Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Philosophische Einflüsse
2.1 Der ‚homme machine‘- Gedanke
2.2 Büchners Weltanschauung und Menschenbild
3. Das Automaten- und Marionettenmotiv in Leonce und Lena
3.1 Typologie der Gesellschaft
3.2 Rollenzwang und Identitätsverlust
3.3 Sinnleere und Gefühllosigkeit
4. Fazit und Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Maschinen bestimmen unser Leben bereits seit langer Zeit und sind nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Das Wissen und die Macht, dass durch Maschinen das Leben leichter und Arbeit produktiver wird, besitzt der Mensch bereits seit Jahrtausenden. Mit Beginn des Computer- und Internetzeitalters schaffen Maschinen darüber hinaus sogar eine Aufwertung unserer geistigen Fähigkeiten, indem sie für uns Informationen wesentlich schneller und auf immer neue Arten verarbeiten und bereitstellen. Mittlerweile existieren Systeme, deren Komplexität die Kapazitäten unseres Gehirns bei weitem übersteigen. Infolge dieser technologischen Umbrüche stellt sich unwillkürlich die Frage: Wird unser Denken sukzessive automatisiert?
Die Automatisierung des Lebens ist jedoch keineswegs ein Phänomen der Moderne. Im Gegenteil: Der künstliche Mensch hat eine jahrhundertealte Geschichte. Im 19. Jahrhundert spielt die Thematik eine besonders große Rolle und taucht als literarisches Motiv vor allem in der Romantik bei zahlreichen Schriftstellern auf. Auch in den Werken von Georg Büchner, der zu der Epoche des Vormärz gezählt wird, finden sich vermehrt die Motive der Puppe, der Marionette und des Automaten. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diese Motive in Büchners Werk näher zu betrachten. Insbesondere das Automatenmotiv steht in einem klaren Zusammenhang zu den philosophischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen immer neue Systemverwandtschaften zwischen Tier, Maschine und Mensch erörtert werden. An dieser Stelle sind als Vertreter eines aufklärerischen Rationalismus insbesondere René Descartes und Baruch de Spinoza zu nennen, auf die Büchner auch in seinen eigenen philosophischen Überlegungen eingeht. Auch Julien Offray de la Mettrie spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Entstehung des ‚homme machine‘- Gedankens in der Aufklärung sowie Büchners Weltanschauung und Menschenbild sollen im ersten Teil der Arbeit als Basis für die spätere Analyse des Lustspiels Leonce und Lena dienen.
Im Hauptteil der Arbeit spielen unterschiedliche Aspekte der Motivik eine Rolle. Zunächst wird dargelegt, wie Büchner das Automaten- bzw. Marionettenmotiv nutzt, um eine Typologie der damaligen Gesellschaft zu beschreiben. Was charakterisiert sie und ihre Individuen? Im zweiten Teil wird den gesellschaftlichen Strukturen weiter auf den Grund gegangen: Wie verhält es sich mit Rollenzwängen und wie werden diese an den unterschiedlichen Figuren im Text dargelegt? Im letzten Abschnitt liegt der Fokus dann auf den Phänomenen der Sinnleere und der Gefühlslosigkeit und der Frage danach, wie diese anhand der handelnden Personen zum Ausdruck kommen. Grundsätzlich steht dabei immer die Frage im Vordergrund, inwiefern die analysierten Aspekte im Zusammenhang mit der Marionetten- bzw. Automatenthematik stehen. Bei der Analyse wird sehr nah am Original-Text gearbeitet und dabei stellenweise Rückbezug auf Büchners Philosophie genommen. Das Fazit mit anschließender Schlussbetrachtung dient der Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse sowie einem kurzen Ausblick.
