Einstellungen zur Asylpolitik in Stuttgart

Mehrebenenanalyse zum Einfluss des sozialen Kontexts auf individuelle Orientierungen


Bachelorarbeit, 2017

65 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Theorie und Konzepte
2.1 Sozialer Kontext und Policy-Einstellungen
2.2 Individual-Prädiktoren und Policy-Einstellungen
2.2.1 Persönlichkeitsfaktoren
2.2.2 Soziale Faktoren

3. Modell und Hypothesen

4. Datengrundlage und Operationalisierung
4.1 Affekt
4.2 Ideologie
4.3 Erfahrung
4.4 Sozialer Kontext
4.5 Kontrolle
4.6 Policy-Einstellung

5. Methoden

6. Analyse und Ergebnisse
6.1 Deskriptiv
6.2 Regression mit Stadtteil-Dummy
6.3 Mehrebenenmodell
6.4 Modellvergleich Individualebene
6.5 Test zur Multikollinearität
6.6 Regressionsdiagnostik

7. Fazit, Diskussion und Ausblick

8. Literaturverzeichnis

Anhang

I. Fragebogen-Items

II. Tabelle gewichtete Werte

III. Tabelle OLS-Regression mit Stadtteil-Dummy

IV. Tabelle Mehrebenenanalyse

V. Regressionsdiagnostik

VI. R-Code/Syntax

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Einstellung zur Asylpolitik nach Stadtteilen

Abbildung 2: Einstellung zur Asylpolitik nach Stadtbezirken

Abbildung 3: Kausalmodell Persönlichkeitsfaktoren

Abbildung 4: Vereinfachtes Kausalmodell Persönlichkeitsfaktoren

Abbildung 5: Gesamtkausalmodell

Abbildung 6: Formel Mehrebenenanalyse („Varying Intercept“)

Abbildung 7: Verteilungen und Korrelationen der un-/abhängigen Individualvariablen

Abbildung 8: Bestandteile des Policy-Index

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Leermodell

Tabelle 2: Regression Individualmerkmale

Tabelle 3: VIF-Werte

Abstract

Diese Arbeit widmet sich der Frage, welchen Einfluss der soziale Kontext der Stadtteile auf die Einstellungen der Stuttgarter Bürger zur Asylpolitik hat. Hierzu werden sowohl Kontext- als auch Individualfaktoren konzeptualisiert und in ein gemeinsames Erklärungsmodell eingebettet, das statistisch mittels einer Mehrebenenregression ausgewertet wird. Die allgemeine Erklärungsleistung der Kontextebene ist so gering, dass von einem klaren Makroeffekt in der Stadt Stuttgart keine Rede sein kann. Die untersuchten Individualmerkmale erweisen sich z.T. als geeignet zur Varianzaufklärung von Policy-Einstellungen. Hierbei fallen die stärksten Effekte den Persönlichkeitskategorien Affekt, Ideologie und Erfahrung zu. Fast alle ökonomischen und die meisten soziodemographischen Variablen bleiben komplett ohne Effekt. Letztendlich kommt die Arbeit zum Schluss, dass sich Einstellung zur Asylpolitik als hauptsächlich affektgesteuert darstellen. Der soziale Kontext bleibt weitestgehend bedeutungslos. Ebenfalls stellen sich ökonomische oder nutzenmaximierende Überlegungen in Verbindung mit Asylmaßnahmen nicht als relevant heraus.

1. Einleitung

Tausende Flüchtlinge, die in der Türkei oder auf den Inseln der Ägäis warten, zeigen, dass das Einwanderungspotenzial Europas, insbesondere Deutschlands, noch nicht ausgeschöpft ist. Die Diskussion darüber, wie mit den Flüchtlingen verfahren wird, scheint in vielerlei Hinsicht in ein ablehnendes und ein offenes Lager gespalten zu sein. Ein zentrales Thema dieser Diskussion sind die Gesetze und Vorgehensweisen, die vom Bundestag verabschiedet oder von der Regierung ausgehandelt wurden. Diese Politikmaßnahmen, im Fall der wartenden Flüchtlinge bspw. der EU-Türkei-Deal, erscheinen als wirksames Mittel zur Regulierung von Flüchtlingsströmen und damit auch als Einflussfaktor auf den Anteil selbiger in der Bevölkerung. Zudem sind wichtige Fragen wie Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt Teil des politischen Diskurses und nicht zuletzt wichtiger Bestandteil von Gesetzespaketen, wie dem Asylpaket II im letzten Jahr.

Vieles deutet darauf hin, dass negative Orientierung gegenüber einer liberalen Asylpolitik mehr als nur eine kleine Minderheit an besorgten Bürgern betreffen. Studienergebnisse zeigen, dass Einwohner in sowohl einkommensstarken als auch einkommensschwachen Nationen offener Einwanderungspolitik eher ablehnend gegenüberstehen (vgl. Facchini, Mayda 2008: 3). Interessant ist daher herauszufinden, wie Individuen überhaupt zu ihrem Urteil über bestimmte Politikthemen kommen. Dieser grundlegenden Frage widmet sich die Wahl- und Meinungsforschung bereits seit der Mitte des 20. Jahrhunderts (s. Campbell et al. 1960). Primäres Ziel ist es, Faktoren herauszuarbeiten, auf die Individuen bei der Herausbildung ihrer Einstellungen gegenüber politischen Objekten zurückgreifen und diese dann empirisch zu überprüfen.

Bis jetzt gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Die Abfrage von einzelnen Prinzipien, wie bspw. das der Rassengleichheit, ist nicht ausreichend um die spezifische Policy-Einstellungen zu ethnischer Gleichstellung zu erklären. Bürger ziehen bei der Bildung ihrer Orientierung immer mehrere verschiedene Überlegungen und Ideale heran. Diese können kollidieren bzw. es kann ein vertretenes Ideal ein anderes überwiegen. Ignoranz, Heuchelei und Unwissen alleine reichen nicht als Erklärung für diese Principle-Policy-Diskrepanz. Vielmehr sind affektive Grundgefühle gegenüber politischen Objekten ausschlaggebend dafür, wie Einstellungen über Policies entstehen (vgl. Sniderman et al. 1991: 69).

