascha Wingen (Autor:in)Ricarda Wildförster (Autor:in), 1998, Gender, Sexualität und Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3625

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