Der Beitrag (Teil I) geht vom fremdsprachigen Können als der komplexen Leistungsdisposition für die Erreichung der Ziele des Fremdsprachenunterrichts aus. Diesem Können werden Tätigkeiten, Handlungen und Operationen zugeordnet. Die verschiedenen Komponenten des Könnens, nämlich vor allem Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, haben unterschiedliche Funktionen beim Zustandekommen beziehungsweise beim Ablauf von Sprachhandlungen:
Innerhalb des kommunikativen fremdsprachigen Könnens stellen die Kenntnisse die basale Komponente dar und unterteilen sich in sprachpraktische und sprachtheoretische Kenntnisse, in Sachkenntnisse, Verfahrenskenntnisse, Wert-und Normkenntnisse. Fertigkeiten sind die automatisierten Komponenten des Verlaufs von Handlungen und sind die Voraussetzung dafür, dass die fremdsprachige Handlung insgesamt rasch, flüssig, sicher und leicht ablaufen kann. Die geistigen Fähigkeiten betreffen den Verlauf der geistigen Tätigkeit und sind von großer Bedeutung für den Erfolg des Fremdsprachlernprozesses. Aus den Begriffsdarstellungen ergeben sich vielfältige Konsequenzen für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts, die in diesem Beitrag angesprochen und in einem folgenden Beitrag (Teil II) ausführlich erläutert werden
Sabine Utheß
Teil I: Wissen und Können, Fertigkeiten und Fähigkeiten – die Ziele des Fremdsprachenunterrichts
(Ein Versuch, Licht in das Wirrwarr der Begriffe zu bringen)
Das wesentliche Merkmal der kommunikativen Zielstellung des Fremdsprachenunterrichts besteht darin, dass sich die Schüler die Fremdsprache als Kommunikationsmittel aneignen. Sie sollen lernen, die wichtigsten Kommunikationssituationen, die in der Lebenspraxis auftreten und die eine fremdsprachige Verständigung erfordern, in angemessener Weise zu bewältigen.
Die Sprachkommunikation ist eine spezifische Form der gesellschaftlichen Tätigkeit des Menschen, in der sich unter bestimmten (inneren und äußeren) Bedingungen ein Austausch von Bewusstseinsinhalten mit Hilfe sprachlicher Mittel vollzieht. Dieser Austausch von Bewusstseinsinhalten kann sowohl durch Hören und Sprechen als auch durch Lesen und Schreiben vor sich gehen.
Für die Ausübung kommunikativer fremdsprachiger Tätigkeiten ist ein ganz bestimmtes Können der Kommunikationspartner erforderlich. Mit Können ist ein habitueller Zustand von Leistungs- und Verhaltensdispositionen gemeint, der es dem Menschen gestattet, bestimmte Handlungen (Tätigkeiten) auszuführen.
Um den Unterrichtsprozess zielgerecht gestalten zu können, muss die Fremdsprachenlehrerin oder der Fremsprachenlehrer in das Wesen des kommunikativen Könnens eindringen. Den Schlüssel zu dessen Verständnis bildet die
kommunikative fremdsprachige Tätigkeit . In ihr realisiert sich das Können, über das eine Person verfügt.
Es wurde bereits festgestellt, dass die kommunikative sprachliche Tätigkeit durch den Austausch von Bewusstseinsinhalten mittels der Sprache gekennzeichnet ist. Die Bewusstseinsinhalte umfassen die Ergebnisse der Widerspiegelung der Wirklichkeit in Form von sinnlichen und rationalen Abbildern, beeinflusst durch den Willen und die Emotionen. Sie manifestieren sich in den sprachlichen Mitteln und sind mit ihrer Hilfe übertragbar.
