Welchen Einfluss hat Interkulturalität auf die Erwachsenenbildung? Weiterbildung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund


Bachelorarbeit, 2014

49 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Begrifflichkeiten der Arbeit
2.1 Kulturelle Vielfalt
2.2. Interkulturalität
2.3 Interkulturelle Kompetenz
2.4 Interkulturelle Kompetenzen in der Erwachsenenbildung

3. Grundsätzliches zur Erwachsenenbildung
3.1 Historischer Abriss der Erwachsenenbildung
3.2 Definition der Erwachsenenbildung
3.3 Bereiche der Weiterbildung
3.4 Die Bildungsdimensionen

4. Interkulturelle Projekte, Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten
4.1 Projekt zur interkulturellen Kompetenz in der kulturellen Erwachsenenbildung
4.1.1 Interkulturelle Öffnung und die Besonderheit ländlicher Strukturen
4.1.2 Interkulturelle Kompetenz und Kulturelle Bildung für Fachkräfte im Elementarbereich
4.2 Fehler und Lösungsmöglichkeiten bei der Erwachsenenbildung von Migranten
4.3 Interkulturalität als Herausforderung für die Bildungsinstitutionen
4.4 Kulturelle Vielfalt als Herausforderung an die Erwachsenenbildung

5. Institutionen der Bildungsforschung
5.1 Der AES Trendbericht
5.2 Kulturelle Vielfalt in der Bildungsforschung am Beispiel der Hochschule

6. Internationale Perspektiven der Erwachsenenbildung
6.1 Internationaler Einfluss auf die Erwachsenenbildung
6.2 Aktuelle Thematiken der internationalen Erwachsenenbildung

7. Die Einflüsse des 21. Jahrhunderts

8. Zielgruppenspezifische Erwachsenenbildung
8.1 Neuzuwanderer
8.2 Deutschförderung von Menschen mit Migrationshintergrund
8.2.1 Pädagogische Rahmenbedingungen des ESF-BAMF Programms
8.2.2 Entwicklungen seit
8.3 Praxisbeispiel des BAMF Konzepts

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturverzeichnis.

1.Einleitung

In allen Bildungsbereichen wird zunehmend die Dringlichkeit der Förderung der interkulturellen Kompetenzen erkannt. Dies lässt auch die Erwachsenenbildung nicht unberührt. Mit der kulturellen Pluralisierung der modernen Gesellschaft ergibt sich die Notwendigkeit sich damit auseinanderzusetzen, wie mit kulturellen Unterschieden und deren Bedingungsfaktoren umzugehen ist (vgl. Demorgon / Molz 1996, S. 78). Interkulturalität ist das neue Modewort. Die Suchmaschine „Google“ findet zur Suchanfrage „interkulturell“ 1.180.000 Treffer in nur 20 Sekunden. Bedingt wird dies durch die fortschreitende Globalisierung, sowie die Öffnung der Ländergrenzen. Deutlich wird es auch durch Slogans wie „global village“, die immer häufiger eingesetzt werden. Das Internet erlaubt die rasante Verbreitung von Nachrichten und die Kommunikation in weit entfernte Gebiete. Kulturbegegnungen durch Reisen hat es aber immer schon gegeben, genauso wie Migrationsbewegungen. Heute ist es aber um einiges leichter. „Internationales, ja globales Denken und Handeln werden gefordert. Diesem Trend kann sich unsere Gesellschaft und keiner, der in ihr lebt und arbeitet, mehr entziehen“ (Thomas 1996, S. 15). Deutschland ist auch im Jahr 2013 das beliebteste Einwanderungsland (vgl. Dehmer / Woratschka 2013). Menschen haben schon immer mit Interkulturalität und kultureller Vielfalt zu tun. Schon während den Kolonien, den internationalen Handelsbeziehungen, den Reisen und später den Geschäftsreisen wurden nationale Grenzen übertreten und interkulturell gehandelt. Doch erst heute, da das Aufeinandertreffen kultureller Vielfalten im Alltag nicht mehr wegzudenken ist, ist globales Denken und Handeln wichtiger denn je. Die aktuellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten stehen immer im globalen Kontext. Zunehmend mehr Menschen fragen sich, welche Auswirkung ihre Handlungen global ergeben. Doch die Frage für Deutschland ist, wie stellen sich die Menschen den Herausforderungen ein Einwanderungsland zu sein? Und wie kann man sie dabei unterstützen ihre Lebenssituation zu bewältigen? Ausgehend von den Debatten der hohen Arbeitslosigkeit unter Einwanderern und deren Benachteiligung im Bildungs- und Qualifizierungssystem (vgl. Kohlmeier / Schimany 2005, S. 30 f.) „sowie des drohenden Fachkräftemangels im Zuge des demographischen Wandels ist zu erwarten, dass sich das politische und wissenschaftliche Augenmerk auf die Weiterbildung und Qualifizierung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund richtet“ (Öztürk 2012, S. 21). Für die Erwachsenenbildung ist es eine immer stärker wachsende Aufgabe, die Neuankömmlinge in die politische, kulturelle und berufliche Erwachsenenbildung einzugliedern und gleichzeitig die Gesellschaft zu sensibilisieren. Daher ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, einen Einblick in die Interkulturalität der Erwachsenenbildung zu geben.