2. Philosophische Einflüsse
Georg Büchner wird im Jahr 1813 in Goddelau in Hessen geboren und stirbt 1837, im Alter von nur 23 Jahren, an Typhus. Büchner gelingt es trotz seiner kurzen Lebenszeit, eine „wegweisende Wirkung auf nachfolgende Autorgenerationen“[1] zu entfalten und seine Werke in der Weltliteratur zu platzieren. Michael Glebke unterstützt die mittlerweile in der Forschung vorherrschende Auffassung, Büchners Werk könne nur „als ein homogenes Ganzes“[2] betrachtet werden. Es sei Büchners Philosophie, die diese „Einheit“[3] stifte. Aus diesem Grund liegt es nah, der Analyse von Leonce und Lena ein Kapitel voranzustellen, in dem die philosophischen Einflüsse auf das Werk und insbesondere Büchners eigene Sichtweise näher betrachtet werden.
Wie bereits eingangs erwähnt wurde, erkennt man anhand der Motive, die bei Büchner immer wieder auftauchen, einen direkten Zusammenhang zu den philosophischen Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Beziehung Tier – Mensch – Maschine und dem ‚homme machine‘-Gedanken, der seinen Ursprung in der Aufklärung hat. In der Zeit, in der die Dramen Woyzeck und Leonce und Lena entstehen, bereitet sich Büchner auf eine Vorlesung mit dem Titel „Über die philosophischen Systeme des Deutschen seit Cartesius und Spinoza“ vor, die er in Zürich halten soll.[4] Büchner beginnt seine Beschäftigung mit Philosophie also nicht – wie es zu erwarten wäre – bei seinen Zeitgenossen Hegel, Kant oder Fichte, sondern bei den Aufklärern René Descartes und Baruch de Spinoza. Um einen besseren Zugang zu Büchners Weltanschauung und seinem Menschenbild zu erlangen, wird zunächst der im 17. Jahrhundert aufkommende ‚homme machine‘- Gedanke aufgegriffen. Anschließend wird Büchners Weltanschauung und sein Menschenbild betrachtet. Dabei ist es wichtig, bereits an dieser Stelle zu betonen, dass Büchner kein eigenes philosophisches System verfasst. Vielmehr kann von seiner Kritik am Idealismus sowie anhand von Büchners Aussagen (z.B. in Briefen) ein Standpunkt abgeleitet werden, der als materialistischer Determinismus bezeichnet werden kann.[5]
2.1 Der ‚homme machine‘- Gedanke
„Automaten und Cyborgs sind vor allem aus dem Motivreservoir der phantastischen Literatur um 1800 und darüber hinaus bekannt.“[6] Die Idee des künstlichen Menschen kann jedoch bis in die griechische Mythologie zurückverfolgt werden. Rudolf Drux bestätigt: „Am Anfang war Homer, auch was die ersten künstlich gefertigten Menschen betrifft.“ Er bezieht dies auf den Schmied Hephaistos, der in der Ilias „reizende Jungfrauen aus Gold“[7] schafft. Eine umfassende Darstellung des Motivs seit der Antike würde den Umfang der vorliegenden Ausarbeitung sprengen. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Motivik bei Georg Büchner liegt, werden die Entwicklungen und philosophischen Debatten hinsichtlich der Maschinenmenschen-Thematik und somit das Motiv des Automaten in seiner unmittelbaren zeitlichen Umgebung betrachtet. Relevant ist demnach das 17. Und 18. Jahrhundert:
Die Weiterentwicklung bzw. Radikalisierung des künstlichen Menschen zur Idee des ‚homme machine‘ in der Aufklärung kann auf die gesellschaftlichen Umstände, insbesondere auf die Umbrüche in dieser Zeit zurückgeführt werden. In gesellschaftspolitischer Hinsicht zielt die Epoche auf mehr Handlungsfreiheit sowie die „Betonung des einzelnen in der Rechts- und Staatsphilosophie“[8]. In Metzlers Literatur-Lexikon werden die folgenden Gesichtspunkte genannt, anhand derer sich die Aufklärung charakterisieren lässt: „Säkularisierung, Rationalisierung, Emanzipation des Bürgertums und Aufstieg der Wissenschaften“[9]. Relevant für die vorliegende Arbeit und den ‚homme machine‘-Gedanken sind in erster Linie die verstärkte Hinwendung zu den Naturwissenschaften und der unbedingte Fortschrittsglaube, der durch die technologischen Entwicklungen der Industrialisierung verstärkt wird.