Kommunikative sprachliche Tätigkeiten haben den Zweck, Beziehungen zwischen den Menschen zu vermitteln. So dienen sie z. B. dazu, ein bestimmtes Verhalten und Handeln bei anderen herbeizuführen, eine zum jeweihgen Zeitpunkt ablaufende, gemeinsam mit anderen Personen verrichtete Tätigkeit zu steuern. Mit ihrer Hilfe wollen die sprachlich Tätigen anderen bestimmte Informationen vermitteln oder diese von anderen erhalten. Sie beabsichtigen, Wertungen im Hinblick auf bestimmte Personen, Gegenstände, Geschehnisse auszudrücken oder zu erfragen sowie Gefühle kundzutun oder deren Äußerung von anderen zu erfahren.
Die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse im Fremdsprachenunterricht ist für die Realisierung der kommunikativen Zielstellung außerordentlich wichtig. Es ist notwendig, die Schüler in Situationen zu versetzen, in denen die Fremdsprache zu Zwecken gebraucht wird, die denen in der lebenspraktischen Kommunikation gleich oder ähnlich sind. Dadurch wird erreicht, dass der Sprachlernprozess zielgerecht und lebensnah abläuft.
Kommunikative sprachliche Tätigkeiten realisieren sich in Gestalt konkreter sprachlicher Handlungen . So sind z. B. das Führen eines Dialogs, das Erstatten eines Berichts, das Erzählen einer Begebenheit, das Anhören einer Erzählung, das Lesen eines Artikels, das Schreiben eines Briefes derartige Handlungen, die jeweils konkret sind und einmalig ablaufen. Im Fremdsprachenunterricht treten in jeder Stunde verschiedene solcher Handlungen auf. Eine kommunikative fremdsprachige Handlung stellt jeweils die Gesamtheit der Sprachvollzüge dar, die ein Schüler zur Bewältigung einer gegebenen Kommunikationssituation leistet.
Innerhalb der Sprachhandlungen treten Operationen als kleinere Einheiten auf. Sie unterscheiden sich von ersteren dadurch, dass ihnen im Bewusstsein des Sprachtätigen kein eigenständiges Ziel zugeordnet wird, obwohl sie in ihrer Gesamtheit das Ziel der Sprachhandlung verwirklichen helfen. Sie sind innerer, sprachlichgeistiger, und äußerer, sprachlich-motorischer. Innerhalb eines Dialoges als einer Sprachhandlung treten u. a. als Operationen das Wortlaut- und Wortsinnerfassen, der Gebrauch bestimmter Wörter innerhalb von syntaktischen Strukturen, die Artikulation von Wörtern und Wortfolgen auf.
Wenn die Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler im Unterricht auf die Ausübung bestimmter kommunikativer Handlungen vorbereitet, muss sie sehr genau wissen, aus welchen Operationen sich die betreffenden Handlungen zusammensetzen, welche den Schülern besondere Schwierigkeiten bereiten und demzufolge besonders zu üben sind. Es kann sich dabei z. B. um die Flexion bestimmter Wörter, deren Aussprache oder Schreibung handeln. Zum Gegenstand spezieller Übungen können aber auch die Verwendung einer bestimmten syntaktischen Struktur oder die Intonation bestimmter Sätze werden. Die Lehrkraft muss also schon bei der Planung des Unterrichts eine möglichst genaue Vorstellung von der Struktur der kommuinkativen Sprachhandlungen haben, die die Schülerinnen und Schüler ausüben sollen, um die schwierigen Operationen in speziellen vorbereitenden Übungen vorübergehend isoliert zu üben.
Aus der Tatsache, dass jede Tätigkeit (Handlung) das Vorhandensein von Kenntnissen, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Fähigkeiten voraussetzt, ergibt sich, dass im Können als der Leistungsvoraussetzung für die Tätigkeit Kenntnisse, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Fähigkeiten in spezifischer Weise integriert sind.
Die verschiedenen Komponenten des Könnens haben unterschiedliche Funktionen beim Zustandekommen bzw. beim Ablauf der Sprachhandlungen.
Innerhalb des kommunikativen fremdsprachigen Könnens stellen die Kenntnisse die basale Komponente dar.
