Der Wandel der Liebeskonzepte vom frühen bis zum hohen Minnesang


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

27 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Voraussetzungen

3. Die Minnekonzeption des frühen Minnesangs
3.1 Geschlechterverhältnis, Emotionalität und sinnliche Beziehung beim Kürenberger
3.2 Die Minnekonzeption Dietmars von Aist – Dietmars Werk als Übergang zum hohen Minnesang
3.3 Natur als Spiegel der Minne

4. Die Minnekonzeption des hohen Minnesangs
4.1 Geschlechterverhältnis und Dienstminne
4.2 Die Spiritualisierung der Minne
4.3 Höfische Minne als Vorbild

5. Schluss

6. Bibliographische Angaben

1. Einleitung

Die unterschiedlichen Aspekte mittelalterlicher Minnekonzeption stellen ein beliebtes Thema der Forschungsliteratur dar. Hierbei reicht die Untersuchung von der Thematisierung von soziologischen sowie psychologischen Ansätzen zur Deutung der Dienstminne bis zu einer deutlichen Ethisierung der Liebe als veredelnder Kraft.

Um die Frage nach der Liebeskonzeption des frühen und des hohen Minnesangs zu beantworten, soll in der vorliegenden Arbeit mit dem Thema „Der Wandel der Liebeskonzepte vom frühen bis zum hohen Minnesang“ die jeweilige Liebeskonzeption (als „die vom Autor intendierte Bewertung eines Liebesverhaltens“[1] ) als Bestandteil einer Entwicklung betrachtet werden, die ihre Voraussetzungen zunächst in der Existenz des Minnesangs als höfischer Standesdichtung innerhalb einer bestimmten Gesellschaft samt der von ihr intendierten sozialen Regeln und Normen hat. Ausgehend von diesen Voraussetzungen sollen anschließend die Minnekonzeptionen des frühen und des hohen Minnesangs und deren Besonderheiten thematisiert werden, wobei dem Werk Dietmars von Aist in diesem Zusammenhang die Rolle des Übergangs zwischen beiden Konzeptionen zukommt. Dieser Sachverhalt relativiert zugleich die strenge Trennung zwischen frühem und hohem Minnesang.

Die vorliegende Arbeit stützt sich vor allem auf die Texte des Kürenbergers, Dietmars von Aist, Rudolf von Fenis, Friedrichs von Hausen, Reinmars des Alten sowie Heinrichs von Morungen, um die sich abzeichnenden Haupttendenzen der jeweiligen Minnekonzeption zu verdeutlichen.

2. Voraussetzungen

Weltliche Lyrik erotischen Inhalts existiert bereits im frühen Mittelalter. Die saeculares cantilenae, psalmi plebeii oder psalmi vulgares genannte[2] schriftliche Liebesdichtung wurde häufig von Vertretern und Anhängern der Kirche negativ kommentiert.

Indes zeichnet sich der Minnesang im Gegensatz zu zahlreichen Gruppenliedern, wie dem erotischen Brauchtumslied oder dem sogenannten Vagantenlied (Carmina Burana), durch das Merkmal der subjektiven Äußerung hinsichtlich einer personalen Beziehung (Ich – Du) aus. Die stets bedingte Welt- und Liebesbejahung, welche in den Minneliedern zum Ausdruck kommt, entspricht durchaus der höfischen Kultur des Mittelalters: „Man bejaht die Welt mit einer Schambewegung.“[3] Die Hinwendung zur Welt kann nur unter der Bedingung gleichzeitiger Distanzierung und Beachtung festgesetzter gesellschaftlicher und sozialer Normen vollzogen werden. Auch ist der Minnesang stets an den gesellschaftlichen Akt der Aufführung vor einem bestimmten inszenierten und einem realen Publikum gebunden. Somit ist die Minnekonzeption bzw. die Minne selbst stets einer Institution bzw. einer Erwartunghaltung außerhalb ihrer selbst verpflichtet.

