Die Etablierung der Frankenherrschaft im Langobardenreich (774-814)


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

23 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1. Die Unterwerfung der Langobarden

2. Die Installation der fränkischen Herrschaft in Italien bis 814
2.1. Die Modifizierung der Verwaltungsstruktur
2.2. Die Ablösung der langobardischen Führungsschicht
2.3. Die Rolle der Königsboten
2.4. Die fränkische Siedlungstätigkeit
2.5. Die fränkische Bistumspolitik
2.6. Die fränkische Klosterpolitik
2.7. Die Einrichtung des italienischen Unterkönigtums

Epilog

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit der Eroberung des Langobardenreiches dehnte Karl der Große seine Herrschaft über einen weiten Teil Italiens aus und trat das Erbe des letzten großen germanischen Reiches der Völkerwanderungszeit an. Dadurch wurde letztlich auch die Voraussetzung für seine spätere Kaiserkrönung geschaffen. Vor allem aber machte diese Okkupation das Frankenreich endgültig zur beherrschenden Macht in Westeuropa. Ziel dieser Arbeit ist es nun, aufzuzeigen, wie und mit welchen Mitteln die Franken ihre Herrschaft im langobardischen Italien während der Regierungszeit Karls durchsetzten und festigten.

Der methodische Aufbau der Arbeit sieht folgendermaßen aus: Zunächst wird zur Einführung und zum besseren Verständnis der Vorgänge die Unterwerfung des Langobardenreiches durch den Frankenkönig kurz dargestellt. Anschließend wird dann die Etablierung der fränkischen Herrschaft in Italien im Zeitraum der Herrschaft Karls unter verschiedenen Aspekten dargelegt und ausgewertet.

1. Die Unterwerfung der Langobarden

773 erneuerte Karl der Große das fränkische Bündnis seines Vaters Pippin mit dem römischen Papsttum gegen die Langobarden und begann mit zwei Heeresverbänden einen Blitzfeldzug nach Italien. Der Langobardenkönig Desiderius wurde rasch in seiner Hauptstadt Pavia eingeschlossen, während sein Sohn Adelchis nach Verona floh, das aber bald zur Übergabe gezwungen wurde. Im Juni 774 fiel auch Pavia nach langer Belagerung in die Hände der Franken.[1] Damit war der Krieg bereits entschieden und das Langobardenreich niedergeworfen. König Desiderius wurde gefangengenommen und in ein Kloster geschickt, Adelchis dagegen gelang es nach Byzanz zu entkommen.[2] Der langobardische Adel, der teilweise ohnehin nicht unbedingt treu hinter dem eigenen König gestanden hatte, machte Karl seine Aufwartung.[3]

Der Frankenherrscher gliederte das Langobardenreich nun jedoch nicht direkt dem Frankenreich ein, sondern verband es praktisch in einer Art Personalunion mit diesem. Er nahm fortan den Titel rex Francorum et Langobardorum an und betonte damit die weiterbestehende nominelle Eigenständigkeit des italienischen Reiches, das nur durch sein Königtum mit dem Frankenreich vereinigt war.[4] Offensichtlich wollte Karl mit dieser für fränkische Verhältnisse völlig neuartigen politischen Konzeption, die die Langobarden gleichsam zu einem zweiten Reichsvolk machte, in erster Linie die traditionelle wie stabile Einheit des regnum Langobardorum zum eigenen Vorteil wahren und auf diese Weise die langobardische Oberschicht leichter an sich binden.[5] Im Bereich der inneren Organisation des Königreiches blieb zunächst alles beim Alten. Die meisten langobardischen Großen blieben offenbar in ihren Stellungen, nur in einigen Fällen kam es zu Umbesetzungen, wie etwa in Friaul.[6] In der langobardischen Hauptstadt Pavia stationierte Karl eine fränkische Garnison.[7]