Ziel und Aufbau der Arbeit

Zunächst sollen Grundbegriffe für die vorliegende Arbeit geklärt werden. Dabei muss festgehalten werden, dass einige Begriffe in der Literatur nicht ganz klar abgegrenzt sind und mehrere Ansätze erlauben. Grundsätzlich soll das Verständnis von kultureller Vielfalt, Interkulturalität und interkultureller Kompetenz geklärt werden. Daran anschließend sollen Grundbegriffe der Erwachsenenbildung kurz angerissen werden. Um zu zeigen, weshalb sich die Interkulturalität für Deutschland als so wichtig etabliert hat, folgt ein knapper geschichtlicher Abriss. Dieser Abriss beginnt nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau durch die Alliierten; die Nachzeichnung der kompletten Geschichte würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Danach folgt eine knappe Definition der Erwachsenenbildung, sowie die Komponenten der Erwachsenenbildung und die Bildungsdimensionen. Im Anschluss wird ein Forschungsprojekt der katholischen Erwachsenenbildung vorgestellt und dabei auf mögliche Herausforderungen für Institutionen und Pädagogen eingegangen. Folgend werden zwei Institutionen der Bildungsforschung vorgestellt, zum einen wird auf die Ergebnisse des AES Trendberichts eingegangen und zum anderen auf eine Studie, die kulturelle Vielfalt an der Hochschule untersucht. Anschließend werden die internationalen Perspektiven der Erwachsenenbildung und deren Vertreter vorgestellt. Der letzte Teil der Arbeit bezieht sich auf die Zielgruppe der Migranten und stellt das Konzept des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz BAMF) vor. Diesbezüglich folgt ein Interview mit einer Trägerorganisation über das Konzept. [1]

2. Begrifflichkeiten der Arbeit

Die im Folgenden genannten Begriffe werden in der vorliegenden Arbeit in gleichwertiger Weise zur Beschreibung von Interkulturalität verwendet. Es erfolgt eine Definition der Begriffe, jedoch keine scharfe Trennung im Verlauf der Arbeit, da die Begriffe in der wissenschaftlichen Diskussion auch nicht immer trennscharf genutzt werden und somit eine stringente Trennung nicht möglich ist.

