Glaube und Philosophie. Eine vergleichende Untersuchung des Verhältnisses von Philosophie und Religion bei al-Ghazālī und Ibn Rushd


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Leben und Werk
2.1. Al-Ghazali
2.2. Ibn Ruschd

3. Rationalität und Philosophie
3.1. Rationalität und Philosophie bei al-Ghazali
3.2. Die Erkenntnis bei Ghazali
3.3. Der Ausweg aus der Krankheit
3.4. Die Philosophie bei Ghazali
3.5. Der Sufismus bei Ghazali
3.6. Rationalität und Philosophie bei ibn-Ruschd
3.7. Über das Verbot der Philosophie
3.8. Über die Interpretation des Koran
3.9. Die Philosophen und der Unglaube

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis
5.1. Primärquellen
5.2. Sekundärquellen

1. Einführung

Als im Jahre 610 n. Chr. der Prophet Mohammed von der Lehre Allahs kündet, bricht eine neue Ära für den uns als Orient bekannten Lebensraum an. Diese Region war davor schon gezeichnet von ständigem Umbruch und großen Reichen wie das der Perser oder, noch davor, das der Mesopotamier. Mesopotamien, welches neben diesem Namen noch als Zweistromland bekannt ist, weil es umschlossen wird von Euphrat und Tigris, gehört zu den wichtigsten kulturellen Entwicklungszentren des alten Orients. Als der Islam nach dem Jahr 622, in welchem die Hidschra, die Auswanderung Mohammeds aus Mekka nach Medina, stattfand, begann sich über weite Teile des Nahen Ostens und über Nordafrika bis zur Iberischen Halbinsel auszubreiten, war das Gedankengut dieser neuen Kultur geprägt von der Geschichte dieser Region und deren Ideen. Ich bezeichne den Islam hier bewusst als Kultur und nicht nur als Religion, da der Islam nicht lediglich neue theologische Auffassungen gebar, sondern auch zu einer Blütezeit in Wissenschaft, Politik und Architektur führte.

Teil dieser Kultur ist auch die Philosophie, welche zu Teilen über den europäischen Raum in Form von Übersetzungen antiker Philosophen wie Aristoteles und Sokrates im Orient gefunden werden konnte. Basierend auf diesen antiken Ideen konnte sich die islamische Philosophie selbst erschaffen, sei es durch Abwendung eben diesen Anschauungen oder durch die intendierte Verwendung und Verwertung der Ideen und/oder Instrumente der antiken Philosophen. Islamische Gelehrte setzten sich bald intensiv mit dieser Form der Kultur auseinander und untersuchten, ob denn die Philosophie mehr ein förderliches oder ein hinderliches Gut sei, wenn es darum ging, den Glauben zu verstehen. Daran knüpft auch die Streitfrage der in dieser Hausarbeit geführten Untersuchung an, wobei explizit auf die Frage, ob zwei der bekanntesten mittelalterlichen, islamischen Philosophen – nämlich Ibn Rushd und Al Ghazali – die Philosophie mit dem Glauben und der Religion vereinen können oder ob die Religion einen Raum einnimmt, in dem die Philosophie keinen Platz findet, oder sie sogar ketzerische Gedanken evoziert. Die Analyse fokussiert primär das Verhältnis der zuvorderst genannten islamischen Philosophen zur Philosophie, wobei insbesondere die Vereinbarkeit ihrer Thesen mit dem Glauben bzw. der Religion geprüft werden soll.

2. Leben und Werk

Um die Geisteshaltung und Anschauung gegenüber der Philosophie und der Religion der einzelnen Autoren verstehen zu können ist es von Nöten, sich ein Bild über deren Leben und Werk verschaffen, da die Prägung meist mehr über die Motive verrät.

