Die moderne Esskultur. Wandel und Folgen

Eine Erklärung durch Ulrich Beck's Theorie der Weltrisikogesellschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Von der Natur der Ernährung zur Kultur des Essens
2.1 Nahrung als biologische Notwendigkeit
2.2 Zur Anthropologie des Essens
2.2.1 Die biokulturelle Erklärung
2.2.2 Das strukturalistische Modell
2.2.3 Der Omnivore-Charakter des Menschen
2.2.4 Fazit aus allen drei Positionen
2.3 Kultureller Anteil beim Essen
2.3.1 Die „natürliche Künstlichkeit“ des Menschen nach Helmut Plessner
2.3.2 Die „natürliche Künstlichkeit“ des Essens

3. Essen als Kultur
3.1 Die Küche als ein kulturelles Regelwerk
3.2 Verfestigung in bestimmten Institutionen
3.3 Kulturelle und soziale Differenzierung durch Essen
3.3.1 Diät als kulturelle Abgrenzung von den Anderen
3.3.2 Vegetarischer Lebensstil als Ausdruck individueller Selbstbestimmtheit
3.3.3 Weibliches und Männliches Essen als Indiz für klassische Rollenverteilung

4. Esskultur im gesellschaftlichen Wandel
4.1 Massenproduktion und Entfremdung
4.2 Veränderung des Konsumverhaltens
4.3 Auswirkungen auf die Umwelt

5. Ulrich Beck: Auf dem Weg in die Zweite Moderne
5.1 Das Leben in einer Risikogesellschaft
5.1.1 Theorie reflexiver Moderne
5.1.2 Risiken
5.2 Individualisierungsthese
5.3 Kosmopolitisierung

6. Anwendung der Theorie Becks auf die Esskultur
6.1 „food risk society“ - Umweltgefährdung durch Ernährung
6.2 Individualisierung in der Ernährung
6.2.1 Die Verantwortung des Einzelnen für die Umwelt
6.2.2 Umweltschonende Ernährung

7. Fazit

1. Einleitung

Heute ist es für Menschen normal, Nahrung aus der Fabrik zu verzehren. Die Ernährungsindustrie ist zu einer der größten Branchen geworden. In den Supermärkten finden wir viele verschiedene Produkte vor und für jeden ist etwas dabei. Ob man sich nun vegetarisch ernährt, an Bio glaubt oder doch lieber Tiefkühlkost isst, Lebensmittel in alle dieser Richtungen werden heute hergestellt. Millionen von Menschen müssen ernährt werden, dies wäre ohne industrialisierte Produktion heute nicht mehr möglich. Es ist normal geworden, nicht mehr zu wissen, wie ein bestimmtes Nahrungsmittel hergestellt wurde, denn sie werden hinter den Kulissen verarbeitet und fertig in den Supermarktregal gestellt (vgl. Wüstenhagen 2009).

Unter diesem Hintergrund möchte ich im Laufe meiner Arbeit herausfinden, inwiefern Essen einen kulturellen Anspruch hat und wie sich die Esskultur heute gestaltet. Durch das Heranziehen der Theorie von der „Weltrisikogesellschaft“ und der damit verbundenen These der Industrialisierung sollen die Wandlungen in der Esskultur und die dadurch verursachten Folgen für die Umwelt analysiert werden.

2. Von der Natur der Ernährung zur Kultur des Essens

2.1 Nahrung als biologische Notwendigkeit

„Menschen müssen sich ernähren“ (Barlösius 2016: 19). Das Nahrungsbedürfnis ist das erste Bedürfnis eines jeden Menschen, das vor allen anderen Bedürfnissen befriedigt werden muss. Ohne Nahrung ist das Überleben und Leben unmöglich, es ist eine physische Notwendigkeit (vgl. Barlösius 2016: 19).

