Leseprobe
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung und Problemstellung
2. Kosten aus der Sicht der Europäischen Union
2.1. Handelseinbußen
2.2. Investitionseinbußen
2.3. Kosten reduzierte Faktorwanderung - Migration
2.4. Ausfall eines wichtigen Beitragszahlers
2.5. Wegfall der britischen Stimme in EU-Gremien
3. Nutzen aus der Sicht der Europäischen Union
3.1. Handelsgewinne für andere EU-Mitglieder
3.2. Finanzplatz Frankfurt am Main gewinnt
3.3. Beschäftigungszuwachs im Finanzsektor
3.4. Europa wächst zusammen
3.5. Wegfall des Bremsers Großbritannien im EU-Gremium
4. Ausblick
5. Fazit
6. Literatur
7. Anhänge
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung und Problemstellung
Ein Kofferwort oder auch Kontamination genannt, ist eine Zusammenziehung von morphologisch überlappenden Wörtern, die formal und/oder inhaltlich verwandt sind (Duden, Logopädisches Handlexikon). Aus den Worten Britain und Exit wurde das Wort „Brexit“.
Mit dem möglichen Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gab es mit dem „Grexit“ bereits 2009 einen äquivalenten Begriff. Griechenland ist weiterhin in der Europäischen Union und der Grexit wurde nie zur Realität. Beim Brexit, dem Ausscheiden von Großbritannien aus der Europäischen Union, sieht es jedoch anders aus.
Am 23.06.2016 stimmte das britische Volk per Referendum für einen Austritt aus der Europäischen Union ab. Die Mehrheit von 51,9 % der Wählerinnen und Wähler ebneten den Weg, um nach Artikel 50 EUV die Union zu verlassen. Innerhalb Großbritanniens gab es vor allem zwischen der jungen und der alten Bevölkerung enorme Meinungsverschiedenheiten. Während man unter den Wählern jenseits des 50. Lebensjahres mit einer Mehrheit von über 63 % vor allem Befürworter des Brexit fand, zeigte sich unter den jüngeren Wahlberechtigten mit über 70 % eine klare Tendenz zum Verbleib in der Europäischen Union (Georgi & Steppat, 2016). Das Vereinigte Königreich ist gemäß Artikel 50 EUV noch bis zum 29.03.2019, aufgrund einer Zwei-Jahresfrist, Mitglied der Europäischen Union.
Im Vorfeld des Referendums setzte sich die konservative britische Regierung immer stärker für eine Souveränität ihres Landes ein. Auch dadurch stieg die Stimmung gegen die Union aus der britischen Bevölkerung und der Opposition an. David Cameron, damaliger Parteivorsitzender der „Conservative Party“ und Premierminister von Großbritannien, sah sich gezwungen, seinem Volk ein Referendum zu stellen.
Ob sich die Wünsche nach mehr Freiheit, weniger Einwanderung und nach mehr Selbstbestimmung verwirklichen lassen, wird sich erst zeigen. Das genaue Ausmaß des Brexit Referendums kann vorerst nur durch Studien, Prognosen und Hochrechnungen geschätzt werden.
Einen Präzedenzfall, worin ein EU-Mitglied aus der Union ausgetreten ist, gibt es bis dato noch nicht. In vielen Bereichen herrscht deshalb eine große Unsicherheit, da man sich auf keine Erfahrungswerte und Praktiken beziehen kann (Busch & Matthes, 2016).
Der britische Finanzdienstleistungssektor ist Dreh- und Angelpunkt europäischer Bankengeschäfte und durch den Verlust des EU-Passes könnte dieser ins Wanken geraten. Über 50 % der britischen Güter- und Warenimporte kommen aus der Union und könnten mit der Einführung von Zöllen nun deutlich verteuert werden (Capuano, 2017).
David Davis, der „Brexit Minister“ von Großbritannien, erklärte bereits, dass vor dem Jahr 2018 keine Vereinbarung über eine Übergangsfrist zwischen der EU und dem UK getroffen werde. Bis Ende März 2019 haben beide Parteien noch die Möglichkeit eine Verlängerungsfrist in Erwägung zu ziehen.
Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Entscheidung über eine Übergangsfrist oder spezielle Abkommen getroffen worden sein, verliert das Vereinigte Königreich seinen Status als Mitglied der Europäischen Union.
In der folgenden Diplomarbeit werden zum einen die Kosten und zum anderen die Nutzenfaktoren des Brexit aus Sicht der Europäischen Union erläutert. Die Analyse basiert auf Prognosen von Ökonomen, Zeitungsartikeln und statistischen Werten von Forschungsinstituten.