2.1. Al-Ghazali

Abu Hamid Muhammad ibn Muhammad al-Gazali wurde im Jahre 1058 n.Chr. im persischen Tus bei Maschad geboren. Einer religiösen Familie entstammend widmete er sich dem Studium der traditionellen Islamwissenschaften in Tus, Gurgan und Nischanpur. 1091 erhält al Ghazali eine Professur an der Nizamiyya Universität in Bagdad. Diese Lehrstelle wurde aber nicht für lange Zeit von ihm besetzt, da er sich, scheinbar von der Vielzahl der Deutungsmöglichkeiten des Islams und der neuen Lehren überwältigt, in einer Glaubenskrise wiederfand, die ihn dazu motivierte, sich ins (temporäre) Exil zu begeben. Dort wendet er sich der Meditation und der eigenständigen Erörterung verschiedener spiritueller Fragen zu, welche ihm Unruhe bereiteten, sofern kein Licht ins Dunkel gebracht werden kann. Auf Befehl des Sultans kehrte al Ghazali aber wieder nach Nisapur zurück: „Da beschloß [sic!] der erhabene Gott den zu jener Zeit herrschenden Sultan von sich aus und keineswegs durch äußerliche Gründe dahin zu leiten, daß [sic!] er mir den strikten Befehl erteilte, nach Nisapur zu eilen, um dem dortigen Aufruhr entgegen zu treten“[1]. Nach kurzer Zeit kehrte al-Ghazali allerdings wieder in seine Heimatstadt zurück, diesmal endgültig. Auf seinen Lehrstuhl in Nizzamiya verzichtete er, und gründete neben seinem Haus eine Schule für Gesetzeswissenschaft und ein Kloster für Sufis. Der Sufismus (der islamischen Mystik) wird für Ghazali nun Mittelpunkt des Lebens, welchem er sich nun hauptsächlich zuwendet.[2]

Ausschlaggebend an Ghazalis Wirken ist der Umstand, unter welchem er aufgewachsen ist und studiert hat: „In dieser Zeit findet er ein islamisches Reich voller soziokultureller Umbrüche und Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiiten vor. Zwischen der einzelnen Schulen der Mutaziliten, Hanbaliten und Aschariten herrschen Feindseligkeiten, die in großer Härte ausgetragen werden.“[3] Dies erkennt Ghazali ebenfalls, wenn er in seinem Buch schreibt:

Wisset […] daß [sic!] die Meinungen der Menschen über die Religionen und Glaubensrichtungen, daß [sic!] die Unterschiede der Imame hinsichtlich der Lehrmeinungen, dazu auch die vielen Gruppen und das Auseinanderklassen der Schulrichtungen ein tiefes Meer ist, in dem schon viele ertrunken sind und aus dem sich nur wenige gerettet haben.[4]

Aus diesem Grunde widmet sich Ghazali der Suche nach der einen Wahrheit inmitten dieses Zustandes zahlreicher Glaubensmeinungen, wie er dem Leser auch zu Beginn seines Buches direkt mitteilt: „Du hast mich ferner gebeten, dir von meinem Erdulden bei dem Erkunden des Wahren inmitten der Verwirrung der Schulrichtungen, die sich in Pfade und Wege gespalten haben, zu erzählen.“[5]. Ghazalis Buch „Der Erretter aus dem Irrtum“, welches hier behandelt wird, spiegelt also primär die Suche nach der einen Wahrheit wider und gibt darüber hinaus, aufgrund seines autobiographischen Charakters, Aufschluss über Person und Leben Ghazalis.

2.2. Ibn Ruschd

Ibn Ruschd, dessen voller Name Abu I-Walid Muhammad Ibn Ahmad Ibn Muhammad Ruschd lautete, ist auch unter dem Namen Averroes bekannt. Im Gegensatz zu Ghazali, der im Orient geboren wurde, erblickte Ibn Ruschd im Jahre 1126 n. Chr. im spanischen Cordoba das Licht der Welt. Er studiert im Laufe seines Lebens Recht, Philosophie und Medizin, um dann später als Richter in Sevilla und Cordoba eingesetzt zu werden, womit er auf den Spuren seines Vaters und Großvaters wandelt, die ebenfalls als Richter in diesen Orten tätig waren. Ibn Ruschd war zeitlebens gut vertraut mit den Almohadischen Herrschern in Andalusien, welche ihm einerseits in der Bildung vertrauten und eine dementsprechende Position im Reich gaben, als auch Ibn Ruschd als Mediziner unterhielten. Es war jedoch Abu Ya’qub Yusuf, der ihm den Auftrag erteilte, die Werke des Aristoteles zu kommentieren, welche Ibn Ruschd zu seiner heutigen Bekanntheit verhelfen sollten.

