Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) kann als ein Schlüsselprojekt der europäischen Einigung angesehen werden. Ihr Ziel ist die Stärkung der äußeren Handlungsfähigkeit der EU durch den Aufbau militärischer und ziviler Fähigkeiten zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten in einem so sensiblen Bereich kann sehr intensiv identitäts- und gemeinschaftsbildend wirken und die Integration entscheidend vertiefen. Der derzeitige Irak-Konflikt, der die EU in zwei Lager spaltet, sowie das 40. Jahr des Elysée-Vertrages geben einen aktuellen Anlass auf die ESVP einzugehen. Diese ist ein noch sehr junges Projekt. Sie wurde auf dem Europäischen Rat von Köln am 03./04.06.1999 ins Leben gerufen. Doch der Weg bis da hin war lang. Die ersten Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurden bereits nach dem zweiten Weltkrieg unternommen. Während dieses Entwicklungsprozesses spielten insbesondere Deutschland und Frankreich und die Beziehungen der beiden ehemaligen Erbfeinde zueinander eine entscheidende Rolle.
Die folgende Abhandlung beschäftigt sich mit der Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von 1950 bis heute. Dabei wird insbesondere auf die Rolle Frankreichs und Deutschlands, die häufig als „Motor Europas“ bezeichnet werden, in diesem Entwicklungsprozess eingegangen. Hinsichtlich der Methodik ist die Hausarbeit chronologisch angelegt und in drei historische Abschnitte unterteilt.
INHALTVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von 1950 bis 1989/90
2.1 Die ersten Schritte zu einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
2.2 Die unterschiedlichen Sicherheitskonzeptionen Frankreichsund Deutschlands
2.3 Die Hemmnisse einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
2.4 Die Beweggründe Deutschlands und Frankreichs für eine Kooperation
3. Die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von 1989/90 bis Maastricht
3.1 Annäherung der deutschen und französischen Position
3.2 Gemeinsame Initiativen für Maastricht 10
3.3 Die Motive Deutschlands und Frankreichs für die Initiativen
3.4 Ergebnisse und Bewertung der Initiativen für Maastricht
4. Die Entwicklung der ESVP von 1998 bis 2003
4.1 Der Wandel der britischen Position
4.2 Die Gipfel von Köln, Helsinki und Feira und der Aufbau der ESVP
4.3 Die transatlantischen Beziehungen 13
4.4 Die Auswirkungen des Kosovo-Krieges
4.5 Die Perspektiven der ESVP
5. Schlussfolgerungen
5.1 Die Rollen Deutschlands und Frankreichs für die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
5.2 Die Rolle einer Avantgarde
5.3 Die ESVP im Lichte des aktuellen Irak-Konflikts
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) kann als ein Schlüsselprojekt der europäischen Einigung angesehen werden. Ihr Ziel ist die Stärkung der äußeren Handlungsfähigkeit der EU durch den Aufbau militärischer und ziviler Fähigkeiten zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten in einem so sensiblen Bereich kann sehr intensiv identitäts- und gemeinschaftsbildend wirken und die Integration entscheidend vertiefen. Der derzeitige Irak-Konflikt, der die EU in zwei Lager spaltet, sowie das 40. Jahr des Elysée-Vertrages geben einen aktuellen Anlass auf die ESVP einzugehen. Diese ist ein noch sehr junges Projekt. Sie wurde auf dem Europäischen Rat von Köln am 03./04.06.1999 ins Leben gerufen. Doch der Weg bis da hin war lang. Die ersten Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurden bereits nach dem zweiten Weltkrieg unternommen. Während dieses Entwicklungsprozesses spielten insbesondere Deutschland und Frankreich und die Beziehungen der beiden ehemaligen Erbfeinde zueinander eine entscheidende Rolle.