2 Kosten aus der Sicht der Europäischen Union
Im folgenden Abschnitt werden die Kosten aus Sicht der Europäischen Union beleuchtet. Dabei geht der Autor dieser Arbeit auf die verschiedenen Kostentreiber ein. Zunächst werden hierbei die Handelseinbußen in Punkt 2.1. und im weiteren Verlauf die Investitionseinbußen (2.2.), sowie die Kosten reduzierter Faktorwanderung (2.3.) dargestellt. Abgerundet wird dieser Themenblock mit dem Wegfall des Beitragszahlers (2.4.) und die Auswirkungen durch den Wegfall der Britischen Stimme in EU Gremien (2.5.).
2.1. Handelseinbußen
Ein Blick auf die Handelsstatistik zeigt, dass die Europäische Union der wichtigste Handelspartner von Großbritannien ist. Doch auch das Vereinigte Königreich ist von enormer Bedeutung für die EU (Eurostat, 2016). Viele Unternehmen aus Übersee nutzen Großbritannien als Standort für ihr Europageschäft, sodass sich der Großraum Londons über die Jahre zum Dienstleistungszentrum für Europa entwickelt hat.
Im Jahr 2015 waren über 42 % der britischen Exporte von Waren- und Dienstleistungen für das europäische Festland bestimmt. Bei den Importen kamen sogar über die Hälfte aus den europäischen Mitgliedsstaaten auf die britische Insel (Capuano, 2017).
Großbritannien erwirtschaftet insgesamt 17,5 % der Wirtschaftsleistung der EU, die restlichen 82,5 % entfallen auf die anderen 27 Mitglieder der Union (Anhang 1). Außerhalb der Eurozone ist Großbritannien für die EU-Länder der drittwichtigste Handelspartner hinter den Vereinigten Staaten von Amerika und China (Issuer Guide Eurozone, 2016). Durch das Referendum und den bevorstehen Austritt aus der EU könnte sich die Handelsbeziehung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union jedoch deutlich verschlechtern.
Um weiterhin von besonderen Privilegien profitieren zu können, müssen die EU und Großbritannien einen „weichen Brexit“ anstreben. Bei diesem Ausstieg würde das Vereinigte Königreich einen ähnlichen Status wie Norwegen, Island oder Liechtenstein erlangen. Zwar würden weiterhin nicht tarifäre Handelshemmnisse bestehen, jedoch fallen auf Im- und Exporte keine zusätzlichen Zölle an.
Großbritannien wäre damit kein EU-Mitglied mehr, jedoch Mitglied des Europäischen Wirtschaftraums (EWR) und hätte somit vollen Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Als Gegenleistungen muss jedoch zum EU-Haushalt beigetragen, Europäischen Staatsbürgern Personenfreizügigkeit gewährt und die Regeln der Union übernommen werden. Dies würde jedoch auch bedeuten, dass Großbritannien in Brüssel kein Mitspracherecht mehr hätte.
Im ungünstigsten Szenario, dem sogenannten „harten Brexit“ oder auch „Isolierung“, versteht man einen klaren Bruch mit dem europäischen Parlament in Brüssel. Großbritannien verliert dadurch alle 38 Handelsprivilegien zwischen der EU und anderen Drittländern. Es gelten hierbei die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Großbritannien hätte somit den gleichen Status wie beispielsweise die USA oder Brasilien mit der EU.
Bürgerinnen und Bürger aus den verbleibenden 27 EU-Staaten müssen Arbeitserlaubnisse beantragen, um in dem Land arbeiten und leben zu dürfen. Die Kosten der Handelswaren würden aufgrund von Import- und Exportzöllen und Einfuhrumsatzsteuern enorm an Wert ansteigen. Um diese Kosten zu umgehen, müssten spezielle Freihandelsabkommen zwischen der EU und UK verhandelt werden. Grundsätzlich sind solche Abkommen möglich, um diese jedoch zu erarbeiten, kann es laut Experten bis zu zehn Jahre dauern, wie man an den aktuellen Vereinbarungen mit Kanada und dem Abkommen CETA sehen kann.
