Goethes Naturbild in Verbindung mit der Liebe. Eine Analyse der Gedichte "Mailied" und "Ganymed"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Maifest
2.1.1 Entstehungsrahmen
2.1.2 Metrik und Inhalt
2.1.3 Interpretation und Analyse „Maifest“
2.2 Ganymed
2.2.1 Entstehungsrahmen
2.2.2 Metrik und Inhalt
2.2.3 Analyse und Interpretation „Ganymed“
2.2.4.Ganymed - Bezug zur griechischen Mythologie

3. Maifest und Ganymed im Vergleich

4. Goethe und der Pantheismus

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Goethes Lyrik ist, im Einzelnen wie als Ganzes, Gegenstand unübersehbar vieler Deutungen.

„Denn kaum ein anderer Lyriker lädt so offen zur Betrachtung seiner empirischen Zustände und Verhältnisse ein.“[1] Befasst man sich eingehend mit Goethe, seinen Werken, seinem Leben und seinen Interessen, so wird schnell deutlich, dass sich Goethe intensiv mit der Naturwissenschaft auseinander gesetzt hat. So schreibt er selbst 1827 in einem Brief an seinen Freund Eckermann:

„I ch habe mich in den Naturwissenschaften ziemlich nach allen Seiten hin versucht, jedoch gingen meine Richtungen immer nur auf solche Gegenstände, die mich irdisch umgaben und die unmittelbar durch die Sinne wahrgenommen werden konnten. (Goethe 1827)“[2]

Goethe machte die Themen Natur und auch die Liebe zu bevorzugten Sujets, Naturbildlichkeit und Gefühlssprache prägen seinen poetischen Wortschatz. Zusätzlich sieht er sich als Vermittler zwischen Natur und dem Menschen und ist der Auffassung, dass der Mensch sich nur selbst erkennen kann, wenn er die Natur erkennt. Somit stellt der Mensch bei Goethe einen integrierten Bestandteil der Natur dar.

Den Gegenstand dieser Arbeit bilden die motivähnlichen Gedichte „Mailied“ (1771) und „Ganymed“ (1774), welche von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) in seinen jungen Jahren verfasst worden sind. Das Hauptaugenmerk soll hierbei auf die Darstellung der Natur und der Liebe gelegt werden. Im Mailied festigt sich die Zusammenkunft von Gott, Liebe und Natur und kreiert eine unzerstörbare Einheit. Zudem steht die Natur im Einklang mit dem lyrischen Subjekt und scheint sich gerade durch dieses erst verwirklichen zu können. Somit beherrscht nach Goethe das Gesetz tiefster und unaufhebbarer Wechselwirkung und fruchtbarster Gegenseitigkeit das Verhältnis von Mensch und Natur. Auch in der Ganymed Ode erfährt das lyrische Ich seine höchste Steigerung in der bedingungslosen Hingabe an das natürliche Allleben und geht letztlich in das göttliche Ganze des Pantheismus über.

2. Hauptteil

2.1 Maifest

2.1.1 Entstehungsrahmen

Das Gedicht „Maifest“[3], welches wahrscheinlich 1771 verfasst und 1775 veröffentlicht wurde, stellt den Höhepunkt der Sensenheimer Lyrik dar und enthält autobiographische Züge, da hier wohl das „jubelnde Bekenntnis der Liebe zu Friederike“[4], mit welcher er zu jener Zeit eine intensive Liebesbeziehung pflegte, Anlass für das Verfassen dieses Gedichts gab. 1789 wurde der Titel von „Maifest“ zu „Mailied“ umbenannt, der Inhalt bleibt jedoch unverändert.

Themen des Gedichts sind die innere Harmonie des lyrischen Ichs und der Welt, sowie das eins werden mit der Natur.

