Leseprobe
Inhalt
A. Einführung
I. Weshalb diese Untersuchung?
II. Begriffsabgrenzung – Gegenstand der Untersuchung
B. Ziele des Föderalismus
I. Historische Zielsetzungen am Beispiel des 19. und 20. Jahrhunderts
1. Sicherheit
2. Erhaltung des status quo.
3. Erleichterung des Beitritts
4. Nach dem Schrecken: Die neue alte Ordnungsidee
II. Föderalismus und Organisation
1. Die kleinen Einheiten
a) Überschaubarkeit und Transparenz
b) Effizienzgesichtspunkte.
c) Entlastungen
2. Einheit durch Vielfalt
a) Die Gegensätze
b) Die Synthese durch den Föderalismus
c) Die Zufriedenheit der Teile mit dem Ganzen
3. Konflikt und Kompromiss
4. Experimentierfelder
a) Sachliche Felder
b) Personelle Felder
5. Wettbewerb
III. Föderalismus und Demokratie
1. Zur Verwandtschaft der Prinzipien
2. Attraktivität der Teilhabe
3. Minderheitenschutz
4. Steigerung des politischen Bewusstseins
IV. Föderalismus und Freiheit
1. Vertikale Gewaltenteilung
a) Kompetenzaufteilung.
b) Die zweite Kammer
c) Bundestreue
d) Wirkung der vertikalen Gewaltenteilung
2. Innere Freiheit in Parteien und Verbänden
3. Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips als Ziel des Föderalismus?.
C. Zusammenfassung
D. Ausblick
A. Einführung
I. Weshalb diese Untersuchung?
In der jüngsten Vergangenheit wurde in der Bundesrepublik Deutschland der schwierige Begriff des Föderalismus häufig in den Mund genommen. Dabei wurden allerlei Überlegungen bemüht, die seine Reformbedürftigkeit oder gar Erfolglosigkeit deutlich machen sollten. Und tatsächlich scheint es so, als ob dieses Prinzip kaum Segnungen für unseren Staat und seine Bevölkerung bereit hält. Der darauf angesprochene Bürger wird in den meisten Fällen keine Auskunft darüber erteilen können, was es mit dem Föderalismus überhaupt auf sich hat. Aus den Medien erfährt man, dass der Bundesstaat in seiner gegenwärtigen Gestalt das Fortkommen der Gesetzgebung erschwert. Und eine im Jahre 2004 eigens eingesetzte Kommission zur Reformierung des Föderalismus in Deutschland fand ein unrühmliches, weil ergebnisloses Ende. Sollte einem da nicht die Lust auf jenes Prinzip vergehen, das kaum jemand in ein paar Worten zu umschreiben vermag und über das in letzter Zeit kaum Gutes zu hören war?
Beiden Punkten will dieser Beitrag begegnen. Der Kritik an seiner momentanen Ausgestaltung, durch das Aufzeigen seiner Ziele. Der Unwissenheit um das Wesen des Föderalismus, durch eine gleichzeitige Skizzierung seiner Vorzüge. Denn wer nicht im Blickfeld hat, in welche Richtung die Gesundung verlaufen soll, läuft Gefahr, dass der Patient zum Schluss als etwas gänzlich anderes die Diskussion verlässt. Nur wer die Ziele des Föderalismus kennt, kann ihn angemessen reformieren.
Letztlich scheint der Föderalismus für die BRD auch nicht verzichtbar zu sein. Er hat eine lange Tradition. Viele Staatsgebilde auf deutschem Boden hatte mehr oder weniger starke föderalistische Tendenzen. Eine drastische Ausnahme machte hier nur das despotische Dritte Reich nach dessen Sturz den alliierten Besatzern sehr stark an einer Wiederverankerung des föderalistischen Prinzips in der kommenden deutschen Verfassung gelegen war. Diese einleitenden Ausführungen lassen das Gewicht der Thematik im Ansatz erkennen, die auf den ersten Blick einen so leidigen Eindruck macht.
