Die Entdeckung und Förderung künstlerischer Begabung im Grundschulalter


Examensarbeit, 2002

86 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Theoretische Grundlagen
1.1. Begabung
1.1.1. Definition von Begabung
1.1.1.1. Intelligenz
1.1.1.2. Kreativität
1.1.1.3. Motivation
1.1.2. Formen der Hochbegabung
1.1.3. Identifikation der Hochbegabten
1.1.4. Förderungsmöglichkeiten für begabte Kinder
1.2. Zwischenzusammenfassung

2. Zum bildnerischen Verhalten des Kindes
2.1. Die Kinderzeichnung als Gegenstand der Forschung
2.2. Die Entwicklung der zeichnerischen Fähigkeiten beim Kind
2.3. Die Entwicklung der Raumdarstellung

3. Die künstlerische Begabung

4. Zur künstlerischen Teilbegabung – Die visuell–räumliche Intelligenz

5. Die eigene Untersuchung zur Entdeckung einer künstlerischen Teilbegabung im Grundschulalter
5.1. Zur Untersuchungsklasse
5.2. Kriterien für die künstlerische Teilbegabung
5.3. Methodische Vorüberlegungen zur Entdeckung einer künstlerischen Teilbegabung
5.4. Zur Durchführung der Untersuchung
5.5. Allgemeine Auswertung der Zeichnungen
5.6. Vorstellung der Kinder und Auswertung ihrer Zeichnungen bei Verdacht auf eine künstlerische Teilbegabung

6. Förderungsmöglichkeiten für die Entfaltung der künstlerischen Teilbegabung
6.1. Allgemeine Hinweise
6.2. Zum Kennzeichnen von Raumtiefe mit Linien
6.3. „Ich beobachte die Segelschiff-Regatta“
6.4. Perspektivisches Zeichnen
6.4.1 „Unsere Stadt“
6.4.2 „Kubismus für Kinder“

7. Schlussbetrachtung

8. Literatur

9. Anhang

0. EINLEITUNG

„Keine Gesellschaft kann es sich leisten, ihre begabtesten Mitglieder zu ignorieren, und alle Gesellschaften müssen sich ernsthaft damit auseinandersetzen, wie sie besondere Talente am besten fördern und ausbilden können.“ (Winner 1998, 9 )

Als ich mich, angeregt durch eine Lehrveranstaltung im Lernbereich Kunst und Gestaltung, mit dem Leben verschiedener Künstler beschäftigte, war ich fasziniert von den zeichnerischen Fähigkeiten, über die sie schon als Kinder verfügten. Pablo Picasso, z.B., zählte zu den Wunderkindern. Bereits mit sieben Jahren fertigte er akademische Zeichnungen an, deren minuziöse Genauigkeit ihn selbst erschreckten (vgl. Walther 1999, 8). Auch über Claude Monet wird berichtet, dass sich sein Zeichentalent früh zeigte (vgl. Zeidler 1998, 7). Mein so entstandenes Interesse an der künstlerischen Begabung im Kindesalter wurde verstärkt, als mir Kinderzeichnungen eines Erwachsenen aus meinem persönlichen Umfeld in die Hände fielen. Ich fragte mich, ob da vielleicht auch eine künstlerische Begabung vorhanden war, die aber leider nicht entdeckt und somit nicht gefördert werden konnte, wie vielleicht bei vielen anderen Kindern auch. Um in meiner zukünftigen Tätigkeit als Grundschullehrerin sensibilisiert für die künstlerische Begabung zu sein, entschied ich mich für das Thema: „Die Entdeckung und Förderung künstlerischer Begabung im Grundschulalter“.

Der Begriff „künstlerische Begabung“ schließt verschiedene Formen von künstlerischen Begabungen ein, die ich im Verlauf meiner Arbeit nennen werde. Im Rahmen meiner Arbeit beziehe ich mich ausschließlich auf die bildnerisch, zeichnerische Begabung und verfolge mit dieser Arbeit die Absicht, die Kriterien für eine künstlerische Begabung bei Grundschulkindern mit Hilfe von Literaturrecherche zu ermitteln um zu überprüfen, ob es in einer Rostocker Grundschulklasse Kinder mit künstlerischer Begabung gibt und wie ich ihre besonderen Fähigkeiten fördern kann.

Gerade die Grundschulzeit ist eine entscheidende Zeit für den weiteren Bildungsweg eines Kindes. „Aufgabe der Grundschule ist die grundlegende Bildung für alle Schüler zu gewährleisten. Dies bedeutet, jedes Kind entsprechend in seinen individuellen Möglichkeiten beim Lernen so zu begleiten, daß es sich in seiner Lebenswelt zurechtfindet“ (Rahmenplan Grundschule 1997, 5). Die Pädagogen tragen dabei eine besonders große Verantwortung. Durch sie sollen sich die Schüler angenommen „und in entsprechender Umgebung gut aufgehoben fühlen und somit Zutrauen empfinden. Ausgehend von dieser personellen und räumlichen Bindung sind die Schüler gemäß ihrem Vermögen herauszufordern (. . .) Das bedeutet, die Individualität der Schüler zu beachten und im Unterricht differenziert zu arbeiten“ (Rahmenplan Grundschule 1997, 5). Den individuellen Bedürfnissen der Schüler soll der Grundschulunterricht entgegenkommen. „Deshalb ist es Aufgabe der Lehrkräfte, dem Schüler als Subjekt mit seinen Erfahrungen, Vorstellungen, Interessen, Gefühlen, Fragen und Anregungen ausreichenden Raum zu geben“ (Rahmenplan Grundschule 1997, 6). Im differenziert gestalteten Unterricht ist darauf zu achten, dass alle Schüler nicht gleichzeitig zu einem einheitlichen Leistungsniveau geführt werden, sondern dass dem jeweiligen Entwicklungsstand des Schülers angemessene Leistungsförderung und Lernbegleitung gewährt wird. Diese Aussagen des Rahmenplans Grundschule: Kunst und Gestaltung (1997) besagen, dass jedes Kind ein Recht auf einen Unterricht hat, der seinen Ansprüchen gerecht wird. Das gilt sowohl für Schüler mit oder ohne Leistungsschwächen, als auch für begabte Schüler. Auch sie müssen im Kunstunterricht beachtet und entsprechend ihren Fähigkeiten unterrichtet werden, denn es gehört zu den Zielen und Aufgaben des Kunstunterrichts das begabte Kind zu beachten und „die in ihm angelegten künstlerischen Möglichkeiten zu entdecken und zu entwickeln“ (Rahmenplan Grundschule 1997, 8). Um ihre besondere Fähigkeiten zu entfalten, lernen sie im Kunstunterricht neben dem Arbeiten mit Stiften, Pinseln, Farben, Formen und Materialien das Beobachten. Der Kunstunterricht soll anregen, sich etwas auszudenken, künstlerisch zu gestalten und sich bildnerisch auszudrücken. Dabei ist es für die Entfaltung der künstlerischen Fähigkeiten wichtig, dass die Schüler erfahren, dass sie und ihre Werke von anderen ernst genommen werden und auch glücklich machen können. Im Kunstunterricht lernen sie über das, was sie tun, zu reflektieren. Dies kann zu neuen Ideen und Leistungen führen. Durch den Kunstunterricht können die Schüler innerlich bewegt werden, so dass sie mit Hingabe bei der Sache sind. Diese Erlebnisintensität macht Kunst und Gestaltung für die Kinder persönlich bedeutsam. Sie darf nicht verloren gehen, damit die bereits im Anfangsunterricht herausgebildeten besonderen Neigungen und Interessen weiter entfaltet werden (vgl. Rahmenplan Grundschule 1997, 8). In diesem Sinne möchte ich mit dieser Arbeit auf künstlerisch begabte Grundschulkinder aufmerksam machen und versuchen zu helfen, dass ihre gestalterischen Fähigkeiten unterstützt werden!

