Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Die Idealvorstellungen des poeta doctus und des orator perfectus von Walter Jens
beziehungsweise Marcus Tullius Cicero ... 1
Walter Jens' Definition des poeta doctus ... 2
Überschneidungen mit dem orator-perfectus-Ideal von Cicero ... 3
Klare Überschneidungen als auch Unterschiede beiden Theorien ... 5
Literaturverzeichnis ... 6
1
Die Idealvorstellungen des poeta doctus und des orator perfectus
von Walter Jens beziehungsweise Marcus Tullius Cicero
In dieser Hausarbeit sollen die Gemeinsamkeiten zwischen dem Begriff des poeta doctus, wie
ihn Walter Jens definiert hat, und dem orator perfectus-Ideal von Cicero herausgearbeitet
werden.
Walter Jens ist schwer auf nur einen Aspekt seines Lebens zu reduzieren. Er wurde am 08.
März 1923 als Sohn einer Lehrerin und eines Bankdirektors in Hamburg geboren. Den Krieg
konnte er aufgrund seiner Asthma-Krankheit ohne Dienst an der Waffe in Deutschland
verbringen und widmete sich stattdessen der Schule und dem Studium der Germanistik
1
.
Beides schloss er erfolgreich ab und führte sein durchaus bemerkenswertes Leben weiter im
Sinne der Literatur. Im Laufe der Zeit wurde er: Literatur- und Fernsehkritiker, Essayist,
Übersetzer, Präsident des PEN-Zentrums der BRD, Professor für Klassische Philologie und
Rhetorik, Romancier, Fernseh- und Hörspielautor, Mitglied verschiedener Akademien und
Träger mehrerer Literaturpreise. Die Liste seiner Tätigkeiten wäre wohl noch weiter zu
führen, doch in dieser Arbeit interessiert ein Aspekt besonders: Walter Jens hat das schon seit
der Antike bestehende Ideal des poeta doctus, des gelehrten Dichters, neu definiert. Für ihn ist
der poeta doctus ein ,,Essayist und Dichter in einer Person, Erbe der Aufklärung, Nachfolger
Lichtenbergs und Nietzsches, [...] Analytiker und Forscher, sachkundiger Interpret und [...]
Beherrscher eines Labors von unermeßlicher Größe" (Jens, Walter: Statt einer
Literaturgeschichte. Tübingen 1957. S. 10).
Da Walter Jens der Gründer des Faches Allgemeine Rhetorik an der Tübinger Universität war,
liegt die Vermutung nahe, dass diese Definition des poeta doctus auch auf die Rhetorik
anwendbar sein muss. Es gibt viele Definitionen in und über die Rhetorik, unter anderem die
von Cicero, dem bekanntesten Rhetoriker des römischen Reichs, über den perfekten
Rhetoriker und dessen Eigenschaften. Cicero bezeichnete dieses Ideal als orator perfectus
2
. In
dieser Arbeit werde ich nun sowohl die Punkte, die beide Ideale gemeinsam haben, als auch
die Unterschiede beider Auffassungen herausarbeiten.
Als erstes werde ich näher auf die Idee des poeta doctus von Walter Jens eingehen und die
1 : vgl. Lauffs, Manfred: Walter Jens. Autorenbücher. München 1980.
2 : vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Lat./dt.,übers. u. hg. v. Harald Merklin.2.,
durchges. Und bibliogr. Erg. Aufl. Stuttgart : Reclam 1981
2
Unterschiede zur antiken Vorstellung dieses Begriffes darlegen, um im weiteren Verlauf der
Arbeit das orator-perfectus-Ideal von Cicero mit dem des poeta doctus zu vergleichen und die
entscheidenden Überschneidungen und Unterschiede herauszustellen. Schließlich werde ich
anhand literarischer Werke und historischer Ereignisse zeigen, dass das orator-perfectus-Ideal
in vielen Punkten mit dem poetus-doctus-Ideal von Walter Jens übereinstimmt.
Walter Jens' Definition des poeta doctus
Wie weiter oben bereits erwähnt, werde ich hier auf die Definition des poeta doctus eingehen,
die Walter Jens gegeben hat: der poeta doctus ist ,,Essayist und Dichter in einer Person, Erbe
der Aufklärung, Nachfolger Lichtenbergs und Nietzsches, [...] Analytiker und Forscher,
sachkundiger Interpret und [...] Beherrscher eines Labors von unermeßlicher Größe" (Jens,
Walter: Statt einer Literaturgeschichte. Tübingen 1957. S. 10).
