Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Tiergestützter Interventionen
2.1.1 Entstehung
2.1.2 Begriffliche Abgrenzung
2.2 Autismus-Spektrum-Störung (ASS) - ein Überblick
3. Zum Einfluss tiergestützter Interventionen auf das Sozialverhalten autistischer Kinder im Alter von drei bis fünfzehn Jahren
3.1. Ein Vergleich ausgewählter Studien
3.1.1 Auswahl der Studien und Suchverfahren
3.1.2 Vergleich der Hypothesen
3.1.3 Datenbasis (Stichprobengröße)
3.1.4 Studiendesign
3.1.5 Tiergestützte Interventionen: Aktivitäten mit den Tieren
3.2. Ergebnisse der tiergestützten Intervention bei autistischen Kinder
3.2.1 Sprache und Kommunikation
3.2.2 Soziale Wechselwirkung
3.2.3 Autismus-Stärke (ASD Severity)
3.2.4 negatives bzw. problematisches Verhalten
3.2.5 Lebensqualität bzw. subjektives Wohlbefinden
3.2.6 Bereitschaft für Therapieangebote
3.2.7 Eltern-Kind Interaktion
3.3. Schwachpunkte der Studien
3.4. Zusammenfassung der vergleichenden Arbeit
4. Diskussion der Ergebnisse
4.1. Erklärungsmodelle für Ergebnisse im Bereich der Kommunikation
4.1.1 analoge Kommunikationsebene bzw. visuelles Denken
4.1.2 Tiere als Brücke zum erlernen menschlichem Kommunikationsverhalten
4.2. Problem der Messbarkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Mensch ist als soziales Wesen auf kommunikativen Austausch und Beziehungen existenziell angewiesen. Doch eben dieses soziale Miteinander stellt Menschen mit autistischen Verhaltensweisen vor große Herausforderungen. Gesprächssituationen bedeuten für sie oftmals eine Reizüberflutung, wodurch sie überfordert werden und die nicht selten in Verständigungsproblemen enden (vgl. Theunissen 2014, 39f.). Dadurch ist der Kontakt zwischen Autisten und Nicht-Autisten oftmals von Hilflosigkeit, aufgrund von Unverständnis, geprägt. Durch ihre anderen Methoden mit dem Stress umzugehen, bekommen Beobachter den Eindruck, dass diese Menschen den kommunikativen Austausch ablehnen und kein Interesse an zwischenmenschlichen Beziehungen und ihrer Umwelt hätten, bzw. dass sie lieber in ihrer Welt weiterleben möchten. Rückzug und Isolation klassifizierte schon Leo Kanner 1943 als Kernsymptome der autistischen Störung, die in der Literatur oft als eine Abwendung und Ablehnung von Kommunikation gesehen und verstanden wird (vgl. Slotta 2002, 154). Dadurch haben die Betroffenen bis heute mit Vorurteilen zu kämpfen, z.B. sie seien desinteressiert und gefühlskalt (ebd.).
Was wäre jedoch, wenn sich das zurückgezogene Verhalten autistischer Menschen schlichtweg auf ihre sich wiederholende Erfahrung des Nicht-Gelingens von Kommunikation (vgl. auch Palmowski in: Slotta 2002,12) mit anderen Menschen gründete?
Von ganz anderen Erfahrungen berichten betroffene Eltern, deren Kind in Kontakt mit Tieren kam.[1] Sie konnten beobachten, dass ihr Kind auf dem Rücken eines Pferdes oder in Anwesenheit eines Hundes anfing zu sprechen, Empathie zu entwickeln, abstrakt zu denken oder dass es stereotype Verhaltensmuster für eine Zeit anscheinend einfach vergessen konnte. Die Mauer, welche für Nicht-Autisten kaum zu durchdringen war, stellte für die Tiere anscheinend kein Hindernis dar, wodurch kurzfristig das kindliche Verhalten nicht mehr als autistisch zu bezeichnen war. Ist die soziale Abneigung von Autisten möglicherweise nur ein menschenspezifisches Phänomen, das sich nicht notwendigerweise auf den Kontakt mit Tieren ausdehnt? Eine Forschungsgruppe der Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Universität Leipzig berichtet nun, dass autistische Kinder keinesfalls einen angeborenen Mangel an sozialem Interesse zeigen. Indem sie in einem kontrollierten Versuch selber aussuchen konnten, ob sie mit einem Objekt, Mensch oder Tier interagierten, bevorzugten diese ganz eindeutig den sozialen Stimuli Mensch und vor allem: den Hund.