Schon von klein an lieben Kinder das Kritzeln. Sie erfreuen sich an dem Hinterlassen von sichtbaren Spuren. Dieser Drang ist dem Menschen angeboren und darf nicht verloren gehen. Er ist Voraussetzung für das Fach Kunst und Gestaltung (vgl. Rahmenplan Grundschule 1997, 7).

Die besonderen Fähigkeiten der Schüler müssen erkannt werden, da das „spontane Ausdrucksvermögen verkümmert (. . . ), wenn die Bildsprache nicht gepflegt und gefördert wird“ (Kumher 1968, 9).

Aus diesem Grund habe ich versucht, zeichnerisch begabte Kinder zu entdecken und Förderungsmöglichkeiten für sie zu entwickeln. Meine Untersuchung bezieht sich auf die bildnerischen Fähigkeiten künstlerisch begabter Kinder unter besonderer Berücksichtigung der räumlichen Darstellungsfähigkeit, so dass ich die künstlerische Begabung auf den Teilbereich „Raumdarstellung“ bezogen habe. Bevor ich aber meine Untersuchung und die Förderungsmöglichkeiten vorstelle, werde ich als theoretische Grundlage den Themenkomplex „Begabung“ beleuchten, seine Komponenten herausarbeiten und unterscheiden, welche Begabungsarten es gibt. Des weiteren sollen die Identifikationsmöglichkeiten begabter Kinder vorgestellt und auf allgemeine Förderungsmöglichkeiten begabte Kinder eingegangen werden. Anschließend werde ich die allgemeine Entwicklung der Kinderzeichnung und der räumlichen Darstellung beschreiben, um später die entwicklungsbedingten Unterschiede, durch die sich begabte von den normal-entwickelten Kindern unterscheiden, darstellen zu können.

1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

Als Einstieg werde ich an dieser Stelle den facettenreichen Themenkomplex „Begabung“ als einen wichtigen Bestandteil meiner Arbeit erläutern. Dabei soll ein allgemeiner Überblick gegeben werden, was unter dem Begriff „Begabung“ zu verstehen ist und aus welchen Komponenten er besteht. Anschließend sollen die verschiedenen Begabungsformen, die Methoden zur Identifikation begabter Kinder und deren Förderungsmöglichkeiten vorgestellt werden.

1.1 Begabung

„Hochbegabung ist ein vielschichtiges Konzept, dessen Verständnis sich im Lauf der Zeit verändert hat“ (Roedell, Jackson & Robinson 1989, 3). Zu dem Begriff „Begabung“ existieren nicht nur zahlreiche Definitionen, die sich im Laufe der Zeit gewandelt haben, sondern „Begabung“ hat für unterschiedliche Menschen auch verschiedene Bedeutungen. Aus diesem Grund werde ich zunächst auf die verschiedenen Definitionen des Begabungsbegriffes eingehen.

1.1.1 Definition von Begabung

In der Literatur ist bis heute keine einheitliche Definition des Begriffes „Begabung“ zu finden, die sowohl alle möglichen Aspekte von Begabung enthält, als auch von allen Wissenschaftlern anerkannt ist. Die Festlegung einer allgemein gültigen Definition wird dadurch erschwert, dass einige Autoren unterschiedliche Bezeichnungen für „Begabung“ verwenden. In der Literatur lassen sich dafür drei Gründe finden. Der erste Grund besteht nach Klaus K. Urban (1996) darin, dass Definitionen oft sehr unterschiedlichen Zwecken, im Alltag, in der Wissenschaft, in der Forschung oder in der Praxis dienen (vgl. Urban 1996, 14). Der zweite Grund, der sich bei Barbara Feger (1988) finden lässt, ist, dass die Bestimmungsfaktoren einer Begabung abhängig von den Hintergründen einer Kultur sind und durch die gesellschaftlichen Werte, Einstellungen und Ordnungsstrukturen bestimmt werden (vgl. Feger 1988, 53). Einen weiteren Grund sieht Annette Heinbokel (1996) darin, dass im anglo-amerikanischen Sprachraum die Bezeichnungen „gifted“ und „talented“ gegeneinander abgegrenzt werden. Der Begriff „gifted“ bezieht sich dabei mehr auf die intellektuellen Fähigkeiten. Unter „talented“ werden die Fähigkeiten verstanden, bei denen die manuelle und physische Geschicklichkeit eine Rolle spielt, wie z.B. im Sport, in der Musik und im künstlerischen Gestalten (vgl. Heinbokel 1996, 25). William Stern (1967 in Feger 1988, 56) trennt Allgemeinbegabung, die er mit Intelligenz gleichsetzt, von der Spezial- oder auch Sonderbegabung, welche er als Talent bezeichnet.

Im Gegensatz dazu differenziert Kurt A. Heller (2000) nicht zwischen den Begriffen „Begabung“ und „Talent“. Er verwendet sie als Synonyme, da diese beiden Bereiche weder in der englischsprachigen, noch in der deutschsprachigen Literatur eindeutig und konsequent voneinander getrennt werden (vgl. Heller 2000, 43). Die gleiche Feststellung ist auch bei Annette Heinbokel (1996) zu finden, so dass ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit die Begriffe „Begabung“, „Hochbegabung“ und „Talent“ synonym verwenden werde.

Seit der Jahrhundertwende hat sich in der deutschen Sprache der Begriff „hochbegabt“ durchgesetzt. Das Wort „begabt“ wird diesem Begriff übergeordnet. Häufig werden jedoch beide Begriffe als Synonyme verwendet, wobei „Begabung“ öfter gebraucht wird als „Hochbegabung“. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Begriff „Begabung“ in der Umgangssprache mehr verwendet wird (vgl. Feger 1988, 55). In Deutschland „wird inzwischen unterschieden zwischen Hochbegabten (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind), Spitzenbegabten (Christopherusschule Braunschweig), Hochbefähigten (Hilgendörfer 1985) und besonders Begabten (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft 1986)“ (Heinbokel 1996, 25). Diese Bezeichnungen haben alle als Gemeinsamkeit, dass sie eine Hervorhebung gegenüber dem „Normalen“ vornehmen, um die quantitative Ausprägung zu kennzeichnen (vgl. Joswig 1995, 10).

Da weit mehr als 100 Begabungsdefinitionen existieren, was verwirrend wirken kann, werde ich im folgenden das Ordnungs- und Klassifikationssystem von Lucito (1964) vorstellen. Er gliederte die Definitionen in sechs Klassen.

- Die erste Klasse nennt er Ex – post – facto - Definition. Sie bezeichnen Menschen als hochbegabt, wenn sie überdurchschnittliche Leistungen erbracht haben. Vor allem Erwachsene und ältere Kinder werden mit dieser Definition erfasst (vgl. Holling, Kanning 1999, 5).
- Die zweite Klasse bilden die IQ – Definitionen, die von Terman verwendet wurden. Zu diesen Definitionen gehören diejenigen, welche auf Ergebnisse von Intelligenztests beruhen (vgl. Joswig 1995, 11).
- Die dritte Definitionsklasse werden als „soziale Definitionen“ bezeichnet, die besondere Begabungen und Begabungen für mehrere Bereiche einbeziehen. Sie sind wegen der gesellschaftlichen Nachfrage nach besonderen Leistungen entstanden (vgl. Joswig 1995, 11).
- Die vierte Klasse bezieht sich auf die Prozentsatzdefinitionen. Hierbei wird ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung als hochbegabt eingestuft, d.h. Kinder gelten als hochbegabt, wenn ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit einem bestimmten Prozentsatz einer Gruppe entspricht. Die Prozentwerte wurden unterschiedlich festgelegt. Fliegler und Bish (1959 in Feger 1988, 58) bezeichnen Kinder dann als begabt, wenn ihre intellektuellen Fähigkeiten so hervorragend sind, dass sie leistungsmäßig zu den oberen 15 bis 20% gehören. Bristow et al. (1951 in Feger 1988, 58) gehen von 10%, Gowan (1971 in Feger 1988, 58) von 11% und Webb et al. sogar von 2,5 bis 3% aus. Das Kriterium dafür ist variabel. Es kann sich um Noten, Schulleistungstest oder Werte des Intelligenztests handeln (vgl. Feger 1988, 58).
- Die Kreativitätsdefinitionen bilden die fünfte Klasse. Ihre Kriterien für Hochbegabung stellen originelle und produktive Leistungen dar. Eine reine Definition nach dem IQ wird abgelehnt (vgl. Holling, Kanning 1999, 5).
- Bei der sechsten Definitionsart bezog sich Lucito auf das Guilfordsche Modell des Intellekts. Danach werden Menschen als begabt bezeichnet, wenn ihre „intellektuellen Fähigkeiten so wohl im produktiven als auch im kritisch bewertenden Denken ein derartig hohes Niveau haben, daß begründet zu vermuten ist, daß sie diejenigen sind, die in der Zukunft Probleme lösen, Innovationen einführen und die Kultur kritisch bewerten, wenn sie adäquate Bedingungen der Zukunft erhalten“ (Lucito 1964, 184 in Joswig 1995 11).

Hinsichtlich der Brauchbarkeit der einzelnen Definitionsklassen stellt Barbara Feger (1988) fest, dass die Ex – post – facto - Definitionen für die Vorhersage einer Entwicklung nicht brauchbar sind, da sie ausschließlich auf der Grundlage von Intelligenztests beruhen. Es muss aber von einem weit komplexeren Bedingungsgefüge der Begabung ausgegangen werden. Mit den Prozentsatzdefinitionen können ebenfalls keine tatsächlichen Begabten identifiziert werden. Sie sind lediglich hilfreich, um die Teilnehmer für ein bestimmtes Projekt zu begrenzen. Barbara Feger schlägt abschließend vor, die Definitionen des Lucito zwar beizubehalten, es muss aber überlegt werden, an welchen Stellen sie ergänzt werden könnten (vgl. Feger 1988, 60).

Die gleiche Ansicht vertritt Helga Joswig (1995). Aus ihren Ausführungen wird ersichtlich, dass Klassifizierungsansätze zwar einen geordneten Überblick über die Fülle der Definitionen vermitteln, sie aber nicht zur vollständigen Erfassung der Begabten dienen. Da Begabungen in einer außerordentlichen Vielfalt auftreten und jeder Begabter sich durch seine eigenen individuellen Eigenschaften auszeichnet, müssen Definitionen hinsichtlich ihres Inhaltes und Umfanges relativ offen bleiben. Aus diesem Grund fordert die Autorin, dass die Definitionen „sowohl die Vielfalt (Breite) der Merkmale als auch deren Vernetztheit in der Persönlichkeitsstruktur anzielen, den Grad des Außergewöhnlichen nicht zu hoch ansetzen, den dynamischen Entwicklungsprozeß einer Begabung genügend berücksichtigen sowie möglichst präzise formuliert (sind), um entsprechende Operationalisierungen zu vermitteln“ (Joswig 1995, 14). Der Begabungsbegriff ist demnach vielschichtig anzusehen. In diesem Sinne kann Begabung aufgefasst werden als „individuelle kognitive, motivationale und soziale Voraussetzung für erfolgreiche Tätigkeit in einem oder mehreren Bereichen, z.B. auf sprachlichem, mathematischem, naturwissenschaftlichem vs. technischen oder künstlerischem Gebiet, und zwar bezüglich theoretischer und/oder praktischer Aufgabenstellung. Es handelt sich um einen verfestigten inneren Bedingungskomplex für erfolgreiche Tätigkeit“ (Joswig 1995, 14).

Bei Kurt A. Heller (2000) findet sich hinsichtlich der Begabungsdefinitionen der Hinweis, dass jede Definition, auch die von Begabung und Hochbegabung, in zweifacher Abhängigkeit betrachtet werden muss, einerseits vom Verwendungszweck und andererseits von der theoretischen Bezugsbasis. Wird davon ausgegangen, dass Begabungsdefinitionen nicht dem Selbstzweck dienen, sondern bei der Identifikation förderungswürdiger Schüler hilfreich sind, wäre folgende Definition denkbar: „Hochbegabung ist die individuelle Befähigung für herausragende Leistungen im Vergleich mit einer bestimmten Referenzpopulation wie Altersgruppe oder Schultyp“ (Heller 2000, 39). Dieser Definition fügt der Autor hinzu, dass Begabung verstanden wird „als individuelles Potential im Sinne kognitiver und motivationaler Persönlichkeitsvoraussetzungen (einschließlich sozialer Lernumweltbedingungen) für Leistungseminenz in einem oder mehreren Bereichen, wobei die Begabungsentwicklung prozesshaft als Interaktion bzw. ergebnismäßig als Interaktionsprodukt von (person)internen Anlagefaktoren und externen Sozialisationsfaktoren aufgefasst wird“ (Heller 2000, 40). Ausgangspunkt für die erweiterte Definition ist für den Autor die Vorstellung, dass leistungsorientierte Begabungsdefinitionen neben dem Vorteil relativ eindeutig zu entscheiden, ob jemand hoch begabt ist, auch einen gravierenden Nachteil haben. Dieser ist pädagogisch sehr bedeutsam. Der Autor sieht in den Definitionen die Gefahr, Personen zu übersehen, die ihr Begabungspotential nicht entsprechend entwickeln können, da ungünstige motivationale und andere nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale, sowie nachteilige Sozialisationsbedingungen sie daran hindern. Als Hauptrisikogruppen nennt Kurt A. Heller (2000) hochbegabte Mädchen, Angehörige von Minderheiten, behinderte Jugendliche und sogenannte Underachiever, die ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht in entsprechenden Schulleistungen zeigen können. Die Erweiterung der Definition ist demnach also pädagogisch befriedigender, weil sie Einflüsse der sozialen Lernumwelt bei den Leistungsvoraussetzungen berücksichtigt (vgl. Heller 2000, 39, 40).

Doch trotz der vielen unterschiedlichen Definitionen gelten auch einige als verbindlich. Eine verbindliche Definition ist die staatlich anerkannte Definition des Marland- Report:

„Hochbegabte und talentierte Kinder sind jene, von berufsmäßig qualifizierten Personen identifizierte Kinder, die aufgrund außergewöhnlicher Fähigkeiten hohe Leistungen zu erbringen vermögen. Um ihren Beitrag für sich selbst und für die Gesellschaft zu realisieren, benötigen diese Kinder die Bereitstellung differenzierter pädagogischer Programme und Hilfestellungen, die über die normalen, regulären Schulprogramme hinausgehen. Kinder, die zu hohen Leistungen fähig sind, schließen solche mit gezeigten Leistungen und/oder mit potentiellen Fähigkeiten in irgendeinem der folgenden Bereiche mit ein:

1. Allgemeine intellektuelle Fähigkeit
2. Spezifische akademische (schulische) Leistung
3. Kreatives oder produktives Denken
4. Führungsfähigkeiten
5. Bildnerische und darstellende Künste
6. Psychomotorische Fähigkeiten (Marland 1972)“ (Feger 1988, 77).

Des Weiteren findet sich bei Barbara Feger (1988) der Hinweis, dass verbindliche Definitionen sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen. Der Vorteil ist, dass derjenige, der sie erstellt, weiß worum es geht und dies leicht anderen vermitteln kann. Der Nachteil dieser Definitionen besteht jedoch darin, dass sie oftmals dauerhaft und schwer auf die neuen Erkenntnisse hin umzuarbeiten oder zu erweitern sind. Ihre Verbindlichkeit sagt nichts über ihre Qualität aus, so dass sie durchaus ergänzt oder verändert werden müssten (vgl. Feger 1998, 78).

Zurückkommend auf die Definitionen von Helga Joswig (1995) und Kurt A. Heller (2000) werde ich im Folgenden auf die Voraussetzungen Intelligenz, Kreativität und Motivation eingehen und ihr Verhältnis zur Begabung beleuchten.

1.1.1.1 Intelligenz

Der Begriff „Intelligenz“ ist Bestandteil jeder Definition von Begabung. Beide Begriffe werden in der Literatur zwar häufig als Synonyme verwendet, doch sie unterscheiden sich sehr. „Intelligenz“ ist dabei als ein relativ unspezifischer Fähigkeitskomplex zu betrachten und „Begabung“ wird auf bestimmte Fähigkeitsfelder bezogen (vgl. Feger 1988, 61).

Bei der Bestimmung des Intelligenzbegriffes sind sich die Psychologen nicht einig, wie die einzelnen Fähigkeiten organisiert sind. Einige gehen davon aus, dass Intelligenz als ein geschlossenes Konstrukt, ein generelles und alles durchdringendes Merkmal anzusehen ist. Sie sprechen von einem Generalfaktor g, der als ein grundlegender, ganzheitlicher Faktor, bis zu einem gewissen Grad an allen geistigen Prozessen beteiligt ist, vor allem am Problemlösen. Im Gegensatz dazu sind andere Psychologen der Meinung, dass Intelligenz als eine Ansammlung mehrerer unterschiedlicher, unabhängiger Fähigkeiten verstanden wird. Für die Vertreter dieser multifaktoriellen Sichtweise besteht Intelligenz aus spezifischen Faktoren, die mit verschiedenen menschlichen Fertigkeiten verknüpft sind (vgl. Roedell, Jackson & Robinson 1989, 5).

Dennoch stimmt die Mehrzahl der Intelligenzdefinitionen in zwei Aspekten überein: zum einen betonen sie die Fähigkeit, sich an unbekannte Aufgaben- und Problemsituationen anzupassen, und zum anderen geschieht dies, indem Denkmittel ökonomisch eingesetzt werden (vgl. Feger 1988, 61).

Eine Zuordnung der Intelligenzauffassungen nahm Kurt A. Heller (1988 in Joswig 1995, 16) vor. Er unterscheidet zwei große Gruppen von Intelligenztheorien: einerseits die phänomenologisch orientierten Intelligenztheorien und andererseits die Faktorentheorien.

Die phänomenologischen Theorien beschäftigen sich mit der Frage nach dem Wesen der Intelligenz und ihrem inneren Aufbau. Als einen Vertreter dieser Theorien nennt Helga Joswig (1995) Wenzl, „nach dessen Vorstellung Intelligenz erst im Gefüge der Gesamtpersönlichkeit zum Ausdruck kommt und Interessen bei der Aktualisierung von Intelligenzleistungen eine entscheidende Rolle spielen“ (Joswig 1995, 16).

Die Faktorentheorien der Intelligenz dagegen versuchen, das Funktionssystem der Intelligenz mit Hilfe der Faktorenanalyse auf empirischem Wege zu erklären. Sie werden wiederum unterschieden in:

- die Faktorentheorien, die von zwei bestimmenden Faktoren ausgehen. Hierbei sind an allen Intelligenzleistungen und geistigen Prozessen einerseits der grundlegende Generalfaktor g und andererseits die sogenannten Spezial- oder s-Faktoren beteiligt, welche die spezifischen Fähigkeiten beinhalten. Ein Vertreter dieser Theorie ist Spearman (vgl. Joswig 1995, 17).
- die Theorien, welche von sogenannten Primärfaktoren ausgehen, die gleichzeitig und gleichwertig als funktionelle Einheiten auftreten. Zu diesen Faktoren gehören das Sprachverständnis, die Wortflüssigkeit, das Gedächtnis und die Merkfähigkeit, induktives und deduktives Denken, die Fähigkeit zum Lösen von Rechenoperationen, die Raumvorstellung, sowie die Auffassungsgeschwindigkeit. Diese Vorstellungen der mutiplen Faktorentheorie (nach Feger 1988) basieren auf den Ideen von Thurstone (vgl. Joswig 1995, 17).
- das Intelligenz – Struktur – Modell nach Guilford, der die Einzelfaktoren der Intelligenz systematisch ordnete. Sein Modell beruht auf drei Dimensionen der Intelligenz mit 16 Klassen (vgl. Joswig 1995, 17).
- die Theorie zur Aufklärung der faktoriellen Intelligenzstruktur. Als Vertreter zählt Helga Joswig (1995) Meili (1964), Jäger (1967) und Cropley (1988) auf. Jäger fand sechs Hauptfaktorengruppen der Intelligenz, die mehr oder weniger mit den Primärfaktoren von Thurstone übereinstimmen (vgl. Joswig 1995, 17).
- die Analyse von Denkprozessen, deren Vertreter die „Denk – Strategien“ untersuchen, die beim effektiven Finden von Problemlösungen bei Hochbegabten bedeutend sind. Als ein Vertreter sei Klix (1985) genannt, der intelligentes Verhalten danach bestimmt, wie komplexe Informationsgehalte auf ein entscheidungsrelevantes Maß reduziert werden (vgl. Joswig 1995, 17).

Eine relativ junge Ansicht über Intelligenz stammt von Howard Gardner (1991). Er wendet sich gegen die Auffassung, dass Intelligenz eine Einheit bildet, oft als „allgemeine Intelligenz“ bezeichnet wird, einfach strukturiert, ist um von Psychologen mit standardisierten Tests gemessen zu werden (vgl. Gardner 1991, 9). Der Autor vertritt die Meinung, dass „die psychometrische Auffassung von Intelligenz veraltet ist“ (Gardner 1999, 52). So entwickelte er die Theorie der multiplen Intelligenzen, die besagt, dass sich die Menschen durch wenigstens sieben charakteristische Formen von Intelligenz auszeichnen. In diesem Zusammenhang definiert er Intelligenz als die „Fähigkeit, Probleme zu lösen oder Produkte zu schaffen, die im Rahmen einer oder mehrerer Kulturen gefragt sind“ (Gardner 1991, 9).

Zu den sieben Intelligenzformen gehören:

1. Die sprachliche Intelligenz: Sie beinhaltet sowohl Sensibilität gegenüber Wortbedeutungen als auch die Effektivität sprachlicher Gedächtnisleistungen.
2. Die logisch – mathematische Intelligenz, die sich auf formallogische und mathematische Denkweisen beziehen.
3. Die räumliche Intelligenz, welche die Fähigkeiten der Raumwahrnehmung und –vorstellung, sowie des räumlichen Denkens beinhalten.
4. Die körperlich – kinästhetische Intelligenz, d.h. psychomotorische Fähigkeiten, wie sie für sportliche oder tänzerische Leistungen benötigt werden.
5. Die musikalische Intelligenz, die nicht nur musikalische Kompetenzen, sondern auch emotionale Aspekte einschließt.
6. Die intrapersonale Intelligenz, d.h. Sensibilität gegenüber der eigenen Empfindungswelt.
7. Die interpersonale Intelligenz, welche die Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung der Mitmenschen („soziale“ Intelligenz) meint.
In jüngster Zeit hat Howard Gardner sein Modell um zwei Intelligenzformen erweitert. Er fügte hinzu:
8. Die Naturalistische Intelligenz. Damit ist die Fähigkeit zur Mustererkennung in der Lebenswelt gemeint.

8 1/2. Die „Existentielle“ und „Spirituelle“ Intelligenz. Howard Gardner bezeichnet sie als „Intelligenzkandidaten“, da sie bisher nicht empirisch fundiert sind (vgl. Heller 2000, 40, 41).

Obgleich alle Menschen mehr oder weniger über die gesamte Bandbreite von Intelligenzformen verfügen, macht Howard Gardner (1999) mit seiner Theorie der „vielfachen Intelligenzen“ deutlich, dass sich alle Individuen in ihrem besonderen Profil von Stärken und Schwächen unterscheiden. Diese Verschiedenheit stellt pädagogisch den Anspruch Kinder so zu unterrichten, dass die Variationen der Intelligenzarten im Unterricht berücksichtigt und gefördert werden (vgl. Gardner 1999, 53).

Die Überlegungen von Howard Gardner sind heute sehr aktuell. Meike Aissen–Crewett (1998), z.B., beschäftigte sich mit der Idee der „multiplen Intelligenzen“ in Bezug auf deren pädagogische Bedeutung. Sie beklagt, dass Howard Gardners Modell in Deutschland nur wenig beachtet wird, obwohl „Gardners Modell von der Vielfalt der Intelligenzen eine verläßliche theoretische Fundierung eines diversifizierten pädagogischen Ansatzes liefert, der die Notwendigkeit aufzeigt, - neben den anerkannten logisch – mathematischen und sprachlichen Intelligenzen – auch andere Formen zu fördern“ (Aissen-Crewett 1998, 58).

Neben Howard Gardner (1991, 1999) stellt auch Annette Heinbokel (1996) Überlegungen zum Problem der Intelligenzdefinitionen an. Sie gibt sich nicht zufrieden mit dem „sarkastischen“ Satz: „Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst“. Als eine gängige Definition von Intelligenz führt sie folgende von Wechsler an: „Intelligenz, (...) ein hypothetisches Konstrukt, (...) das Aggregat oder die globale Fähigkeit des Individuums, absichtsvoll zu handeln, rational zu denken und seine Umgebung effektiv zu gestalten“ (heinbokel 1996, 26). Die Autorin merkt dazu an, dass nicht nur die Quantität und die Qualität der unterschiedlichen Fähigkeiten von Bedeutung sind, sondern auch die Art und Weise, wie sie miteinander kombiniert sind. Faktoren wie Motivation, Tatkraft, emotionale Stabilität kommen hinzu. Ob Intelligenz aber auf Vererbung zurückgeführt wird oder durch soziale Beeinflussung entsteht, ist abhängig von dem politischen Standpunkt des untersuchenden Wissenschaftlers. Annette Heinbokel (1996) kommt zu dem Entschluss, dass unabhängig davon, ob der Erb- oder der Umweltfaktor bedeutender ist, festgestellt werden kann, dass Menschen sich darin unterscheiden, in welcher Weise und wie schnell sie neue Informationen aufnehmen und wie sie diese Informationen bei der Lösung neuer Probleme einsetzen (vgl. Heinbokel 1996, 26).

Intelligenz allein, darf nicht als Kriterium für Begabung angesehen werden. Die frühere Annahme, Begabung bestehe ausschließlich aus hervorragender Intelligenz, ist heute nicht mehr gültig, wie „es Howard Gardner im Buchtitel der deutschen Übersetzung zu seiner Rahmentheorie der vielfachen Intelligenzen (Gardner, 1991; Original: 1985) treffend zum Ausdruck bringt“ (Heller 2002, 40). Und auch G. Révész (1952) warnt davor, in Intelligenz ein Kriterium für Begabung zu sehen, da zwischen Intelligenz und den spezifischen Begabungen kein enger Zusammenhang besteht. Es kann also nicht von dem Intelligenzniveau auf das Vorhandensein einer Begabung geschlossen werden (vgl. Révész, 1952, 203).

1.1.1.2 Kreativität

Die zweite wichtige Komponente von Begabung stellt die Kreativität dar. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „creare“ ab, welches für „schaffen, erschaffen“ steht. Als teilweise synonymverwandte Wörter werden Schöpfertum, schöpferisches Denken und Handeln, Phantasie, Originalität sowie Spontaneität sowohl in der deutschen Umgangssprache, als auch in der pädagogischen und psychologischen Sprache verwendet. Der Begriff ist eine Übertragung des englischen Wortes „creativity“, welches von J.P. Guilford (1950) eingeführt wurde. Er legte damit den Grundstein für vielfältige neue Denkströmungen und Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Bereichen. Die Kreativitätsforschung entwickelte sich aus dem aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Interesse an hochqualifizierten schöpferischen Menschen, um verschiedene Gebiete weiterentwickeln zu können. Seitdem liegen fünfzig Jahre zurück und es gibt auch zu diesem Begriff keine allgemein akzeptierte Definition (vgl. Urban 2000, 122, 123).

Die Basis der Kreativitätsforschung bildet das bereits erwähnte Intelligenz–Strukturen –Modell von Guilford (1967 in Feger 1988, 64), in das er die konvergenten und die divergenten Denkprozesse integrierte (vgl. Feger 1988, 66). Dabei werden unter konvergentem Denken die Denkoperationen verstanden, welche jeweils nur eine richtige Lösung zulassen. Die divergenten Denkoperationen, auf denen die Kreativität basiert, produzieren dagegen zu einem Problem zahlreiche und verschiedenartige Antworten (vgl. Preiser 1976, 12). Guilford geht davon aus, dass diese beiden Denkoperationen nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen, da sie sich gegenseitig ergänzen. Er vertritt die Auffassung, dass kreative Ideen durch folgende fünf Fähigkeiten erzeugt werden:

- Flüssigkeit, definiert als Anzahl der Ideen;
- Flexibilität, das Ausmaß der inhaltlichen Differenzierung der genannten Ideen;
- Originalität, in Form von seltenen Antworten;
- Elaboration, die Detailliertheit bei der Problembearbeitung;
- Problemsensitivität, die selbständige Entdeckung von Problemen

(vgl. Feger 1988, 66, 68).

Des Weiteren meint Guilford, dass die Entfaltung dieser Faktoren abhängig ist von Faktoren wie Anregungsbedingungen, Lernerfahrungen, Handlungsmöglichkeiten und Motivationen. Auf seinen Vorstellungen basieren die heutigen Kreativitätstests (vgl. Feger 1988, 66).

Nach Franz J. Mönks (1996) zeichnet sich Kreativität durch die Freude am Lösen von Aufgaben, Erfindungsgabe, schnelles Umdenken und Einfallsreichtum aus. Er sieht Kreativität „als eine allgemeine Fähigkeit, neue Lösungswege zu finden und zu bedenken“ (Mönks 1996, 16).

Eine weitere sehr ausführliche Definition zum Begriff „Kreativität“ schlägt Klaus K. Urban (2000) vor. Seiner Ansicht nach zeigt sich Kreativität „in einem neuen, überraschenden, auch für andere neuen Sinn stiftenden Produkt. Kreativität ist von daher die Fähigkeit,

1. ein neues ungewöhnliches und überraschendes Produkt zu schaffen als Lösung eines sensitiv wahrgenommenen Problems oder eines gegebenen Problems, das sich zu eigen gemacht wird und dessen Implikationen sensitiv wahrgenommen worden sind,
2. und zwar auf der Grundlage einer sensiblen und breit umfassenden Wahrnehmung vorhandener und offen zugänglicher sowie gezielt gesuchter Daten und Informationen und erarbeiteter bereichsspezifischer (Experten-) Kenntnisse,
3. durch Analyse, durch lösungsgerichtete, aber höchst flexible Verarbeitung, durch ungewöhnliche Assoziationen und neuartige Umstrukturierungen, Reformulierungen oder Kombinationen dieser Informationen und Kenntnisse und Daten aus der (praktischen) Erfahrung oder mit imaginierten Elementen,
4. durch Synthetisierung, Strukturierung und Komposition dieser Daten, Elemente und Strukturen zu einer neuen Lösungsgestalt (wobei die Prozesse in 3. und 4. auch teilweise simultan und parallel auf unterschiedlichen Verarbeitungs- und Bewusstseinsebenen ablaufen können),
5. die als Produkt oder in einem Produkt, in welcher Form auch immer, realisiert und elaboriert wird,
6. und die schließlich durch Kommunikation oder Mitteilung von anderen sinn(en)haft und als sinn – voll erfasst und erfahren werden kann“ (Urban 2000, 124).

Laut Arthur J. Cropley (1990) wird mit Kreativität das schöpferische Potential des Menschen in den verschiedensten Bereichen, wie Kunst, Wissenschaft, Technik und Sport bezeichnet (vgl. Cropley 1990, 67). Zu den wesentlichen Qualitäten schöpferischen Denkens gehören seiner Meinung nach:

- die Fähigkeit, neue Fragestellungen zu finden,
- der Blick für das Wesentliche,
- die Fähigkeit zu Analyse und Synthese,
- Einfallsreichtum,
- Flexibilität des Denkens und Originalität (vgl. Cropley 1979 in Heinbokel 1996, 27, 28).

Annette Heinbokel (1996) empfiehlt die Liste dieser Eigenschaften um die Fähigkeit zum divergenten Denken, die in den Punkten Einfallsreichtum und Flexibilität zum Teil bereits enthalten sind, zu ergänzen (vgl. Heinbokel 1996, 28).

Bei Babara Feger (1988) findet sich der Hinweis, dass die theoretische Begründung der Kreativität noch offen steht, da noch nicht geklärt ist, wie Kognition und Emotion im kreativen Prozess zusammenwirken. Nach Meinung der Autorin ist Kreativität immer im engen Zusammenhang mit Persönlichkeitseigenschaften zu betrachten, die gewisse Motive, Eigenschaften, Emotionen und Interessen bestimmen. Als Merkmale, die als Korrelate kreativen Verhaltens aus vielen Untersuchungen ermittelt wurden, zählt sie:

- Neugier (d.h. eine offene, aufnehmende Haltung gegenüber der Umwelt; vielseitige Interessen und großes Informationsbedürfnis)
- Ausdauer (d.h. eine hohe Konflikt- und Frustrationstoleranz; Misserfolge lösen nicht Resignation aus; sogenannte unlösbare Probleme reizen zur Lösung)
- Erfolgszuversicht (d.h. Spontaneität, Initiative, Risikobereitschaft)
- Unabhängigkeit (d.h. Selbständigkeit, auch kritisches, non–konformes, unkonventionelles Verhalten und Urteilen)
- Ich–Stärke (emotionale Stabilität und psychische Gesundheit)
- kontrollierte Regressionsfähigkeit (d.h. Offenheit für Empfindungen, Gefühle, Emotionen) (vgl. Feger 1988, 67).

Auf eine neue Denkweise über Kreativität macht Howard Gardner (1999) aufmerksam. Er versuchte in seinen jüngsten Untersuchungen die kreative Intelligenz zu ergründen. An berühmten Persönlichkeiten unterteilt er die kreative Intelligenz in vier Arten:

1. der Meister (ein Individuum, das völlige Meisterschaft über eines oder mehrere Bildungsgebiete verfügt),
2. der Neuerer (d.h. ein Gebiet wurde gemeistert, ein neues wird geschaffen)
3. der Selbstbeobachter (für ihn hat die Erkundung des Seelenlebens den höchsten Stellenwert)
4. der Beeinflusser (jemand nimmt Einfluss auf andere Individuen)

(vgl. Gardner 1999, 24, 25).

Diese Auswahl der verschiedenen Kreativitätsansichten zeigt, dass in der Kreativitätsforschung noch allgemeine Unklarheit herrscht.

Einen bedeutenden Beitrag zum Verhältnis zwischen Intelligenz und Kreativität leisteten Getzels & Jackson (1962 in Cropley 1990, 67), deren Grundidee war, dass die bisher nicht bedachte Fertigkeit Kreativität mögliche Mängel in der Intelligenz ausgleichen könnte. In einer Studie wiesen sie nach, dass „die Schüler in ihrer Stichprobe, die sie als unterdurchschnittlich intelligent, aber sehr kreativ einstuften, leistungsmäßig ebenso gut abschneiden konnten wie ihre hochintelligenten, aber unkreativen Mitschüler“ (Cropley 1990, 67). Arthur J. Cropley (1990) selbst berichtet über ähnliche Befunde. Demnach ist Kreativität der gleiche Stellenwert beizumessen wie Intelligenz Cropley 1990, 67).

Aus Annette Heinbokels (1996) Ausführungen lässt sich entnehmen, dass bei hochintelligenten, aber nur gering kreativen Kindern eine Beziehung zwischen ihren eigenen Wertvorstellungen und den Erwartungen ihrer Lehrer oder der Gesellschaft auf richtiges Verhalten besteht. Die Handlungsweisen diese Kinder sind vernünftig, sinnvoll und nach den gesellschaftlichen Wertvorstellungen ausgerichtet. Im Gegensatz dazu besteht bei kreativen, weniger intelligenten Kindern zwischen den eigenen Werten und denen der Gesellschaft eine große Kluft. „Die Kinder sehen zwar die Unterschiede zwischen diesen Werten, es scheint ihnen aber relativ gleichgültig zu sein; sie handeln trotzdem so, wie sie es für richtig halten“ (Heinbokel 1996, 29).

In Bezug auf die Schulleistungen erreichten beide Gruppen die gleichen Ergebnisse. Scheinbar erfolgte dies auf unterschiedlichen Wegen, wobei andere Untersuchungen diese Resultate nicht bestätigen konnten (vgl. Heinbokel 1996, 29).

Es lässt sich also feststellen, dass die Kreativität ein wichtiger Bestandteil von Begabung ist. Würde sie bei der Suche nach begabten Kindern unberücksichtigt bleiben, würde ein großer Teil der Hochkreativen übersehen werden (vgl. Heinbokel 1996, 29).

Doch nicht nur Intelligenz und Kreativität, stellen wichtige Elemente von Hochbegabung dar, sondern auch die Motivation, auf die ich im folgenden Unterpunkt zu sprechen komme.

1.1.1.3 Motivation

Die Motivation ist ein sehr komplexes Thema. Im Folgenden werde ich in Umrissen darstellen, was darunter zu verstehen und in welcher Beziehung sie zur Begabung zu betrachten ist.

In fast allen Begabungsdefinitionen wird darauf hingewiesen, dass Begabte zwar zu Höchstleistungen befähigt sind, sie aber nicht garantieren. Zusätzlich günstige Umweltbedingungen und fördernde Persönlichkeitsmerkmale sind daran beteiligt, hervorragende Leistungen zu erbringen. Unter diesen Persönlichkeitsmerkmalen wird die individuelle Motivation als wichtig erachtet. So wird die erwartungswidrige Minderleistung der Underachiever auf eine geringe Motivation zurückgeführt (vgl. Ziegler 2000, 97).

Franz J. Mönks (1996) definiert Motivation als den „Motor menschlichen Verhaltens“. Der Autor spricht davon, dass alle Handlungen und jedes Verhalten irgendwie motiviert sind. Ist die Aufgabenmotivation stark genug, können Schwierigkeiten und Hindernisse überwunden werden. Unter Motivation versteht der Autor auch, dass man sich von einer bestimmten Aufgabenstellung angezogen fühlt, so dass sie mit Freude erfüllt wird. Motivation ist demnach „ein Begriff der Anstrengungsbereitschaft und Aufgabenkonzentration“ (Mönks 1996, 16).

In der Broschüre „Begabte Kinder finden und fördern“ (bmb+f 1999) sind als Merkmale von Motivation folgende beschrieben:

- „Interesse und Ausdauer eines Kindes entscheiden darüber, wieviel Kraft und Zeit es in eine Aufgabe steckt.
- Neugier und Zielstrebigkeit sind innere Antriebe, die das Kind dazu bringen, neue Dinge zu entdecken, gesetzte Ziele beharrlich anzustreben und Leistungen zu erbringen“ (bmf+f 1999, 17).

Auch bei Arthur J. Cropley (1990) lässt sich der Hinweis finden, dass für Begabungen nicht nur Intelligenz und Kreativität bedeutsam sind, sondern auch Motivation und andere Persönlichkeitsmerkmalen wie Selbstvertrauen, Offenheit oder Bereitschaft, sich Risiken auszusetzen. Eine Vielzahl an Fallstudien berühmter Persönlichkeiten beweist, wie wichtig sehr hohe Motivation ist. Berühmte Kreative, z.B. zeichnen sich durch ihre hohe „Hartnäckigkeit“ aus. Um kluge Leistungen zu erbringen, muss der Mensch befähigt sein, entsprechende Voraussetzungen in allen psychischen Bereichen einzusetzen und zu kombinieren.

Mit den verschiedenen Kombinationen dieser drei Komponenten von Begabung beschäftigte sich Necka (1986 in Cropley 1990, 69). Laut Necka ermöglicht die Anwesenheit aller drei Merkmale eine „sich frei realisierende Begabung“. Hohe Intelligenz zusammen mit hoher Kreativität aber fehlender Motivation nennt er „aufgegebene Begabung“. Die „rein handwerkliche Begabung“ liegt vor, wenn hohe Intelligenz und hohe Motivation zusammentreffen. Hohe Kreativität mit hoher Motivation, aber geringer Intelligenz wird nach Necka als „infantile Begabung“ bezeichnet (vgl. Cropley 1990, 69).

Es lässt sich also feststellen, dass ohne Motivation keine Begabung zu Höchstleistungen befähigt ist.

Nachdem ich die drei Hauptkomponenten von Begabung beschrieben habe, werde ich im Folgenden die Formen der Hochbegabung vorstellen.

1.1.2 Formen der Hochbegabung

Die meisten Menschen assoziieren Hochbegabung als erstes mit hoher Intelligenz. Wie sich aber herausgestellt hat, stellt Intelligenz nur einen Teil aus dem breiten Spektrum an Begabung dar.

Annette Heinbokel (1996) unterscheidet folgende vier Hauptbereiche der Begabung:

1. „intellektuelle Begabung in ihren verschiedensten Ausprägungen;
2. schöpferische Begabung (Malerei, Bildhauerei, Theater, Musik);
3. psychomotorische Begabung (Sport, Tanz, Artistik);
4. soziale Begabung (Sensibilität in bezug auf Menschen, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Bereitschaft, soziale Verantwortung zu übernehmen, moralisch zu handeln)“ (Heinbokel 1996, 23).

Diese Bereiche sind vielfältig miteinander verknüpft. Maler und Musiker, z.B., müssen um hervorragende Leistungen zu erreichen, über überdurchschnittliche psychomotorische Fähigkeiten und Sensibilität verfügen. Im Bereich des Sportes ist Intelligenz nicht für alle Höchstleistungen unbedingt eine Grundvoraussetzung (vgl. Heinbokel 1996, 23).

Bei Frank J. Mönks (1996) ist die gleiche Unterscheidung wie die von Annette Heinbokel (1996) zu finden. Die Einteilung unterscheidet sich lediglich in der Wortwahl.

Andere Autoren, wie Christoph Perleth, Tanja Schatz & Martina Gast–Gampe (2001) orientieren sich bei der Differenzierung der verschiedenen Arten von Begabung an Howard Gardners (1991) Theorie der multiplen Intelligenzen, die ich bereits vorgestellt habe. Christoph Perleth, Tanja Schatz & Martina Gast–Gampe (2001) machen in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Begabungen in unterschiedlichen Bereichen unterschieden werden, und dass, ein Mensch niemals in allen Bereichen gleichermaßen begabt ist (vgl. Perleth, Schatz & Gast – Gampe 2001, 10).

Bei Jutta Billhardt (2002) findet sich allerdings der Hinweis, dass zwischen einer einseitigen Spitzenbegabung im sprachlichen, sportlichen, musischen, mathematischen u.a. Bereich und einer „außergewöhnlichen Befähigung im alle Gebiete umfassenden intellektuellen Bereich“ differenziert wird (vgl. Billhardt 2002, 54).

Eine weitere Unterteilung der Begabungsarten nimmt Barbara Feger (1988) vor. Sie schließt sich der Unterscheidung zwischen Allgemein- und Spezialbegabung von William Stern an. Die Allgemeinbegabung bezieht sich dabei auf die intellektuellen Fähigkeiten. Zu den Spezial- oder Sonderbegabungen zählt sie die sportliche, die musisch–künstlerische, die soziale und die verschiedenen Formen der intellektuellen Begabung, wie z.B. die mathematische oder naturwissenschaftliche. Die Autorin geht wie Annette Heinbokel (1996) davon aus, dass derjenige der in einem Teilbereich der intellektuellen Begabung über hohe Fähigkeiten verfügt, auch gleichzeitig ein hohes Niveau an allgemeiner Intelligenz aufweist. So führt sie folgendes Zitat von Ekman (1951) an: „Es ist deshalb ziemlich sicher, daß nicht nur die großen Universalgenies, wie z.B. Lionardo da Vinci und Goethe, sondern auch die leuchtenden Spezialbegabungen wie z.B. Newton und Einstein, ein ungewöhnliches Maß an „allgemeiner Intelligenz“ gehabt haben“ (Ekman 1951 in Feger 1988, 96).

Klaus K. Urban (1996) untergliedert die Formen der Begabung folgendermaßen: Er unterscheidet neben den hohen allgemein abstrakt–intelligenten Begabungen, die praktisch–instrumentellen, die künstlerischen und sozialen Begabungen, außerdem die psycho–physio – motorischen Begabungen und die Teilbegabungen, wie die verbale, die mathematische, die musikalische und die bildnerische (vgl. Urban 1996, 16).

Hinsichtlich meines Themas erscheint es mir an dieser Stelle wichtig, dass der Terminus „künstlerische Begabung“ eingegrenzt wird, da darunter sowohl musikalische, tänzerische, theatralische, aber auch plastische, malerische, bildhauerische und bildnerisch zeichnerische Begabung verstanden wird. Ich beziehe mich, wie bereits erwähnt auf die bildnerisch, zeichnerische Begabung, die sich laut der staatlich anerkannte Definition des Maarland Reports bei den bildenden und darstellenden Künsten einordnen lässt.

1.1.3 Identifikation der Hochbegabten

Um hochbegabte Kinder fördern zu können, dass sie erkannt werden. Eine Definition hilft aber weder Lehrern noch Eltern festzustellen, ob ein Kind dessen Fähigkeiten und Interessen sich überdurchschnittlich von seinen Altersgenossen unterscheiden, zu den Hochbegabten gerechnet werden kann (vgl. Heinbokel 1996, 33).

Damit alle hochbegabten Kinder identifizieren werden können, müssen die Techniken und Methoden zur Erkennung gewissen Anforderungen auf Wirksamkeit und Ökonomie erfüllen. Die Identifikation stellt einen mehrstufigen Vorgang dar, damit Fehlentscheidungen vermieden oder begrenzt werden. Dabei erfolgt als erstes die Sichtung, d.h. Experten treffen mit bestimmten Verfahren, welche die Hochbegabung erfassen, eine Grobauswahl oder Vorauswahl bevor die endgültige Auswahl stattfindet. Die Qualität der Sichtungsverfahren beurteilten Pegnato & Birch (1965 in Feger 1988, 101) mit Hilfe der Kriterien Effektivität und Ökonomie. Die Effektivität lässt sich durch den Prozentsatz der Hochbegabten definieren, der durch ein Sichtungsverfahren erfasst wurde. Werden alle Hochbegabten registriert, die in der endgültige Diagnose ebenfalls als hochbegabt gelten, dann besteht eine Effektivität von 100 %. Erkennt ein Sichtungsverfahren 49 von 100 hochbegabten Kindern, beträgt die Effektivität nur 49 %. Doch trotz eines Sichtungsverfahrens mit der Wirksamkeit von 100 % kann auf ein Diagnoseverfahren nicht verzichtet werden. Das zweite Kriterium des Sichtungsverfahrens, die Ökonomie, bezeichnet das Verhältnis zwischen der Gesamtzahl der Kinder, die durch ein Sichtungsverfahren als hochbegabt eingeschätzt wurden und der daraus festgestellten Anzahl der Kinder, die in der entgültigen Diagnose tatsächlich als hochbegabt identifiziert werden. Für diese Kriterien spielt das Diagnoseverfahren eine entscheidende Rolle. Zusammenfassend macht Barbara Feger (1988) deutlich, dass sich ein gutes Sichtungsverfahren durch eine hohe Effektivität und durch hohe Ökonomie auszeichnet. Die Effektivität ist dabei von größerer Bedeutung, da schließlich kein hochbegabtes Kind unentdeckt bleiben soll (vgl. Feger 1988, 102).