Dass ausländerablehnende Ressentiments stark mit negativen Einstellungen gegenüber offener Asylpolitik korrelieren, ist wahrscheinlich. Eine Person, die Ausländer allgemein mit beunruhigenden gesellschaftlichen Entwicklungen und Kriminalität in Verbindung bringt, wird dies sehr wahrscheinlich auch mit der Gruppe der Asylbewerber tun. Dennoch bleibt die Frage, ob diese Negativorientierungen ein reines Derivat eben dieses negativen Grundgefühls sind. Es besteht das Potenzial, das u. a. nicht-ausländerablehnende Befragte liberaler Asylpolitik kritisch gegenüberstehen oder eine moderat ausländerablehnende Person stark asylablehnende Positionen einnimmt.

Seit den 1990er Jahren und den bewaffneten Konflikten in der Balkanregion hat die Asyl-Thematik in Europa stark an Relevanz gewonnen. Das plötzliche Auftreten, die hohe Anzahl an Personen und deren speziell widrige Umstände machen die Art der Zuwanderung speziell. Ein Einwanderer, der bspw. aufgrund der beruflichen Karriere nach Deutschland kommt, wird wahrscheinlich anders angesehen als Individuen, die aufgrund der Zerstörung ihrer Heimat flüchten. Daher stellen Asylbewerber eine besondere Gruppe unter den Einwanderern dar. Es ist zu vermuten, dass sich Einstellungen anders gestalten und daher nötig dahingehend getrennt zu untersuchen. Politikwissenschaftliche Studien aus dem Bereich der Einstellungsforschung widmeten sich in der Vergangenheit häufig dem Thema der Immigration. Speziell für den Bereich der Asylpolitik sind Arbeiten jedoch rar (u.a. Bansak et al. 2016). Daher gilt es herauszufinden, wie sich der individuelle Rahmen gestaltet, auf den die Befragten zurückgreifen, um ihre Urteile über Asyl-Policy zu fällen. Die Arbeit widmet sich also der Frage, welche Faktoren die Varianz von Asyl-Policy-Einstellungen erklären können. Diese Frage wird speziell im Rahmen der Stadt Stuttgart aufgearbeitet. Verwendet wird hierzu der EFIS-Datensatz („Einstellungen zur Flüchtlingsdebatte in Stuttgart“), in dem Variablen vorhanden sind, die speziell zur Erforschung dieser Thematik passen.

Dass es relevant ist besagte Rahmen näher zu untersuchen bildet sich heraus, betrachtet man die Ausprägung der Einstellungen zur Asylpolitik auf Ebene der Stadtbezirke und -teile der Stadt Stuttgart. Es fällt auf, dass untereinander eindeutige Unterschiede bestehen (vgl. Abb. 1, Abb. 2). Zum einen die Karte der Bezirke (Abb. 2) und mehr noch der Graph der Stadtteile (Abb. 1) zeigen, dass die einzelnen Mittelwerte nahezu die gesamte Skalenbreite abdecken. Niedrige Werte bzw. helle Bezirke stellen dabei die durchschnittlich negativ eingestellten Einheiten dar, dunkel bzw. hoch die positiv eingestellten. In beiden Arten von Analyseeinheiten liegen höchst unterschiedliche Einstellungen vor.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Einstellung zur Asylpolitik nach Stadtteilen

Quelle: EFIS, eigene Berechnungen

Der Befund lässt vermuten, dass die verschiedenen Wohnumfelder der Stadt Stuttgart mit verschiedenen politischen Einstellungen zum Thema Asylpolitik einhergehen. Daher wird der Fokus im Rahmen dieser Arbeit speziell auf den Einfluss der Wohnumfelder als soziale Kontexte gelegt. Konkret geht es um die Frage, ob Makrovariablen, die verschieden ausgeprägt in den Stadtteilen vorliegen, also quasi objektive Randbedingungen, einen Einfluss auf individuelle Orientierungen auswirken können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Einstellung zur Asylpolitik nach Stadtbezirken

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EFIS, eigene Berechnungen

Neben der grundlegenden Frage nach den Einflussfaktoren von Asyl-Policy-Einstellungen ist es Ziel dieser Arbeit, eine quantitative Analyse von Policy-Einstellungen zur Asylpolitik durchzuführen. Diese wird im Rahmen der EFIS-Befragung auf Stuttgart eingeschränkt, um ein Bild zu bekommen, wie sich die Einstellungen der Stuttgarter Bürger zur Asylpolitik gestalten und welches die Determinanten auf Individual- und Kontextebene sind. Dazu werden bisher vorhandene Arbeiten und Einstellungs-Analysen herangezogen, die Einflussfaktoren auf der Individualebene (u. a. Sniderman et al. 1991, Dandy/Pe-Pua 2009), auf der Makroebene (u. a. Facchini/Mayda 2008) oder in beiden (u. a. Lau/Heldman 2009, Mondak et al. 1995) verorten. Letztendlich soll herausgefunden werden, in welchem Rahmen die Bürger Stuttgarts Einstellungen zur Asylpolitik herausbilden und welche Rolle dabei dem sozialen Kontext, genauer dem Wohnumfeld, zukommt. Zudem soll die Arbeit generell dazu dienen, die Situation in Stuttgart deskriptiv darzulegen. Aufgrund der geringen wissenschaftlichen Abdeckung des speziellen Policy-Problems Asylpolitik soll das aufgestellte Modell genug Verallgemeinerbarkeit bieten, um auch andere Grundgesamtheiten auf Orientierungen hin zu untersuchen.