Kenntnisse sind Abbilder von Erscheinungen der Wirklichkeit im Bewusstsein der Menschen. In der Funktion von Leitbildern bestimmen sie u. a. maßgeblich Ziel und Inhalt der menschlichen Tätigkeit, vor allem der praktischen Tätigkeit des Menschen. Aus diesem Grunde stellen sie eine so grundlegende Komponente des Könnens dar.
In jeder Tätigkeit wirkt ein spezifischer Komplex verschiedener Kenntnisse. Der Ausübung kommunikativer fremdsprachiger Handlungen liegen vor allem sprachliche Kenntnisse, Sachkenntnisse und Verfahrenskenntnisse, daneben aber auch Norm- und Wertkenntnisse zugrunde. Über alle diese Kenntnisse muss die Schülerinnen und Schüler in bestimmter Quantität und Qualität verfügen, wenn sie das kommunikative Ziel des Fremdsprachenunterrichts erreichen wollen.
Die sprachlichen Kenntnisse gliedern sich ihrer Herkunft nach in lexikalische, grammatische, phonetische und orthographische Kenntnisse.
In allen vier sprachlichen Kenntnisbereichen bedarf der Mensch sowohl der Kenntnis einzelner sprachlicher Einheiten als auch der Kenntnis ihrer Regelmäßigkeiten.
Abbilder einzelner sprachlicher Mittel, z. B. einzelner Sätze, einzelner Wörter oder einzelner Wortformen, stellen Einheiten von sinnlichem Signalabbild (Sprachform) und gedanklichem Sachabbild (Bedeutung) dar. Die Schülerinnen und Schüler brauchen diese Kenntnisse, um Aussagen über Erscheinungen der Wirklichkeit machen zu können.
Abbilder der Regelmäßigkeiten sprachlicher Mittel brauchen sie, um mit möglichst wenig Aufwand eine größere Zahl (eine Klasse) sprachlicher Erscheinungen zu beherrschen.
Eine sprachliche Regelmäßigkeit äußert sich im Vorhandensein allgemeiner, d. h. gemeinsamer Merkmale bei mehreren (mindestens zwei) sprachlichen Einheiten. Wenn z. B. mehrere konkrete Sätze aus Wörtern gleicher Wortart bestehen und diese in gleicher Abfolge angeordnet sind oder wenn mehrere Wörter zum Ausdruck einer gleichbleibenden grammatischen Bedeutung mit den gleichen Morphemen verbunden werden können oder wenn bei mehreren Wörtern eine bestimmte, gleichbleibende Graphemfolge in gleicher Weise ausgesprochen wird, dann äußert sich darin eine sprachliche Regelmäßigkeit.
Die Kenntnis einer sprachlichen Regelmäßigkeit vermag den Prozess des Erler- nens einer Sprache wesentlich zu erleichtern und zu beschleunigen, weil ein gleichbleibendes Merkmal nur einmal gelernt zu werden braucht und trotzdem im Zusammenhang mit vielen konkreten sprachlichen Erscheinungen angewendet werden kann. Deshalb sind Kenntnisse sprachlicher Regelmäßigkeiten für den Fremdsprachenunterricht so bedeütsam.
Die Schüler gelangen zur Kenntnis einer sprachlichen Regelmäßigkeit entweder auf sprachpraktischem oder auf sprachtheoretischem Wege.
Der sprachpraktische Weg der Aneignung besteht darin, dass ein bestimmtes Merkmal einer Klasse sprachlicher Erscheinungen bei verschiedenen Vertretern dieser Klasse in der Sprachtätigkeit immer wieder auftritt. Für den Unterricht bedeutet das, dass einem Übungsprozess ein bestimmter einheitlicher Merkmalskomplex zugrunde gelegt werden muss und dass die Schüler diese Merkmale (z. B. eine regelmäßige Tempusform) mit wechselnden Vertretern einer Klasse sprachlicher Erscheinungen (z. B. verschiedenen Verben) verbinden müssen.