Die bilateralen Handelsaktivitäten würden sich bei einem Austritt zwischen der EU und dem UK verringern. Wenn die britische Wirtschaft infolge eines Austritts aus der EU schwächer wächst, hat dies auch für deren Handelspartner wirtschaftliche Folgen. Aufgrund eines geringeren Realeinkommens geht die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ebenfalls zurück (Dr. Schoof et. al., 2015). Für die Handelspartner bedeutet dies, eine geringere Produktion und damit weniger Exporte von Europa nach Großbritannien. Der World Trade Organization (WTO) nach, könnten die Exporte auf die Insel bis zu 30 % zurückgehen.
Schätzungen zufolge würden in Deutschland die Auswirkungen der nachlassenden Handelsaktivitäten relativ gering ausfallen (Tab. 1). Bis zum Jahr 2030 rechnet man mit einem um 0,1 % bis 0,3 % niedrigerem realen Bruttoinlandsprodukt (BIP), obwohl Großbritannien der drittgrößte Abnehmer für deutsche Waren ist. Großbritanniens Nachbarland Irland würde es besonders hart treffen und zwischen 0,8 % bis knapp 2,7 % an Realeinkommenseinbußen leiden. Ebenso würden die skandinavischen Länder und die Benelux-Staaten überdurchschnittlich stark verlieren.
Für die gesamte verbleibende EU-27 (ohne UK) liegt der erwartete Rückgang des realen BIP je Einwohner infolge geringerer Handelsaktivitäten mit dem UK zwischen 0,1 % bei einem weichen Brexit und knapp 0,36 % im Falle eines harten Brexit des UK. Je weiter die geografische und kulturelle Entfernung vom Vereinigten Königreich, umso geringer werden die Verluste eines einzelnen Landes sein.
Tab. 1: Veränderung des realen BIP je Einwohner im Jahr 2030 in ausgewählten Ländern bei verschiedenen Brexit – Szenarien im Vergleich zum BIP je Einwohner bei einem Verbleib des UK in der EU.
Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten
Quelle: Dr. Schoof et. al., 2015, S. 1 – Berechnung des ifo Instituts
Die Automobilbranche, eine der deutschen Schlüsselindustrien, würde es besonders hart treffen, wenn durch den Brexit der Absatz von Fahrzeugen durch erhobene Zölle und unterschiedlichen technischen Vorschriften erschwert werden würde. Straßenfahrzeuge machten im Jahr 2016 fast ein Drittel (27 Mrd. Euro) der deutschen Güterexporte in das Vereinigte Königreich aus (Felbermayr et. al., 2017).
„Die Mehrheit der Fachleute geht davon aus, dass sich Großbritannien an den gegenwärtigen Zöllen aus der EU gegenüber Drittländer orientieren werde. Je raffinierter die Wertschöpfung, desto höher sind die Zölle, die die Länder festlegen“, so Holger Bingmann, Präsident des Außenhandelsverbandes BGA (Brankovic & Theurer, 2017)
Für die Automobilindustrie würde ein solcher Zoll, den die Briten erheben könnten, bei aktuell 10 % liegen.
Neben der Kfz-Branche müssen vor allem die Pharmazie-, Maschinenbau- und Chemie-Branche mit negativen Einschnitten rechnen (Abb. 1).
Abb. 1: Veränderung der sektoralen Wertschöpfungseffekte, der exportstärksten Sektoren Deutschlands nach Großbritannien, in Mio. EUR
Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten
Quelle: Prof. Felbermayr et. al. 2017 S. 82
Pharmazeutische Produkte:
Harter Brexit -598 Mio. EUR (-2,5%) / Weicher Brexit -239 Mio. EUR (-1%)
Maschinenbau:
Harter Brexit -563 Mio. EUR (-0,5%) / Weicher Brexit -112 Mio. EUR (-0,1%)
Computer, elektr. und optische Waren:
Harter Brexit 0% / Weicher Brexit +71 Mio. EUR (+0,2%)
Fahrzeuge:
Harter Brexit -1.100 Mio. EUR (-1%) / Weicher Brexit +110 Mio. EUR (+0,1%)
Chemische Erzeugnisse:
Harter Brexit -318 Mio. EUR (-2,5%) / Weicher Brexit 0%
Die nicht-tarifären Hindernisse, die durch den Austritt der Briten aus der EU entstehen, sollten ebenfalls nicht unterschätzt werden. In der gesamten Europäischen Union herrschen dieselben Regeln, wie etwa besondere Qualitätsstandards. Großbritannien könnte eigene Standards schaffen, die nicht unbedingt mit den europäischen Normen übereinstimmen. Der europäische Zoll müsste folglich an den Grenzen kontrollieren, ob die importierten Güter die Standards erfüllen. Ökonomen schätzen den finanziellen Schaden dieser Barrieren sehr hoch ein.