Völlig unabhängig von Karls Herrschaft blieb das separate langobardische Herzogtum Benevent im Süden der italienischen Halbinsel, wo weiterhin der Adlige Arichis als Herzog regierte. Auch später konnte er sich Benevent lediglich zeitweise tributpflichtig machen. Der wieder einsetzende Krieg mit den Sachsen erzwang Karls raschen Abzug nach Norden und verhinderte vielleicht 774 eine eingehendere Beschäftigung mit den Verhältnissen in Italien.[8] Bereits 775 kam es aber zu einem Aufstand langobardischer Adliger in Nordostitalien, gerade unter Führung des vom Frankenkönig neueingesetzten Herzogs Hrodgaud von Friaul, der zudem wohl auch von Arichis von Benevent unterstützt wurde und die Rückkehr des Königssohnes Adelchis aus Byzanz einschloss.[9] Karl marschierte daraufhin im Winter 775/76 wieder nach Italien. Es gelang ihm, die Erhebung nach der Eroberung von Treviso und Cividale im Frühjahr 776 relativ schnell niederzuschlagen. Hrodgaud fiel im Kampf.[10] Nach diesem fehlgeschlagenen Unternehmen war es mit dem langobardischen Widerstand gegen die Frankenherrschaft dann auch endgültig vorbei.[11] Karl ließ sämtliche Verschwörer und Unzuverlässigen aus ihrer Stellung entfernen und ihren Besitz einziehen sowie starke Besatzungen in die vom Aufstand betroffenen Städte legen.[12] Gleichzeitig setzte mit diesem Ereignis nun schrittweise eine grundlegende planmäßige Umgestaltung der inneren Verhältnisse des Langobardenreiches ein, die zuerst natürlich das Gebiet des Aufstandes im östlichen Oberitalien betraf, im Laufe der Zeit jedoch, insbesondere in Verbindung mit den folgenden Italienzügen Karls in den Jahren 780/81, 786/87 und 800/01, auch die anderen Gebiete des regnum Langobardiae erfasste.[13] Diese allmähliche innere Neuordnung des langobardischen Italien durch die Franken unter Karl und der damit vollzogene endgültige Einbau dieses Raumes in das fränkische Herrschaftssystem soll nun in seinen einzelnen Bereichen dargestellt werden.

2. Die Installation der fränkischen Herrschaft in Italien bis 814

2.1. Die Modifizierung der Verwaltungsstruktur

Eine wesentliche Neuerung in der Administration des rgenum Langobardiae unter der Frankenherrschaft stellte vordergründig die Umwandlung der langobardischen Herzogtümer, der Dukate, in Comitate, also Grafschaften, nach fränkischem Muster dar.[14] So wurden bereits nach der Niederschlagung des Hrodgaudaufstandes 776 anstelle der untreuen Herzöge fränkische Grafen eingesetzt.[15] Aber auch die loyal gebliebenen und in ihren Stellungen belassenen langobardischen duces betrachtete man in der Folgezeit zumeist als comites.[16] Ein Kapitular aus den achtziger Jahren erwähnt etwa „Langubardiscos comites“.[17] In dieser Zeit fungierten in Italien schon zehn als Grafen bezeichnete Amtsträger.[18] Dies geht aus einer Botschaft Papst Hadrians I. an Karl hervor: „Sed obnixe petimus, ut per comites vestros, qui in Italia sunt actores, ipsum iam dictum stagnum dirigere iubeatis, per unumquoque comitem libras centum, ut dignam pro hoc ab ipso Dei apostolo retributionem suscipere mereamini.“[19]

Die Übertragung der für das Frankenreich maßgeblichen Grafschaftsverfassung[20] auf das langobardische Italien zielte klar auf eine stärkere Vereinheitlichung des Reichsverbandes ab[21]. Dies zeigt sich zum anderen daran, dass man 778 in Aquitanien nach einer gescheiterten Rebellion in gleicher Weise die Institution des Comitats einrichtete.[22] Ebenso sollte auch im Langobardenreich der comes Verwaltungsrückgrat werden.[23]