Wie in der bekannten Maslow’schen Pyramide dargestellt, bildet die Ernährung als physische Notwendigkeit die Basis menschlichen Überlebens. Erst, wenn die „niedrigsten Bedürfnisse“ - außer Schlafen und Kleidung vor allem die Ernährung - erfüllt sind, kann sich der Mensch um seine „höheren Bedürfnisse“ kümmern. An der Spitze der Pyramide stehen also die kulturellen Bedürfnisse des Menschen, die entfallen, wenn der Mensch nicht vorher sein Überleben durch Nahrungsmittelzufuhr gesichert hat. Daraus resultiert für das Essen, dass es in Zeiten der Not außer der biologischen Notwendigkeit keine kulturelle Bedeutung besitzt.

Dies würde eine klare Trennung von Natur und Kultur in Anbetracht des Essens bedeuten, der Mensch sei somit ein Wesen, das vom Natur- in den Kulturzustand übergeht (vgl. Barlösius 2016: 29f). Jedoch gibt es einige Ansichten, die dieser einfachen Anthropologie des Essens widersprechen.

2.2 Zur Anthropologie des Essens

Während Maslow in seiner Bedürfnispyramide das Essen als Basis vor allen anderen Notwendigkeiten sieht, zeigen andere Wissenschaftler, dass Essen nicht nur ein biologisches Erfordernis ist. Nun stellt sich die Frage, inwieweit Ernährung also auch eine kulturelle Angelegenheit ist und wie sich das Verhältnis von Natur und Kultur gestaltet.

2.2.1 Die biokulturelle Erklärung

Es gibt drei Konzeptionen, die zeigen, auf welche verschiedene Weisen das Verhältnis von Natur und Kultur des Essens interpretiert werden können (vgl. Barlösius 2016: 32). Die biokulturelle Erklärung vertritt die Auffassung, dass zunächst einmal biologische Notwendigkeiten im Vordergrund stehen. Das heißt, der Mensch hat von Natur aus körperliche Bedürfnisse und einer dieser ist die Ernährung. Um dann auszudrücken, was der Körper physisch braucht, bedarf der Mensch der kulturellen Sprache (vgl. Barlösius 2016: 33) Es wird also „so gekocht […], wie es den körperlichen Bedürfnissen entspricht, also physiologisch zweckmäßig ist“ (Barlösius 2016: 33).

Diese Auffassung der Anthropologie des Essens versteht sich zudem als Anpassungsthese. Durch die genetische Anpassung des Menschen „an die natürliche Umwelt“ entsteht eine Vielzahl von Ernährungsweisen (Barlösius 2016: 34). Kochtechniken werden nicht auf die genetische Ausstattung des Menschen, sondern der Mensch genetisch an seine Umwelt angepasst. Aus diesem natürlichen Anpassungsprozess folgt auch die kulinarische Vielfalt, denn die genetische Anpassung wird ständig durch kulturelle Gebräuche ergänzt. Das Hauptargument der biokulturellen Erklärung über das Verhältnis von Natur und Kultur ist also, dass kulturelle Praxis nur dazu dient, die körperlichen Notwendigkeiten durchzusetzen (vgl. Barlösius 2016: 34).

2.2.2 Das strukturalistische Modell

Des Weiteren unternimmt auch das strukturalistische Modell einen Versuch der Verhältniserklärung zwischen Natur und Kultur des Essens (vgl. Barlösius 2016: 35). Diese kulturalistische Theorie begreift die „Natur nicht als objektiv Gegebenes, sondern als symbolisch Konstituiertes“ (Eder 1988: 29). Die Natur ist also nicht ohne Weiteres vorhanden, sondern wird durch symbolisch handelnde Menschen konstruiert. Jede Handlung ist Sinn enthaltend und somit auch kulturell, weshalb die Natur selbst gleichzeitig Kultur ist (vgl. Barlösius 2016: 35).

Wie die kulturelle Ausgestaltung einer bestimmten Gesellschaft aussieht, wird durch ihre Küche deutlich. Das strukturalistische Modell erhebt also kulturellen Anspruch auf natürliche Handlungen mit dem Argument, dass die Gesellschaft, in der Art und Weise der Zubereitung und Verteilung des Essens, ihre sozialen Strukturen festlegt und repräsentiert (vgl. Barlösius 2016: 36).