2.1 Kulturelle Vielfalt

Der Begriff „kulturelle Vielfalt“ ist ein gängiger Begriff der Pädagogik; er geht von vielen unterschiedlichen Individuen aus und hat somit viele unterschiedliche Ziele. Er erinnert daran „dass die weite Verbreitung von Kultur und die Erziehung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden für die Würde des Menschen unerlässlich und für alle Völker eine heilige Verpflichtung sind, die im Geiste gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Anteilnahme erfüllt werden muss"(UNESCO 2001). Kulturelle Vielfalt und die Ausübung kultureller Rechte ist ein Menschenrecht, das jedem Individuum gewährleistet sein muss. Ferner wird bekräftigt, dass „Respekt vor der Vielfalt der Kulturen, Toleranz, Dialog und Zusammenarbeit in einem Klima gegenseitigen Vertrauens und Verstehens zu den besten Garanten für internationalen Frieden und Sicherheit gehören“ (ebd.). Pädagogische Konzepte zur kulturellen Vielfalt haben immer etliche unterschiedliche Ziele. Ein Hauptziel bildet die Herstellung von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Jede pädagogische Einrichtung muss vom Blickwinkel der interkulturellen Öffnung betrachtet werden und so prozesshaft, kreativ und reflektiert handeln. Das Wissen in einem interkulturellen Bereich, der mittlerweile alle gesellschaftlichen Einrichtungen erreicht hat, muss sich erweitern und Rassismus kritisch gegenüberstehen und die Forderung der Mehrsprachigkeit berücksichtigen. Kulturelle Vielfalt sollte in allen Bildungseinrichtungen als Leitkategorie und Erfahrungswirklichkeit betont werden. Grundlegend ist hierbei zu verstehen, dass Migrationsbewegungen, Mehrsprachigkeit und Multiperspektivität eine überaus nützliche Ressource sind. Bildungssysteme greifen diese Ressource jedoch oft nicht als positiv auf, sondern konnotieren Migration nahezu ausschließlich negativ und sorgen so für sozialen Sprengstoff. Viele Studien gehen oftmals davon aus, dass man sich für mehr Gleichberechtigung für Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen muss und erzeugen so den Anschein, dass diese Menschen eine homogene Gruppe sind, die förderungsbedürftig ist und Defizite aufweist (vgl. Leiprecht 2009, S. 57 f.). In einer Zeit, in der Mehrsprachigkeit, räumliche Mobilität, Globalisierung, grenzüberschreitende Beziehungen und die Anzahl favorisierender Lebensweisen zunimmt, ist diese Auffassung nicht sinnvoll, da beispielsweise gut ausgebildete Fachkräfte keinen Nachholanspruch aufweisen. Auch die Erwachsenenbildung muss sich Fragen über die Wirkung der kulturellen Differenzlinien im sozialen Kontext stellen oder aber auch sich mit Fragen der Bedeutsamkeit der verschiedenen Kulturen befassen (vgl. ebd., S. 73 f.). Eine Herangehensweise an die kulturelle Vielfalt könnte sein, nicht nach Unterschieden, sondern nach Gemeinsamkeiten zu suchen.

2.2. Interkulturalität

„Interkulturalität bezeichnet die Beziehung zwischen Menschen unterschiedlicher (sub-) kultureller und ethnischer Gruppen in einer Gesellschaft, die sich selbst noch immer als homogen betrachten“ (Bleil 2006, S. 13). Interkulturalität kann weder abstrakt noch theoretisch gestaltet werden, sondern geht mit konkreten unterschiedlichen Konsequenzen einher. Menschen in diesem Land verfolgen beispielsweise Debatten in den Medien, die von einer defizitären „Integration“ ethnischer Minderheiten, Bildung von Parallelgesellschaften in Verbindung mit Kriminalität oder Zuwanderung, handeln. Dadurch werden enorme Emotionen bestimmter Gruppen entfacht, die sich in verbaler und non-verbaler Gewalt gegenüber mutmaßlichen Mitgliedern ethnischer Minderheiten im Alltag äußern können. Interkulturalität ist „als ein konkretes und wahrnehmbares Phänomen des Austausches und der Beziehung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und deren Mitglieder nicht überall in der Gesellschaft anzutreffen“ (ebd. 2006, S. 14). „Der Begriff der Interkulturalität bezeichnet den ganzen Komplex der Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen Kulturen. Kultur ist dabei in einem weitgefassten Sinn als Lebensform größerer, in gemeinsamer Überlieferung fundierter Gemeinschaften zu verstehen. Die meisten, insbesondere die modernen Kulturen sind zugleich multikulturelle Gemeinschaften mit ausgeprägten interkulturellen Differenzen“ (Zentrum für Internationale Studien 2010). Die Erwachsenenbildung muss den Menschen bei der individuellen Lebensgestaltung in der multikulturellen Gesellschaft helfen und sie bei den Herausforderungen der globalisierten Welt unterstützen. Das bedeutet beispielsweise, den Umgang mit Pluralität und Differenz zu lehren, Unsicherheiten abzubauen und Neugierde für fremde Kulturen zu wecken, Respekt und Toleranz der interkulturellen Verständigung zu fördern oder aber auch Menschen auf einen globalisierten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Zweifelsohne ist der Erwerb der kulturellen Kompetenz ein lebenslanger Lernprozess.