Indes erkennt Henning Brinkmann in der Minne eine „stellvertretende Bedeutung [...] für die Stellung des ritterlichen Menschen zum Leben überhaupt“[4]. Die Begegnung mit der Frau findet inmitten der ritterlichen Gesellschaft statt, welche die Existenz beider bedingt. In der Frau erscheinen objektive, überpersönliche Werte personifiziert. Demnach kann die Frau als Allegorie unantastbarer Tugenden dem Dichter ein allgemeines Reflektieren zugänglich machen.

Der mittelhochdeutsche Begriff minne (ahd. minna) bedeutet ursprünglich „liebendes Gedenken“. Die Grundbedeutung der idg. Wurzel men / mon ist „denken, im Sinn haben, meinen“. So gebraucht etwa Walther von der Vogelweide den Begriff meinen im Sinne von lieben:

Wan si meinent beide dich mit ganzen triuwen kleine. (L. 10,15).

Die mittelalterliche Bedeutungsvielfalt des Wortes minne umfasst nicht nur die freundschaftliche Liebe zum Nächsten und die erotische, sinnliche oder eheliche Liebe, sondern bezeichnet ebenso die tiefe Liebe zu Gott. Erst im späten Mittelhochdeutschen und im Frühneuhochdeutschen kommt es zu einem abwertenden Gebrauch von minne „für bloß körperlich-triebhafte Liebe“[5].

Rüdiger Schnell unterscheidet bezüglich mittelalterlicher Schriften, welche sich mit erotischer Liebe befassen, zwischen gelehrt-religiöser (z.B. lateinische Traktate über Liebe und Ehe) und weltlicher Literatur (z.B. Minnesang, Vagantenlyrik und höfische Romane)[6]. Die Bewertung erotischer Liebe ist meist abhängig vom jeweiligen Literaturbereich. Während jene die nicht-eheliche Liebesbeziehung eindeutig negativ bewertet, erfährt die außereheliche Liebe in der weltlichen Dichtung eine deutlich positive Beurteilung.

Schnell[7] weist außerdem darauf hin, dass sich zahlreiche Dichter zur Gestaltung ihrer weltlichen Liebesdichtung eines stark religiös geprägten Sprachmaterials bedienten. Ebenso schöpften einige geistliche Dichter für die Darstellung der Gottesliebe aus dem Sprachfundus höfisch-weltlicher Liebesdichtung. Häufig erscheint die Unterscheidung zwischen sinnlich-erotischer und körperlicher Liebe schwierig. Trotzdem betont Schnell mit Recht, dass solch ein geteilter Wortschatz „nicht bedeuten [muß], daß religiöser und weltlicher Liebesdichtung dieselbe Minnekonzeption zugrunde liegt“[8]. Demnach ist es nicht immer möglich, mittelalterlicher Liebesdichtung eine bestimmte Minnekonzeption zugrunde zu legen. Darüber hinaus erschwert das Fehlen biographischer Erläuterungen oft die Interpretation vor allem der Gattung des Minnesangs.

Hinzu tritt das vieldiskutierte Problem der Authentizität des Minneliedes. Die Unterscheidung zwischen echter bzw. reiner Liebe und unechter Liebe, welche nur ein rein sinnliches Verlangen zu verdecken sucht, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Einige Minnesänger betonen daher die Echtheit ihrer besungenen Liebe. So äußert etwa Reinmar (MF 165,19):

Die hôchgemuoten zîhent mich,

ich minne niht sô sêre, als ich gebâre, ein wîp.

si liegent und unêrent sich:

si was mir ie gelîcher mâze sô der lîp.

Die Möglichkeit der Lüge, des Widerspruchs zwischen Schein und Sein, findet nach Schnell ihren Grund in der „Einsicht in die Ambiguität von sprachlichen Äußerungen“[9]. Offenbar ist die Frage bzw. die Forderung nach Authentizität der besungenen Liebe im Minnesang bereits im Mittelalter eine verbreitete Erscheinung. Die Minnekonzeption befindet sich somit in jedem Fall in einem Spannungsverhältnis zwischen Authentizität (Realität) und künstlerischem Dasein (Inszenierung/ Kunstprodukt).