Um die Hauptproblemstellung zu behandeln, werden zunächst die theoretischen Konzepte, die hinter allen unabhängigen Variablen, der abhängigen Variable und deren Wirkungsmechanismen stehen, dargelegt. Diese allgemeinen Konzepte werden im Hinblick auf die Forschungsfrage verknüpft und zu einem konkreten Kausalmodell zusammengeführt. Die mit dem Modell aufgestellten Hypothesen werden im Anschluss anhand einer Mehrebenenregression statistisch analysiert. Dieser Vorgang erlaubt, Makro- und Mikrovariablen verzerrungsfrei zusammen in ein Modell aufzunehmen und den Einfluss des sozialen Kontextes explizit herauszuarbeiten. Vor der eigentlichen Analyse bzw. den Hypothesentests werden noch Datengrundlage, Operationalisierung und Methodik knapp abgehandelt. Am Ende steht die Darstellung der Analyseergebnisse, die Überprüfung der Hypothesen und den daraus folgenden Interpretationen und Schlussfolgerungen.

2. Theorie und Konzepte

Der Begriff Einstellungen bezieht sich auf Urteile, die Menschen treffen um verschiedene Objekte in ihrer Umwelt zu bewerten. Die menschliche Verarbeitung von Eindrücken ist geprägt von diesen Evaluationen, die einer Kategorisierung in positiv, negativ oder indifferent und damit vordergründig der Vereinfachung der Umwelt dienen (vgl. Albarracín et al. 2005: 3). Zusammenfassend eignet sich die Definition von Eagly/Chaiken: „Einstellungen sind psychologische Tendenzen, die sich in der Bewertung eines bestimmten Objekts mit einem gewissen Grad an Zustimmung oder Ablehnung äußert. Psychologische Tendenz kann als interner Zustand einer Person verstanden werden“ (Eagly/Chaiken 1993: 1). Genannte Tendenzen werden sowohl aus dem Gedächtnis oder bereits feststehenden Standpunkten heraus getroffen als auch spontan und ohne umfassende Vorüberlegungen. Dieser Auffassung folgend umfassen politische Einstellungen Orientierungen von Individuen gegenüber politisch behafteten Themen; vorausgesetzt das politische System und seine Bestandteile sind im Wissen, den Gefühlen und Bewertungen der Individuen verankert (vgl. Almond/Verba 1963: 14). Politische Themen dienen als Objekte, die positive oder negative Reaktionen bei den Subjekten, also den Individuen, hervorrufen. Zu politischen Themen allgemein oder im Fall der Bewertung bestimmter Policies werden diese Reaktionen als „politische Einstellung“ oder „Policy-Einstellung“ bezeichnet. Im Kontext dieser Arbeit wird ebenfalls der Begriff „Orientierung“ genutzt. Policy-Einstellungen sind demnach politikspezifische Urteile, also ob bestimmte politische Maßnahmen unterstützt oder abgelehnt werden. Der Begriff Policy bezieht sich konkret auf die Inhalte des politischen Systems, also u. a. Programme, Gesetzesmaßnahmen. Im Fall dieser Arbeit, die Regulierung der Zuwanderung von Flüchtlingen und deren Aufenthaltsregularien.

Einstellungsobjekte stellen immer eine Reihe an verschiedenen Arten von internalisierten Stimuli dar. Diese sind kognitiv, affektiv und evaluativ besetzt. Also wie o. g. sowohl überlegt, bewertend als auch spontan. Im Fall der politischen Einstellungen bezieht sich kognitiv auf Wissen über das politische System, seine Rollen bzw. diejenigen, die diese ausfüllen und die In-/Outputs des Systems. Affektiv bezieht sich auf generalisierte Gefühle dem System und seinen Bestandteilen gegenüber. Zuletzt beschreibt die evaluative Dimension Orientierungen, die aus einem Urteil resultieren, das anhand einer Kombination von festen Wertstandards oder Kriterien (bspw. Moral/Ideologie/rationale Kalkulation) mit den vorliegenden Informationen/Gefühlen gefällt wird (vgl. Almond/Verba 1963: 28 f.). Jedes Individuum entwickelt über diese Stimulus-Ebenen gewisse Positionen in Bezug auf das Objekt. Also bestimmen diese Dimensionen im Endeffekt, wie das Urteil und die daraus resultierende Einstellung gegenüber einem bestimmten Objekt ausfällt.

Die Urteilsfindung bei Policy-Themen ist weniger offensichtlich als man denkt. Sinn-gemäß stellten sich Sniderman et al. die Frage: „How do citizens figure out what they think about political issues, given how little they commonly know about them?“ (Sniderman et al. 1991: 70). Das Wissen ist im Normalfall so gering, dass man nicht davon ausgehen kann, dass politische Orientierungen gänzlich auf die kognitive Dimension zurückgehen. Dieses Problem betrifft nicht nur das durchschnittlich informierte Individuum, sondern prinzipiell jeden. Es ist unwahrscheinlich zu erwarten, dass ein Individuum vollkommenen Durchblick auf Policies und deren Konsequenzen hat, um eine politische Position zu bestimmen. Die meisten Menschen haben dennoch eine Meinung, wie auch Ergebnisse aus der EFIS Befragung, die als Datengrundlage dieser Arbeit dient, aufzeigen (N= 1110/1146, beim Policy-Einstellungs-Index).