II. Begriffsabgrenzung – Gegenstand der Untersuchung
Der Begriff des Föderalismus wurde vor allem in der älteren Literatur nicht ausschließlich verwendet, um ein ordnungspolitisches Staatsprinzip zu beschreiben. In den Beschreibungen beispielsweise von Karl Georg Winkelblech oder Constantin Frantz wurde auch der gesellschaftliche Aspekt hervorgehoben[1]. Frantz ging beispielsweise so weit, das Wesen des Föderalismus als allein im gesellschaftlichen Bereich angesiedelt zu sehen. Es sei ein allgemeines Prinzip[2]. Der französische Sozialist Pierre Joseph Proudhon hingegen sah auch einen Föderalismus im wirtschaftlichen Sinne[3].
Eine Unterscheidung zwischen einem erstens verfassungsrechtlichen Föderalismus und einem zweitens philosophischen und soziologischen, einem allgemeinen Föderalismus bietet sich nicht nur auf Grund der geschichtlichen Entwicklung an. Sie ist außerdem im Sinne einer gewissen Übersichtlichkeit, die für eine Arbeit mit begrenztem Umfang gefordert werden muss.
Der hier zu behandelnde Begriff des Föderalismus soll ein politischer, staatstheoretischer sein, wobei allerdings vereinzelt auch kurz auf die gesellschaftliche Sphäre einzugehen sein wird, um die Zusammenhänge zu verstehen. Es wird im Folgenden also untersucht, welche Ziele der Föderalismus als staatliche Ordnungsidee verwirklichen will.
B. Ziele des Föderalismus
Nun sollen diese Aspekte näher betrachtet werden, die den Föderalismus insbesondere vom Einheitsstaat abheben. Gemeint sind die Ziele, die mit diesem Modell verfolgt werden. Sie stellen bei gewissenhafter Anwendung und selbstredend abhängig vom Standpunkt des Betrachters auch gleichzeitig die Vorzüge der bundesstaatlichen Ordnung dar. Dabei soll zunächst deutlich gemacht werden, dass Föderalismus keine Errungenschaft unserer Gegenwart ist. Es fühlten sich die Lenker der Staatsgeschäfte vielmehr schon früher bewogen, föderative Elemente einzurichten, um diese zur Erreichung gewisser Ziele nutzbar zu machen. Sodann wird die Idee des Föderalismus daraufhin untersucht, welche Ziele sie generell erreichen will. Diese Untersuchung erfolgt im Zusammengang mit den Begriffen: Organisation, Demokratie und Freiheit.
I. Historische Zielsetzungen am Beispiel des 19. und 20. Jahrhunderts
Der Föderalismus ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon in zahlreichen Staatengebilden der Vergangenheit, angefangen bei den hellenischen Zusammenschlüssen des Aitolischen und des Achäischen Bundes, über das heilige römische Reich deutscher Nation, bis hin zu den diversen deutschen Bünden des 19. Jahrhunderts, lassen sich föderative Aspekte erblicken. Das Miteinander von mehreren Gesamtheiten, seien es Städte, Regionen oder Staaten, bot offenbar Vorteile gegenüber dem Alleingang. Dabei sollen die folgenden Ansätze nicht als Versuch der Umschreibung einer umfassenden Föderalismusidee missverstanden werden. Sie stehen vielmehr mit der wörtlichen Übersetzung des „foedus“ als „Bündnis“ in Verbindung, als mit differenzierten neuzeitlichen staatsorganisatorischen Modellen, an die man heute zuerst denken mag, wenn der „Föderalismus“ zur Sprache kommt. Für das geschichtliche Verständnis des Begriffes ist deshalb zu unterscheiden zwischen politischen und gesellschaftlichen Ordnungen, die föderative Elemente entwickelten und aufzeigten, und zeitgenössischen Ansichten und Ideen, die diese Erscheinungen erklärten oder ihre Bildung förderten[4].