Allerdings hielt sich der Herzogstitel bei alteingesessenen langobardischen Amtsträgern noch für eine gewisse Zeit, so beispielsweise in Florenz und in Spoleto; aber auch im neu besetzten Friaul blieb die Bezeichnung dux für den Amtsträger in Gebrauch.[24] In Spoleto galt der herrschende Hildebrand noch bis zu seiner Ablösung durch den fränkischen comes Winegis 789 unumstritten als dux.[25]

Im Gegensatz zu dem meist machtvollen langobardischen Herzog war der Graf mehr ein bloßer Vertreter der Herrschaftsgewalt des fränkischen Königs.[26] Er übte in seinem Comitat im Namen des Königs die allgemeinen Verwaltungs- und Gerichtstätigkeiten, worunter etwa die regelmäßige Abhaltung eines Grafengerichts, der Rechtsschutz für Kirchen und bedürftige Personengruppen oder die Instandhaltung der Infrastruktur fielen, sowie schließlich militärische Funktionen aus.[27] Bei letzteren sind vornehmlich die Aushebung und Bereitstellung der militärischen Kräfte seiner Grafschaft für das königliche Heer zu nennen.[28]

Rechte und Pflichten der comites wurden von Karl genau bestimmt.[29] Manche Gegenden in der Grafschaft, insbesondere solche mit kirchlichen Einrichtungen, wie Klöstern, konnte der König zudem durch Verleihung von ‚Immunität’ fast gänzlich der Amtsvollmacht des Grafen entziehen.[30] Die Stellung des Grafen glich daher in mancher Hinsicht eher der des langobardischen Gastalden, dem im Langobardenreich die Verwaltung der königlichen Ländereien oblag, der aber dem Herzog an Macht nachstand.[31] Die Gastalden wurden nach der fränkischen Eroberung entweder zu Untergebenen der comites oder an einzelnen Orten, wo sie gar anstelle eines Herzogs fungierten, allmählich durch comites ersetzt.[32] Als Untergebenen der comites blieben ihnen immerhin noch richterliche Kompetenzen, was sich aus Kapitularien nachweisen lässt: „Et si castaldius et sculdais seu loci positus de qualibet iudicaria tam de suos pagenses quamque et alios, qui iustitias quesierit, non fecerit, componat sicut lex ipsorum est.“[33] Beim Sculdahis handelte es sich gleichfalls um einen Untergebenen des Grafen. Die Grafschaften waren allgemein in mehrere Sculdasien unterteilt, wobei in Spoleto der Sculdahis noch dem Gastalden unterstellt war.[34] Die Karolinger erweiterten die Grafschaftsverfassung noch, indem sie neben den gewöhnlichen Grafschaften an den gefährdeten Grenzen des Reiches noch die Markgrafschaften, die sogenannten marcae, einrichteten. Die Markgrafen, die marchiones, besaßen wegen der ihnen zukommenden Sicherungsaufgaben größere Vollmachten. So konnten sie selbständiger Truppen in ihrem Gebiet ausheben.[35] Neben der Grenzsicherung war auch die Kontrolle des Grenzhandels und –verkehrs eines ihrer wesentlichen Betätigungsfelder.[36] In der Regel verwaltete der marchio ein größeres Territorium als ein normaler comes.[37] In Italien wurde in der Zeit Karls lediglich eine Markgrafschaft eingerichtet, und zwar Friaul.[38]

Was die fränkische Grafschaftsverfassung ansonsten betrifft, so ist sicher Gerd Tellenbach zuzustimmen, dass die einzelnen Comitate des Reiches durchaus nicht von gleichem Gewicht waren und zumal die auf den überkommenen langobardischen Einrichtungen basierenden Verwaltungsbereiche in Italien sich von denen des übrigen Reiches in ihrer Eigenart deutlich abhoben.[39]