„[...] Die Präferenz für den Hund ist überraschend, da Hunde hoch soziale, kommunikative und intentional handelnde Lebewesen sind, also genau die Kernbereiche der autistischen Kommunikationsstörung berühren. [...]“ (Prothmann, 2006: Vortrag auf dem 2. D.A.Ch-Symposium „Mensch-Heimtier-Beziehung“)
Die vorliegende Arbeit möchte im Zuge einer vergleichenden Sekundäranalyse (vgl. Diekmann 2009, 199) der Frage nachgehen, ob der Kontakt mit Tieren einen positiven Einfluss auf das soziale Verhalten autistischer Kinder hat. Unter Kontakt werden hierbei angeleitete Begegnungen mit Tieren im Zuge einer Therapieform (tiergestützte Interventionen) verstanden. Weiterhin wird unter einem positiven Einfluss auf das soziale Verhalten autistischer Kinder jeder Einfluss verstanden, welcher die autistischen Verhaltensstörungen im Bereich des Sozialverhaltens (d.h. Beeinträchtigung der Kommunikation und der sozialen Interaktion) positiv beeinflusst und gleichzeitig das körperliche und seelische Befinden der Kinder verbessert, um dadurch ein nach unseren Maßstäben normales Leben in einer sozialen Gemeinschaft zu erleichtern.
Ziel dieser Arbeit ist die Schaffung eines aktuellen Querschnittüberblicks wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Autismus-Spektrums-Störung innerhalb der Mensch-Tier Forschung. Dazu werden im ersten Teil die verwendeten Fachbegriffe „autistische Kinder“ sowie „tiergestützte Intervention“ erläutert. Durch eine intensive Suche nach empirischen Studien in diesem spezifischen Fachbereich wurden im zweiten, vergleichenden Teil fünf englischsprachige Studien über autistische Kinder (im Alter von drei bis fünfzehn Jahren) und tiergestützte Interventionen (mit Hunden, Pferden, Kaninchen und Lamas) vorgestellt. Die Ergebnisse des vergleichenden Teils bilden dann im letzten Teil der Arbeit das Fundament für eine Diskussion möglicher Erklärungsansätze. Abschließend wird das grundlegende Problem der Messbarkeit in diesem Wissenschaftszweig kurz angerissen.
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Tiergestützter Interventionen
2.1.1 Entstehung tiergestützter Interventionen
Schon im 18. Jahrhundert empfahlen die Mönche des englischen Klosters York:
„Den in der Seele und am Körper Beladenen hilft ein Gebet und ein Tier.“ (zit. nach der Spiegel 8, 1988, 201.)
Tiere als therapeutisches Hilfsmittel haben vor allem in der Psychotherapie eine lange Tradition. So unterhielten schon im 18. Jahrhundert die Quäker eine Anstalt für Geisteskranke in ländlicher Gegend, in der Patienten kleine Gärten versorgten und Kleintiere hielten. Die Kranken sollten als Gäste behandelt werden, und so bestimmten Freundlichkeit und Toleranz das Verhältnis der Pfleger zu den Patienten (vgl. McCulloch 1983, 26). Dies ist das älteste bekannte Beispiel eines bewussten therapeutischen Einsatzes von Tieren. Es wurden große Erfolge erzielt, nur wurden diese Ergebnisse fast nie dokumentiert und blieben somit für die wissenschaftliche Erforschung ohne Wert.
„Manche Einsicht, die wir heute neu gewinnen, hätten wir sonst unter Umständen schon Jahrzehnte früher nachlesen können, und die psychiatrischen Anstalten hielten inzwischen wohl alle Haustiere.“ (Greiffenhagen 2012, 160f.)