Zwei philosophische Strömungen stehen in der Aufklärung im Mittelpunkt: Der Rationalismus und der Empirismus. Der Empirismus breitet sich vor allem in Großbritannien aus und wird unter anderem durch Hobbes, Locke und Berkeley vertreten. Sie sehen die „Grundlage der Erkenntnis in der (Sinnes-)Erfahrung“[10]. Im direkten Gegensatz dazu steht der Rationalismus, der vor allem in Frankreich und Deutschland vorherrscht und die Vernunft sowie die Benutzung des Verstandes als wesentlich für den Erkenntnisprozess ansieht. Im Grunde zeichnet sich die abendländische Philosophie von der Antike bis in die Moderne durch rationalistisches Denken aus. Als gutes Beispiel hierfür dient Platon, nach dessen Auffassung die Sinneswahrnehmungen unzuverlässig seien und somit keine wahre Erkenntnis ermöglichen. Als Epochenbezeichnung stellt der Rationalismus allerdings die philosophische Richtung der Aufklärung dar, die mit Descartes ihren Anfang nimmt.[11]
René Descartes (1596-1650) stellt in seinen philosophischen Schriften den Versuch an, das Universum und den Menschen rein rational bzw. materialistisch zu erklären. Der menschliche Körper ist seiner Auffassung nach dem Wesen einer Maschine gleichzusetzen. Descartes vollzieht eine Trennung von Geist und Leib, indem er zwischen dem „denkende[n] Ding“, ‚res cognitans‘, und der ‚res extensa‘, der äußeren Körperwelt, unterscheidet. Letztere zeichnet sich durch Ausdehnung, Bewegung, Gestalt, Größe, Anzahl, Ort und Zeit aus und ist somit „mathematisch erfassbar“[12]. Das denkende Ich hingegen, „das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will, das auch bildlich vorstellt und empfindet“[13] und somit Geist, Seele, Verstand und Vernunft in sich vereint, ist nach seiner Vorstellung strikt vom rein körperlichen Dasein und somit von allen materiellen Dingen getrennt. Der menschliche Körper, also die ‚res extensa‘ ist eine komplexe Maschine, ein Automat, der nur durch die kontinuierliche Nahrungsaufnahme und -verwertung funktioniert. „Die Organe werden so allein zum Schauplatz mechanischer Abläufe, der Körper ist Ort von Partikelbewegungen, die durch die eingeborene Wärme des Herzens vorangetrieben werden.“[14]
Der Mensch ist laut Descartes das einzige Wesen, das ‚res cognitans‘ und ‚res extensa‘ in sich vereint. Ein wichtiges Indiz dafür, dass der Mensch auch ein „res cognitans“ ist und sich dadurch vom Tier unterscheidet, ist seine Sprachfähigkeit. Im Umkehrschluss stellt Descartes die These auf, dass Tiere reine Maschinen bzw. Automaten sind, da sie keine Seele und somit keine Vernunft besitzen. „Die Aufwertung des Geistes und der Vernunft […] wertet den Körper als Quelle aller Irrtümer ab.“[15] Frei von diesem Mangel ist laut Descartes alleine Gott, da er kein dualistisches Geschöpf, sondern „reine Geistnatur“ ist.
Julien Offray de la Mettrie (1709-1751) verschärft die Ansätze von René Descartes. In seinem Werk l’homme machine stimmt er der cartesianischen Ansicht, die Tiere als reine Maschinen zu betrachten, zu. Er führt die Überlegungen jedoch noch weiter und erklärt auch den Menschen zur reinen Maschine. La Mettrie hegt einen grundsätzlichen Zweifel an der geistigen Natur des Menschen, der menschlichen Überlegenheit und schließlich auch an Gott, womit er sich deutlich gegen die Kirche und ihr Dogma stellt.[16] Man könne beispielsweise auch einem Orang-Utan das Sprechen lehren, ebenso wie man es einem Menschen beibringen kann.[17] Damit setzt er die Differenzierung zwischen Mensch und Tier aufgrund von Sprachfähigkeit, die Descartes postuliert, außer Kraft: „Was war der Mensch vor der Erfindung der Wörter und der Kenntnis der Sprachen? Ein Tier seiner Art, das […] sich nicht mehr vom Affen und den anderen Tieren unterschied als der Affe selbst von diesen […][18]. La Mettrie beschreibt den Mensch, ebenso wie das Tier, als reine Maschine: Er sei eine „Zusammensetzung von Triebfedern“[19], der Körper ein „Uhrwerk“[20] und die Seele „ein empfindlicher materieller Teil des Gehirns, den man […] als eine Haupttriebfeder […] der ganzen Maschine betrachten kann“[21]. Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch laut de la Mettrie lediglich eine komplexere, weiterentwickelte Maschine.