Daher müssen die Einstellungskategorien Affekt und Überzeugung unbedingt miteinbezogen werden. Auf diese wird insbesondere im politischen Bereich zurückgegriffen, da vom politischen System unterschiedliche Policies zur Lösung der gleichen Problemfelder vorgeschlagen werden. Bspw. stellen sowohl Grenzschließungen als auch Integration in eine multikulturelle Gesellschaft gewissermaßen Lösungsansätze für das selbe Problemfeld dar. Viel mehr als tatsächlichem Wissen über ein Thema kommt daher Überzeugungen, also der politischen Grundhaltung eine Bedeutung zu. Demnach unterliegt die Entscheidungsfindung zu politischen Themen z. T. subjektiven Prädispositionen aus dem Bereich der politischen und gesellschaftlichen Grundüberzeugung, auf deren Basis eine Entscheidung getroffen wird. So reicht es zur Erklärung von Einstellungen nicht aus, reines Sachwissen oder die persönliche Lage der Individuen zu analysieren. Eine Studie zu politischen Orientierungen gegenüber Klimawandel-Policies ergab etwa, dass Faktenwissen über selbiges Themenfeld weniger Einfluss auf Policy-Einstellungen hatte, als die Grundwerte und politischen Ausrichtungen der Befragten (vgl. Egan/Mullin 2012: 798).

Die Vielzahl an potenziellen Faktoren führt zum Konzept, dass Einstellungen in einen allgemeinen Referenzrahmen eingebettet sind, der als Grundlage zur Herleitung von Urteilen zu spezielleren Themen dient und damit den Hauptfaktor darstellt (vgl. Chong 1996: 195). Mit Referenzrahmen sind Interpretationen gemeint, die ein Problemfeld in einen bestimmten Fokus rücken, also wie o. g. entweder evaluative, kognitive oder affektive Stimuli besonders hervorheben. Theoretisch kann also eine Art Stimulus als primärer Rahmen dienen und die anderen als bestimmender Erklärungsfaktor von politischen Einstellungen überschatten. So wird z. B. ein Unterstützer der Todesstrafe diese weiterhin konsistent unterstützen, selbst wenn er die Gegenargumente kennt und sogar für plausibel hält. Die evaluative Einstellungsdimension, also seine Grundüberzeugung im Hinblick auf die Todesstrafe ist dementsprechend der bestimmende Referenzrahmen in Bezug auf die spezifische Problematik (vgl. Chong 1996: 196 f.). Eine etwas bildlichere Möglichkeit zur Darstellung des Meinungsbildungsprozesses bietet Campbells Modell. Dieser sieht Einstellungen als das logische Ende eines metaphorischen Trichters. Unbestimmt viele Einzelereignisse und Faktoren kommen zueinander und führen letztendlich zu einem bestimmten Urteil. Die komplette Anzahl der Faktoren ist nicht genau zu ermitteln, ebenfalls ist nicht auszuschließen, dass sich die Variablen im Trichter gegenseitig beeinflussen (vgl. Campbell et al. 1960: 24 f.). Es bleibt daher die Möglichkeit herauszufinden, welcher der Faktoren im „Trichter“ der ausschlaggebendste ist bzw. den „Rahmen“ vorgibt. Um zu verstehen, wie sich politische Einstellungen herausbilden, muss der Referenzrahmen identifiziert werden (vgl. Chong 1996: 197).

Während Chong sich hauptsächlich Normen und Prinzipien widmet, befinden andere Autoren Einstellungen für affektgetrieben und weisen auch entsprechende empirische Ergebnisse vor (u. a. Sniderman et al. 1991). Andere wiederum widmen sich hauptsächlich rationalem Eigeninteresse, also meist ökonomischen Anreizen, oder einzelnen Lebenserfahrungen (u. a. Facchini/Mayda 2008, Egan/Mullin 2012, Lau/Heldman 2009). Je nach Problemfeld und Studie treten verschiedene Ergebnisse zutage, ein einheitlicher Referenzrahmen ergibt sich nicht. Die Ergebnisse verändern sich z. T. zudem über die Zeit. Zu verschiedenen Zeitpunkten können verschiedene Faktoren für politische Einstellungen ausschlaggebend sein (u. a. Campbell et al. 1960).

Fraglich ist also, wo der gemeinsame Referenzrahmen der Stuttgart Bürger beim Problemfeld der Asylpolitik liegt. Es stellt sich die Frage, ob neben Ideologie und Affekt noch andere Dimensionen ausschlaggebend sind. Neben der Aufteilung in affektiv, kognitiv und evaluativ sind die Variablen, die als Stimuli konzeptualisiert werden, getrennt in soziale oder persönliche Merkmale. Die Dimensionen affektiv, kognitiv und evaluativ können sich theoretisch in unendlich vielen dieser Faktoren oder Variablen äußern. Ausschlaggeben ist, ob diese mit den entsprechenden Stimuli des Objektes verbunden sind. Man spricht auch davon, dass Variablen im Hinblick auf Policy-Themen politisiert sind. Welche mentalen Konnotationen ein Individuum mit Policies verbindet, kann prinzipiell nur vereinfacht konzeptualisiert und annähernd gemessen werden (vgl. Almond/Verba 1963: 28 ff.).

Im Folgenden werden die potenziellen Einflussfaktoren von politischen Orientierungen näher ausgeführt und konzeptualisiert, um sie in ein Erklärungsmodell einzufügen, welches zur Erklärung der Policy-Einstellungen des Problemfelds Asyl in Stuttgart dient. Jeder Faktor hat das Potenzial als primärer Referenzrahmen herangezogen zu werden.