Das berühmteste Beispiel für Tiere im Bereich der Pädagogik und Erziehungshilfe stellt die Green Chimneys Farm in der Nähe von New York dar. Hier gründete 1947 die Familie Ross eine Farm, die gleichzeitig als Internat für verhaltensgestörte, behinderte und missbrauchte Kinder dient. Ziel ist es, dass die Kinder im Umgang mit den Tieren und deren Pflege emotionale Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstständigkeit erlangen sollen. Green Chimneys stellt auch heute noch ein Beispiel für ein erfolgreiches Langzeitprojekt dar. (vgl. Greiffenhagen 2012, 192; http://www.greenchimneys.org)
Der Begriff Pet Therapy (zu Deutsch: Heimtiertherapie) wurde allerdings erstmals durch den amerikanischen Kinderpsychotherapeuten Boris Levinson geprägt, als dieser ganz zufällig seinen Hund Jingles mit in seine Praxis nahm. Der damals anwesende Klient war ein Junge der als „verhaltensgestört“ galt und das Sprechen, sowie allgemein den Kontakt zu Menschen, verweigerte. Nach der freudigen Begrüßung des Hundes begann das Kind sofort, mit dem Hund in Interaktion zu treten und zu kommunizieren. Daraufhin wollte der Junge gerne wieder in die Praxis kommen. (vgl. Levinson 1962, 60). Levinson begann nun, seinen Hund bewusst in die
Therapiestunden mit einzubeziehen und publizierte seine Erfahrungen. Er erachtete Haustiere unter anderem auch für autistische Kinder als besonders nützlich. (vgl. McCulloch 1983, 26) Auch dieses Phänomen ließ sich noch auf keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen stützten und so sei Levinson „[...] zu seiner Zeit noch dem Hohn und Spott der Fachwelt [...]“ (Frömming 2006, 28) ausgesetzt gewesen. Da er seine Erfahrungen mit Tieren als Co-Therapeuten in seinen Büchern 1969 veröffentlichte, wird dieser Zeitpunkt heutzutage von der Literatur allgemein als der Durchbruch der tiergestützten Therapie-Forschung angesehen. (vgl. u.a. Greiffenhagen 2012,14) Denn erst daraufhin begannen Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen sich mit Experimenten, Versuchsreihen und Dokumentationen mit diesem Ansatz zu beschäftigen. Die tiergestützte Menschenbehandlung etablierte sich als neue Wissenschaft, wobei der Wissenschaftszweig sich allgemein als die Erforschung der „MenschTier-Beziehung“ bezeichnet. (Vernooji, Schneider 2013, 27)
Seit den 1970er Jahren bildeten sich in zahlreichen Ländern Vereine und Gesellschaften, die sich mit diesem neuen Wissenschaftszweig beschäftigen. Darunter war auch „The Delta Society“, die bis heute eine maßgebliche Rolle spielt, sowohl in der wissenschaftlichen Erforschung, als auch in der praktischen Umsetzung. Außerdem entstanden das „Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung“ (IEMT), sowie die „International Association of Human-Animal-Interaction-Organisations“ (IAHAIO). Letztere stellt seit 1990 den Internationalen Dachverband für die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung und umfasst alle nationalen Vereinigungen und andere Organisationen, welche sich mit diesem Forschungszweig beschäftigen. Die IAHAIO stellt das verbindende Element für den internationalen Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse dar.
In Deutschland gehört der Verein „Tiere helfen Menschen e.V.“ zu den größten und bekanntesten Organisationen auf diesem Gebiet. (s. Vernooij, Schneider 2013, 28)
2.1.2 Begriffliche Abgrenzung
Die älteste Bezeichnung Pet Therapy wurde sehr schnell von dem Begriff Pet facilitated Therapy (zu Deutsch: Haustiergestützte Therapie) abgelöst. Der englische Ausdruck pet facilitated wird in der Regel mit tiergestützt übersetzt. (Vernooij,Schneider 2013, 29) Facilitate bedeutet „erleichtern, begünstigen, unterstützen“, (vgl. Online-Wörterbuch http//dict.cc) was verdeutlichen soll, dass der Einsatz von Tieren eine Hilfemaßnahme darstellt, die bestimmte Interventionen erleichtert. Weiterhin macht der Begriff tiergestützt deutlich, dass die Tiere nicht als Therapeuten fungieren sollen. Ihre Wirkung wird als unterstützend und begleitend angesehen, und diese wird immer in Anwesenheit eines ausgebildeten Besitzers und in Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal der jeweiligen Institution erreicht (Röger-Lakenbrink 2006, 95).