Gleichzeitig ist Minnelyrik stets Rollenlyrik, welche keine realen Beziehungen beschreibt, sondern das Geschlechterverhältnis frei interpretiert bzw. „einen idealtypisch einstilisierten Gegenentwurf zur wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Realität“[10] darstellt. Somit sind Realitätsferne und realer gesellschaftlicher Aufführungsakt im Minnesang vereint.

3. Die Minnekonzeption des frühen Minnesangs

3.1 Geschlechterverhältnis, Emotionalität und sinnliche Beziehung beim Kürenberger

Der frühe, sogenannte donauländische Minnesang umfasst in etwa die Jahre zwischen 1150/60 und 1170. Ihm eigentümlich ist zunächst eine auffallende Perspektivenvielfalt, die vor allem in der Gattung des Wechsels besteht. Im regelmäßigen Abwechseln von Mannes- und Frauenstrophen äußert sich die kommunikative und emotionale Gleichberechtigung von Mann und Frau. Hilkert Weddige merkt hierzu an: „Insofern kommt die frühe Minne dem neuzeitlichen Verständnis von Liebe näher als deren einseitig stilisierte Deutung in der Hohen Minne“[11]. Besonders deutlich spiegelt sich dieser Sachverhalt in der sogenannten Rollenlyrik des Kürenbergers. Vrouwe (MF 8,1; 9,29;) und ritter (MF 7,19; 8,1) richten als sozial gleichgestellte Partner und als Mitglieder der adlig-höfischen Gesellschaft einen scheinbaren Monolog aneinander (so etwa im sogenannten „Zinnenwechsel“). Andreas Hensel weist in diesem Zusammenhang auf die stark emotionale und irrationale Durchdringung des dargestellten Liebesverhältnisses hin[12]. Mann und Frau imaginieren deutlich emotional geprägte Situationen. So spricht etwa der Ritter (MF 10,1):

Der tunkel sterne der birget sich,

als tuo dû, vrouwe schoene, sô du sehst mich,

sô lâ du dîniu ougen gên an einen andern man.

sôn weiz doch lützel ieman, wiez under uns zwein ist getân.

Ein weiteres Merkmal der Minnekonzeption des Kürenbergers besteht in der Verknüpfung von Liebe mit schwerem Leid. Beide Liebenden leiden unter einer von außen auferlegten Trennung (daz machent lügenaere. got der gebe in leit!, MF 9,13). Räkel erkennt hinsichtlich des Kürenbergerschen Gesamtwerks „[die] Trennung der beiden fiktiven Partner [als] eine Voraussetzung dieser Poesie“[13]. Jedoch ist es vor allem die Frau, die ihrem Schmerz Ausdruck verleiht (v. a. MF 7,1; 8,17; 8,25; 8,33; 9,13). Hensel konstatiert hier „für den intimen Bereich des Liebesverhältnisses eine seltsame Ambiguität“[14]. Die sehnsüchtig liebende und trauernde Frau erscheint gegenüber einem vergleichsweise distanzierten Mann (v. a. MF 9,29; 10,17) trotz der offenen und selbstbewussten Äußerung der eigenen Gefühle als tiefer Getroffene. Somit erscheint die Frau im Vergleich zum souverän auftretenden Mann durchaus als Unterlegene. Besonders im Zinnenwechsel (MF 8,1 u. 9,29) werden diesbezüglich Unterschiede zum Konzept der Hohen Minne deutlich:

‘Ich stuont mir nehtint spâte an einer zinne,
dô hôrt ich einen rîter vil wol singen
in Kürenbergers wîse al ûz der menigîn.
er muoz mir diu lant rûmen, alder ich geniete mich sîn.’