2.2. Die Ablösung der langobardischen Führungsschicht

Karl setzte ab 776 vor allem fränkische und alemannische Adlige, daneben in Ausnahmefällen vornehme Bayern als comites in Italien ein, um so die langobardische Führungsschicht allmählich zurückzudrängen und seine Herrschaft zu festigen.[40] Der hohe Einsatz von adligen Alemannen zeigt die bedeutende Stellung, die dieser Volksstamm im Reich neben dem fränkischen Staatsvolk schon erreicht hatte. Unter den in Italien eingesetzten Grafen und Markgrafen alemannischer Herkunft sind beispielsweise Wolvene von Verona, Erich von Friaul sowie Richwin von Padua zu nennen.[41] Dagegen wurden Bayern viel seltener eingesetzt, was wohl hauptsächlich zunächst noch an dem bis 788 andauernden latenten Konflikt mit dem Herzog Tassilo und der einer möglichen Verschwörung Vorschub leistenden traditionellen langobardisch-bayerischen Freundschaft, schließlich aber auch an der stärkeren Inanspruchnahme des bayerischen Adels bei der einsetzenden Kolonisation der weiten östlichen und südöstlichen Markengebiete des Reiches lag.[42] Als Beispiel eines bayerischen comes in Italien ist der gegen 811 nach Tuszien entsandte Bonifacius zu nennen.[43]

Natürlich schickte Karl besonders Adlige seines Vertrauens zur Ausübung hoher Ämter nach Italien[44], doch wurden, wie Josef Fleckenstein konstatiert, auch weniger nahe stehende Adelskreise mit Posten ausgestattet, um sie mehr an das Königshaus zu binden[45]. Vornehmlich entstammten die in Italien eingesetzten comites wohl den angeseheneren Adelsfamilien des Reiches.[46] So berichtet etwa Adrevald von Fleury im Zusammenhang mit dem 781 eingerichteten italienischen Unterkönigtum von Karls Sohn Pippin: „Qua de re primatibus populi ducibusque contigit palacium vacuari, eo quod multos ex Francorum nobili genere filio contulerit, qui cum eo regnum noviter susceptum tuerentur et regerent.“[47] Allerdings sind die comites im regnum Langobardorum, wie Gerd Tellenbach und Eduard Hlawitschka deutlich machen, noch nicht alle in Bezug auf ihre Herkunft erforscht.[48] Die gemachten Ergebnisse reichen aber aus, um festzustellen, dass es sich zumeist um Angehörige schwerpunktmäßig im Elsass und in Alemannien beheimateter Adelsgeschlechter handelt, dagegen kaum solcher aus dem westlichen Frankenreich.[49] Sie blieben ferner auch weiterhin mit ihren Verwandten in den übrigen Reichsteilen in enger Beziehung.[50]

Außer führenden Verwaltungsämtern wurden dem Hochadel vom König in Italien weiterhin ein ansehnlicher Grundbesitz als königliche Schenkung aus konfiszierten Ländereien oder dem vom Langobardenherrscher übernommenen Königsgut sowie damit verbundene hohe Einnahmen in Aussicht gestellt[51], was durchaus einen Anreiz bot. Schließlich erwarben die neuen Herren dann auch selbst durch Kauf und Heirat weitere Ländereien hinzu und bauten so ihre Machtstellung im neuen Gebiet rasch aus.[52] Aber sie dienten dem Reich hier mit ihrem ganzen Einsatz und leisteten zudem oft den Abwehrkampf gegen äußere Feinde in dieser Gegend, wie die Sarazenen.[53] Zur Ausübung militärischer Kommandos sandte Karl aber auch gesondert adlige Würdenträger nach Italien.[54] So führte etwa der Marschall Burchard 807 ein Gefecht gegen eine sarazenische Flotte bei Korsika.[55]

Letztlich wurde der sich in Italien niederlassende Hochadel zu einer tragenden Kraft in diesem Raum, und aus ihm gingen schließlich mit die führenden Geschlechter des späteren hochmittelalterlichen Italien hervor.[56]