2.1 Sozialer Kontext und Policy-Einstellungen

Neben den individuellen Eigenschaften, Erfahrungen und mentalen Prädispositionen stellt sich die Frage, ob es überindividuelle Effekte gibt, die Einstellungen beeinflussen. Campbell et al. widmeten sich bereits 1960 dieser Fragestellung. Für sie sind kontextuelle Faktoren relevant bei der Herausbildung von Einstellungen. Im Gegensatz zu Individualfaktoren sind diese nicht direkt auf die Befragten bezogen und ggf. von den Befragten unbemerkt, können also unterschwellig Einfluss nehmen (vgl. Campbell et al. 1960: 25). Als Beispiel kann die Lebensqualität in einem Stadtteil dienen. Diese wird vom Individuum nicht unbedingt aktiv wahrgenommen, besonders wenn Vergleiche zu anderen Stadtteilen fehlen. Es kann dennoch dessen allgemeine Orientierungen beeinflussen, bspw. bei der Bewertung des nachbarschaftlichen Zusammenwohnens. Die guten Umstände könnten nachbarschaftliche Probleme besser verkraftbar machen, als in Umfeldern in denen allgemein eine schlechtere Situation herrscht. Die Probleme sind damit in verschiedenen Umfeldern gleich, rücken nur weniger oder mehr in den Fokus aufgrund der kontextuellen Unterschiede. Zur genauen Wirkungsweise des sozialen Umfelds erkennen Campbell et al., dass Einfluss von Gruppen auf Individualeinstellungen (Gruppen-Individuen-Zusammenhang) aus drei Teilen besteht. Erstens die Beziehung des Individuums zur Gruppe, zweitens die Beziehung der Gruppe zu politischen Objekten und drittens die Beziehung des Individuums zu politischen Objekten. Je nachdem wie sehr Gruppenzugehörigkeit und deren Interessen im Denken der Individuen verankert sind, desto eher wird diese einen Einfluss auf Einstellungen ausüben und ggf. die Beziehung des Individuums zu politischen Objekten überschatten (vgl. Campbell et al. 1960: 299).

Es muss jedoch nicht zwingend ein konkretes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl bestehen, damit der soziale Kontext einen Einfluss auf individuelle Orientierungen auswirkt. Neben sozialer Identifikation oder Gruppenzugehörigkeit reicht auch Interaktion oder Wahrnehmung des Umfelds aus, um Einstellungen zu beeinflussen. Lau und Heldman stellen die Vermutung auf, dass die Situation anderer Individuen im sozialen Umfeld die eigenen Orientierungen beeinflusst. Dies führt dazu, dass bestimmte Faktoren, in ihrem Fall das ökonomische Eigeninteresse, stärker in den Fokus rücken. Genauer vermuten sie einen Effekt der vorherrschenden sozialen Situation, der sich selbst auf alle beteiligen Individuen auswirkt, selbst auf die, die nicht betroffen sind, aber Teil des entsprechenden sozialen Umfelds (vgl. Lau/Heldman 2009: 516).

Diese Vermutung ziehen sie u. a. daraus, dass in empirischen Analysen ökonomische Makrovariablen meistens einen höheren Einfluss auf vorherrschende Unterstützung von Policies oder sogar den Ausgang von nationalen Wahlen vorweisen als individuelle sozioökonomische Merkmale. Diese waren meistens nur schwach mit persönlichen politischen Einstellungen korreliert. Der Eindruck, der durch das soziale Umfeld entsteht, kann demnach wichtiger sein als die eigene Situation (vgl. Lau/Heldman 2009: 528). Das Eigeninteresse wird in sozialwissenschaftlichen Analysen bei der Untersuchung politischer Einstellungen als Standardfaktor miteinbezogen. Häufig lässt sich jedoch nur eine schwache bis gar keine Korrelation nachweisen (u. a. Fiorina 1978, Sears et al. 1980, Feldman 1984). Für dieses Phänomen findet auch Conover 1985 weiterführende Beweise. Es kann nachgewiesen werden, dass persönliche Interessen nur in geringem Maße mit Gruppeninteressen übereinstimmen. Persönliche Interessen waren aber nur in geringem Maß mit den logisch verbundenen Policy-Einstellungen korreliert. Gruppeninteressen wiesen hingegen einen signifikanten Zusammenhang auf (vgl. Conover 1985: 160 f.). Überindividuelle Faktoren setzten also den maßgeblichen Rahmen bei der Urteilsbildung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Studien, die die soziotropischen Auffassungen, also die persönliche Bewertung der aktuellen nationalen Wirtschaftslage, analysierten. Diese waren viel stärker mit Wahlausgängen und politischen Orientierungen korreliert als soziodemografische Variablen oder die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage (vgl. Kinder/Kiewiet 1979: 503). Lau und Heldman, deren Studie sich auf Einstellungen gegenüber Arbeitsmarkt- und Krankenversicherungs-Policies bezieht, kommen zu dem Ergebnis, dass sowohl ökonomisches Eigeninteresse als auch symbolische Überzeugungen, in ihrem Fall ideologische Grundhaltung (links-rechts-Selbsteinstufung, Parteiidentifikation), eine Rolle spielen. Ihr Ausgangspunkt, der schwache Einfluss von Eigeninteresse in älteren Studien, kann nur eingeschränkt erneut festgestellt werden. Dessen Einfluss schwankt stark zwischen verschiedenen Erhebungswellen, Überzeugungen haben jedoch durchgehend den größten Anteil an Varianzaufklärung (vgl. Lau/Heldman 2009: 522 f.). Im Falle der Einkommensvariable ergaben sich statistisch signifikante Ergebnisse. Ebenfalls kann ein Moderator-Effekt nachgewiesen werden, der beweist, dass der soziale Kontext zusätzlich eine verstärkende Wirkung auf den Effekt des individuellen Eigeninteresses hat. Also, dass Problemstellungen stärker in den Fokus der Befragten rücken, wenn das Umfeld betroffen ist (vgl. Lau/Heldman 2009: 529 ff.).

Speziell ökonomische Faktoren scheinen erst in Verbindung mit entsprechenden Rahmenbedingungen einen Einfluss auf individuelle Orientierungen auszuwirken. Die Schwierigkeiten von Bürgern, ihre eigene Lage auf das politische System zu beziehen und dementsprechend konsistente Einstellungen zu äußern, führte zur Überlegung, dass zusätzliche kontextuelle Faktoren existieren müssen, die Eigeninteresse in einen politischen Rahmen einbetten. So schreibt Feldman: „Self-interested economic voting may be substantial only during recessionary periods when the effects of economic conditions on people’s well-being are most apparent and pronounced. “ (Feldman 1984: 236).