2.2.3 Der Omnivore-Charakter des Menschen

Die anthropologischen Grundlagen des Essens seien vom Omnivore-Charakter des Menschen bestimmt. Der Mensch ist demnach sowohl von der biologisch von der Natur abhängig als auch kulturell frei zu entscheiden, was und wie er isst. Das heißt, dass eine physische Notwendigkeit besteht, dem Körper Nahrung zuzuführen, gleichzeitig aber der Mensch selbst bestimmt, wie er sich ernährt. Dies wird als kulturelle Entscheidung verstanden. Der Mensch kann also wählen, er kann sich fleischhaltig, vegetarisch oder auch vegan ernähren, aber ernähren muss er sich (vgl. Barlösius 2016: 37).

Vor allem Fischler hat diese Richtung der Erklärung des Natur-Kultur-Verhältnisses beim Essen geprägt. Er zeigt, dass durch den Omnivore-Charakter des Menschen eine Widersprüchlichkeit der doppelten Zugehörigkeit des Essens sowohl zur Natur als auch zur Kultur besteht. Er bezeichnet dieses Paradox als „paradoxe de l’omnivore“ (Fischler 1992: 63).

An dieser Stelle ist auch die Theorie Gehlens heranzuziehen, in welcher der Soziologe den Menschen als ein Mangelwesen bezeichnet. Grade die Weltoffenheit des Menschen stellt für ihn einen Mangel dar, denn im biologischen Sinn hat er keinen bestimmten Lebensraum wie die Tiere, in dem er überleben kann. Er muss sich seinen Lebensraum anhand von Werkzeugen selbst schaffen um sein Überleben zu sichern. Da es für ihn eine Notwendigkeit ist, sich zu ernähren, muss er sich mit kulturellen Praktiken sein Essen zubereiten. Menschen sind aber, was die Ernährung angeht, trotzdem an die Natur gebunden, da der Körper nicht alles ohne Weiteres als Essen annimmt (vgl. Gehlen 1976: 33). Die Küche dient hier also als Instinktersatz, sie ist ein kulturelles Regelwerk, die sich allerdings „den körperlichen Anforderungen zu unterwerfen“ hat (Barlösius 2016: 38).

2.2.4 Fazit aus allen drei Positionen

Insgesamt wird also klar, dass das Essen weder nur zur Natur oder zur Kultur gehört. Der Mensch kann sich nicht dazu entscheiden, nicht zu essen. Wenn er das tun würde, wäre das Überleben nicht mehr gesichert. Um zu überleben, ist es von Natur aus notwendig für ihn, sich mit Nahrung zu versorgen. Um sich zu ernähren, bedient sich der Mensch schließlich der kulturellen Auswahl. Der Mensch kann selbst entscheiden, wie, wann und wo er isst. Seine Freiheit, die Essweise eigenständig zu bestimmen, zeigt, dass Essen nicht nur natürlichen sondern auch kulturellen Anspruch hat.

Festzuhalten ist: „Essen hat immer zugleich eine natürliche und eine kulturelle Seite“ (Barlösius 2016: 40).

2.3 Kultureller Anteil beim Essen

2.3.1 Die „natürliche Künstlichkeit“ des Menschen nach Helmuth Plessner

Plessner beschreibt den Menschen als „naturgebunden und frei, gewachsen und gemacht, ursprünglich und künstlich“ (Plessner 1981: 70). Wie oben bereits ausgeführt, ist der Mensch ist im Gegensatz zum Tier nicht an eine bestimmte Umwelt gebunden. Ihm sind die Mittel, die er zur Überlebenssicherung benötigt, nicht angeboren. Er muss sie sich selbst beschaffen bzw. erschaffen. Dieses Fehlen der notwendigen Mittel zum Leben ist im Menschen aber eine natürliche, angeborene Disposition. Er muss sich also von Natur aus selbst Werkzeuge bauen und sich anhand dieser eine Umwelt errichten, in der er überleben und leben kann. Er bedarf also künstlicher Dinge, um Leben zu können (vgl. Plessner 1983: 64).