3. Rationalität und Philosophie

Die Vereinbarkeit von Philosophie und Glaube, bzw. der islamischen Religion, steht im Mittelpunkt der Werke beider Autoren. Die Herangehensweise beider soll nachfolgend beleuchtet werden.

3.1.Rationalität und Philosophie bei al-Ghazali

Schon früh in seinem Werk stellt Ghazali fest, dass es eine zu große Zahl an Lehrmeinungen gibt. Hierfür zitiert er noch in der Einleitung den Propheten Muhammad: „Das ist das, was der Prophet Muhammad, der Aufrichtige und Wahrhaftige, vorausgesehen hat, als er sagte: ››Meine Gemeinde wird sich in dreiundsiebzig Gruppen spalten, von denen nur eine sich retten wird.‹‹ Beinahe hätte sich bewahrheitet, was er gesagt hat.“[6] Diese Vielzahl an Lehrmeinungen erklärt Ghazali damit, dass es bei den Menschen zu „blinder Nachahmung“[7] kommt. Diese Nachahmung expliziert Ghazali wie folgt:

Denn als ich sah daß [sic!] die Kinder der Christen auf nichts anderes als das Christentum, die Kinder der Juden auf das Judentum und die Kinder der Muslime zum Islam hin erzogen wurden und ich dazu die Überlieferung des Propheten […] im Ohr hatte: ››Jedes Kind wird in seiner natürlichen Beschaffenheit (fitra) geboren. Es sind seine Eltern, die ihn zum Juden, zum Christen oder zum Magier machen‹‹, drängte es mich in meinem Inneren, die Wahrheit dieser ursprünglichen Natur und die zufälligen Glaubensgrundsätze, die durch Nachahmung von Eltern und Lehrern entstanden sind, zu erfahren und zwischen diesen blinden Nachahmungen zu unterscheiden.[8]

Für Ghazali sind diese blinden Nachahmungen bedeutungsloser Natur und lediglich ein Produkt des Umfeldes, welches die Person zu genau diesen Überzeugungen prägt. Diese Nachahmungen würden mit „Belehrungen“[9] beginnen, welche allerdings aus Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten entstanden sind, wenn es darum geht, zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden. Um nun zu erfahren, was denn wirklich wahr ist beziehungsweise als Wahrheit angesehen werden kann, beginnt Ghazali auf grundlegendem Niveau und schlägt einen höchst epistemologischen Weg ein, wenn er sich zuerst die Frage stellt, was denn Erkenntnis ist, wenn es darum geht, die Wahrheit zu erkennen. Die wahre Erkenntnis, so sagt Ghazali, ist diejenige, die keinerlei Zweifel mehr zulässt.

3.2. Die Erkenntnis bei Ghazali

Nach der Feststellung Ghazalis, dass bevor er mit der eigentlichen Untersuchung fortfahren kann, erkenntnistheoretische Überlegungen vonnöten sind, prüft er zuerst, ob denn die bisherigen Erkenntnisse der Frage und somit der Prüfung standhalten, die er zuvor aufgestellt hat. Lediglich absolut zweifelsfreie Erkenntnisse sind wahre Erkenntnisse. Schnell stellt er fest, dass er sich lediglich auf wenige seiner bisherigen Überzeugungen stützen kann, mit Ausnahme der sinnlich wahrnehmbaren Dinge und den Denknotwendigkeiten. Nach weiterer Prüfung erkennt er jedoch auch einen Zweifel in der sinnlichen Wahrnehmung und führt folgendes Argument an:

Woher nimmst du die Gewißheit [sic!] der Dinge, unter denen das Sehvermögen das stärkste ist? Das Auge erblickt den Schatten, sieht ihn unbeweglich stehen und urteilt deshalb, er habe keine Bewegung. Durch Erfahrung und Beobachtung erkennt es dann jedoch nach einer Stunde, daß [sic!] der Schatten beweglich ist und seine Bewegung nicht plötzlich, sondern allmählich, Schritt für Schritt stattfindet, so daß [sic!] er im Grunde niemals aufgehört hat sich zu bewegen.[10]

Ghazali hinterfragt hier die primären Sinneseindrücke und warnt davor, dass selbst diese uns täuschen können und sie demnach auch keine Zweifelsfreiheit gewähren. Dies weist starke Parallelen zu Descartes auf, welcher in seinen Meditationen vergleichbare Gedanken anstellt[11]. Neben der Unzuverlässigkeit der Sinneseindrücke zweifelt Ghazali allerdings im nächsten Schritt auch Vernunft an und für sich an: „Was macht dich so sicher, daß [sic!] dein Vertrauen in die Gegebenheiten der Vernunft nicht von derselben Art und Weise ist wie das in die sinnlichen Gegebenheiten, wobei du mir zwar zuerst vertraust, mich aber dann durch den Richter der Vernunft zum Lügner erklärt hast?“[12] Ghazali fährt mit seinem Skeptizismus fort und hinterfragt hier die bloße Vernunft. Diese Frage sollte ihn lange beschäftigen, wie er selbst berichtet, doch schließlich findet er die Antwort darauf im Schlaf. Nachdem ein Traum ihm den Eindruck vermittelt, real zu sein, fragt er den Leser, was ihn denn so sicher mache, dass es nicht einen dem Wachzustand übergeordneten Zustand gibt, welcher uns ebenso davon überzeugt, dass die Dinge im Wachzustand so unecht sind wie die Träume im Schlafzustand. Dieser neue Zustand würde dann alle vernunftbasierten Erkenntnisse in gleicher Weise falsifizieren wie der Wach- den Schlafzustand. Dies kann nun einer von zwei in Betracht gezogenen Zustände sein, so Ghazali; entweder der Zustand der Sufis oder der Tod. Beim Tod beruft sich Ghazali auf Mohammeds Überlieferung, welche besagt: „››Die Menschen befinden sich in einem Schlaf. Wenn sie sterben, werden sie wach.‹‹“[13]

3.3.Der Ausweg aus der Krankheit

Diese Zweifel stürzen Ghazali in eine Krise – er selbst beschreibt den Zustand als eine Krankheit. Erst Gott kann ihn aus dieser Situation befreien, indem er ihm ein Licht in seine Brust wirft.[14] Ghazali betont, dass lediglich dieses göttliche Licht ihn heilen konnte, und keine in der Philosophie geläufige Methode: „Dies geschah nicht durch einen geordneten Beweis und eine systematische Redeweise [wie z.B. in der aristotelischen Logik üblich; T.K.], sondern durch ein Licht, das der erhabene Gott in meine Brust warf, jenes Licht, welches als Schlüssel der meisten Erkenntnisse gilt.“[15] Mit diesem Licht soll Ghazali nun imstande sein, die Wahrheit zu erkennen, da Gott ihn auf dem rechten Weg leiten mag. Ferner zitiert Ghazali den Vers: „››Und was ist sein Zeichen? […] Die Abkehr von dem verführerischen Diesseits und die Rückkehr zum ewigen Jenseits‹‹“[16], womit er zum Ausdruck bringen möchte, dass sich die Erkenntnis der Wahrheit in der Abwendung von materiellen Dingen zeigt. Weiterhin sagt er, dass diese Erkenntnis bereits in unserem Geiste vorhanden sei, weshalb er sie primäre Erkenntnisse sind, die nicht erforschbar sind. Man könne sich hierfür lediglich bereit und empfänglich machen, indem man sich für die Empfängnis der Erleuchtung Gottes öffnet.

Bereits zu Beginn des Buches Ghazalis, lassen sich streng philosophische Maßnahmen beobachten, sowohl in seinem Vorgehen als auch in seiner Argumentation. Die Hinterfragung der Erkenntnis an sich und die sukzessive Ausarbeitung davon, worauf wir uns denn letztendlich verlassen können, erinnert stark an die Methodik Descartes‘. Nichtsdestotrotz kulminiert diese Untersuchung darin, dass die einzige Rettung im Glauben besteht und nicht, wie er nochmals stark hervorhebt, in Argumentation, Beweisführung und Logik. Mit der Behauptung der Unerforschbarkeit der „primären Erkenntnisse“, wie zum Beispiel der Erleuchtung durch Gott, wendet er sich allerdings stark vom philosophischen Feld der Metaphysik ab und sagt, dass genau diese Fragen nicht beantwortet werden können, was ihn zum Kritiker der philosophischen Metaphysiklehre macht. Die Offenbarung ist demnach nicht mit der Philosophie zu vereinen.

3.4. Die Philosophie bei Ghazali

Auf seinem Weg zur Wahrheit erkennt Ghazali nun, dass sie in einer von vier Gruppen aufzufinden sein muss, denn „[w]enn sich das Wahre von diesen vier Gruppen entfernt, besteht keine Hoffnung es jemals anderswo zu finden.“[17] Diese Gruppen lauten wie folgt:

1. Die Mutakallimun
2. Die Batiniten
3. Die Philosophen
4. Die Sufis[18]

Ghazali nimmt es sich vor, jede einzelne dieser Gruppen und deren Lehren genauestens zu lernen und daraufhin auf Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Die Mutakallimun, die islamischen Scholastiker, verbringen zu viel Zeit damit, sich argumentativ zu sehr mit ihren Gegnern zu beschäftigen, was Ghazali nicht ausreicht, da es ihm bei der Wahrheitssuche nur wenig Nutzen erweist.

Die Batiniten, die der Ansicht sind, dass der Koran nur von einem unfehlbaren Imam interpretiert und unterrichtet werden dürfe, ereilen ein härteres Urteil als das der Mutakallimun: „Das Ergebnis ist, daß [sic!] diese Leute nichts zu bieten haben. Ihre Reden sind von keinerlei Wert.“[19] Ghazali verurteilt die Argumente der Batiniten, dass es eines Lehrers bedarf, als Scheinargumente ohne jegliches Gewicht. Hierauf konstatiert Ghazali: „Unser unfehlbarer Lehrer aber ist Muhammad – Friede sei über ihm“, was eine Notwendigkeit für zeitgenössische Lehrer obsolet gestaltet. Identisch verhält es sich mit der Überzeugung der Batiniten, dass es eines Lehrers bedarf der Prediger belehrt und aussendet, die man in Problemfällen konsultieren könne. Ghazali entgegnet, dass der „erhabene Gott sagte: „››Heute habe ich eure Religion vervollkommnet, (so daß [sic!] nichts mehr daran fehlt) und meine Gnade an euch vollendet.‹‹ Nach der Vervollkommnung des Unterrichts bringt weder der Tod des Lehrers noch seine Abwesenheit Schaden.“[20] Zusammenfassend sind die Batiniten für Ghazali „Ketzer“ und betreiben auch nur „Ketzerei“, „[d]as ist die Wahrheit über ihre Lage. Erprobe sie, und du wirst sie verabscheuen. Als wir sie erprobt hatten, ließen [sic!] wir die Finger von ihnen.“[21]

Ghazali fährt fort, indem er ein Urteil über die Philosophen fällt. Hier beginnt er mit einer Unterteilung der Philosophen in drei große Gruppen:

- Die Materialisten
- Die Naturalisten
- Die Theisten[22]

Die Materialisten betrachtet Ghazali als Häretiker, da diese die Schöpfung leugnen. Den Naturalisten lässt er das gleiche Urteil zukommen, da diese an die Sterblichkeit der Seele glauben und somit im Umkehrschluss das Jenseits und den Tag des jüngsten Gerichtes leugnen. Da es kein Jenseits gibt in der Ansicht der Naturalisten, bleibt bei ihnen auch kein Raum für die Belohnung des religiösen Gehorsams, was die Ausübung und Befolgung der Religion per se obsolet gestaltet. Mit Blick auf die leitende Fragestellung dieser wissenschaftlichen Arbeit ist insbesondere die von Ghazali als Theisten bezeichnete Gruppe. Zu diesen zählt Ghazali antike Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles. Die Theisten, so Ghazali, haben verfeinert, was vorher unreif gewesen war und vor allem Aristoteles erntet hier Lob von ihm; „Aristoteles systematisierte die Logik für sie (die Philosophen), verfeinerte die Wissenschaften und schrieb nieder, was vorher noch nie niedergeschrieben worden war.“[23] Was zu Beginn nach einer Übereinstimmung mit der Lehre und Vorgehensweise des berühmten Aristoteles klingt, schlägt allerdings schnell um, wenn Ghazali bemerkt, dass Aristoteles in seinem Versuch, den alten Lehrern zu widersprechen, in deren Ungereimtheiten ihres Unglaubens und Ketzerei hängen bleibt. Was nun folgt ist eine Kritik an einigen orientalischen Autoren, die sich ebenfalls mit der Lehre des Aristoteles beschäftigt haben und dadurch, genau diesen Unglauben und die Ketzerei übernommen haben. Namentlich erwähnt er Ibn-Sina und al-Farabi, verweist aber noch auf andere. Diese haben ihren Aristoteleskommentaren außerdem noch „Verwirrungen und Vermischungen“[24] beigemischt, was das Herz des Lesers laut Ghazali derart verwirrt, dass gar nichts mehr verstanden wird, weshalb die Autoren ebenfalls als Ungläubige betrachtet werden müssen. Dies ist ein harter Schlag für die antike Philosophie und vor allem für Autoren wie Ibn-Sina, die diese Lehre auch im Orient verbreiten wollten. Vor allem ist es aber eine klare Abgrenzung Ghazalis gegenüber der antiken Philosophie, welche er grundlegend als ungläubig und unlauter deklariert. Dass es sich bei dieser Ansicht um den größten Konfrontationspunkt mit Ibn Ruschd handelt, wird im späteren Verlauf dieser wissenschaftlichen Arbeit deutlich werden.

[...]


[1] al-Ghazālī, Abu-Hamid Muhammad: Der Erretter aus dem Irrtum. Aus dem Arabischen übersetzt, mit einer Einleitung, mit Anmerkungen und Indices hrsg. v. ʿAbd-Elșamad ʿAbd-Elhamid Elschazli. Hamburg 1988 (Philosophische Bibliothek, Bd. 389), S. 61.

[2] Vgl.: Yousefi, PD DR. Hamid Reza: Einführung in die islamische Philosophie. Eine Geschichte des Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart. Paderborn 2014, S. 97.

[3] Ebd.

[4] al-Ghazali 1988, S. 4.

[5] Al-Ghazali 1988, S. 3.

[6] Ebd., S. 4.

[7] Ghazali 1988, S. 5.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 7f.

[11] Vgl. Descartes, René: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übersetzt und hrsg. v. Artur Buchenau. Hamburg 1965.

[12] Ghazali 1988, S.8.

[13] Prophet Muhammad, zitiert nach Ghazali 1988, S. 9.

[14] Vgl. ebd., S. 10.

[15] Ebd.

[16] Prophet Muhammad, zitiert nach Ghazali 1988, S. 10.

[17] Ghazali 1988, S. 12.

[18] Vgl. ebd.

[19] Ghazali 1988, S. 32.

[20] Ebd.

[21] Ebd., S. 40.

[22] Ebd., S. 16.

[23] Ghazali 1988, S. 18.

[24] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Glaube und Philosophie. Eine vergleichende Untersuchung des Verhältnisses von Philosophie und Religion bei al-Ghazālī und Ibn Rushd
Hochschule
Universität Mannheim  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Islam und Philosophie
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
22
Katalognummer
V420595
ISBN (eBook)
9783668686533
ISBN (Buch)
9783668686540
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie, Mittelalter, Islam, Averroes, Ghazali, Ruschd, Rushd, Glaube, Koran, al-Ghazali, al-Gazali, Ibn-Rushd
Arbeit zitieren
Tolga Konmus (Autor:in), 2018, Glaube und Philosophie. Eine vergleichende Untersuchung des Verhältnisses von Philosophie und Religion bei al-Ghazālī und Ibn Rushd, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/420595

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