Im Rahmen meiner Arbeit werde ich die verschiedenen Verfahren nur erwähnen. Sie können unterteilt werden in:

- standardisierte Verfahren für Sichtung und Diagnose: Intelligenztests, Kreativitätstests, Leistungstest, Lerntests;
- Identifikation aufgrund schulischer Information: Zensuren, Lehrermeinung und Lehrerbeobachtung, Aufnahmeprüfungen, Identifikation durch Wettbewerbe;
- weitere Sichtungsverfahren: Identifikation durch die Eltern, Nominierung durch andere Kinder, Selbstnominierung, Persönlichkeitsgutachten und Empfehlungsschreiben, Checklisten und Beobachtungsbögen (vgl. Feger 1988, 102 ff).

Diese Verfahren zur Entdeckung Hochbegabter unterteilt Annette Heinbokel (1996) in Verfahren mit größerer Objektivität und in Verfahren mit geringerer Objektivität. Zu den erst genannten gehören die unterschiedlichen Arten von Tests, die Intelligenz, Kreativität und die Schulleistung messen. Zu den Verfahren mit geringerer Objektivität werden folgende gezählt: Lehrermeinung, Zensuren, Eltern- und Selbstnominierung, Nominierung durch andere Kinder, sowie Aufnahmeprüfungen und Wettbewerbe. Alle Verfahren haben als Gemeinsamkeit, dass keines in der Lage ist, alle hochbegabten Kinder zweifelsfrei zu identifizieren (vgl. Heinbokel 1996, 46).

Für Eltern und Lehrer lassen sich in der Literatur zahlreiche Checklisten und Merkmalskataloge mit den charakteristischen Eigenschaften hochbegabter Kinder finden, die bei der Identifikation hilfreich sind. Dabei werden charakteristische Gemeinsamkeiten hochbegabter Kinder aufgezählt. Diese Checklisten beziehen sich insbesondere auf die Erkennung intellektuell begabter Kindern. Sie geben nur allgemeine Hinweise, sind aber in der Praxis brauchbarer als eine Definition von Hochbegabung (vgl. Heinbokel 1996, 33).

Im Folgenden werde ich einige Punkte solcher Checklisten nennen. Eine Checkliste für Eltern stellt Annette Heinbokel (1996) vor. Sie besteht aus 15 Punkten, die sich auf die grundlegenden Merkmale hochbegabter Kinder beziehen. Als Beispiele seien genannt, dass begabte Kinder sehr lebhaft sind und ein geringes Schlafbedürfnis haben. Sie erreichen viele Entwicklungsstadien im Baby- und Kleinkindalter früher und durchlaufen sie schneller. Die Kinder überspringen Entwicklungsstadien, lernen früh lesen, manchmal ohne fremde Hilfe. Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis, können sehr genau beobachten. Hochbegabte fragen extrem viel und lassen sich nicht mit unzureichenden Antworten abspeisen (vgl. Heinbokel 1996, 34ff).

Die von Annette Heinbokel (1996) aufgezählten Eigenschaften können noch um weitere, die nicht ganz so häufig erwähnt sind, ergänzt werden. Einige Autoren nennen, z.B. den Sinn für Humor und eine außergewöhnliche Sensibilität für zwischenmenschliche Beziehungen als Merkmale für Hochbegabung (vgl. Heinbokel 1996, 44).

Da Lehrer die eben genannten Eigenschaften nicht beobachten können, wurden auch speziell für sie Checklisten erstellt. Neben Annette Heinbokel (1996) gibt auch Kurt A. Heller (1996) Hinweise woran Grundschullehrer ihre begabten Schüler erkennen können. Als Merkmale zählt der Autor folgende Kriterien auf:

1. ausgeprägte Leseinteressen und selbstinitiierte Freizeitaktivitäten;
2. im Vergleich zur Altersgruppe deutlich vergrößerte Wortschatz und elaborierten sprachlichen Ausdruck;
3. breites Wissensspektrum;
4. hohe intellektuelle Denkfähigkeiten, die sich z.B. in Mathematik oder allgemein bei formal – logischen Denkanforderungen zeigen;
5. besondere kreative Fähigkeiten, z.B. Ideenvielfalt und Originalität der Ideenproduktion oder der Lösungsmethode;
6. hohes Lerntempo und hervorragendes Gedächtnis;
7. kognitive Neugier und Erkenntnisstreben, „Wissensdurst“ und Fragelust, ausgeprägte Interessen;
8. hohe Lern- und Leistungsmotivation;
9. Selbstwirksamkeitsüberzeugung und außergewöhnliche Selbständigkeit im Urteil;
10. hohe Eigenverantwortlichkeit und Freude an intellektuell herausfordernden Aktivitäten usw. (vgl. Heller 1996, 13).

Die genannten Merkmale oder Verhaltensweisen müssen nicht alle gleichzeitig bei jedem begabten Kind vorhanden sein und natürlich kann nicht von einer einzigen vorhandenen Eigenschaft auf Hochbegabung geschlossen oder von dem Fehlen eines Merkmals eine normale oder mindere Begabung festgestellt werden (vgl. Urban 1996, 17). Auch geben sie nur allgemeine Hinweise und liefern keine Beweise auf eine eventuelle Hochbegabung. Klaus K. Urban (1996) zählt drei Voraussetzungen auf, die wesentlich für die Erkennung von hochbegabten Kindern sind. Die erste Voraussetzung muss sein, dass die Lehrer überhaupt erwarten, dass „unter den SchülerInnen ihrer Klasse neben mittelmäßigen, schwachen oder guten Lernern auch solche mit überragenden Möglichkeiten oder Fähigkeiten sein könnten“ (Urban 1996, 19). Zum Zweiten müssen die Lehrer die Anzeichen für eine Begabung bemerken, und drittens müssen sie diese auch erkennen und akzeptieren (vgl. Urban 1996, 19).

Um besondere Begabungen zu erkennen und „Fehldiagnosen“ zu vermeiden, fügt Klaus K. Urban (1996) dem hinzu, dass nicht nur der Klassenlehrer, sondern alle Lehrer einer Klasse gemeinsam versuchen sollten, hochbegabte Schüler zu erkennen und angemessene Fördermöglichkeiten zu diskutieren (vgl. Urban 1996, 20).

Kurt A. Heller (1996) erstellte für die Benutzung der Merkmalskataloge folgende Maßregeln: Die Einschätzung einzelner Schüler auf diese Weise ist nur ein erstes Ermitteln. Es müssen weitere Beobachtungen im Unterricht erfolgen. Die entgültige Diagnose muss schulpsychologisch abgesichert und überprüft werden. Es muss bedacht werden, dass eine Merkmalsliste nur eine kleine Auswahl an Begabungsmerkmalen repräsentiert. Die Identifikation begabter Schüler sollte dem Zweck dienen, die individuellen Lernbedürfnisse zu erfassen, um geeignete Förderungsmaßnahmen zu erstellen (vgl. Heller 1996, 13).

[...]

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Die Entdeckung und Förderung künstlerischer Begabung im Grundschulalter
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
86
Katalognummer
V39709
ISBN (eBook)
9783638384148
Dateigröße
926 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit werden zunächst der Begriff Begabung, die zeichnerische Entwicklung und die Entwicklung der Raumdarstellung in Kinderzeichnungen erläutert. Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen wird die Vorgehensweise für die Entdeckung einer künstlerischen Begabung mithilfe ausgewählter Kritieren beschrieben. Es folgt eine praktische Untersuchung, bei der Zeichnungen ausgewertet und Förderungsmöglichkeiten entwickelt wurden.
Schlagworte
Entdeckung, Förderung, Begabung, Grundschulalter
Arbeit zitieren
Annett Schulze (Autor:in), 2002, Die Entdeckung und Förderung künstlerischer Begabung im Grundschulalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39709

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