2.3 Interkulturelle Kompetenz

Interkulturelle Kompetenz ist in der Praxis der interkulturellen Erwachsenenbildung häufig eine ungeklärte, generalisierte oder unerreichbare Zielkategorie, die sich meist auf eine globale Ebene bezieht (vgl. Stender / Rohde 2003, S. 10). Interkulturelle Kompetenz wird als individuelle Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt im Alltag angesehen. Sie ist in allen gesellschaftlichen Bereichen notwendig. Sie hat außerdem die Zielvorstellung eines erfolgreichen Umgangs in einer multikulturellen Gesellschaft und kommt somit der gesamten Gesellschaft zu Gute (vgl. Bleil 2006, S. 22). Interkulturelle Kompetenz wird nicht nur von Einwanderern verlangt, sondern auch von den Bürgern des Zuwanderungslandes gefordert. Beispielsweise werden Unternehmen durch die ökonomische Globalisierung mit der Unumgänglichkeit des globalen Denkens und Handelns konfrontiert. Die Arbeitnehmer müssen sich an multikulturelle Arbeitsteams anpassen. Zusätzliche Entwicklungen des europäischen Arbeitsrechts führen außerdem dazu, dass deutsche Unternehmen bestimmte Posten mit Migranten besetzen müssen (vgl. ebd. S. 41). Da die Aufgabe der Erwachsenenbildung die Unterstützung bei der Lebensbewältigung von Erwachsenen ist, muss sie sich für das Thema der Interkulturalität öffnen.

2.4 Interkulturelle Kompetenzen in der Erwachsenenbildung

Die Gesellschaft ist von kultureller Vielfalt durchzogen. Daraus ergibt sich die Anforderung an die Individuen kulturelle Praktiken zu verstehen und zu lernen. Interkulturelle Verständigung, sowie interkulturelle Kompetenz sind zu Schlüsselbegriffen des 21. Jahrhunderts geworden. Interkulturelle Kompetenz hat das Ziel der erfolgreichen interkulturellen Verständigung. Das ist gleichzeitig eine Voraussetzung den international geprägten Alltag zu bewältigen. Dabei kann unterschätzt werden, wie komplex und vielschichtig diese ist. „Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist ein lebenslanger Prozess, der sich schrittweise entwickeln muss“ (IIK, o. A.). Die Grundvoraussetzung sich erfolgreich interkulturellen Konfliktsituationen zu stellen ist die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Prägung und deren Einfluss auf die Identität. Viele Handlungs- und Deutungsmuster gelten als selbstverständlich, obwohl eine kulturelle Prägung dahinter steckt. Durch Reflexion kann kulturelle Vielfalt ohne die Gruppierung positiv oder negativ wahrgenommen werden. Es gilt sich außerdem darüber klar zu sein, „dass jeder sein eigenes kulturelles Orientierungsmuster hat, das nicht falsch oder richtig ist, sondern einfach nur anders“ (ebd.). Es ist falsch kulturelle Vielfalt als Belastung wahrzunehmen. Kulturelle Vielfalt bietet die Möglichkeit neue Verhaltensmuster kennenzulernen und zu reflektieren. So können sich neue Perspektiven für eigene Handlungsmuster ergeben. „Kultur ist nicht statisch, sondern dynamisch und ist so einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen, der mit den schnellen und komplexen kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen einhergeht“ (ebd.). Die Gesellschaft wird ständig durch Migrationsbewegungen, der Internationalisierung von Wirtschaft und Politik und den modernen Kommunikationsmöglichkeiten beeinflusst und verändert. „Kultureller Wandel ist ein komplexes Phänomen und stellt ein Interaktionsfeld dar, in dem ständig neues Wissen und neue Bedeutungsinhalte ausgehandelt werden“ (ebd.). Umso wichtiger ist es, verschiedene Projekte zur Förderung des Toleranzverständnisses in den Bildungsbereichen anzubieten.

3. Grundsätzliches zur Erwachsenenbildung

3.1 Historischer Abriss der Erwachsenenbildung

Um verständlich zu machen, weshalb kulturelle Vielfalt in Deutschland überhaupt mit Erwachsenenbildung in Zusammenhang gebracht werden kann, erfolgt ein kurzer historischer Abriss der Erwachsenenbildung in Deutschland. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieses Beitrags kann jedoch nicht auf alle Ereignisse der Geschichte detailliert eingegangen werden. Deshalb wird sich auf die wichtigsten Ereignisse nach dem zweiten Weltkrieg beschränkt. In diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig zu erwähnen ist, dass die Vergangenheit immer, je nach Sichtweise, entweder bewusst oder unbewusst, unterschiedlich gewichtet wird. Die Perspektive für diesen Abschnitt liefern daher Siebert (2011) und Kade et. al. (2007). Das Hauptaugenmerk liegt bei dieser Analyse auf bildungspolitischen und bildungspraktischen Entwicklungen. Ostdeutschland wird aufgrund fehlender Evaluation nicht mit einbezogen.