Durch die zunehmende Übertragung der hohen Verwaltung an die nordalpinen Adelsgruppen wurde die langobardische Großelite in ihrer Machtstellung erheblich beschränkt.[57] Natürlich kam es zu keiner raschen grundsätzlichen Ausschaltung der langobardischen Führungsschicht, denn die loyalen Herzöge blieben ja nach 776 teilweise noch lange im Amt.[58] So herrschte ja etwa Hildebrandt in Spoleto noch bis 789, Gudibrand in Florenz noch bis nach 790 und Allo in Lucca noch bis vor 800.[59] Aber ihnen allen folgten nichtlangobardische Grafen nach.[60] Es erfolgte also, wie Hlawitschka, Tellenbach und Tabacco darlegen, eine schrittweise Ablösung des langobardischen Adels durch die nordalpinen Adligen in den meisten Comitaten.[61] Wenn ein hohes Verwaltungsamt durch den Tod des bisherigen langobardischen Amtsträgers frei wurde, wurde es in der Regel durch einen Angehörigen der neuentsandten Adelselite aus dem übrigen Reich besetzt.[62] Allerdings gab es auch Ausnahmen.[63] Der 796 bei der Eroberung der Awarenburg gefangen genommene langobardische Exilant Aio etwa wurde von Karl schon bald darauf begnadigt und schließlich gar als comes eingesetzt, sein Sohn Alboin wurde ebenso Graf.[64] Dies zeigt, dass nicht allerorten die Langobarden einfach durch Auswärtige ersetzt wurden. Joachim Fischer vertritt demgegenüber sogar die Ansicht, dass in der Zeit Karls eine wesentliche Ablösung des langobardischen Adels gar nicht stattgefunden habe, dieser vielmehr an einer Aussöhnung der Langobarden mit der neuen Herrschaft und einem damit verbundenen überwiegenden Erhalt der langobardischen Stellung in Italien interessiert war, eine nachdrückliche Entmachtung der Langobarden zugunsten der auswärtigen Adelsgeschlechter dagegen erst unter seinen Nachfolgern einsetzte.[65] Für Fischer ist dabei unter anderem ausschlaggebend, dass Karl bei der Niederwerfung des Langobardenkönigs ja selbst von Teilen des langobardischen Adels Unterstützung erfahren hatte und ihm daher im nachhinein sehr wohl an einer Zusammenarbeit mit der langobardischen Oberschicht gelegen sein konnte, er sich der Langobarden im kirchlichen Bereich doch ohne Bedenken weiter bediente, und zudem das Ausbleiben weiterer größerer langobardischer Widerstände nur mit einem weitgehenden Verzicht auf eine Aushöhlung der langobardischen Machtstellung zu erklären ist.[66] Daraus folgert Fischer, dass es sich bei den bekannten Fällen der Einsetzung nordalpiner comites lediglich um für die Langobarden erträgliche Ausnahmefälle handelt, zumal die Person und Abkunft vieler comites in Italien unter Karl ohnehin eher unsicher seien.[67]

Dies ist jedoch nicht ganz einleuchtend, da zum einen Karl zwar vor 776, wie das Beispiel des Hrodgaud zeigt, durchaus auf den langobardischen Adel setzte und auch ohne weiteres langobardische duces einsetzte, aber der gerade von diesem ausgehende Aufstand ihn, was beispielsweise Tellenbach aufzeigt, wohl doch eher bewogen haben muss, dem langobardischen Adel grundsätzlich zu misstrauen und zukünftig auswärtigen Adligen bei der Besetzung der Verwaltung in Italien den Vorzug zu geben, weil das für eine beständige Einrichtung der fränkischen Herrschaft einfach sicherer erschien[68], zum anderen aber das Ausbleiben weiterer langobardischer Rebellionen ganz einfach aus der Tatsache zu erklären ist, dass sich die Umwandlung für die Langobarden kaum sichtbar in einem langen Prozess vollzog, denn wie schon erwähnt blieben viele Langobardenherzöge noch dauerhaft auf ihrem Posten. Aus der Sicht der Langobarden änderte sich tatsächlich nicht viel, nur einzeln wurden ja die verstorbenen Langobardenherzöge durch auswärtige Grafen ersetzt. Wenn auch viele comites nach Person und Herkunft noch unsicher sind, so lässt sich anhand der bekannten Beispiele doch ein allgemeiner Trend erwägen. Bei der Kirchenpolitik schließlich ging Karl nach ganz anderen Leitlinien vor.