Baruch de Spinoza (1632-1677) entwickelt eine Ethik, deren Grundlagen auf metaphysischen Gesetzen fußen. Er stimmt mit dem Ansatz von Descartes im Hinblick auf den Dualismus von Körper und Geist überein. Er spricht von einem „Parallelismus“ und betrachtet Körper und Geist als zwei „Aspekte“[22] des Individuums. Spinoza scheint die bei Descartes noch vorherrschende „Kluft zwischen Denken und Sein zu überbrücken“[23], nämlich durch die von ihm bezeichnete „Substanz“[24]. Mit diesem Begriff meint Spinoza Gott, den er als das „unbedingt unendliche Wesen“[25] bezeichnet. Er geht noch weiter, indem er behauptet, Gott sei die einzige existierende Substanz: „Alles was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen werden.“[26] Er vereint in sich die beiden Substanzen, die bei Descartes strikt voneinander getrennt werden.[27]
Auf Basis dessen entwickelt Spinoza eine monistische Denkart, nach der der Mensch kein freies Wesen ist. Vielmehr werden seine Handlungen bestimmt, determiniert. Die Ursache dafür sei Gott: „Freiheit bedeutet für Spinoza die freiwillige Einsicht in die von Gott geschaffene Notwendigkeit und Vernünftigkeit aller Dinge“[28].
An den drei dargestellten philosophischen Positionen lässt sich trotz ihrer unterschiedlichen Rückschlüsse eine eindeutige Tendenz der Aufklärung erkennen, den Menschen vor allem unter dem Aspekt der Wissenschaft und der Vernunft zu betrachten.
Büchner analysiert in seinen Schriften einige philosophische Ansätze, so unter anderem die von Descartes und Spinoza und kommt zu einem ablehnenden Urteil. Bei dieser Abwehrhaltung bleibt es jedoch nicht. Er stellt dem Ganzen seine eigene, materialistische Weltanschauung gegenüber, die im folgenden Kapitel näher erläutert wird.
2.2 Büchners Weltanschauung und Menschenbild
Büchner steht „in radikaler Opposition zu den herrschenden Überzeugungen“[29] seiner Zeit:
[…] trat Büchner in seinen ersten schriftlichen Äußerungen noch in die Fußstapfen Schillers, da dieser, als Lieblingsdichter seiner Mutter, ihn zu den ersten künstlerischen Auseinandersetzungen zwang, so wendet er sich durch die gesellschaftlich-politischen Zustände seiner Zeit und mit den so neu gewonnenen Einsichten von ihm ab.[30]
Zunächst einmal soll geklärt werden, was hier mit den gesellschaftlich-politischen Zuständen gemeint ist: Büchner lebt in einer „Gesellschaft des Übergangs“[31]: Der sogenannte Vormärz ist durch die Folgen des Wiener Kongresses geprägt: Die Wiederherstellung der Adelsherrschaft, die Einschränkung der Pressefreiheit sowie jegliche Eindämmung revolutionären Potentials der besitzlosen Klasse bestimmt den Zeitgeist.[32] Büchner, der 1830 für sein Medizinstudium nach Straßburg zieht, erlebt in der „republikanische[n] Hochburg“[33] das Aufblühen der französischen revolutionären Bewegung. In einem Brief an seine Braut schreibt er im Jahr 1834:
Ich fühle mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.[34]
Vor allem in den von ihm an dieser Stelle stark kritisierten politisch-gesellschaftlichen Umständen, aber auch im technischen Fortschritt der Zeit und seinen medizinischen und naturphilosophischen Studien sind Büchners Überlegungen zu einem deterministisch-materialistischen Menschenbild begründet. Büchner ist der Auffassung, dass gesellschaftliche Umstände den Menschen „in erheblichem Maße sozial determinieren“[35], im Zitat wird dies an der Metapher des Puppenspiels deutlich. Unter gleichen Umständen, so Büchner, wären alle gleich.[36] Ricarda Hirte fasst in ihrem Aufsatz zusammen, dass der Mensch laut Büchner die Umstände, in die er hineingeboren wird, nicht verändern kann und demnach „fatalistisch an sie gebunden“[37] ist.