Seit 1996 herrschen im anglo-amerikanischem Raum zwei offiziell anerkannte Begriffe für tiergestützte Interventionen: Animal-Assisted-Activities - AAA und Animal-Assisted-Therapy - AAT. In Deutschland hingegen gibt es unterschiedliche, nicht einheitlich verwendete Begrifflichkeiten, welche eher Verwirrung als Klarheit schaffen (Vernooij, Schneider 2013, 52). Neben dem Oberbegriff der Tiergestützten Intervention existieren die Begriffe tiergestützte Aktivität und tiergestützte Therapie, welche mit den englischen Begriffen Animal Assisted Activity (AAA) und Animal Assisted Therapy (AAT) gleichzusetzen sind. Zusätzlich werden Begriffe wie tiergestützte Förderung, tiergestützte Sozialarbeit, Lernen mit Tieren, Tiertherapie, tiergestützte Pädagogik und speziell mit Pferden heilpädagogisches oder therapeutisches Reiten und Reittherapie, verwendet. Am häufigsten finden allerdings auch hierzulande die Begriffe tiergestützte Aktivität und tiergestützte Therapie Verwendung. In der Literatur werden für die Beschreibung von Animal-Assited Therapy (AAT) 20 verschiedene Definitionen genutzt (Pottman-Knapp 2013, zit. nach Germann-Tillman 2014, 45). Die Europäische Gesellschaft für tiergestützte Therapie (European Society of Animal Assisted Therapy: ESAAT) schlägt folgende Definition vor:
„ Tiergestützte Therapie" umfasst bewusst geplante pädagogische, psychologische und sozial integrative Angebote mit Tieren für Kinder, Jugendliche, Erwachsene wie Ältere mit kognitiven, sozial-emotionalen und motorischen Einschränkungen, Verhaltensstörungen und Förderschwerpunkten. [...] Basis der tiergestützten Therapie ist die Beziehungs- und Prozessgestaltung im Beziehungsdreieck Klient - Tier - Bezugsperson. Tiergestützte Therapie beinhaltet Methoden, bei denen Klienten mit Tieren interagieren, über Tiere kommunizieren oder für Tiere tätig sind. Die Durchführung erfolgt zielorientiert anhand einer klaren Prozess- und Themenorientierung unter Berücksichtigung tierethischer Grundsätze mit anschließender Dokumentation und fachlich fundierter Reflexion. [...] Damit soll erreicht werden, dass der einzelne Mensch in unterschiedlichen Lebensbereichen seinen Fähigkeiten entsprechend agieren und partizipieren kann. “ (http://www.esaat.org)
Wichtig ist hierbei der Aspekt eines bewusst geplanten Therapieangebots im Vergleich zu tiergestützten Aktivitäten. Die Delta Society sieht noch weitere Kriterien, welche erfüllt werden müssen, um den Begriff der tiergestützten Therapie anwenden zu können: Es muss zusammen mit dem Tier als integralem Bestandteil gearbeitet werden, das Tier muss also in die Ausübung der beruflichen Tätigkeit miteinbezogen werden. Die tiergestützte Therapie ist demnach auf Ziele ausgerichtet, die erreicht werden sollen. Diese müssen im Vorfeld festgelegt und präzisiert werden. Dadurch soll die Durchführung professionalisiert werden. Die Aktivitäten und Fortschritte während einer tiergestützten Therapiesitzung werden genau dokumentiert. (Frömming 2006, 30; Vernooji 2013,33; petpartners.org) Sind diese Kriterien nicht erfüllt oder treffen nur ein bis zwei Kriterien auf das jeweilige Programm zu, wird von tiergestützter Aktivität gesprochen (vgl. Frömming 2006, 30). Darunter werden wiederum alle Aktivitäten zwischen
Mensch und Tier bezeichnet, die allgemein die Lebensqualität bzw. das allgemeine Wohlbefinden verbessern.
Formale tiergestützte Therapie mit einem schlüssigen Konzept kommt seltener vor als die meist eher informellen tiergestützten Aktivitäten. Gerade in vielen psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen geht man davon aus, dass
„[...] mittlerweile etwa vierzig Prozent [...] auf irgendeine Weise mit Tieren arbeiten. Dabei handelt es sich allerdings nicht unbedingt um Projekte in einem theoretisch und methodisch ausgearbeiteten "Setting".“ (Greiffenhagen 2012, 167)
In der Praxis bleibt der Unterschied zwischen tiergestützten Aktivitäten und tiergestützten Therapieangeboten nicht immer eindeutig, und die Formen der Interventionen gehen oft ineinander über.
Im Folgenden wird in dieser Arbeit der Begriff tiergestützte Intervention als Oberbegriff für alle Formen tiergestützten Arbeitens verwendet.