Diese Definition verlangt von einem Autor vor allem Bildung und eine genaue Bestimmung
seiner literarischen Position. Nach Walter Jens muss ein Autor ,,um überhaupt verstanden zu
werden, zunächst einmal seine eigene Position bezeichnen" (Jens, Walter: Statt einer
Literaturgeschichte. Tübingen 1957. S. 8). Dafür benötigt der Autor umfassende Kenntnis der
literarischen Welt, in der er sich bewegen will³. Außerdem muss er sowohl wissenschaftliche
Exaktheit und Präzision besitzen und schätzen, gleichzeitig aber auch Raum lassen für die
Fantasie und die Entwicklung von Wechselbeziehungen zwischen Wahrheit und Schein
3
.
Weiterhin muss der poeta doctus in einer gewissen Weise eine externe Ansicht der Welt
entwickeln, damit er ,,den Menschen 'von außen', aus der Perspektive der Wirklichkeit" (Jens,
Walter: Statt einer Literaturgeschichte. Tübingen 1957. S. 14) zeichnen kann.
Die Ansprüche, die Walter Jens an einen poeta doctus stellt, gehen also weit über bloße
Belesenheit oder Bildung hinaus. Die meisten Anforderungen sollten zwar über die Zeit
erlernbar sein, wie zum Beispiel Kenntnis der literarischen Vergangenheit und Gegenwart.
Doch gehört sicherlich auch eine gewisse Begabung dazu, alle Fähigkeiten eines poeta doctus
zu meistern: ,,Der echte Dichter sei heutzutage kein inspirierter Träumer, der seiner
poetischen Eingebung folge, sondern ein kritischer Forscher, der auf den Prinzipien der
3 : vgl. Jens, Walter: Statt einer Literaturgeschichte. Tübingen 1957.
3
Wissenschaft basiere." (Marciniak, Dariusz: Die Diktion des poeta doctus: zur Essayistik und
Rhetorik von Walter Jens. Münster 2000). Dies lässt sich außerdem daran feststellen, dass alle
von Walter Jens als poeta doctus bezeichnete Schriftsteller, wie Kafka, Brecht, Musil und
Hemingway
4
, bekannte Personen sind, die nachweislich eine Begabung für das Schreiben
besitzen. Schließlich ist Walter Jens als Begründer des neuzeitlichen poeta doctus gleichfalls
dessen bester Vertreter
5
. Seine Person steht für die Theorie des Verbindens von Wissenschaft
und Dichtung in der Gegenwart.
Überschneidungen mit dem orator-perfectus-Ideal von Cicero
Natürlich muss man bei der Untersuchung beider Ideale beachten, dass sie sich auf
unterschiedliche Subjekte beziehen. Während der orator perfectus ein Redner ist, der
möglichst gut vor dem Publikum sprechen soll und damit auch eine gewisse Spontanität
benötigt, um plötzliche Fragen beantworten zu können, ist der poeta doctus ein Schriftsteller,
der für gewöhnlich keinem direkten face-to-face-Publikum gegenüberstehen muss und mehr
Zeit für die Entwicklung seiner Gedanken besitzt. Die Intention beider Ideale ist aber
grundsätzlich die gleiche. Sowohl der orator perfectus als auch der poeta doctus wollen von
ihrem Standpunkt überzeugen und eine Erkenntnis vermitteln. Durch dieses gemeinsame Ziel
werden beide Theorien erst vergleichbar.
Das orator-perfectus-Ideal, das der römische Redner Cicero aufgestellt hat, ist in seiner
Bedeutung schneller zu erfassen, als die Theorie vom poeta doctus von Walter Jens.
Ciceros Anforderungen an einen perfekten Redner beinhalten eine umfassende Sachkenntnis
in sehr vielen Wissensbereichen, damit der Redner in jeder Situation fundierte Aussagen
treffen kann, stilistische Fähigkeiten, damit er diese Aussagen in eine passende Form bringen
kann, Kenntnisse über die Erregung von Affekten, um die Zuhörer auch emotional in seinen
Bann zu ziehen, Humor und Witz, um seine Reden aufzulockern, Schlagfertigkeit, um in
hitzigen Reden schnelle Antworten geben zu können, sowie ein gutes Erinnerungsvermögen,
schauspielergleiche Mimik, Gestik und Artikulation
67
.
4 : vgl. Jens, Walter: Statt einer Literaturgeschichte. Tübingen 1957.
5 : vgl. Lauffs, Manfred: Walter Jens. Autorenbücher. München 1980.
6 : vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Lat./dt.,übers. u. hg. v. Harald Merklin.2.,
durchges. Und bibliogr. Erg. Aufl. Stuttgart : Reclam 1981
Ende der Leseprobe aus 8 Seiten
- Arbeit zitieren
- Anonym, 2012, Überschneidungen der poeta-doctus-Theorie von Walter Jens mit dem orator-perfectus-Ideal von Markus Tullius Cicero, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386862
Kostenlos Autor werden
Kommentare