1. Sicherheit
Eine Legitimation zieht die föderalistische Idee aus Umständen die das Nebeneinander der Staaten in unsicheren Zeiten mit sich bringt. Kleinere Staaten, die sich alleine nicht gegen Übergriffe von außen behaupten können, suchen Sicherheit im Bündnis mit anderen Staaten[5]. Ein Phänomen, das so alt ist wie das Leben selbst. Es handelt sich hierbei um eine historisch-politische Erklärung des Phänomens Föderalismus, das gleichzeitig eines seiner Ziele beschreibt: Es geht um die „gute“ Staatsform, um die Fähigkeit von Zusammenschlüssen, Sicherheit und Wohlfahrt der ihrer Hoheitsgewalt unterworfenen Personen zu sichern[6]. Über diese Zielsetzung berichtete auch Montesquieu in seinem Werk „Vom Geist der Gesetze“. Er sah in einem föderativ ausgestalteten Staat die Vereinigung von Volksherrschaft nach Innen mit der Kraft der Verteidigung nach außen. Als Beispiel dienten ihm in diesem Zusammenhang die griechischen Städtebünde, der Bund der Schweizer Kantone, das Deutsche Reich und Holland. Das heilige römische Reich deutscher Nation bezeichnete er als „république fédérative“ und als „Staatswesen von ewiger Dauer“[7]. Deren föderative Elemente seien Mittel der Sicherung der Freiheit gewesen. Es ist tatsächlich nicht abwegig, das Alten Deutschen Reich, jedenfalls nach Abschluss des Westfälischen Friedens (1648), als bundesstaatsähnliches Gebilde anzusehen. Vor allem, wenn man das Grundprinzip des aus Staaten zusammengesetzten Staates mit jeweils doppelter Staatsgewalt unterstreicht[8].
2. Erhaltung des status quo
Doch warum sollte das eben Gesagte eine spezielle Zielsetzung des Föderalismus sein? Wäre nicht der Einheitsstaat nicht viel besser geeignet, schlagkräftige Defensivkräfte zu mobilisieren? Das Herausragende wird wohl darin zu sehen sein, dass die Föderation die Vorteile der höheren Sicherheit mit der weitest gehenden Erhaltung der vorgegebenen Herrschaftsstrukturen verbindet. Diese Überlegungen haben auch die europäischen Monarchen auf dem Wiener Kongress 1815 geleitet, an dessen Ende der Deutsche Bund stand. Durch ihn sollte die äußere und innere Sicherheit Deutschlands und die Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staatsterritorien erhalten werden – Bundesakte Art.2, Schlussakte (1820) Art.1[9]. Dass dies kein zu unterschätzender Punkt ist, lehrte die Entwicklung im Jahre 1848, als im Zeichen der in Frankfurt erarbeiteten Paulskirchenverfassung eine Reichsregierung eingesetzt wurde. Da die einzelnen Länder bei der Bildung dieser provisorischen Reichsexekutive nicht hinzugezogen worden waren, standen sie ihr denkbar abgeneigt gegenüber und unterstützten sie weder mit ihren Armeen, noch mit ihren Beamtenkörpern[10]. Mit ein Grund, weshalb dieser Verfassung kein Erfolg beschieden war.
Das Bemühen um eine Schonung der Interessen und Mitwirkungsrechte der Gliedkörper schafft also eine höhere Integrationsbereitschaft derselben. Ein Vorgehen im Sinne einer föderalistischen Idee kann demnach dem Überstülpen eines zentralen Entscheidungsorgans schon in der Phase der Konstituierung neuer stabiler Herrschaftsstrukturen vorzuziehen sein.
3. Erleichterung des Beitritts
Bündnisse zeichnen sich des Weiteren auch durch eine gesteigerte Flexibilität in der Mitgliederstruktur aus. Einem Zusammenschluss, der den einzelnen Gliedern ein gewisses Maß an Selbstverantwortung und –ausgestaltung belässt, fällt es naturgemäß leichter neue Mitglieder hinzu zu gewinnen. Ein Einheitsstaat müsste hierfür seine Ordnungsstrukturen dem hinzutretenden Teil überstülpen, was einen gewaltigen Aufwand erfordert. Vorhandene Identifikationsmomente würden zerstört, die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem entstandenen Neuen erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben. Ein Bundesstaat kann diese Schwierigkeiten umgehen, indem er nur das Nötige vereinheitlicht, das den Gliedstaat prägende jedoch belässt.