2.1.2 Metrik und Inhalt

Das Gedicht besteht aus neun Strophen mit je vier Versen. Das Versmaß wechselt zwischen zweihebigem Jambus in den Verszeilen eins, drei und vier und einem zweihebigen Trochäus im zweiten Vers. Die Kurzverse bestehend aus den zwei Haupthebungen, besitzen je zwei Verse, die klanglich zusammentreten, als wären es „Halbverse von Langzeilen“.[5] Das Reimschema der Strophen ist „abcb“. Das Gedicht kann in drei Teile gegliedert werden. In den ersten drei Strophen geht das lyrische Ich auf die Natur ein, diese wird gelobt und gepriesen. In den Strophen vier und fünf wird die Liebe thematisiert und ausgeschmückt. Die folgenden Strophen sechs bis neun handeln von der gegenseitigen Liebe zweier Subjekte. In allen Strophen schwingt ein Ton der Freude und der Feier in der rhythmischen Bewegung mit. Apostrophe, Anaphern und Ausrufe verstärken den rhythmischen Aufschwung, hier wird eine „sonnenglänzende Natur“[6] gefeiert. Das lyrische Ich besingt feierlich die Natur und die Liebe. Bernhard Sorg beschreibt Form und Inhalt des Maifests sehr treffend: „Der hinreißende Schwung, die atemlos sich vorantreibende Satzmelodie, die bei äußerster Kürze und konkreter Prägnanz doch den Eindruck des untrennbar verbundenen macht, lassen es inadäquat wirken, wenn sich der sezierende Kunstverstand der Emanation des Lebens und der Liebe bemächtigt.“[7]

2.1.3 Interpretation und Analyse „Maifest“

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

Mit dem beginnenden Ausruf des lyrischen Ichs in den ersten beiden Versen wird die Begeisterung über die leuchtende Natur zum Ausdruck gebracht. Dass die Natur leuchtet, wäre schon für sich eine starke Zuweisung von der Bedeutung und Kraft der Natur, aber sie leuchtet dem lyrischen Ich, „leuchtet für und durch ihn.“[8] Diese Annahme wird dadurch verstärkt, dass das lyrische Ich im zweiten Vers mit dem Wort „Mir“ als Auftakt als einziger Vers betont beginnt. Die restlichen Verse beginnen unbetont. Somit wird das empfindende Subjekt bereits hier zum Mittelpunkt gemacht. Die Worte der vier Verse sind kurz, fast sparsam aneinandergereiht und wirken dadurch umso expressiver. Es wird kein konkretes Bild einer Landschaft dargestellt, sondern kosmische Naturweise im Spannungsbogen von „glänzender Sonne und lachender Flur.“[9] Gerade durch den Verzicht auf Ausschmückungen, laden diese abstrakten Naturbegriffe den Leser emotional auf, die simple Nennung steigert die Gefühlsintensität enorm. Durch die Sonne am Himmel und die Flur am Boden, welche mit den positiven Adjektiven „glänzt“ (V.3) und „lacht“ (V.4) assoziiert werden, entsteht das Bild einer allumfassenden und allgegenwärtigen Natur.

Es dringen Blüten

Aus jedem Zweig

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch

Sowohl das wachsen der Blüten als auch die Stimmen, die hier vernommen werden, werden hier mit demselben Verb „dringen“ (V.1) assoziiert, wodurch eine Verbindung von Natur und Mensch entsteht. Das lyrische Ich stellt seine Wahrnehmungen der Natur als Betrachter dar. Die Natur drängt zur Blüte, und dringt in die Glücksempfindung des Ichs, dessen Sprachfluss die Strophengrenze überbordet, durch das Enjambement und elliptisch wirkenden Strophenbeginn werden „Frühlingskraft und selbstgewisses Glücksgefühl“[10] vermischt. Hier gerät die Ich-Bezogenheit aber bereits in den Hintergrund und viele „Stimmen“ scheinen Anteil an der Natur zu haben, wodurch zum ersten Mal eine gewisse Erotik aufkommt, wenn man sich die vielen Menschen, die sich tuschelnd im Gebüsch verstecken verbildlicht.

Und Freud und Wonne

Aus jeder Brust

O Erd, o Sonne!

O Glück, o Lust!

In der dritten Strophe ist eine „Verwandlung“[11] zu erkennen. Das Subjekt, welches zuvor die bloßen rationalen Wahrnehmungen geschildert hat ist nun durch seine überquellende Lebensfreude zum Miterleben angeregt. Durch die Anapher und den Parallelismus „O Erd, o Sonne“ (V.3) wird der Kontext der Religion thematisiert. Der angerufene Gott steht über den Menschen und greift die Natureinheit von unten (Erd) und oben (Sonne) erneut auf. Somit wird die Natur zur Gottheit. In dem letzten Vers der Strophe wird wieder die Thematik der Erotik aufgegriffen. Es scheint als würde diese unendliche Vereinigung der Natur mit dem Subjekt eine innere Lust (V.4) hervorrufen. Ob diese aufkommende Lust auf die Natur an sich oder auf ein anderes Subjekt bezogen ist, bleibt zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt.

O Lieb', O Liebe!

So golden schön,

Wie Morgenwolken

Auf jenen Höhn!

Mit dem erneuten Ausruf „O“ wird hier der Höhepunkt der Euphorie gebildet, durch das „parallel gebaute anaphorische Trikolon“[12] ( O Erd, o Sonne! O Glück, o Lust! O Lieb’, o Liebe). Durch diese Ausrufe wird die Natur als etwas Übermenschliches charakterisiert, etwas Allgegenwärtiges, welches hier mit der Empfindung der Liebe vereint wird. Durch das Empfinden in und durch die Natur wird die Liebe scheinbar ganz automatisch hervorgerufen. Die Liebe erscheint als Lebensspenderin, welche die in den ersten Strophen beschworene Frühlingsnatur als Kosmische Kraft gleichsam erweckt hat, Seele des Naturschaffens ist. Liebe wird so zur Kraft, in der das Subjekt sich als Naturwesen, die Natur sich als beseelt erfährt.[13] „So golden schön“ kann hier sowohl auf die Liebe, als auch auf die Natur bezogen sein, womit wieder eine fesselnde und scheinbar unzerstörbare Einheit zwischen Liebe und Natur entsteht, welche durch die Beschreibung der Farbe „golden“ das Schönste und Wertvollste der Welt darstellen.

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

Die volle Welt

Hatten die Morgenwolken und die Liebe einander durchdrungen, so scheint die Liebe nun mit den Morgenwolken beinahe identisch zu sein: sie segnet von oben herab. Nicht zu übersehen ist hier der Bezug zum Göttlichen, durch das Verb „segnest“ (V.17), womit die Liebe mit dem Göttlichen auf eine Ebene gehoben wird. Bereits zum zweiten Mal wird hier das Attribut „herrlich“ aufgegriffen. Schon in der ersten Strophe wurde die Natur als herrlich leuchtend (V.1) bezeichnet – just segnet die Liebe herrlich (V.17). Somit entsteht abermals eine Verschmelzung der Liebe und der Natur. Durch dieses Bündnis entwickelt sich eine solch irdische Heiterkeit, eine solche Zuversicht, ein solcher Mut allein durch das eigene Gefühl und einem schönen Frühlingstag.[14] Ebenso signifikant ist hier die erstmalige Konkretisierung der Liebe mit dem Wort „Du“, wodurch eine gewisse Lokalisierung, wenn auch nicht explizit beschrieben, erreicht wird. Durch die teilweise syntaktische Auflösung der Zeilen drei und vier gewinnt das Objekt der Liebe einen „schwebenden Subjektcharakter“.[15]

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb' ich dich!

Wie blinkt dein Auge!

Wie liebst du mich!