Auch bei den Finanzmärkten scheinen die Ansichten skeptisch zu sein. Am 24. Juni 2016, dem Tag nach dem Brexit Referendum, verlor der deutsche Aktienindex DAX aufgrund des schwachen Pfunds zwischenzeitlich ganze zehn Prozent. Für die Wechselkurs-Reagibilität der deutschen Waren- und Dienstleistungsexporte in UK wurde ein Koeffizient von -0,62 ermittelt. Der Koeffizient für Importe aus Großbritannien liegt bei -0,35, sodass der Effekt zwar etwas geringer ausfällt aber dennoch negativ ist (Kolev et. al. 2016). Resultierend aufgrund der negativen Koeffizienten, bedeutet das, dass die Warenströme von und nach Großbritannien aus Deutschland weniger werden.
Einige EU-Staaten haben höchstwahrscheinlich ein wirtschaftliches Interesse daran, den geregelten Zugang zum britischen Markt aufrechtzuerhalten, schließlich gingen 2016 rund 10 % der Exporte innerhalb der EU-27 nach Großbritannien. Das bedeutet einen Wert von 370,12 Mrd. Euro (Statista, 2017). Die ökonomische Bedeutung des Handels mit der Insel variiert jedoch zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten.
Für Deutschland, Frankreich und Polen etwa ist das Land jeweils unter den Top 5 der Handelspartner, für Irland sogar der Wichtigste (Statistisches Bundesamt, 2017 & Statista, 2016). In ganz Irland existieren Befürchtungen von erheblichen Handelseinbußen, höheren Energiepreisen und langfristig geringeren Investitionen auf Übersee. Vor allem die irische Lebensmittelbranche, die ihre Produkte in stärkerem Maße als andere nach Großbritannien exportiert, würde extrem leiden (Slodczyk, 2016).
Spanien könnte aufgrund des Brexit unter extremen Einbußen in der Tourismusbranche zu kämpfen haben. 2016 kamen 15 Mio. britische Urlauber nach Spanien und gaben 14 Mrd. Euro aus. Durch mögliche Hindernisse bei der Einfuhr könnte diese Zahl nun deutlich zurückgehen. Auch Gibraltar, aktuell im Besitz von Großbritannien, steht vor einer ungewissen Zukunft. Mehrere Millionen Touristen besuchen jährlich den „Affenfelsen“, wobei die meisten über die Landesgrenze aus Spanien kommen. Grenzübergänge zu Gibraltar werden daher nicht förderlich für Spanien sein (Meyer, 2017).
Eine untergeordnete Rolle als Handelspartner spielt das Königreich dagegen für mehrere mittel- und osteuropäische Länder wie etwa Ungarn, Österreich oder die baltischen Staaten.
Ob es zu einem weichen oder einem harten Brexit zwischen Großbritannien und der Europäischen Union kommen wird, ist noch unklar. Es ist jedoch davon auszugehen, je stärker die Handelsbeziehungen zwischen UK und der EU vom Status quo abweichen, desto größer werden die Wirtschaftseinbußen für alle Beteiligten sein.
2.2. Investitionseinbußen
Insbesondere die Unsicherheit über das Wie und Wann des britischen Ausstiegs aus der Europäischen Union wird sich auf die europäischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen auswirken. Es ist davon auszugehen, dass viele Unternehmen ihre Investitionspläne vorerst auf Eis legen, bis geklärt ist, welchen Kompromiss die EU mit Großbritannien eingeht (Schulz, 2016). Bei den anstehenden Austrittsverhandlungen steht der Erhalt eines freien Warenverkehrs ganz oben auf der Prioritätenliste deutscher und europäischer Firmen.
Investoren sahen bisher das für europäische Verhältnisse relativ liberale Großbritannien als Brückenkopf zum Binnenmarkt und schätzten den Standort als Werkbank für Europa. Der Brexit würde diesen Standortvorteil jedoch beseitigen.
Neben dem Verlust der Investitionsattraktivität würde Großbritannien wohl aller Voraussicht nach auch Konzernsitze im eigenen Land einbüßen. Auch das Finanzzentrum in London dürfte an großer Bedeutung verlieren. Städte wie Paris oder Frankfurt sind potenzielle Nachfolger für die europäische Finanzwelt. Resultierend daraus, könnte Großbritannien in eine leichte Rezession rutschen, welche den Aufschwung in den restlichen 27 EU-Staaten einen erheblichen Dämpfer geben dürfte (Zastiral, 2016).
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