Ein Beispiel hierfür bieten die Novemberverträge, die der Norddeutsche Bund 1870 mit Bayern, Baden, Hessen und Württemberg schloss und sein Gebiet damit um diese Territorien erweiterte. Hiermit wurde die Entstehung des Zweiten Deutschen Reiches eingeläutet; seinem Wesen nach wie der Norddeutsche Bund ein Bundesstaat[11]. Ein weiteres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die Deutsche Wiedervereinigung. Die ehemals der DDR zugehörenden Länder (die in der DDR zumindest formal fortbestanden) konnten durch Staatsverträge der BRD angegliedert werden, ohne dass die Bewohner der Neuen Länder ihren Bezugspunkt zum veränderten Staatsgebilde völlig verloren.
4. Nach dem Schrecken: Die neue alte Ordnungsidee
Ein Ziel der bundesstaatlichen Ordnung spielte im 20. Jahrhundert für Deutschland eine besonders wichtige Rolle. Nämlich das der gesteigerten Kontrollmöglichkeiten der Staatsmacht. Es gestaltete das staatsorganisatorische Erscheinungsbild der BRD mit, welches es bis heute hat. Nach 1945 und dem Ende des despotischen NS-Regimes, sprachen sich die alliierten Siegermächte für einen föderativen Staatsaufbau aus, da dieser am dienlichsten sei, dem neuen Deutschland und ganz Europa Stabilität und Frieden zu sichern. Der wichtigste Aspekt war wohl, den neuen Deutschen Staat einem inneren System der Kontrollen zu unterwerfen, das übermäßige Machtkonzentrationen verhindern sollte[12]. Dem System der horizontalen Gewaltenteilung sollte eine solches der vertikalen Gewaltenteilung beigefügt werden, auf dass sich das Dritte Reich nie wiederhole. So fand dann der Begriff des Bundesstaates im Dokument I der Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948 Erwähnung. Dass die darauf folgende Entscheidung des Grundgesetzgebers für einen föderativen Staatsaufbau einen Akt des politischen Wollens darstellte und keine gelenkte Entscheidung der Siegermächte, ist unbestreitbar[13]. Denn abgesehen von der Tradition dieser Ordnungsidee, nahm die staatliche Wiederbelebung Deutschlands von den Ländern und Gemeinden ihren Ausgangspunkt, was die Ideen der Staatlichkeit von Bund und Ländern und entsprechende Kompetenzverteilungen naturgemäß mit sich brachte[14]. Die Überzeugung der Väter des Grundgesetzes, in der Verankerung dieser Struktur eine deutsche Staatstradition zu respektieren und zugleich in ihr die auch für die Zukunft richtige Form für den Staat der Deutschen zu sehen, ist auch heute noch in der Gestalt des Art. 79 III GG sichtbar. Neben seiner Verweisung auf Art. 20 GG legt er auch die Gliederung des Bundes in Länder als unabänderlich fest und lässt so dem Staatsziel des Bundesstaates eine doppelte Absicherung zuteil werden. Eine Stellung, die keinem anderen Staatsziel der BRD vergönnt ist.
[...]
[1] Deuerlein, Föderalismus, S. 104.
[2] Frantz, Föderalismus als leitendes Prinzip, S.14; Deuerlein, Föderalismus, S. 108.
[3] Deuerlein, Föderalismus, S. 101.
[4] Deuerlein, Föderalismus, S. 13.
[5] Schindler, Philosophie und Instrumente des Föderalismus, S. 26.
[6] Bothe, in: Chancen des Föderalismus, S. 29.
[7] Deuerlein, Föderalismus, S. 42.
[8] Stern, Staatsrecht, § 19,I,6a).
[9] Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 91.
[10] Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 122.
[11] Kimminich, in: HdBDSR I, S. 1132.
[12] siehe auch B.IV. (Föderalismus und Freiheit).
[13] Kimminich, in: HdBDSR I, S. 1134; Isensee, in: HdBDSR IV, S. 686.
[14] Stern, Staatsrecht, § 19, III, 1.