Büchner betrachtet die Zustände seiner Zeit als „schlechte Komödie […], als Schmierentheater“[38] Wie bereits erwähnt wurde, stellt sich Büchner außerdem klar gegen die Vertreter der idealistischen Philosophie und gegen die Kunstlehre des deutschen Klassizismus. Der Idealismus vertritt im weitesten Sinne die These, dass die Gegenstände der Erkenntnis im Geiste liegende Ideen sind. Der Geist steht demnach im Zentrum der idealistischen Philosophie. Laut Büchner erklärt jedoch die Philosophie von Descartes, Kant, Spinoza und auch Schiller die „Welt nicht so, wie sie ist, sondern wie sie sein soll.“[39] Büchner erachtet eine solche Philosophie als überflüssig, da ihre Erläuterungen mit der Realität der Welt nicht übereinstimmen, sondern sich bloß an den jeweiligen Philosophen und deren Beweisabsicht orientieren[40]. Büchner wirft dem Idealdichter vor, „keine Menschen aus ‚Fleisch und Blut, sondern stattdessen hölzerne Marionetten darzustellen.“ Büchner kämpft gegen den Idealismus und somit „gegen eine Scheinwelt, gegen ein Gestalten aus moralischen Absichten, das Lehren soll und das Naturschöne außer acht läßt.“[41]
Über den Maschinenmensch selbst äußert sich Büchner in seinen Anmerkungen über Descartes, und zwar „unübersehbar negativ“. In seinen Werken nutzt er die Marionette bzw. Puppe daher als „Kampfmetapher“, die zur Veranschaulichung „zentrale[r] Gedanken seiner ästhetischen und politischen Auffassung“[42] dient.
Büchner kommt von seiner Kritik an den Apologien des Idealismus zu seiner eigenen, materialistisch-deterministischen Haltung. Während es im Idealismus der erkennende Geist, die Subjektivität ist, die „mit Hilfe der Idee die Welt verändern kann“[43], ersetzt Büchner in seinen Überlegungen diesen Geist durch die Materie. Er macht diese zum Subjekt und degradiert gleichzeitig den Geist zum Objekt: „Nicht er bestimmt die Materie, sondern, umgekehrt, die Materie bestimmt ihn.“[44] Der Mensch fällt dabei der Materie zum Opfer und endet in einem Kreislauf, in dem er keinen Einfluss auf sein eigenes Denken und Handeln hat und aus dem er nicht ausbrechen kann. Büchner sieht in diesem von ihm beschriebenen „Schicksal der Determination“[45] für das Individuum keinen Entscheidungsfreiraum, keine Möglichkeit, das Leben nach eigenem Belieben zu gestalten. Sich selbst schließt er dabei natürlich nicht aus. Im Brief an seine Braut schreibt er nämlich außerdem: „Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen.“[46]
[...]
[1] Christian Neuhuber: Georg Büchner: Das literarische Werk. Berlin 2009, S.9.
[2] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg 1995, S. 8.
[3] Ebd.
[4] Vgl. Arnd Beise: Einführung in das Werk Georg Büchners. Darmstadt 2010, S. 34.
[5] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg 1995, S. 8.
[6] Jutta Eming: Schöne Maschinen, versehrte Helden. Zur Konzeption des künstlichen Menschen in der Literatur des Mittelalters. In: Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Hrsg. von Eva Kormann/Anke Gilleir/Angelika Schlimmer, Amsterdam 2006, S. 35- 72, hier S. 35.
[7] Rudolf Drux: Männerträume. In: Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Hrsg. von Eva Kormann/Anke Gilleir/Angelika Schlimmer, Amsterdam 2006, S. 21-34, hier S. 21 f.
[8] Peter Kunzmann/Franz-Peter Burkhard: dtv‐Atlas Philosophie, 16. Aufl., München 2015 [Erstausgabe 1991], S. 103.
[9] Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart 2007, S. 53.
[10] Peter Kunzmann/Franz-Peter Burkhard: dtv‐Atlas Philosophie, a.a.O. S. 103.
[11] Vgl. Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkhard. 3., erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Stuttgart 2008, S. 502.
[12] Peter Kunzmann/Franz-Peter Burkhard: dtv‐Atlas Philosophie, a.a.O. S. 107.
[13] Ebd.
[14] Lieselotte Sauer: Marionetten, Maschinen, Automaten. Anthologische Untersuchung zum Motiv und zur Metaphorik des künstlichen Menschen in der deutschen und englischen Romantik. Bonn 1983, S. 37.
[15] Ebd. S. 35.
[16] Vgl. Ebd. S. 53.
[17] Vgl. Julien Offray de la Mettrie: Die Maschine Mensch. Französisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Claudia Becker. Hamburg 2009, S. 47 ff.
[18] Ebd. S. 53.
[19] Ebd. S. 111.
[20] Julien Offray de la Mettrie: Die Maschine Mensch, a.a.O. S.121.
[21] Ebd. S. 111.
[22] Peter Kunzmann/Franz-Peter Burkhard: dtv‐Atlas Philosophie, a.a.O., S. 109.
[23] Seiji Osawa: Georg Büchners Philosophiekritik. Marburg: 1999, S. 40.
[24] Dtv-Atlas S. 109.
[25] Baruch de Spinoza: Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, In: Baruch de Spinoza: Sämtliche Werke in sieben Bänden. Herausgegeben von Otto Baensch, Artur Buchenau. Hamburg 1976, S. S.6.
[26] Baruch de Spinoza: Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, a.a.O. S. 16.
[27] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg 1995, S. 21.
[28] Ebd. S. 23.
[29] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg 1995, S. 7.
[30] Ricarda Hirte: Büchners Kunstanschauung und anthropologische Menschenauffassung. Revista de Filología Alemana, Vol. 13, Valencia 2005, S. 47-62, hier: S. 50.
[31] Peter Mosler: Georg Büchners <<Leonce und Lena>>. Langeweile als gesellschaftliche Bewusstseinsform.
[32] Christian Neuhuber: Georg Büchner. Das literarische Werk, a.a.O, S. 14.
[33] Ebd.
[34] Karl Pörnbacher [Hrsg.]: Georg Büchner ‐ Werke und Briefe. München 2006, S. 288.
[35] Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Biographie. Stuttgart/Weimar 1993, S. 549.
[36] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners, a.a.O, S. 40.
[37] Ricarda Hirte: Büchners Kunstanschauung und anthropologische Menschenauffassung, a.a.O.
S. 53.
[38] Christian Neuhuber: Georg Büchner: Das literarische Werk. Berlin 2009, S. 125.
[39] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners, a.a.O, S. 36.
[40] Vgl. Ebd. S. 38.
[41] Ricarda Hirte: Büchners Kunstanschauung und anthropologische Menschenauffassung, a.a.O. S. 52.
[42] Rudolf Drux: Marionette Mensch . Ein Metaphernkomplex und sein Kontext von Hoffmann bis Büchner. München 1986, S. 144.
[43] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners, a.a.O. S. 39.
[44] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners, a.a.O. S. 40.
[45] Ebd. S. 43.
[46] Pörnbacher, Karl [Hrsg.]: Georg Büchner ‐ Werke und Briefe. München 2006, S. 287.