2.2 Autismus-Spektrum-Störung (ASS) - Ein Überblick
Eugen Bleuler prägte 1911 im Rahmen der Schizophrenie Forschung den Begriff „Autismus“ und bezeichnete damit den „verloren gegangenen Kontakt zur Wirklichkeit“ (vgl. Bleuler 1955, 334). Im medizinischen Bereich leitet sich das Wort Autismus von dem griechischen Wort autos ab, das „selbst“, „für sich“ oder „allein“ bedeutet. Heute wird die sogenannte Autismus-Spektrums-Störung (ASS) von der Weltgesundheitsorganisation zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gezählt. Sie wird dort als eine zentrale Wahrnehmungsund Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns bezeichnet. (vgl. Gier-Dufern&Selter 2012, zit. nach Theunissen 2014,13) Eine Diagnose wird über die offiziellen Klassifikationssysteme des ICD-10 und dem DSM IV Katalog gestellt. Dabei fasst der Oberbegriff „AutismusSpektrum-Störung“ alle zahlreichen Ausprägungen zusammen, wie das Kanner-Syndrom bzw. frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom und den atypischen Autismus. Demnach wird bei Kindern eine autistische Störung diagnostiziert, wenn sie
„[...]schwere Beeinträchtigungen der zwischenmenschlichen Interaktion, der nonverbalen und verbalen Kommunikation und der Phantasietätigkeit sowie ungewöhnliche Aktivitäten aufweisen, die beherrscht sind von wiederholten, stereotypen Routinen.“ (Petermann, Kusch 1998, 325)
Zwischenmenschliche Beziehungen sind beeinträchtigt, indem zum Beispiel Augenkontakt und auch der Gesichtsausdruck kaum zur Regulation der sozialen Interaktion eingesetzt werden.
Autistische Kinder suchen selten Trost und Zuneigung bei anderen Menschen. Anderseits geht das Kind auch nicht auf die Freude und Trauer anderer ein. Andere Personen werden selten gegrüßt oder deren Verhalten nachgeahmt (ebd.). Dadurch leiden diese Kinder von außen betrachtet unter schwerwiegenden Kommunikationsschwierigkeiten (Prothmann 2006, o.S.). Erste Anzeichen zeigen sich schon darin, dass diese Kinder im Säuglingsalter kein „kommunikatives Babbeln“ (Petermann&Kusch 1998, 326) aufweisen, was zu einem verzögertem oder vollständigen Fehlen der Sprache führen kann. Dieses fehlen wird dann auch nicht durch alternative Kommunikationsmittel wie Mimik und Gestik kompensiert. Auch reagieren diese Kinder oft nicht auf die Kommunikationsversuche anderer, zum Beispiel auf das Rufen des eigenen Namens.
Zusammenfassend wird bei Menschen anhand der internationalen Klassifikationssysteme psychischer Störung (dem ICD-10 und dem DSM-IV) nach der sog. Symptom-Triade[2] eine autistische Störung diagnostiziert, wenn die wechselseitige soziale Interaktion qualitativ beeinträchtigt ist, und die Kommunikation sowie das Verhalten durch ein stereotypes Repertoire von Interessen und Aktivitäten geprägt ist. (vgl. Gier-Dufern & Selter 2012, zit. nach Theunissen 2014,13f.) Dieser herkömmlichen, defizitorientierten Betrachtung von Autismus steht die Annahme des US-amerikanische Autism Rights Movement (ARM) gegenüber: Demnach wird Autismus nicht als eine schwerwiegende und zu eliminierende Krankheit verstanden, sondern als eine neurologische Veränderung in Form eines menschlichen Seins. (Theunissen 2014, 16). Durch die individuelle Ausprägung der auffälligen Verhaltensweisen kann sich der Autismus jedoch sehr unterschiedlich zeigen. Für autistische Verhaltensweisen gibt es ganz unterschiedliche Erklärungsansätze, aber keine allgemeingültigen Ursachen. So benennt Dezikowski (1993) etwa 60 Theorien zur Ätiologie des Autismus (zit. nach Slotta 2002, 24). Die Anzahl der Erkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen (vgl. Silva et al 2011, 655). Es heißt an mancher Stelle, Autismus sei nicht heilbar (s. Greiffenhagen 2012, 170). Viele Unterstützungs- und Therapieangebote wurden entwickelt, um den Betroffenen bei sozialen Interaktionen und allgemein im Alltagsleben zu helfen. (vgl. Grandgeorge et al 2012,1) So gibt es mittlerweile ca. 27 Behandlungsmethoden bei einer Autismus-Spektrum-Störung (aufgelistet in Kehrer 2000, 122f.). Ziele der Autismus-Therapie sind vor allem der Kontakt zu Gleichaltrigen, die Aufgabe der Isolation, Gruppenfähigkeit, Selbstständigkeit, verbale Sprache und ein gutes Spiel- und Arbeitsverhältnis (ebd.) Um dies zu erreichen, gibt es nicht die eine Therapiemethode bei Autismus. In vielen Therapien fühlen sich die Betroffenen allerdings oft falsch verstanden oder zumindest missverstanden und überfordert. Daher ist es für sie oft gar nicht vorstellbar, dass sie von den Angeboten auch profitieren können (vgl. http://www.polygonos.net/Autismus-Spektmm/Aerzteblatt_PP_12-2007.pdf). Auch bleibt es fraglich, ob das Ziel einer Therapie die Auflösung der autistischen Symptome sein sollte. Dazu äußert sich eine Betroffene:
„Ein Leben ohne Autismus - ist das wünschenswert? Diese Frage kann ich mit einem eindeutigen "Nein" beantworten. Für mich ist mein Autismus keine Krankheit, die es zu heilen gilt. Mein Autismus ist für mich eine besondere Weise zu leben, zu denken, zu fühlen und zu handeln.“ (Schuster 2007, 327)
Daher bedarf es einer umfassenderen Betrachtung solcher Maßnahmen, die den Autismus als eine besondere, nicht zwingend negative Eigenart der Betroffenen betrachten und gleichsam das Ziel verfolgen, die zwischenmenschlichen Fähigkeiten dieser Menschen in ihrem Sinne zu verbessern, um dadurch jedem Menschen die Teilhabe an einer sozialen Gemeinschaft zu ermöglichen. Diesbezüglich vermutete schon Boris Levinson in seinem Buch über Kindertherapie 1969 einen positiven Einfluss von Tieren insbesondere auf Kinder mit autistischen Verhaltensweisen:
„Autistische Kinder brauchen kontinuierliche Stimulation; sie dürfen nicht endlos mit ihren entfremdeten Beschäftigungen allein gelassen werden. Ein Tier kann den starren Panzer möglicherweise durchbrechen.“ (Levinson 1969, 70 zit. nach Greiffenhagen 2012, 170)
Anfang der achtziger Jahre erkannte auch der französische Tierarzt Ange Condoret den Nutzen tiergestützter Interventionen und empfahl diese alternative Therapieform mit insgesamt gutem Erfolg. (Condoret 1983, S. 469ff. zit. nach Greiffenhagen 2012, 171)
In dem vergleichenden Teil dieser Arbeit geht es um Kinder mit autistischen Verhaltensweisen im Alter von drei bis fünfzehn Jahren. Auf die unterschiedlichen Ausprägungen des Autismus wird nicht eingegangen. Im Folgenden wird der Einfachhalt halber die Bezeichnung autistisches Kind oder einfach Autist verwendet. Diese Ausdrucksformen wurden bewusst im Sinne des ARM (Autism Right Movement) gewählt und werden demnach nicht als Defizit, sondern als Teil der Persönlichkeit angesehen. Des Weiteren werden die Betroffenen nicht als kranke oder behinderte Menschen angesehen, sondern vielmehr als Menschen, welche - im Kontext einer Gesellschaft - teilweise unter stark erschwerten Lebensbedingungen mit Ängsten und Qualen leben. Die Grenze zwischen „Autist-Sein“ und „Nicht-Autistisch-Sein“ (vgl. König 2004, 3ff.) kann dabei fließend sein.
Der Begriff autistisches Kind soll nun eben diese besondere Eigenart[3] der Kinder verdeutlichen.
[...]
[1] s. zwei autobiographische Romane: Garner, N. (2007): Ein Freund namens Henry und Isaacson, R. (2009): Der Pferdejunge - Die Heilung meines Sohnes.
[2] Die Symptom-Triade kann durch Begriffe wie „beeinträchtigt“, „Autistischen Menschen fehlt...“, „haben kein Verständnis...“ auch als ein Defizitkatalog betrachtet werden, wodurch sich die Betroffenen oftmals diskriminiert fühlen (vgl. Aspies e.V. 2008, zit. nach Theunissen 2014,14).
[3] Für diese Eigenart sind auch Bezeichnungen wie cognitive style denkbar. (vgl. Happé 1999, 216ff. ; Baron-Cohen 2002)