[...] Oscar Wilde wird heutzutage oft als der Schriftsteller der spät-viktorianischen Epoche gesehen, vor allem der neunziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts. Die Öffentlichkeit heute erinnert sich an ihn, als Stückeschreiber, Dramatiker und Kritiker. Sie denkt an seine humorvollen, brillanten und geistreichen Äußerungen. Sie liebt ihn dafür, dass er sich mit seinem extravaganten Aussehen, Lebensstil und Verhalten gegen die puritanisch eingestellte viktorianische Gesellschaft aufgerichtet hat. Nicht zuletzt denkt sie aber auch an seinen plötzlichen Sturz in der Höhe seiner Karriere, als er aufgrund seiner homosexuellen Handlungen, oder um es mit damaligen Worten zu sagen, wegen grober Unzucht, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Heute wird er als homosexueller Mann in Ehren gehalten, der einen sehr hohen Preis dafür zahlte, dass er körperliche Intimitäten mit Männern austauschte. Zurückblickend bemerkt Funke: „In England war Wilde nach 1895, dem Jahr seiner gerichtlichen Verurteilung und seiner gesellschaftlichen Verbannung, und noch lange nach seinem Tod im Jahre 1900, ein Name, den man nicht erwähnen durfte. Und mit dem Menschen war sein Werk verdammt." (Funke, 7) 1894 sah die Gesellschaft Wilde als aufstrebenden, extravaganten, zwar gegen die Konform gerichteten, aber dennoch beliebten Autor und Wildes Werke waren die eines talentierten, erfolgreichen und modernen Schriftstellers. Nach seiner Verurteilung jedoch wurde bekannt, dass seine sexuellen Präferenzen von der Norm abwichen und die moralische Entrüstung ging in das Unermessliche. Dies hatte zur Folge, dass man im Jahre 1896 Wildes Werke als Hinterlassenschaften eines perversen und kriminellen Menschen las. Heute kommen für Leser seiner Werke folgende Probleme auf: wann und wie Wilde homosexuell wurde; ob und inwieweit seine sexuelle Identität in seinen Werken wiederzufinden ist; und ob man Wilde wirklich als homosexuell, in unserem heutigen Sinne, bezeichnen kann. Wie Sinfield treffend bemerkte: “Wilde and his writings look queer because our stereotypical notion of male homosexuality derives from Wilde, and our ideas about him.“ (Bristow: A Complex multiform creature, 195) Heute wird oftmals angenommen, dass die Bezeichnung homosexuell ein schon immer bestehender Begriff für gleichgeschlechtliche Liebe war. Tatsächlich ist ‚Homosexualität’ jedoch eine Bezeichnung, die erst im Lauf der Zeit entwickelt wurde, um ein bestimmtes Konzept, das der gleichgeschlechtlichen Liebe, zu beschreiben.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- 1.1 Leben und Werk des Oscar Wilde
- 1.2 Motivation, Vorgehensweise und Ziel dieser Arbeit
- II. Diskurse über Homosexualität im 19. Jahrhundert
- 2.1 Sozialer Diskurs: Homosexualität in der viktorianischen Gesellschaft
- 2.2 Von Sodomie zu Homosexualität
- 2.3 Von Sünde zu Verbrechen
- 2.4 Medizinische Diskurse
- 2.4.1 Karl Heinrich Ulrichs
- 2.4.2 Richard von Krafft –Ebing
- 2.4.3 Magnus Hirschfeld
- 2.4.4 Havelock Ellis
- 2.4.4.1 Ellis über Oscar Wilde
- 2.5 Kulturgeschichtlicher Diskurs: John Addington Symonds, Verfechter der Homosexualität
- III. Wildes The Picture of Dorian Gray: Das Werk vor dem Sturz
- 3.1 Dorian Gray: eine homosexuelle Liebesgeschichte als ästhetisches Kunstwerk
- 3.1.1 Dorian: der homosexuelle Narziß
- 3.1.1.1 Dorians Bildnis: die Transformation in ein Kunstwerk und Identitätsverlust
- 3.1.1.2 Dorian: der homosexuelle Sünder
- 3.1.2 Dorian, Lord Henry und Basil Hallward: eine homoerotische Dreiecksbeziehung
- 3.1.1 Dorian: der homosexuelle Narziß
- 3.2 Autobiographische Züge in The Picture of Dorian Gray
- 3.1 Dorian Gray: eine homosexuelle Liebesgeschichte als ästhetisches Kunstwerk
- IV. Homosexualität auf der Anklagebank: Der Sturz des Oscar Wilde
- 4.1 Die gerichtlichen Verfahren von und gegen Oscar Wilde
- 4.1.1 Wildes Kunst, Moral und Ästhetik auf der Anklagebank
- 4.1.2 Wilde, Päderastie und das griechische Ideal der Liebe
- 4.2 Die Schaffung eines Homosexuellen
- 4.2.1 Darstellung der Prozesse in der Presse
- 4.1 Die gerichtlichen Verfahren von und gegen Oscar Wilde
- V. Wildes De Profundis: Apologie und Anklage seines Lebens
- 5.1 Wildes Abrechnung mit Douglas
- 5.2 Wilde über seine Homosexualität und ihre Verurteilung
- 5.3 Als zweiter Christus auf dem Weg in ein neues Leben
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit untersucht den Einfluss der homosexuellen Identität des Schriftstellers Oscar Wilde auf sein Leben und Werk. Im Mittelpunkt stehen die Diskurse über Homosexualität im 19. Jahrhundert und deren Rezeption in Wildes Werken, insbesondere in "The Picture of Dorian Gray" und "De Profundis".
- Der soziale, medizinische und kulturgeschichtliche Diskurs über Homosexualität im 19. Jahrhundert
- Die Darstellung von Homosexualität in Wildes "The Picture of Dorian Gray" und ihre Beziehung zu den zeitgenössischen Diskursen
- Die Auswirkungen von Wildes Verurteilung wegen "grober Unzucht" auf seine Karriere und sein öffentliches Image
- Wildes Auseinandersetzung mit seiner eigenen Homosexualität in "De Profundis" und seine Suche nach einer neuen Identität
- Die Rolle von Wildes homosexueller Identität für seine literarische Produktion und seine kritische Rezeption.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die Wildes Leben und Werk sowie die Motivation und Zielsetzung der Arbeit beleuchtet. Im zweiten Kapitel werden die verschiedenen Diskurse über Homosexualität im 19. Jahrhundert, von der viktorianischen Gesellschaft über medizinische Theorien bis hin zu kulturgeschichtlichen Debatten, untersucht. Anschließend wird Wildes Roman "The Picture of Dorian Gray" analysiert, wobei die homosexuellen Aspekte der Handlung und die Beziehung zu den zeitgenössischen Diskursen beleuchtet werden. Im vierten Kapitel wird der Prozess gegen Wilde wegen "grober Unzucht" und dessen Auswirkungen auf seine Karriere und seine öffentliche Wahrnehmung thematisiert. Das fünfte Kapitel widmet sich Wildes "De Profundis", in dem er seine Homosexualität und seine Verurteilung verarbeitet.
Schlüsselwörter
Oscar Wilde, Homosexualität, Viktorianische Gesellschaft, "The Picture of Dorian Gray", "De Profundis", Sodomie, Päderastie, Medizinische Diskurse, Kulturgeschichte, Gerichtsprozess, Verurteilung, Identität.
- Arbeit zitieren
- Andrea Fischer (Autor:in), 2005, Oscar Wilde - Homosexualität und ihre Diskurse im 19.Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36957