Der Einfluss des sozialen Kontextes scheint also evident. Da Individuen aber immer Teil von unterschiedlichen Umfeldern und Gruppen sind, stellt sich die Frage, welches davon genau Einfluss auf Einstellungen auswirkt (vgl. Mondak et al. 1996: 249). Der individuelle und der nationale Kontext stellen zwei Pole dar, zwischen denen sich das Individuum bewegt. Der Zwischenraum stellt das Umfeld des Individuums dar, auf dem es interagiert und von dem es seine Wahrnehmungen bezieht. Es gilt also herauszufinden, ob der Bereich zwischen Mikro und Makro einen Einfluss auf Einstellungen hat (vgl. Mondak et al. 1996: 250). Wie anfangs erwähnt, müssen Objekte in der Umwelt eines Individuums politisiert werden, um einen Einfluss auf das Urteil zu bestimmten politischen Themen zu haben. Mondak et al. argumentieren hierzu, dass für den Einfluss eines überindividuellen Kontextes bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen. Dies ist zum einen Relevanz, die gesellschaftlich breit genug ist, um das Problem zu politisieren. Zum anderen ist es aber auch eine gewisse Verlässlichkeit, die dem Individuum zusichert, die Lage richtig zu erkennen, zu verstehen und einzustufen (vgl. Mondak et al. 253 f.). Die eigene oder familiäre Situation ist vertrauenswürdig, jedoch, wie häufige empirischen Ergebnisse zeigen, anscheinend nicht relevant in Bezug zu politischen Themen. Die Einordnung der eigenen finanziellen Situation in Bezug auf verschiedene politische Maßnahmen stellt sich schwieriger dar, als auf den ersten Blick vermutet. Dies wird zurückgeführt auf die Kostenkalkulation bei der Verarbeitung und Einordnung individueller soziodemografischer Gegebenheiten im Zusammenhang mit dem politischen System. Die nationale Lage und deren Bewertung hat empirisch einen großen Einfluss, scheint also relevant, jedoch sind wirtschaftliche Makrovariablen schwer zu verstehen und ein repräsentativer Überblick über den Zustand im ganzen Land scheint für ein Individuum unmöglich. Damit fehlen eindeutig das Vertrauen und die Verständlichkeit. Abfragen zur Bewertung der nationalen Lage selbst werden also wahrscheinlich schon von einem niedrigeren sozialen Level, also einem Kontext zwischen Individuum und Staat, beeinflusst (vgl. Mondak et al. 1996: 253). Nachbarschaften erfüllen die Anforderungen beider Kategorien. Sie stellen ein vertrauenswürdiges Umfeld dar mit einfach zu erreichenden und zu verarbeitenden Informationen über die finanzielle Lage der Mitmenschen und des Umfeldes im Allgemeinen. In einem Kontext, der über geografische Nähe definiert ist, scheint soziale Interaktion unumgänglich. Selbst wenn diese jedoch nicht aktiv stattfindet, kann der reine Eindruck davon, wie es um die Nachbarschaft materiell bestellt ist einen Einfluss auswirken, also rein über passive Wahrnehmung. Wie o. g. kann der Eindruck des Umfeldes die eigene Situation widerspiegeln und damit weiter in den Fokus rücken, aber auch widersprechen und das eigene Bild damit ändern, wenn die Unterschiede entsprechend offensichtlich sind (vgl. Mondak et al. 1996: 250 ff.). Falls ein wohlhabender Bürger in einem Umfeld lebt, in dem der durchschnittliche Bewohner unter Deprivation leidet, ist es unwahrscheinlich, dass beim Betroffenen ein positiver Eindruck der wirtschaftlichen Lage entsteht. Es wird also angenommen, dass Orientierungen zur Wirtschaftspolitik verschlechtert werden, obwohl das Individuum selbst eigentlich in privilegierten Verhältnissen lebt. Genauer gesagt, kann ein gewisses soziales Klima auf alle Involvierten wirken, unabhängig davon, ob sie selbst von den vorherrschenden Verhältnissen betroffen sind. Selbst wenn keine Gruppenidentifikation, wie sie Campbell beschreibt, vorliegt, kann dies über die reine Wahrnehmung des Umfeldes bewirkt werden, wenn man davon ausgeht, dass die eigene Lage eine untergeordnete Rolle bei der Herausbildung von Einstellungen spielt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein geografisch definierter Kontext wie das Wohnumfeld als vertrauenswürdiges Kollektiv wahrgenommen werden können. Außerdem bietet das Zusammenleben mit voneinander unabhängigen Personen genug Potenzial für Verallgemeinerung, um bestimmte Zustände als abhängig von politischen Entscheidungen zu gelten. Dies gilt besonders für ökonomische Faktoren (vgl. Mondak et al. 1996: 253 f.).

Sozialer Kontext in Form der geografischen Einheit der Nachbarschaft, hat also das Potenzial, den Referenzrahmen für Urteile bei bestimmten Orientierungen darzustellen. Bei Policy-Einstellungen funktioniert dieser Mechanismus speziell über die Evaluation der materiellen Situation im Umfeld aufgrund der Möglichkeit der Verallgemeinerung bei gleichzeitiger Vertrauenswürdigkeit der Wahrnehmung.

2.2 Individual-Prädiktoren und Policy-Einstellungen

Im Folgenden werden die o. g. persönlichen Dimensionen Affekt und Überzeugungen ausgeführt. Außerdem wird der Einfluss des Eigeninteresses mit dem Spezialfall der Erfahrungen thematisiert. Den Ursprung in der Persönlichkeit haben Affekt und Überzeugungen. Aufgrund des Policy-Fokus bezieht sich Überzeugung hier auf die politische Grundeinstellung bzw. die Ideologie der Befragten. Die affektive Dimension zielt wiederum auf die Grundhaltung gegenüber Einwanderern und allgemeiner Ausländern ab, was logisch mit dem Thema Asyl verknüpft ist. Soziale Faktoren, die außerhalb der Persönlichkeit ihren Ursprung haben, sind Eigeninteresse und Erfahrungen. Diese sind demnach externe Merkmale, die erst vom Individuum gedeutet werden und im Nachhinein einen evaluativen Bestandteil des Urteils über Policy-Maßnahmen darstellen.