Somit ist folglich davon auszugehen, dass man es unter Karl mit einer langsamen Ablösung der meisten langobardischen Territorialherren durch nordalpine comites zu tun hat. Beispiele wo Langobarden neu eingesetzt wurden, wie Aio, sind dagegen eher als Ausnahmen zu betrachten. Allerdings blieben Langobarden im niederen Dienst als Gastalden, Richter oder Schultheißen, wohl weiterhin überwiegend in ihren Stellungen.[69]

Bei Reichsangelegenheiten außerhalb Italiens waren Langobarden weltlichen Ranges offensichtlich nur in sehr seltenen Fällen anwesend[70], wie etwa beim Prozess des bayerischen Herzogs Tassilo: „Et de haec omnia conprobatus, Franci et Baioarii, Langobardi et Saxones, vel ex omnibus provinciis, qui ad eundem synodum congregati fuerunt, reminiscentes priorum malorum eius, et quomodo domnum Pippinum regem in exercitu derelinquens et ibi, quod theodisca lingua harisliz dicitur, visi sunt iudicasse eundem Tassilonem ad mortem.“[71] Ansonsten traten sie hier nur zur Gnadenerwirkung und zur Anrufung des Königsgerichtes auf.[72] Ein solches Beispiel ist der Fall des Langobarden Gaidifridus im Jahre 775, bei dem auch Papst Hadrian I. eine Rolle spielte.[73]

Unter Karl waren die eingesetzten Amtsträger, insbesondere die eingewanderten, die ja noch kaum in Italien verwurzelt waren, im wesentlichen noch vollständig an den König gebunden und besaßen nur wenig politische Eigenmacht.[74] Sie konnten aufgrund von Versäumnissen jederzeit belangt werden, und ihre Ämter waren noch nicht vererbbar.[75] Ferner hatten sie auch auf den Reichstagen, wie Kapitularien zeigen, lediglich das Recht zu beraten.[76] Dennoch kam es bereits in dieser Zeit zu selbstherrlichen Übergriffen der lokalen Großen, etwa gegenüber kirchlichen Institutionen.[77] So ließ Herzog Gudibrand von Florenz ein päpstliches Kloster plündern[78], während sein Standesgenosse Garamannus in das zum Kirchenstaat gehörende Gebiet von Ravenna eindrang[79]. Karl trat diesen Übertretungen entgegen, so gut es ging.


[...]

[1] Ann. Regni Franc. 773, 774. Vgl. Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii, Bd. I, Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918, Hildesheim 1966, 74, 75. Pierre Riche, Die Karolinger. Eine Familie formt Europa, 3. Aufl., München 1995, 126, 127. Karl Schmid, Zur Ablösung der Langobardenherrschaft durch die Franken, QFIAB 52, 1972, 20, 29, 30. Hans K. Schulze, Vom Reich der Franken zum Land der Deutschen. Merowinger und Karolinger, Berlin 1987, 158, 162, 163.

[2] Ann. Regni Franc. 774. Vgl. Riche, 127, 128. Schulze, 158, 163. Schmid, 20. Werner Goez, Grundzüge der Geschichte Italiens in Mittelalter und Renaissance, Darmstadt 1975, 47.

[3] Vgl. Schmidt, 20, 21. Schulze, 163. Joachim Fischer, Königtum, Adel und Kirche im Königreich Italien (774–875), Diss., Bonn 1965, 7. Eduard Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774–962). Zum Verständnis der fränkischen Königsherrschaft in Italien, Diss., Freiburg im Breisgau 1960, 23.

[4] Vgl. Schmid, 2. Goez, 47. Schulze, 158, 163. Erich Zöllner, Die politische Stellung der Völker im Frankenreich, Wien 1950, 133. Josef Fleckenstein, Das großfränkische Reich: Möglichkeiten und Grenzen der Großreichsbildung im Mittelalter, HZ 233, 1981, 281, 282. Adolf Hofmeister, Markgrafen und Markgrafschaften im italischen Königreich in der Zeit von Karl dem Großen bis auf Otto den Großen (774–962), Diss., Berlin 1905, 2. Fischer, 7.

[5] Vgl. Fleckenstein, 282. Schulze, 158, 163.

[6] Vgl. Hlawitschka, 23. Schulze, 164. Ludo Moritz Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, Bd. 2, 2, Die Loslösung Italiens vom Orient, Gotha 1903, 282.

[7] Ann. Regni Franc. 774. Vgl. Böhmer, 76. Hlawitschka, 23. Fischer, 7. Hofmeister, 2. Hartmann, 282, 283.

[8] Ann. Regni Franc. 774. Vgl. Hlawitschka, 23.

[9] Ann. Regni Franc. 775; Einhard, Vita Caroli 6. Vgl. Schulze, 164. Hlawitschka, 23. Zöllner, 139. Schmid, 20. Riche, 128.

[10] Ann. Regni Franc. 776. Vgl. Schulze, 164. Hlawitschka, 23, 24. Hartmann, 283. Zöllner, 139. Böhmer, 84.

[11] Vgl. Schmid, 30. Zöllner, 139.

[12] Vgl. Hlawitschka, 23, 24. Hartmann, 283. Schulze, 164. Schmid, 20.

[13] Vgl. Fischer, 7. Hlawitschka, 23-25. Hofmeister, 4. Hartmann, 288.

[14] Vgl. Hofmeister, 10. Schulze, 214. Hlawitschka, 25. Goez, 47.

[15] Vgl. Böhmer, 84, 85. Hlawitschka, 24. Gerd Tellenbach, Der großfränkische Adel und die Regierung Italiens in der Blütezeit des Karolingerreiches, in: ders., Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 3, Stuttgart 1988 (künftig zitiert: Tellenbach, Adel), 804. Gerd Tellenbach, Italien im christlichen Abendland während des 8. Jahrhunderts, in: ders., Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 5, Stuttgart 1996 (künftig zitiert: Tellenbach, Italien), 14. Giovanni Tabacco, The struggle for power in medieval Italy. Structures of political rule, Cambridge 1989, 117. Schmid, 3. Hartmann, 283. Hofmeister, 3.

[16] Vgl. Hlawitschka, 24, 25. Tabacco, 117. Hofmeister, 12.

[17] MGH Cap. I Nr. 91 c. 7.

[18] Vgl. Tellenbach, Adel, 805.

[19] MGH Cod. Carol. Nr. 78.

[20] Vgl. Hofmeister, 9. Schulze, 214, 215.

[21] Vgl. Fleckenstein, 283. Hofmeister, 2. Fischer, 8.

[22] Astronomus, Vita Hludovici 3, MGH SS II. Vgl. Tellenbach, Adel, 804. Tellenbach, Italien, 14.

[23] Vgl. Hlawitschka, 38.

[24] Ebd. 24, 25. Tellenbach, Adel, 805. Goez, 48. Hofmeister, 11, 12. Hartmann, 316. Tabacco, 116. Schulze, 164.

[25] Vgl. Hofmeister, 11, 12, 15. Tellenbach, Adel, 805. Hlawitschka, 24, 25.

[26] Vgl. Hofmeister, 8, 9. Schulze, 214, 215. Tabacco, 123.

[27] Vgl. Schulze, 215. Fleckenstein, 275. Hofmeister, 9. Böhmer, 98, 101.

[28] Vgl. Schulze, 215, 216.

[29] Ebd. 214. Böhmer, 98.

[30] Vgl. Schulze, 216.

[31] Vgl. Hofmeister, 7, 10.

[32] Ebd. 10. Goez, 48.

[33] MGH Cap. I Nr. 91 c. 7.

[34] Vgl. Hofmeister, 15.

[35] Ebd. 30. Schulze, 216.

[36] Vgl. Hofmeister, 30.

[37] Vgl. Schulze, 216.

[38] Ebd. Hofmeister, 28.

[39] Vgl. Tellenbach, Adel, 805.

[40] Vgl. Schmid, 3, 4, 20. Tellenbach, Adel, 821, 822. Hofmeister, 12. Hlawitschka, 25, 40, 41. Schulze, 164. Zöllner, 141. Fischer, 8.

[41] Vgl. Hlawitschka, 25, 48.

[42] Vgl. Tellenbach, Adel, 822, 823.

[43] Vgl. Hlawitschka, 47.

[44] Vgl. Schulze, 164, 217.

[45] Vgl. Fleckenstein, 279.

[46] Vgl. Hofmeister, 14. Tabacco, 117.

[47] Adrevaldi Miracula S. Benedicti 18, MGH SS XV.

[48] Vgl. Tellenbach, Adel, 797. Hlawitschka, 26.

[49] Vgl. Tellenbach, Adel, 798.

[50] Ebd. 824.

[51] Ebd. 823, 824. Hartmann, 317. Hlawitschka, 34.

[52] Vgl. Tellenbach, Adel, 824. Tabacco, 117, 118. Fischer, 14.

[53] Vgl. Hlawitschka, 50.

[54] Ebd. 26.

[55] Ann. Regni Franc. 807.

[56] Vgl. Tabacco, 118. Goez, 49.

[57] Vgl. Tellenbach, Adel, 803, 821. Zöllner, 141. Goez, 48. Tabacco, 117.

[58] Vgl. Goez, 48. Tabacco, 117. Hlawitschka, 24, 25.

[59] Vgl. Hlawitschka, 25.

[60] Ebd.

[61] Ebd. Tellenbach, Adel, 821. Tabacco, 117.

[62] Vgl. Hlawitschka, 25. Tabacco, 117.

[63] Vgl. Tabacco, 117. Tellenbach, Adel, 803.

[64] MGH DD Carol. I 187, 209. Vgl. Tellenbach, Adel, 803. Fischer, 11.

[65] Vgl. Fischer, 8–14, 201.

[66] Ebd. 9, 12, 13.

[67] Ebd. 9, 12.

[68] Vgl. Tellenbach, Adel, 803.

[69] Ebd. 802, 803. Schulze, 164.

[70] Vgl. Tellenbach, Adel, 803. Tellenbach, Italien, 14.

[71] Ann. Regni Franc. 788.

[72] Vgl. Tellenbach, Adel, 802. Tellenbach, Italien, 14.

[73] MGH Cod. Carol. Nr. 51.

[74] Vgl. Schulze, 217. Fischer, 16, 17. Böhmer, 119. Hlawitschka, 50.

[75] Vgl. Fischer, 16.

[76] MGH Cap. I Nr. 88 c. 4.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Etablierung der Frankenherrschaft im Langobardenreich (774-814)
Hochschule
Universität Münster  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar II: Die Karolinger und ihre Nachbarn im 8. und frühen 9. Jahrhundert
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V37571
ISBN (eBook)
9783638368681
ISBN (Buch)
9783638654104
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit der Eroberung des Langobardenreiches dehnte Karl der Große seine Herrschaft über einen weiten Teil Italiens aus und trat das Erbe des letzten großen germanischen Reiches der Völkerwanderungszeit an. Die Arbeit legt unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte anschaulich dar, wie und mit welchen Mitteln die Franken ihre Herrschaft im langobardischen Italien durchsetzten und festigten. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand
Schlagworte
Etablierung, Frankenherrschaft, Langobardenreich, Hauptseminar, Karolinger, Nachbarn, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Dirk Bittner (Autor:in), 1998, Die Etablierung der Frankenherrschaft im Langobardenreich (774-814), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37571

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