Auf diese Weise können die Schüler im Laufe der Zeit die Kenntnis einer sprachlichen Regelmäßigkeit erwerben.
Allerdings ist es im Sprachlernprozess unter schulischen Bedingungen meist nicht rationell, den Schülerinnen und Schülern Kenntnisse sprachlicher Regelmäßigkeiten ausschließlich auf sprachpraktischem Wege zu vermitteln. Unter Umständen kann es wesentlich zur Verkürzung des Erkenntnisprozesses beitragen, wenn das Vorhandensein einer sprachlichen Regelmäßigkeit auf sprachtheoretischem Wege bewusstgemacht wird. Das geschieht in Form einer Aussage, in der das Vorhandensein eines oder mehrerer gemeinsamer Merkmale für mehrere sprachliche Erscheinungen festgestellt wird. Zum Beispiel: „ Das Present Perfect wird aus have/has + Past Participle gebildet.“
Eine Aussage über eine sprachliche Regelmäßigkeit ist eine sprachliche Regel. Das heißt, während die sprachliche Regelmäßigkeit auf der Ebene der sprachlichen Zeichen liegt, befindet sieh die sprachliche Regel auf der Abbildebene dieser Zeichen.
Sprachpraktische Kenntnisse sind demzufolge unmittelbar im Prozess der Sprachverwendung erworbene Abbilder einzelner sprachlicher Einheiten und ihrer Regelmäßigkeiten.
Sprachtheoretisehe Kenntnisse – soweit sie den Fremdsprachenunterricht betreffen – sind Abbilder von Aussagen über einzelne sprachliche Einheiten und ihre Regelmäßigkeiten. Sie werden in einem Erkenntnisprozess gewonnen, dessen Gegenstand sprachliches Material ist.
Die sprachpraktischen Kenntnisse steuern die Sprachtätigkeit des Menschen unmittelbar. Sie sind modellartige Leitbilder sowohl für das Verstehen als auch für das Hervorbringen sprachlicher Äußerungen.
Sprachtheoretische Kenntnisse dagegen steuern die Sprachtätigkeit nicht unmittelbar als Modelle, sondern mittelbar als Beschreibungen sprachlicher Gegebenheiten. Sie sind regelartige Leitbilder für die Sprachtätigkeit. Sie stehen auf höherer Abstraktionsstufe als die sprachpraktischen Kenntnisse und bedürfen deshalb eines längeren Umsetzungsprozesses als diese, ehe sie auf die sprachliche Tätigkeit einwirken können.
Sprachpraktische und sprachtheoretische Kenntnisse haben im Sprachlern- und im Sprachverwendungsprozess spezifische Funktionen zu erfüllen. Deshalb sind beide Kenntnisarten für den Fremdsprachenunterricht wichtig.
Sachkenntnisse sind Abbilder von Dingen, Personen, Eigenschaften und Beziehungen außersprachlicher Art. Sie bilden den Sachinhalt sprachlicher Aussagen. Ihr Umfang kann sehr unterschiedlich sein.
Es kann sich um einzelne Sachverhalte handeln, die die Schülerinnen und Schüler kennen sollen, z. B.: „ Othello » is a play by Shakespeare.“
Es können aber auch Mengen von Sachverhalten sein, die dann einen gemeinsamen Bezugspunkt haben, der als Thema bezeichnet wird. Das Thema ist demzufolge ein gemeinsamer Bezugspunkt für eine von Fall zu Fall unterschiedlich große Menge von Sachverhalten.
So sind unter dem Thema „ Stratford-upon-Avon “ oder unter dem Thema „Paris“ alle Aussagen denkbar, die historisch, aktuell oder perspektivisch Bezug zu dieser englischen bzw. französischen Stadt haben.
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- Prof. Dr. Sabine Utheß (Author), 2018, Die Ziele des Fremdsprachenunterrichts. Wissen und Können, Fertigkeiten und Fähigkeiten (Teil I), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415716
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