Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Aktuelle Relevanz des Themas
1.3 Darstellung der Vorgehensweise
2. Hauptteil
2.1 Klärung der zugrundeliegenden Begriffe
2.1.1 Labeling Approach
2.1.2 Devianz / Primäre und sekundäre Devianz
2.1.3 Normen
2.1.4 Sanktionen
2.2 Inwiefern wurde Enes durch Labeling Approach zu einem Abweichler gemacht? Anwendung des Etikettierungsansatzes auf das Fallbeispiel Enes
3. Fazit
3.1 Nutzen des Etikettierungsansatzes für das Fallbeispiel Enes
3.2 Bedeutung für die heilpädagogische Praxis
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Fragestellung
,,Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“
– zunächst klingt es wie ein lustiges Sprichwort, doch in Wirklichkeit beinhalten diese Worte sehr viel Wahrheit.
Im Hinblick auf diese Redewendung stelle ich mir die Frage, inwiefern Enes aus meinem Praxisbeispiel durch sein angeblich abweichendes Verhalten Labeling Approach erfährt und was das für seine weitere Zukunft bedeutet. Ich möchte näher betrachten, wie unsere Gesellschaft mit sogenanntem devianten Verhalten umgeht, wieso oder wann gelabelt wird, wer gelabelt wird und was dadurch mit dem Individuum geschieht. Mein Ziel ist es, diese Fragen anhand des Praxisbeispiels von Enes beantworten zu können und eine Schlussfolgerung daraus zu ziehen.
1.2 Aktuelle Relevanz des Themas
Als Heilpädagoge versucht man stets, den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten. Im Vordergrund stehen daher immer die Fragen, wieso ein Mensch zu dem geworden ist, was er ist (Greving S.262f.) Betrachtet wird nicht nur das Symptom, sondern die Ursache.
In unserer Gesellschaft ist es keine Seltenheit, dass Individuen durch – von der Gesellschaft als solches deklariertes – abweichendes Verhalten in eine Randgruppe gedrängt werden und dort auch verweilen. Nur selten schaffen sie den Weg zurück in die Mitte der sozialen Gesellschaft. Durch solche Gegebenheiten entsteht eine große Kluft zwischen den einzelnen Individuen, welche immer größer wird, wenn die sogenannten ,,Abweichler“ unter uns auch solche bleiben. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie es dazu kommen kann, dass ein Individuum von seinen Mitmenschen als Abweichler betrachtet und etikettiert wird, und sich möglicherweise für den Rest seines Lebens mit diesem aufgedrückten ,,Stempel“ arrangieren muss.
1.3 Darstellung der Vorgehensweise
Zunächst werde ich die allgemeinen soziologischen Begriffe, welche in meiner Arbeit von Bedeutung sein werden, klären, sodass ein einheitlicher Ausgangspunkt gegeben ist.
Sodann möchte ich mich näher mit der Fragestellung befassen, wie Enes von der Gesellschaft zu einem Abweichler gemacht wurde und weshalb er wahrscheinlich auch ein solcher bleiben wird.
Während der Bearbeitung dieser Fragestellung, werde ich näher betrachten, wieso es als Heilpädagoge von enorm hoher Bedeutung ist, den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten und niemals ,,abzustempeln“. Dies möchte ich im Schlussteil meiner Arbeit nochmal explizit verdeutlichen.
Am Ende der Bearbeitung dieses Themas, werde ich mir die Frage stellen, ob anhand der erzielten Ergebnisse möglicherweise weitere Fragen entstehen.
2. Hauptteil
2.1 Klärung der zugrundeliegenden Begriffe
2.1.1 Labeling Approach
Der Begriff Labeling Approach ist englischer Sprache und bedeutet auf Deutsch übersetzt ,,Etikettierungsansatz“ (http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/labeling-approach/8440). Fällt in dieser Hausarbeit also der Begriff labeln, bedeutet er das gleiche wie etikettieren. Selbiges gilt für Labeling Approach und die deutsche Version dessen. Es gibt viele Theorien, welche die Entstehung von abweichendem Verhalten erklären sollen. Eine davon ist der Etikettierungsansatz, welcher erstmals 1963 von Howard Becker in seinem Werk ,,Außenseiter: Soziologie abweichenden Verhaltens“ geprägt wurde. Im Gegenteil zu vielen anderen Theorien zur Entstehung abweichenden Verhaltens, betrachtet der Etikettierungsansatz nicht das Motiv des Devianten, welches zu abweichendem Verhalten geführt haben mag, sondern den Prozess zwischen dem Abweichler und der Gesellschaft, in welchem er lebt – es geht also nicht um die Frage, welcher der Grund für abweichendes Verhalten ist, sondern um jene, wie man durch die Gesellschaft zum abweichenden Individuum erklärt wird (vgl. Rüther 1975, S. 29).
Deviantes Benehmen gilt an der Stelle als ein Verhalten, welches von der Gesellschaft als solches deklariert wird. Die Gesellschaft bezieht sich dabei auf allgemein geltende Normen und Werte in ebendieser Gesellschaft. Die Einhaltung oder auch die Nicht-Einhaltung dieser Normen zieht dann dementsprechend positive oder negative Sanktionen nach sich. Werden diese verletzt und die Mehrheit der Individuen einer Gemeinschaft teilt diese Ansicht, gilt die Verletzung als abweichend. Ein Mensch, welcher diese gegebenen und von der Allgemeinheit als gut befundenen Normen und Werte also missachtet, gilt als Abweichler (vgl. Becker 1981, S. 3ff.).