Nu brinc mir her vil balde mîn ros, mîn îsengewant,
wan ich muoz einer vrouwen rûmen diu lant,
diu will mich des betwingen, daz ich ir holt sî.
si muoz der mîner minne iemer dárbènde sîn.

Im Zinnenwechsel äußert die Dame unmissverständlich ihren Wunsch nach Vereinigung mit dem Ritter. Dieser dagegen verwehrt stolz der Frau ihren Wunsch (für immer) und zieht in ferne Länder. Der Mann erscheint selbstbewusst, fast hochmütig hält er der Frau ihre Zuneigung vor. Damit steht er in völligem Gegensatz zum werbenden Mann des hohen Minnesangs. Auch Hensel konstatiert hier „eine der höfisch-klassischen Werbesituation völlig konträre Konstellation“[15]. Darüber hinaus „[widerspricht] die Konzentration des Trauermotivs auf die Frau [...] dem überhöhten Bild der Dame im Werberitus“[16]. Hilkert Weddige schließt in diesem Zusammenhang „eine implizite Kritik am neuen Ideal der Minne“[17] nicht aus. Die Frau äußert zwar hingebungsvoll ihre Wünsche, jedoch ist es allein der selbstbewusste Ritter, der die Handlung letztendlich aktiv bestimmt und von dannen zieht.

[...]


[1] Schnell, Rüdiger: Causa Amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur. Bern/München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 24.

[2] Vgl. Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 2003, S. 243.

[3] Neumann, Friedrich: Hohe Minne. Mit einem Nachtrag. In: Fromm, Hans (Hrsg.): Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung. Darmstadt 1961, S. 180-196, hier S. 180.

[4] Brinkmann, Henning: Der deutsche Minnesang. In: Fromm, Hans (Hrsg.): Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung. Darmstadt 1961, S. 85-166, hier S. 109.

[5] Hahn, Gerhard: Walther von der Vogelweide. München u. Zürich 1989, S. 99.

[6] Vgl. Schnell, Rüdiger: Causa Amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, S. 46.

[7] Vgl. Schnell, Rüdiger: Causa Amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, S. 20.

[8] Ebd. , S. 21.

[9] Ebd. , S. 23 f..

[10] Hensel, Andreas: Vom frühen Minnesang zur Lyrik der Hohen Minne. Studien zum Liebesbegriff und zur literarischen Konzeption der Autoren Kürenberger, Dietmar von Aist, Meinloh von Sevelingen, Burggraf von Rietenburg, Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis. Frankfurt a. Main u. a. 1997, S.29.

[11] Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 2003, S. 248.

[12] Hensel, Andreas: Vom frühen Minnesang zur Lyrik der Hohen Minne. Studien zum Liebesbegriff und zur literarischen Konzeption der Autoren Kürenberger, Dietmar von Aist, Meinloh von Sevelingen, Burggraf von Rietenburg, Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis, S. 40.

[13] Räkel, Hans-Herbert S.: Der deutsche Minnesang. Eine Einführung mit Texten und Materialien. München 1986, S. 35.

[14] Hensel, Andreas: Vom frühen Minnesang zur Lyrik der Hohen Minne. Studien zum Liebesbegriff und zur literarischen Konzeption der Autoren Kürenberger, Dietmar von Aist, Meinloh von Sevelingen, Burggraf von Rietenburg, Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis, S. 38.

[15] Ebd. , S. 41.

[16] Ebd.

[17] Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik, S. 248.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Der Wandel der Liebeskonzepte vom frühen bis zum hohen Minnesang
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Germanistik / Germanistische Mediävistik und Frühneuzeitforschung)
Veranstaltung
Hauptseminar Minnesang
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V41834
ISBN (eBook)
9783638400183
ISBN (Buch)
9783656636427
Dateigröße
693 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Liebeskonzepte, Minnesang, Hauptseminar, Minnesang
Arbeit zitieren
Vera Serafin (Autor:in), 2005, Der Wandel der Liebeskonzepte vom frühen bis zum hohen Minnesang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41834

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