2.2.1 Persönlichkeitsfaktoren

Affekt und Überzeugungen sind maßgebliche interne Komponenten bei der Herausbildung von Einstellungen. Intern insofern, als dass sie mentale Kategorien der Individuen widerspiegeln, im Gegensatz zu externen Umweltfaktoren oder soziodemografischen Eigenschaften. Individuelle Orientierungen können demnach von einem dieser beiden Dimensionen geleitet sein, sie stehen jedoch kausal hinter dem endgültigen Urteil über ein spezifisches Objekt. Zusätzlich stehen beide in einem reziproken Verhältnis, beeinflussen sich also gegenseitig und sind damit auch instabil bzw. veränderbar. Zusätzlich kommt externen Faktoren eine Bedeutung zu, bei bspw. dem Hervorrufen von Affekt, aber auch bei der Herausbildung bzw. Veränderung von Einstellungen wie bspw. durch das soziale Umfeld (vgl. Abarracín et al. 2005: 5 ff.). Insbesondere Affekt und Überzeugungen stellten sich in der Vergangenheit als wichtiger Erklärungsfaktor politischer Orientierungen heraus (u. a. Kinder/Kiwiet 1979, Gatlin et al. 1979, Feldman 1984, Egan/Mullin 2012). Sniderman et al. befinden, dass die Bewertung von Policies in tiefer liegende Gefühle und grundlegende politische Orientierungen, über alle Bildungsschichten hinweg, eingebettet ist (vgl. Sniderman et al. 1991: 68).

Affekt

Die empirischen Ergebnisse von Sniderman et al. zeigen, dass die meisten Individuen dazu in der Lage sind, Urteile über Policies zu fällen, auch ohne spezifisches Wissen über Politik im allgemeinen oder die einzelnen Sachverhalte. Dies trifft besonders dann zu, wenn die Policies eine große Gruppe an Menschen betreffen. Dies wird hauptsächlich auf Affekt zurückgeführt und betrifft zu einem überdurchschnittlich großen Anteil niedrig Gebildete. Auch bei höheren Bildungsschichten bleibt Affekt aber ein maßgeblicher Erklärungsfaktor (vgl. Sniderman et al. 1991: 68 f.). Spezifische affektive Tendenzen, wie bspw. Vorurteile gegenüber anderen Ethnien, werden durch Konditionierung während der Sozialisationsphase herausgebildet. Bei Kontakt mit verschiedenen Problemfeldern im späteren Verlauf des Lebens dienen diese dann als Referenzpunkt bei der Urteilsbildung. Es handelt sich um spontane Reaktionen, die ohne Denkaufwand bzw. Abwägung bei Konfrontation mit logisch konnotierten Objekten getroffen werden (vgl. Sears et al 1980: 671 ff.).

Affekt wird in der Literatur unterschieden in die Kategorien „unbewusst“ und „bewusst“. Erstere bezieht sich auf unterschwelligen Kontakt mit einem bestimmten Stimulus, der dann zu einem späteren Zeitpunkt besser oder schlechter bewertet wird als zu einem früheren Zeitpunkt ohne den entsprechenden Kontakt. Dies geschieht ohne dass dem Befragten klar ist, dass dieser Kontakt überhaupt stattfand. Letztere ist die Reaktion auf einen klar erkennbaren und bekannten Stimulus (vgl. Schimmack/Crites: 2005: 397 f.). Probanden, die unterschwellig in Kontakt kamen mit negativen ethnischen Stereotypen, gaben in der Folge negativere Einstellungen gegenüber entsprechenden Personen wieder als Probanden, denen diese Vorschau der Stereotype vorenthalten wurden (vgl. Schimmack/Crites 2005: 399 f.).

Genau wie Einstellungen äußert sich auch Affekt in einer Art Bewertung. Die beobachtbare Dimension beider Konzepte beschränkt sich auf Zustimmung bzw. Ablehnung bestimmter Objekte. Beide Konzepte sind damit prinzipiell schwer voneinander zu unterscheiden. Dennoch ist die Unterscheidung wichtig, insbesondere methodologisch, um genaue Hintergründe zu erforschen. Es muss also, anders als bei den restlichen Determinanten, eine theoretische Abgrenzung erfolgen, um die Behandlung von Einstellung als abhängige und Affekt als unabhängige Variable zu begründen.

Bei affektiven Haltungen bilden emotionale Stimmungszustände das Fundament, während Einstellungen informationsbezogen sind. Affekt beschreibt innere Impulse oder diffuse Standpunkte gegenüber Objekten und ist insofern unterscheidbar von Einstellungen, die einen eindeutigeren Grad an Unterstützung bzw. eindeutigere Begründbarkeit vorweisen (vgl. Abarracín et al. 2005: 4 f.) Zur Verdeutlichung der Unterscheidung und Kausalkette wird ein Beispiel in direkter Bezugnahme zur Operationalisierung der beiden Konstrukte vorausgenommen. Zum einen ein Item, mit dem Affekt gemessen wird: „16.b) Einwanderer stellen eine Bedrohung unserer Kultur dar.“ Die Stellungnahme zu diesem Statement spiegelt eine Gefühlslage wider, in diesem Fall die Besorgnis darüber, dass die eigene Kultur auf irgendeine Weise bedroht wird. Diese Angst äußert sich wie bei Einstellungen stimulusgeleitet, also wenn der Befragte an den Zustand des ihm gängigen Kulturbegriffs denkt und in Verbindung mit Zuwanderern diesen als gefährdet betrachtet. Selbige bedrohliche Gefühle werden wohl ausgelöst, wenn Befragte, die diesem Item zustimmen, in ihrer Umwelt mit visible minorities oder Flüchtlingsunterkünften konfrontiert sind. Im Gegensatz dazu Policy-Einstellungs-Item „17.c) Während der Prüfung der Asylanträge sollte der deutsche Staat die Asylbewerber finanziell unterstützen.“ Dieses Statement bezieht sich auf eine konkrete Form von Policy und ist damit konkret informationsbezogen im Gegensatz zur diffusen Natur des Affekt-Items. Die Einstellung kann vom positiven oder negativen Affekt beeinflusst werden, neben grundlegenden Gefühlslagen aber auch andere Informationen miteinbeziehen. Das Urteil ist demnach das Ergebnis der o. g. Dimensionen und keine alleinige emotionale Reaktion auf einen Stimulus. Folglich kann Affekt Orientierungen beeinflussen, geht jedoch kausal voran.