Die folgende Abhandlung beschäftigt sich mit der Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von 1950 bis heute. Dabei wird insbesondere auf die Rolle Frankreichs und Deutschlands, die häufig als „Motor Europas“ bezeichnet werden, in diesem Entwicklungsprozess eingegangen. Hinsichtlich der Methodik ist die Hausarbeit chronologisch angelegt und in drei historische Abschnitte unterteilt. Der erste Zeitabschnitt beschränkt sich auf die Jahre von 1950 bis 1989/90. Hier wird zunächst allgemein die historische Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschrieben. Es wird auf die sehr unterschiedlichen Sicherheitskonzeptionen Deutschlands und Frankreichs eingegangen sowie auf die Aspekte die eine Kooperation hemmten und die Motive, welche der Zusammenarbeit förderlich waren. Kapitel 3 knüpft zeitlich an den vorangegangenen Abschnitt an und deckt den Zeitraum bis zum Maastrichter Vertrag ab. Hier wird auf die veränderten Positionen Deutschlands und Frankreichs eingegangen, welche durch die deutsche Wiedervereinigung und den Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden, und wie und warum sich die Haltungen der beiden Staaten annäherten. Im Folgenden wird auf die daraus resultierenden gemeinsamen Initiativen der beiden Rheinnachbarn für den Maastrichter Vertrag eingegangen und die Ergebnisse dieser Initiativen werden herausgestellt und bewertet. Das vierte Kapitel, welches sich über den Zeitraum von 1998 bis heute erstreckt, geht auf die wichtigsten Faktoren für die Entwicklung der ESVP ein, nämlich den Wandel der britischen Position, den Kosovokrieg, die Gipfeltreffen von Köln, Helsinki und Feira und auf die veränderten transatlantischen Beziehungen und deren Auswirkungen auf die ESVP. Es folgt ein Ausblick über die Perspektiven der ESVP. Das letzte Kapitel impliziert die aus den vorgelegten Fakten und Gedanken resultierenden Schlussfolgerungen der Abhandlung.
2. Die Ent ts- und Verteidigungspolitik von 1950 bis 1989/90
2.1 Die ersten Schritte zu einer europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Der erste Versuch einen Schritt in Richtung Errichtung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu gehen, wurde im Oktober 1950 vom französischen Premierminister René Pleven unternommen. Er schlug die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vor, die über eigene militärische Strukturen verfügen sollte. Auch die Gründung einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) wurde angestrebt. Die EVG und EPG sollten, neben der besonders von Frankreich verfolgten Einbindung Westdeutschlands, einen externen Schutz gegenüber den als expansiv wahrgenommenen Kommunismus (Korea-Krieg) gewährleisten sowie eine Selbstbehauptung Europas als dritte Kraft in einem sich verfestigenden System des konfrontativen Bipolarismus gewährleisten.[1] Zwei Jahre später wurde dann auch ein Vertrag über die Gründung der EVG von den sechs Mitgliedern[2] der EGKS unterzeichnet. Doch die französische Nationalversammlung lehnte die Ratifizierung des EVG-Vertrages ab und verhinderte somit deren Entstehung. Dies hatte auch die Aufgabe des EPG-Vorhabens zur Folge. Grund für das Veto des französischen Parlaments war die Angst vor dem Verlust von Souveränität und Autonomie.[3] Außerdem bestand noch immer zuwenig Vertrauen zum deutschen Nachbarn und die Saarland-Frage[4] war weiterhin noch ungelöst. Durch die Abstimmungsniederlage im französischen Parlament entwickelte sich die NATO zum dominanten Instrument der westlichen Sicherheitspolitik. Die schon im Jahre 1954 gegründete Westeuropäische Union (WEU) hatte lediglich die Funktion die Rüstungskontrollbedürfnisse Frankreichs gegenüber der BRD zu befriedigen und deren Eintritt in die NATO zu ermöglichen.[5] Da sich die NATO zur sicherheitspolitisch dominierenden Institution entwickelte, konnte sich allerdings auch die von Seiten Frankreichs 1961 und 1963 vorgelegten Fouchet-Pläne, die u. a. eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik implizierten, wegen der auf die NATO ausgerichteten bündnispolitischen Interessen der meisten Mitgliedsstaaten der EWG, darunter auch Deutschland, nicht durchsetzen. Auch die unterschiedlichen Integrationsvorstellungen spielten bei der Ablehnung der Fouchet-Pläne eine Rolle. Während Frankreich ein Europa der unabhängigen Vaterländer anstrebte, traten die anderen EWG-Staaten für eine Integration mit eigenständigen europäischen Institutionen ein.
Der verstärkte Rüstungswettlaufs und die dann in den 80er Jahren beginnenden Abrüstungsschritte lösten bei den Europäern die Angst aus zum Spielball der beiden Supermächte USA und Sowjetunion zu werden, was zu einer zumindest teilweisen gemeinsamen deutsch-französischen und auch europäischen Interessendefinition führte.[6] Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) schafften es die EG-Staaten 1987, die 1970 bereits gegründete Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) mit sicherheitspolitischen Aspekten zu versehen. Die bis dahin als „Bündnis um Schatten“[7] stehende WEU erhielt zwar in den 80er Jahren eine Aufwertung[8], doch zu einem begrenzten Wiederaufleben der WEU kam es erst mit dem Vertrag von Maastricht und der Entstehung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).