Wie bereits in der kurzen Inhaltsangabe zu Beginn angedeutet, beginnt mit der sechsten Strophe ein neuer Abschnitt, in welchem erstmals die wechselseitige Liebe des lyrischen Ichs und einem Mädchen beschrieben wird. „Die Liebe konkretisiert sich zur und in der Geliebten, das Gegenüber wird personalisiert, wird geliebte Person.“[16] Die Liebe wird als eine Art Weltkraft beschrieben, die gleichzeitig die Welt draußen, als auch die Welt im Inneren des Individuums bewegt und damit Inneres und Äußeres verbindet. Auffällig sind hier die 3 Wie-Vergleiche, die die Liebe beschreiben, wie bereits schon am Anfang des Gedichts die Natur ebenfalls mit 3 Vergleichen durch identische Satzanfänge begonnen werden. Mit dieser Wiederaufnahme wird der Bogen gespannt von der Naturliebe zur Subjektliebe. Die Natur wurde anfangs mit „leuchtend“ und die Liebe zum Mädchen nun mit einem ähnlichen Terminus „blickend“ charakterisiert. Hier verweist das „blinkende“ Auge auf die Leuchtkraft der Natur, somit wird „eine Analogie zwischen Fauna, Flora und Mensch gezogen.“[17]

So liebt die Lerche

Gesang und Lust

Und Morgenblumen

den Himmelsduft

Es folgt ein weiterer Vergleich; wie in der vorherigen Strophe das lyrische Ich das Mädchen liebt, so wird hier „die Liebe der Lerche zu Gesang und Lust und die Liebe der Morgenblumen zum Himmelsduft beschrieben.“[18] Es entsteht also aufs Neue die Verschmelzung von Liebe und Natur.

Wie ich dich liebe

Mit warmen Blut,

Die du mir Jugend

Und Freud' und Muth

Zu neuen Liedern

und Tänzen gibst.

Sei ewig glücklich,

Wie du mich liebst!

[...]


[1] Sorg, Bernhard, Das lyrische Ich: Untersuchungen zu deutschen Gedichten von Gryphius bis Benn. Tübingen 1984. S.52

[2] Oeser, Hans Ludwig, Gott Welt Natur – Gespräche mit Goethe. Stuttgart 1950. S.88

[3] Goethe, Wolfgang von, Goethes ausgewählte Werke in zwölf Bänden. Stuttgart 1891

[4] Pietzcker, Carl, Goethe: „Mailied“ in: Zum jungen Goethe. Hrsg. von Wilhelm Große. Stuttgart 1982. S.49

[5] Spiel, Hilde, Das kosmische der Liebe in: Johann Wolfgang von Goethe. Verweile doch. 111 Gedichte mit Interpretationen. Hrsg. von Marcel-Reich-Ranicki, 2. Auflage. Frankfurt 1992. S.44-45

[6] Gnüg, Hiltrud, Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. Stuttgart 1983.S.72

[7] Sorg, B. Das lyrische Ich. S. 58

[8] Sorg, B., Das lyrische Ich. S.58

[9] Gnüg, H., Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. S.73

[10] Gnüg, H., Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. S.74

[11] Müller, Peter, Zwei Sensenheimer Gedichte Goethes. Zur Interpretation von Willkommen und Abschied und Mayfest. Weimar 1973. S.34

[12] Pietzcker, C., Goethe: „Mailied“. S.52

[13] Vgl. Gnüg, H., Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. S.75

[14] Vgl. Spiel, H., Das kosmische der Liebe. S.44

[15] Pietzcker, C., Goethe: „Mailied“ S.54

[16] Sorg, B., Das lyrische Ich. S.58

[17] Pietzcker, C., Goethe: „Mailied“ S.54

[18] Vgl. Wünsch, Marianne, Der Strukturwandel in der Lyrik Goethes: die systemimmanente Relation der Kategorien „Literatur“ und „Realitaet“; Probleme und Lösungen. Stuttgart 1975 S.152

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Goethes Naturbild in Verbindung mit der Liebe. Eine Analyse der Gedichte "Mailied" und "Ganymed"
Hochschule
Universität Stuttgart  (Neue Deutsche Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
21
Katalognummer
V383035
ISBN (eBook)
9783668586321
ISBN (Buch)
9783668586338
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mailied, Ganymed, Goethe, Pantheismus, Natur, Liebe
Arbeit zitieren
Kira Fetter (Autor:in), 2016, Goethes Naturbild in Verbindung mit der Liebe. Eine Analyse der Gedichte "Mailied" und "Ganymed", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383035

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