Ideologie

Der Begriff Überzeugung oder englisch „Belief“ umfasst prinzipiell eine Reihe an Faktoren, zur Vereinfachung wird er jedoch eingeschränkt. Aufgrund des spezifischen Bezuges zu einem politischen Objekt wird diese Dimension direkt mit der Variablen Ideologie konzeptualisiert. Ideologie (hier auch: politische Grundeinstellung/-haltung; zur Vereinfachung begrifflich gleichgesetzt) ist eine „[..] in der primären Sozialisation erworbene Grundsatzposition mit universellem Geltungsanspruch.“. (Vgl. Roller 1992: 50) Damit ist diese, genau wie Affekt, ein Faktor, der der individuellen Persönlichkeit entspringt. Ideologie stellt einen Rahmen an Normen dar speziell zur Bewertung von politischen Objekten (u. a. Nationalismus, links-rechts/liberal-konservativ) (vgl. Roller 1992: 49). Die Ideologie stellt damit einen Überbau dar, aus dem sich Einstellungen gegenüber spezifischen Policies ableiten lassen. Von Personen, die sich selbst in ein bestimmtes Spektrum auf der politischen Landkarte einordnen, wird erwartet, dass sie diese Grundüberzeugung und deren Richtlinien dazu benutzen, über speziellere Probleme zu entscheiden. Bei Ideologie kann man von einem metaphorischen inneren Kompass sprechen, der gewisse Normen und Standards vorgibt, anhand derer Probleme einzuordnen sind. Damit ist Ideologie weniger ein Gefühlskonstrukt als Affekt und gibt konkrete Rahmenbedingungen vor.

Trotz des eindeutigen politischen Bezugs ist Ideologie anfällig für Beeinflussung durch die affektive Dimension. Wenn bspw. eine Minderheit von Bedürftigkeit betroffen ist, stellt sich für konfrontierte Individuen die Frage, woher die Bedürftigkeit kommt. Je nachdem, ob das Individuum die Antwort dieser Frage auf externe Umweltfaktoren oder interne Persönlichkeitsfaktoren zurückführt, fällt im Endeffekt die Verbindung zwischen allgemeiner Haltung und spezieller Policy aus. Demnach wird selbst ein Individuum, welches generell Assistenz durch die Regierung zustimmt (Ideologie), der spezifischen Assistenz-Policy nicht zugetan sein, wenn es den Ursprung der Bedürftigkeit bei den einzelnen Mitgliedern einer Gruppe selbst sieht (Affekt) (vgl. Sniderman et al. 1991: 72 f.). „Einem stolpernden Mann in der U-Bahn wird eher Mitleid und Hilfe zuteil, wenn er für alt oder krank gehalten wird, als wenn er als betrunken gilt.“ (Sniderman et al. 1991: 73). Dies führt zur Erkenntnis, dass selbst grundlegende politische Überzeugungen von affektiven Haltungen als Referenzrahmen überschattet werden können. Weitere Ergebnisse von Sniderman et al. zeigen, dass je gebildeter ein Individuum ist, desto eher sieht es die Existenz dieser allgemeinen Einstellungsdimensionen und unterscheidet bzw. integriert diese ineinander. Speziell ideologische Orientierungen in den Meinungsbildungsprozess miteinzubeziehen, ist bei höher gebildeten wahrscheinlicher als bei gering gebildeten Personen (vgl. Sniderman et al. 1991: 60 f.). Ideologie unterliegt demnach Sozialisationsprozessen, speziell durch den Bildungsweg.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Kausalmodell Persönlichkeitsfaktoren

Kurzum ergeben sich für die Persönlichkeitsfaktoren folgende vereinfachte Kausalmodelle:

Quelle: Sniderman et al. 1991: 74

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Vereinfachtes Kausalmodell Persönlichkeitsfaktoren

[...]

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Einstellungen zur Asylpolitik in Stuttgart
Untertitel
Mehrebenenanalyse zum Einfluss des sozialen Kontexts auf individuelle Orientierungen
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
65
Katalognummer
V379699
ISBN (eBook)
9783668571563
ISBN (Buch)
9783668571570
Dateigröße
1328 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Inklusive R-Code für Rechnungen, Karten, Schaubilder. Der verwendete Datensatz ist Ergebnis des EFIS-Projekts der Universität Stuttgart (http://www.uni-stuttgart.de/soz/avps/efis/).
Schlagworte
Multilevel-Analysis, Asylpolitik, Einstellungsforschung, Nachbarschaftseffekt, quantitative Datenanalyse, Mehrebenenregression, spatial Demography, sozialer Kontext, Einstellungen, Kontexteffekt
Arbeit zitieren
Björn Poerschke (Autor:in), 2017, Einstellungen zur Asylpolitik in Stuttgart, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379699

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Einstellungen zur Asylpolitik in Stuttgart



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden