Leseprobe
Sachtextanalyse
Der Artikel „Plädoyer für die erste Fremdsprache – die eigene“, geschrieben von Adolf Muschg thematisiert die Vorteile von Fremdsprachenunterricht, sowie Folgen für die Muttersprache und die Bedeutung von Sprache in Europa allgemein.
Adolf Muschg vertritt die Meinung, dass das Erlernen einer Fremdsprache zwar Vorteile bietet, aber das dadurch die Muttersprache zu stiefmütterlich behandelt wird. Außerdem lehnt er den Fremdsprachenunterricht aus rein wirtschaftlichen Zwecken ab und fordert eine nähere Auseinandersetzung mit Sprache und ihrer Funktion als Kulturträger.
Inhaltlich lässt sich der Artikel in vier Sinnabschnitte gliedern. Der erste Abschnitt (Z. 1-12) thematisiert Muschgs ersten Kontakt mit Sprache in seiner Kindheit, als er erkennt, dass Sprache auch eine trennende und ausgrenzende Funktion hat und dass damit auch die Frage nach Identität verbunden ist.
Der zweite Abschnitt (Z. 13-64) handelt von dem momentanen Verständnis von Sprache ein Europa und dem damit zusammenhängenden Ziel von Fremdsprachenunterricht. Muschg sagt, dass Sprache auch mit Geschichte und Identität verbunden ist. In Europa verliert Sprache als Kulturträger allerdings immer mehr an Wert. Viel wichtiger ist der Wettbewerbsvorteil, den eine Sprache den Menschen in der Wirtschaft verschafft. Darauf wird Sprache reduziert, sodass die Kultur hinter einer Sprache in den Hintergrund rückt, wie beispielsweise beim Englisch.
Im dritten Abschnitt (Z. 65-92) geht Muschg dann näher auf einen Fremdsprachenunterricht ein, der nicht nur ein praktisches Ziel verfolgt, sondern auch auf kulturellen Nutzen ausgerichtet ist. So ein Fremdsprachenunterricht hat auch mit dem Umgang mit der eigenen Sprache zu tun, denn auch die Muttersprache ist nicht als etwas selbstverständliches anzusehen. In diesem Zusammenhang geht Muschg auf die Sprachentwicklung in der Schweiz ein und bezieht sich dabei auf die Folgen eines reduzierten Sprachgebrauchs.
Im vierten Abschnitt (Z.93-145) thematisiert Muschg einen Umgang mit Sprache, der seiner Meinung nach wichtig und auch nutzbringend für Europa ist. Er geht dabei auf die Bedeutung der eigenen Sprache ein und bezieht sich auch auf das Verständnis von anderen Sprachen in Europa. Außerdem nennt er, wie sich der Umgang mit Sprache verändern müsste, wenn Europa politisch vereinigter werden soll. Er geht dabei vor allem auf ein aufmerksames Verhältnis mit der eigenen Sprache ein und die Funktion der Sprache als Vermittler von Kultur und Identität.
Um seine Position deutlich zu machen nutzt Muschg eine ausgearbeitete Argumentationsstruktur und stützt seine Argumente durch sprachliche Mittel.
Zunächst beginnt Muschg seinen Artikel mit einer Einleitung, die bei dem Leser das Interesse wecken soll. Dafür nutzt er seine eigenen Kindheitserinnerungen und schildert seine ersten Begegnungen mit Sprache (vgl. Z.1-8). Er geht vor allem auf die ausgrenzende Funktion von Sprache ein, indem er deutlich macht, dass seine Eltern oft Französisch gesprochen haben, wenn er es nicht verstehen sollte (vgl. Z.1-3). Daraufhin hat Muschg dann mit seinen Freunden eine Geheimsprache entwickelt, die niemand sonst verstehen konnte (vgl. Z.3f.). Damit will Muschg den Lesern verdeutlichen, wie schnell Sprache zu „exklusive[r] Kommunikation“ (Z.6) werden kann. Das soll den Leser zum Nachdenken anregen und möglicherweise auch dafür sorgen, dass der Leser sich mit Muschg identifizieren kann, wenn er ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Danach stellt Muschg drei übergeordnete Thesen auf. Seine erste These ist, dass das momentane Verständnis von Sprache in Europa meist verkürzt oder sogar falsch ist (vgl. Z.27ff.). Er argumentiert damit, dass Sprache als Vermittler von Kultur immer mehr an Wert verliert (vgl. Z.28). An dieser Stelle nutzt Muschg eine Leserlenkung, indem er schreibt „dem muss auffallen“ (Z.27). Dadurch stellt er seine Aussage über den Wertverlust von Sprache als Kulturträger als selbstverständlich dar. Das sorgt dafür, dass die Leser auf die Aussage aufmerksam gemacht werden. Außerdem klingt es fast wie eine Befehlsform, wodruch der Leser aufgefordert wird, seine Meinung zu übernehmen.
Darüber hinaus erklärt Muschg, dass an eine Sprache auch immer eine Geschichte und eine Identität gebunden ist (vgl. Z.18f.), was es für ihn noch schlimmer macht, wenn Sprache als Kultur- und Identitätsträger in den Hintergrund gerät. Das verdeutlicht er auch mit seiner Wortwahl in diesem Abschnitt, beispielsweise beschreibt er Sprache als „delikates Gut“ (Z.19). Das hebt hervor wie zerbrechlich und zart die Sprache ist und dass man sie vorsichtig und behutsam behandeln muss. Muschg stellt die Sprache also als etwas besonderes und etwas wertvolles dar und er plädiert für einen achtsamen Umgang mit ihr. Außerdem erläutert Muschg, dass Sprache der „Kern der Bildung Europas“ (Z.26) sei. Damit macht er deutlich, dass Bildung auf der Sprache basiert und er misst ihr viel mehr Bedeutung zu. Muschg stellt die Sprache als einen zentralen und wichtigen Punkt der Bildung dar und kritisiert damit, dass Sprache als Kulturträger an Wert verliert und dass man das nicht zulassen dürfe, aufgrund der Bedeutung der Sprache für die Bildung und die Identität.
Das verdeutlicht Muschg direkt zu Anfang seines Artikels mit dem Beispiel aus seiner Kindheit (vgl. Z.9ff.). Denn „Identität hat immer auch mit Ab- und Ausgrenzung zu tun“ (Z. 9f.), sagt Muschg und bezieht sich damit auf seine Eltern, die sich auf Französisch unterhalten haben, sodass er nichts verstehen konnte oder die Geheimschrift, die er sich mit seinen Freunden ausdachte und die niemand anderes verstehen konnte (vgl. Z.1-4). Mit diesem Beispiel will Muschg also verdeutlichen, dass seine Kindheitserinnerung seine Identität ausmachen und auch zu seiner Geschichte gehören. Umso schlimmer ist es dann, wenn die Vermittlung von Identität und Kultur durch die Sprache von den Menschen in Europa vernachlässigt wird.
Sein zweites Argument zur These, dass Sprache in Europa falsch verstanden wird, ist dass nur noch der ökonomische Zweck an der Sprache gesehen wird (vgl. Z.28ff.). Man reduziert laut Muschg die Sprache auf den Wettbewerbsvorteil den sie bietet und man möchte die Sprache „möglichst widerspruchsfrei […] für einen bestimmten Informationsaustausch“(Z.30f.) nutzen können. Um das zu Erreichen ignoriert man den Eigensinn, den eine Sprache mit sich bringt. Muschg kritisiert, dass der Eigensinn „als entbehrliche Komplikation [erscheint]“ (Z.33) und stellt damit seine Meinung gegen die Europas. Für Muschg ist der Eigensinn der Sprache nämlich das, was Sprache ausmacht und man sollte sie nicht kürzen, da sonst nicht alle Facetten wahrgenommen werden können.
Um sein Argument zu stützen, nutzt Muschg zusätzlich eine Beispiel, in dem er erläutert, dass der Fremdsprachenunterricht heute nur noch ein „praktisches Ziel [verfolgt]“ (Z. 41f.): der Lernende soll sich für den Markt qualifizieren und den Wettbewerbsvorteil der Fremdsprache nutzen (vgl. Z.42ff.). Muschg wertet diese Ansicht ab und kritisiert, dass man nur noch an die Zweckmäßigkeit einer Sprache denkt. Er bezieht sich dabei besonders auf das Englische, welches von so vielen Menschen weltweit erlernt wird, sodass es kaum noch als eine Fremdsprache angesehen werden kann (vgl. Z.45ff.). In diesem Zusammenhang verwendet er Wörter wie „Life Style“ (Z.50), „Events“ (Z.50) und „Werkzeug (tool)“ (Z.55) mit einem sarkastischen Unterton und zieht sie ins Lächerliche, um zu unterstreichen, dass Menschen nicht gebildeter wirken, wenn sie Englische Wörter mit ihrer Muttersprache mischen. Denn das führt zu einem reduzierten Gebrauch der Muttersprache, was wiederum dafür sorgt, dass man nicht alle Facetten der Sprache wahrnimmt. Muschg gibt also der Wirtschaft Schuld daran, dass man seine Muttersprache und auch die Fremdsprache nicht richtig behandelt, weil man nur auf den Zweck, den die Fremdsprache erzielen soll, fixiert ist. Dabei setzt Muschg auch die Globalisierung herab und kritisiert, dass man sogar schon die kleinen Kindern durch Fremdsprachenunterricht auf das Arbeitsleben vorbereiten will (vgl. Z.53ff.).
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