Die Zeit des Wiederaufbaus der Erwachsenenbildung ist von den Initiativen der Alliierten geprägt, was Verlernen von Rassismus, Faschismus und Autorität und Erlernen von Überleben, Identität und interkulturellem Lernen bedeutet. Unter dem Stichwort reeducation wurde die politische Umerziehung der Deutschen geplant. Das Konzept der Education Reconstruction zur Unterstützung des demokratischen Bildungssystems führte zum Wiederaufbau der flächendeckenden Volkshochschule, die die Bevölkerung zur aktiven Teilnahme beim Aufbau einer Demokratie erzieht und Individuen ohne schulische Ausbildung eine Weiterbildung und zusätzliche Qualifikationen ermöglicht (vgl. Siebert 2011, S. 60 f.).

Die 1950er Jahre sind von Pluralismus und dem wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet. Deutschland orientiert sich in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur an den USA. „Propagiert wurde eine sozialistische Kulturrevolution. Die bürgerliche Hochkultur soll durch eine sozialistische Arbeiterkultur ersetzt oder zumindest ergänzt werden. Der Arbeiter soll nicht nur zum Konsumenten sondern auch zum Produzenten kultureller Güter ausgebildet werden“ (ebd., S. 63). Diverse Zeitschriften verschiedener Institutionen bilden damals die Bürger (vgl. Kade et al. 2007, S. 57).

Die 1960er Jahre sind durchzogen von unerschütterlichem Planungs- und Forschungsoptimismus. Die Bürger interessieren sich in großem Ausmaß für Kultur und Gesellschaft. Gleichzeitig vollzieht sich der Wandel zur Leistungsgesellschaft. Qualifizierung wird als Schlüssel für Wohlstand und sozialen Aufstieg angesehen. Die berufliche Karriere erfordert Flexibilität und Mobilität. Weitere Ereignisse sind die Anwerbung von niedrig qualifizierten Gastarbeitern aus Südeuropa, die jedoch kaum in gesellschaftliche Bereiche einbezogen werden. Außerdem fordert der beschleunigte technische Wandel, der sich mit rasanter Geschwindigkeit ausbreitet, neue Qualifikationen und ist gleichzeitig mit hohem Wissensverfall aufgrund permanenter Erneuerungen verbunden. Zuletzt beeinflusst die Konkurrenz auf dem Weltmarkt die Anforderung an eine flexible Erwachsenenbildung, die ein hohes Fortbildungsangebot hinsichtlich der Modernisierung bieten muss, um das gesellschaftliche Qualifikationsniveau zu heben. Die Erwachsenenbildung muss nun nicht mehr ereignisgebunden und personenabhängig handeln, sondern langfristig planen (vgl. Siebert 2011, S. 65 f.). „In bildungspolitischer Hinsicht wurde Erwachsenenbildung nicht mehr vorrangig als eine transitorische bzw. kompensatorische Aufgabe betrachtet, sondern als eine gesellschaftliche Daueraufgabe für zunehmend alle Bevölkerungsschichten definiert“ (Kade et. al. 2007, S. 59).

Während der 1970er Jahre erhöhen sich die staatlichen Ausgaben für die Erwachsenenbildung. Dennoch enthält die gesetzliche Verankerung viele Kann-Finanzierungs-Regeln. Die Erwachsenenbildung wird als eigenständiger Bildungsbereich erkennbar und vom Deutschen Bildungsrat 1970 zu einem solchen erklärt, jedoch ohne systematisch gestaltet oder geordnet zu werden. Bislang gilt die Definition des Deutschen Bildungsrates: „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“ (Nuissl 2010, S. 80). Gefordert wird Emanzipation und Chancengleichheit. Durch die olympischen Spiele und die Ölkrise wachsen die internationalen Verflechtungen und der Bevölkerung wird bewusst, wie sehr sie von anderen Staaten abhängig ist (vgl. Siebert 2011, S. 69 f.).