Labeling Approach kann als Teufelskreis angesehen werden – begeht ein Individuum einmal eine Handlung, welche nicht den gegebenen Normen und Werten der Gesellschaft entspricht, in welchen es lebt, wird es ,,abgestempelt“ (vgl. http://www.bpb.de/izpb/7735/ursachen-von-kriminalitaet?p=all). Dafür nutzt die Gesellschaft entweder vom Staat vorgegebene Straftäterbezeichnungen (wie beispielsweise ,,Vergewaltiger“, ,,Mörder“, ,,Einbrecher“) oder aber, wenn diese nicht passend sind, kommen kreative, nicht eindeutige, jedoch stets abwertende Bezeichnungen, wie zum Beispiel ,,Idiot“, ,,Psycho“ oder „Verrückter“ zu Tage. Der Etikettierungsansatz besagt nun, dass sich das Individuum durch den aufgedrückten Stempel mit diesem identifiziert. Wo zunächst möglicherweise noch Rebellion gegenüber dem zugetragenen Label stattfindet, findet nur wenig später Akzeptanz statt – das Individuum macht sich sein Etikett zu eigen und lernt, damit zu leben. Dadurch kommt es zu weiteren Straftaten bzw. Handlungen, welche die Existenz des bereits bestehenden Labels nur noch weiter untermauern. Aufgrund von lediglich einer leichten non-konformen Handlung, also der primären Devianz, lässt sich nicht grundsätzlich darauf schließen, dass es sich um einen gesetzeswidrig handelnden Menschen handelt. Der Etikettierungsansatz geht also an der Stelle davon aus, dass erst die Gesellschaft einen Menschen durch ihr abstempelndes Verhalten zu einem Außenseiter und infolgedessen Abweichler macht, welcher schlussendlich weitere, schlimmere, teilweise ganz bewusste Devianz ausübt, welche sodann als sekundäre bezeichnet wird.
2.1.2 Devianz / Primäre und sekundäre Devianz
Devianz bedeutet in der Soziologie ein von der Norm abweichendes Verhalten. Verhält sich jemand abweichend, verhält er sich deviant und wird somit zu einem Devianten. Abweichendes Verhalten bzw. die Deutung dessen hängt immer von der Gesellschaft ab, in welcher man sich befindet (vgl. Trojan 1978, S. 34). Da abweichendes Verhalten an den herrschenden Normen und Werten einer Gemeinschaft gemessen wird, und jede Kultur unterschiedliche Normen und Werte innehat, ist deviantes Verhalten nicht zu verallgemeinern und in jeder Gesellschaft unterschiedlich zu deuten (vgl. Trojan 1978, S. 3).
Wie oben bereits erwähnt, gibt es zwei unterschiedliche Arten abweichenden Verhaltens. Unterschieden wird zwischen dem primären und dem sekundären abweichenden Verhalten.
Primäre Devianz kann als unbewusstes, nicht enorm gravierendes, Norm-verletzendes Verhalten erklärt werden. Oft handelt es sich dabei um ,,mitgehangen – mitgefangen“ Situationen. Das heißt, dass das Individuum, welches primäre Devianz ausübt, sich in den meisten Fällen nicht darüber im Klaren ist. Mitglied einer Gruppe sein, Mutproben, Experimente oder jugendlicher Leichtsinn – all dies können Anhaltspunkte für primäre Devianz sein. Primäre Devianz alleine macht einen Menschen nicht zu einem Abweichler innerhalb seiner Gesellschaft.
Hat primäre Devianz stattgefunden und die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregt, kann das entweder dazu führen, dass das Individuum sich seiner, möglicherweise unbewussten, Tat bewusst ist und sich durch die Sanktionen der Gesellschaft ,,bessert“. Die Gesellschaft wirkt also folgerichtig positiv auf die Entwicklung des Individuums ein, sodass es wieder Normen-konform leben kann.
Jedoch kann es auch zu sekundärer Devianz kommen (vgl. Rüther 1975, S. 28 f.). Das Individuum, welches primär abweichendes Verhalten gezeigt hat, wird von seinen Mitmenschen gerügt und ,,in eine Schublade gesteckt“ – die ,,Abweichlerkarriere“ (Becker 1963, S. 24) beginnt. Nun folgt der Teufelskreis (siehe 1.2.1), das Individuum beginnt, sich mit seinem Etikett zu identifizieren und diesem gerecht zu werden. Weitere, schlimmere, bewusste Straftaten werden begangen und das Individuum bestätigt sein Etikett immer wieder aufs Neue, sodass es unabdingbar an ihm haftet.
2.1.3 Normen
Normen sind die allgemeingültigen Lebensregeln innerhalb einer Gesellschaft. Es wird zwischen verschiedenen Arten von Normen unterschieden.
Zum einen gibt jeder Rechtsstaat Gesetze vor, an welche sich jedes in ihm lebende Individuum zu halten hat. Hier spricht man von den sogenannten Muss -Normen. Werden diese nicht eingehalten, macht man sich strafbar und hat mir einer gesetzlichen Strafe zu rechnen.
Eine weitere Kategorie sind die Soll -Normen. Jede Gesellschaft hat eigene Handlungsmuster und gewisse Lebensstandards, wie Sitten oder Traditionen, an welche sich das Individuum halten sollte, um ebendiesen Lebensstandard einhalten zu können. Das Nicht-Einhalten dieser Normen ist in der Regel nicht strafbar, führt jedoch definitiv zu einer negativen Reaktion der Gesellschaft.
Zu guter Letzt gibt es die Kann -Normen, die ,,schwächste“ Version der Normen. Hierunter versteht man beispielsweise die Höflichkeitsstandards die in einer Gesellschaft gelten, welche man bestenfalls leben sollte. Tut das jemand nicht, wird er jedoch nicht automatisch Außenseiter der Gesellschaft (vgl. https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/ethik/gym/bp2004/fb1/5_handeln/2_lern/m2/)
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