Während Tiere einen bestimmten Lebensraum haben und in diesem durch angeborene Fähigkeiten überleben können, müssen sich Menschen Häuser, Straßen und Autos etc. bauen, um ein Leben führen zu können. Der Mensch verleiht den Dingen, die er baut, einen Sinn und schafft sich durch diese Handlungen seine eigene Kultur (vgl. Plessner 1983: 83). Das Hauptargument Plessners ist demnach, „dass der Mensch für sein Überleben der Kultur bedarf“ (Barlösius 2016: 42).

2.3.2 Die „natürliche Künstlichkeit“ des Essens

Menschen gestalten kulturell die Art und Weise, auf die sie sich ernähren. Zwar ist es biologisch erforderlich, zu essen, warum der Mensch sich jedoch so ernährt, wie er es tut, ist aus kultureller Sicht zu erklären.

Ernährung hat sich in der Vergangenheit stetig gewandelt, während der Körper (da er sich evolutionär nur sehr langsam verändert) gleichgeblieben ist. Das kommt daher, dass sich das Wissen über die Ernährung erweitert hat. Was der menschliche Körper an Nahrungsmitteln braucht, ist dem Bewusstsein nicht von Natur aus gegeben, anders als bei den Tieren. Diese haben sich biologisch an ihre Außenwelt angepasst und wissen, welche Pflanzen und andere Tiere sie verzehren müssen, um ihr Überleben zu sichern (vgl. Barlösius: 2016: 45). Die Ernährungsweise ist dem Menschen aber nicht angeboren, weshalb Menschen „ihre Essweise selbst bestimmen und schaffen“ müssen und können (Barlösius 2016: 45). Es gibt keinen Mechanismus, der den Menschen von Natur aus wissen lässt, welche Zusammensetzung der Nährstoffe für eine ausreichende Versorgung des Körpers notwendig ist. Vielmehr bedarf der Mensch einer kulturellen Vermittlung, die er sich durch Wissen und Erfahrung aneignet.

Da Menschen dann bewusst entscheiden, was sie essen, verlassen sie die natürliche Sphäre und handeln kulturell (vgl. Barlösius 2016: 45). Die Essweise wird gezwungenermaßen selbst hergestellt und mit eigenen Techniken realisiert. Es ist also von einer « natürlichen Künstlichkeit des Essens » die Rede, da der Mensch anders als ein Tier sein Essen « künstlich » herstellen kann bzw. muss (Barlösius 2016: 46).

Aus dieser Tatsache lässt sich folgern, dass der Mensch sich somit seine eigene Esskultur schafft (vgl. Barlösius 2016: 46).

3. Essen als Kultur

3.1 Die Küche als ein kulturelles Regelwerk

Wie bereits oben geschildert, kann und muss der Mensch anhand kultureller Bewertung selbst festlegen, was er essen möchte und was nicht. Er setzt für sich selbst somit fest, was er als Lebensmittel anerkennt. Außer bestimmte natürliche Elemente, die er aus biologischen Gründen, da sie giftig oder unverdaulich sind, nicht aufnehmen kann, ist es seine eigene Entscheidung, welche Tiere und Pflanzen er zu sich nimmt.

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Details

Titel
Die moderne Esskultur. Wandel und Folgen
Untertitel
Eine Erklärung durch Ulrich Beck's Theorie der Weltrisikogesellschaft
Hochschule
Universität Passau
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
20
Katalognummer
V413389
ISBN (eBook)
9783668646018
ISBN (Buch)
9783668646025
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Kultur, Essen, Ulrich Beck, Risikogesellschaft, Kosmopolitisierung, Klassiker, Essenskultur, Wandel, Gesellschaft, Natur
Arbeit zitieren
Merve Degirmenci (Autor:in), 2017, Die moderne Esskultur. Wandel und Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413389

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