Die 1980er sind durch die Begriffe „Risikogesellschaft“, „Individualisierung“ und „Pluralisierung der Lebensformen“ gekennzeichnet. Die Werte verschieben sich von materialistischen Werten zu einer postmaterialistischen Orientierung. Durch den hohen technischen Fortschritt des Computers steigt das Angebot der beruflichen Weiterbildung und lässt das Interesse an der politischen Weiterbildung sinken. Zudem verändert die neue Frauenbewegung das kulturelle und politische Klima. Der Individualisierungsschub bringt Verunsicherungen und Identitätskrisen mit sich. Die Pluralisierung der Lebensstile führt zu unterschiedlichen kulturellen Milieus. Stützsysteme wie die Familie oder die Kirche zerfallen. „Die Einsicht, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft und in einem Einwanderungsland leben, wächst. Die deutsche Wirtschaft ist ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr denkbar. „Interkulturelles Wissen“ wird zu einer wichtigen beruflichen Schlüsselqualifikation“ (ebd., S. 74).

Die Schlüsselbegriffe „Differenz“ und „Pluralität“ beschreiben die Entwicklungen während der 1990er Jahre. Die Migrationsbewegungen in Westeuropa verstärken sich. Die hohe Arbeitslosigkeit erweist sich als Grundlage für zunehmenden Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. In vielen Berufen müssen Deutsche mit einer höheren Qualifikation ausländischer Konkurrenz rechnen. Des Weiteren werden unterschiedliche Milieus und Lebensstile erforscht, die Angebot und Nachfrage bestimmen. Beispielsweise werden Umgangsformen, Lebensstile, alltagsästhetische Vorlieben oder Lernmotive angeboten. Nicht nur die Teilnehmerkonstellation, sondern auch das Angebot ist multikulturell bestimmt. Erlebnisqualität und Erfahrungsorientierung gewinnen zunehmend an Bedeutung (vgl. ebd., S. 79 f.). Bislang konnte man ein kontinuierliches Wachstum der Teilnahme an Erwachsenenbildung feststellen, auch wenn die Prozentzahlen der Teilnahme geringer sind als die der Nichtteilnahme. Das Spektrum der Angebote ist vielfältiger und bunter geworden. Heute sind vermischte Lebensläufe zur Regel geworden. Die Kurse sind oftmals lebensgeschichtlich geprägt. „Gesellschaftliche Individualisierungsprozesse spiegeln sich im Lernverhalten wider, und gerade deshalb wird Kontakt mit Gleichgesinnten gesucht“ (ebd., S. 83). Lernen wird gesellschaftlich und biographisch aufgrund der lebenslauforientierten Lernperspektive als selbstverständlich aufgefasst, um anschlussfähig zu bleiben.

3.2 Definition der Erwachsenenbildung

Wie bereits erwähnt, wurde die Erwachsenenbildung als eigenständiger Bildungsbereich erkannt und vom Deutschen Bildungsrat 1970 zu einem solchen erklärt, ohne systematisch gestaltet oder geordnet zu werden. Daher ist Praxis nicht gleich Praxis. In jedem Bundesland gibt es andere Richtlinien. Bisher gilt jedoch die einheitliche Definition des deutschen Bildungsrates. Problematisch bei der Definition ist, dass die Erwachsenenbildung keine scharfen Konturen aufweisen kann. Das Praxisfeld weist einen fließenden Übergang in andere Tätigkeiten, Felder, Bereiche und Aufgaben auf und ist selten genau abgrenzbar. „Die Konturen verschwinden umso mehr, je gewichtiger das Paradigma des selbstorganisierten Lernens unter Einschluß von Medien zum Gegenstand von Erwachsenenbildung gerechnet wird“ (Nuissel von Rein, 1998). Außerdem stehen die Ziele und Aufgaben der Erwachsenenbildungsangebote im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Kontext und sind deswegen vielfältig. Das Weiterbildungsrecht ist verteilt auf die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland „unter der im Grundgesetz geregelten Kompetenzverteilung bei der Gesetzgebung und Verwaltung zwischen Bund und Ländern“ (Grotlüschen et.al. 2011, S. 347). Die Weiterbildungsgesetze der Länder gehen „vom Prinzip der Pluralität aus, sind aber in der Interpretation des Subsidiaritätsgrundsatzes unterschiedlich“ (Nuissel 2010, S. 82). Durch die Öffnung der Ländergrenzen, der Vernetzung sowie der steigenden Migrationsbewegung, wird das internationale und europäische Recht für Deutschland immer bedeutsamer. Das europäische Recht ist in Verträgen verankert. Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz der Erwachsenenbildung bei den Ländern (vgl. ebd.).

Durch die sich ständig ändernden Bedingungen und Interessen muss sich die Erwachsenenbildung auch immer wieder die Frage stellen, welche Lernpotentiale vorhanden sind. Ein mögliches Szenario ist, dass es im Status Quo in bestimmten Bereichen keinen Nachwuchs gibt und man daher ältere Menschen für die Thematik schulen muss. Der enge Zusammenhang zwischen Erwachsenenbildung und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen hat als positive Konsequenz Dynamik, als negative Konsequenz Kurzschrittigkeit und Diskontinuität. Dies erlaubt keinen allgemeinen Curricular, kein einheitliches Berufsbild und keine angemessene Ausbildung der Pädagogen, da sich die Erwachsenenbildung in Abhängigkeit der gesellschaftlichen Innovation befindet und sich dadurch mit rasanter Geschwindigkeit anpassen muss (vgl. Nuissl von Rein, 1998). Zusätzlich muss immer berücksichtigt werden, dass es sich um eine heterogene Adressatenlandschaft mit unterschiedlichen Lebensformen handelt und das Programm entsprechend angepasst werden muss. Der Beruf des Erwachsenenpädagogen ist daher von Offenheit und Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. Pädagogen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind, müssen sich ein umfangreiches Wissen aneignen, das über ihr pädagogisches Wissen hinausgeht. Beispielsweise Sprachen, religiöse Hintergründe oder kulturelles Wissen, um Barrieren zu vermeiden.

3.3 Bereiche der Weiterbildung

Politische Bildung bezeichnet im Allgemeinen „jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen“ (Schubert / Klein 2011). Sie will Individuen aktiv und passiv mit notwendigen Voraussetzungen ausstatten, um am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Außerdem soll das demokratische Wertebewusstsein gestärkt werden sodass sie sich an der Demokratie beteiligen können. Als Grundlage dafür müssen zuvor Grundbegriffe wie Demokratie vermittelt werden. Durch die Entwicklungen von einfachen zu komplexen politischen und wirtschaftlichen Strukturen im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung wuchsen die individuellen und kollektiven Beteiligungsmöglichkeiten. Der mündige Bürger soll orientiert an Werten und Zielen intentional Handeln. Dabei soll er eine rationale Urteilsbildung erhalten. „Denn wer sich nicht auskennt im politischen System, wer die Funktionen und Zusammenhänge nicht durchschaut, kann auch seine Partizipationschancen nicht nutzen, ihm fehlt die Demokratiekompetenz, er bleibt als Bürger unmündig“ (Müller 2006). Es soll kritisch reflektiert werden und auf rationaler Basis entschiedenen werden, den Ist-Zustand der Gesellschaft zu akzeptieren oder einer Veränderung entgegenzuwirken (vgl. Andersen / Woyke 2003). Das Problem der politischen Erwachsenenbildung ist, dass nicht zu erwarten ist, dass Individuen an einem Politikkurs teilnehmen, wenn sie beispielsweise ein Angebot für Wirtschaftsenglisch zum selben Preis belegen können. Es kommt auf die Kreativität an, mit der das politische Seminar den Teilnehmern schmackhaft gemacht wird.

Die Grundlage der kulturellen Bildung ist die allgemeine Kulturpädagogik. Kulturelle Bildung wird als integratives Element der Allgemeinbildung verstanden. Ziel ist es, Menschen in ihrer Persönlichkeitsbildung zu unterstützen, als auch die sozialen, kommunikativen und kreativen Fähigkeiten zu stärken. Außerdem sollen kulturelle und ästhetische Bildungsprozesse gefördert und dabei zusätzlich die kommunikativen Aspekte betont werden (vgl. Stang 2010, S. 176). Auch hier gibt es viele verschiedene Definitionen, Ziele und Richtlinien. Für diese Arbeit beziehe ich mich auf die Definition der UNESCO (2008), die die Menschenrechte aufgreift: „Kultur und Kunst sind unerlässliche Bestandteile einer umfassenden Bildung, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sich voll zu entfalten. Kulturelle Bildung ist daher ein grundlegendes Menschenrecht, das für alle Lernenden gilt, einschließlich für die oft von Bildung Ausgeschlossenen, wie Einwanderer, kulturelle Minderheiten und Menschen mit Behinderungen“. Zentrale Aufgaben der kulturellen Bildung sind die Förderung gestalterischer und kreativer Fähigkeiten, sowie die Sensibilisierung für die differenten Formen künstlerischen Ausdrucks als auch die Erweiterung von kulturellen und kommunikativen Kompetenzen und die Sensibilisierung für soziokulturelle und interkulturelle Lebenszusammenhänge (vgl. Stang, 2010, S. 177). Kulturelle Bildung ermöglicht offene Lernprozesse. Sie hat aufgrund fehlender klar definierter Ziele keine festgelegte Methode und ermöglicht Selbstbildungsprozesse durch die Auseinandersetzung mit Kunst, Musik, Theater, Literatur, Medien oder durch eigenes kreatives Gestalten. Bedeutend sind dafür die Dimensionen Improvisation und Assoziation. Eine wichtige Grundlage für den Pädagogen ist es Vielfalt von individuellen Wahrnehmungs- und Ausdrucksformen zu akzeptieren und als kreatives Potenzial zu fördern (vgl. ebd.). „Kulturelle Bildung trägt zu einer Bildung bei, die physische, intellektuelle und kreative Fähigkeiten umfasst und eine dynamischere und fruchtbarere Beziehung zwischen Erziehung, Kultur und Kunst ermöglicht“ (UNESCO 2008). „Wie in kaum einem anderen Bildungsbereich bestimmen die Teilnehmenden letztendlich selbst den Gebrauchswert und damit die Qualität von kultureller Bildung“ (Strang 2010, S. 177). Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse als auch der zunehmenden Komplexität der Lebenswelten gilt die Initiierung kreativer Selbstbildungsprozesse als eine zentrale Aufgabe der Erwachsenenbildung.

Berufliche Weiterbildung zeichnet sich durch Vorgaben bestimmter beruflicher Funktionen aus. Derartige Lehrgänge können zum Beispiel Umschulung, Einarbeitung, Anpassung an neue berufliche Aufgaben oder sonstige Lehrgänge sein (vgl. Rosenbladt 2007, S. 6). Im betrieblichen Kontext werden unter beruflicher Erwachsenenbildung alle „betrieblich veranlassten oder finanzierten Maßnahmen verstanden, die dazu dienen, beruflich relevante Kompetenzen der Mitarbeiter/innen oder des Unternehmers zu erhalten, anzupassen, zu erweitern oder zu verbessern“ (Sauter 2010, S. 35 f.). Zugleich umfasst berufliche Weiterbildung Formen des arbeitsintegrierten Lernens. Ziel der beruflichen Erwachsenenbildung ist es, jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu bieten, seine beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die im bisherigen Berufsfeld erlernt wurden, zu erweitern, um seine Qualifikation der neuen Entwicklung anzupassen. Ebenfalls soll der berufliche Aufstieg ermöglicht werden. Die berufliche Weiterbildung findet entweder im Rahmen des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses im gegenseitigen Interesse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder auf freiwilliger Basis statt (vgl. Klenk, o. A.). Bei der Weiterbildungsbeteiligung zeigen sich Unterschiede zwischen Alter, Einkommen, Geschlecht oder anderen sozio-demographischen Merkmalen. Der Weiterbildungsbedarf wird bei jüngeren Personen mit hohem Bildungsniveau hoch eingeschätzt. In Analogie dazu schätzen Personen mit Hochschulabschluss ihren Weiterbildungsbedarf hoch ein, gefolgt von Personen mit Technikerabschluss (vgl. Arnold / Pätzold 2011, S. 653).

[...]


[1] In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Anredeform verwendet. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit stets auch die weibliche Anredeform gemeint ist.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Welchen Einfluss hat Interkulturalität auf die Erwachsenenbildung? Weiterbildung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
49
Katalognummer
V416220
ISBN (eBook)
9783668660861
ISBN (Buch)
9783668660878
Dateigröße
664 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
welchen, einfluss, interkulturalität, erwachsenenbildung, weiterbildung, erwachsenen, migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Jenny Fischer (Autor:in), 2014, Welchen Einfluss hat Interkulturalität auf die Erwachsenenbildung? Weiterbildung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416220

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