Zu einer ersten vertraglich vereinbarten engen bilaterale Kooperation in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen der BRD und Frankreich kam es erst durch den Elysée-Vertrag von 1963. Während der Amtperioden De Gaulles und Pompidous und auch unter Giscard d`Estaing erreichte diese Zusammenarbeit aber kaum nennenswerte Ergebnisse.[9] Erst unter Präsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl kam es zu einer verstärkten deutsch-französischen Kooperation. Die 1987 gegründete deutsch-französische Brigade mit 5.000 Soldaten, aus der 1992 das Eurokorps entstand, welches neben deutschen und französischen Truppen auch Soldaten aus Belgien, Luxemburg und Spanien umfasst. Im Jahre 1988 kam es zur Errichtung des Deutsch-Französischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, der die Abstimmung zwischen beiden Staaten in allen Fragen der europäischen Sicherheit vornehmen sollte.
2.2 Die unterschiedlichen Sicherheitskonzeptionen Frankreichs und Deutschlands
Aber trotz einiger Vereinbarungen und Fortschritte, lagen den Sicherheitspolitiken beider Staaten verschiedenen Konzeptionen zugrunde.[10] Auch die Bemühungen des Deutsch-Französischen Sicherheits- und Verteidigungsrats die Sicherheitspolitik der beiden Staaten zu vereinen, konnten die unterschiedlichen strategischen Kulturen der Rheinnachbarn nicht vergessen machen. Das Verteidigungskonzept Frankreichs basiert auf der nationalen Unabhängigkeit[11] und dem Prinzip der globalen Abschreckung[12]. Daher trat Frankreich 1966 unter de Gaulle auch aus der militärischen Integration der NATO aus. Die Verteidigung der vitalen Interessen des Staates, wozu auch dessen Souveränität zählt, soll, auch mit Hilfe von Nuklearwaffen, notfalls allein, gewährleisten werden können. Des Weiteren definiert Frankreich seine Interessen global und erhebt Anspruch auf Großmachtstatus[13]. Als ehemalige Kolonialmacht, als Nuklearmacht und als eine Macht mit einem ständigen Sitz im Rat der Vereinten Nationen wird dieser Anspruch gerechtfertigt. Das Ziel wurde von keinem französischen Staatsoberhaupt zumindest bis in die 90er Jahre aus den Augen verloren.[14] Die französische Sicherheitskonzeption beruht also auf drei Kernelementen: Souveränität, europäische Eigenständigkeit und globale Orientierung, d.h. Anspruch auf Großmachtstatus.[15] Der Sicherheitspolitik Deutschlands lagen ganz andere Konzeptionen zugrunde. Die Bundesrepublik verfolgte und verfolgt weiterhin eine auf Integration zielende Sicherheitspolitik bei der die Mitgliedschaft in NATO und WEU eine entscheidende Bedeutung zukommt. Für Deutschland bestand auch keine Alternative zur Politik der Integration und Westanbindung, da nur auf diese Weise das von den Alliierten auferlegte Besatzungsstatut letztendlich aufgehoben werden konnte. Die Westanbindung wurde zur Staatsraison. Während Frankreich 1966 die militärische Integration der NATO verließ und durch eigene Nuklearwaffen den Schutz seiner Souveränität sichern wollte, bestand für die Bundesrepublik durch die Unterzeichnung des WEU-Vertrages 1954 und des Zwei-plus-vier-Vertrages 1990 keine nukleare Option. Außerdem war die militärstrategische Konzeption der Bundeswehr insbesondere auf Bündnistreue mit der NATO ausgerichtet. Die Sicherheitspolitik der BRD nach dem zweiten Weltkrieg basierte immer auf Zusammenarbeit, Integration und Multilateralität[16] und nie auf „nationaler Unabhängigkeit“[17].
[...]
[1] vgl. Jopp, Mathias (2002): „Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. In: Weidenfeld, Werner / Wessels, Wolfgang (Hg.): Europa von A bis Z. Bonn: Europa Union Verlag, 2002. 161.
[2] Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten
[3] Frankreich wollte seine Truppe jederzeit von der europäischen Armee abziehen können, wenn es diese benötigte. Z.B:: Krieg in Indochina
[4] Die Saarland-Frage wurde erst später durch die Pariser Verträge gelöst.
[5] vgl. Weidenfeld/Wessels (Hg.) 2002: 161.
[6] Vgl. Weidenfeld/Wessels (Hg.) 2002: 162.
[7] vgl. Algieri, Franco: „Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. In: Weidenfeld, Werner (Hg.): Europa Handbuch. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2002. 585.
[8] Die WEU-Mitglieder erarbeiteteten gemeinsame bündnispolitische Positionen bezüglich Abschreckungsstrategie und Rüstungskontrolle.
[9] vgl. Woyke, Wichard: Deutsch-französische Beziehungen seit der Wiedervereinigung. Das Tandem faßt wieder Tritt. Opladen: Leske + Budrich, 2000. 129.
[10] vgl. Gordon, Philip: “The Franco-German Security Partnership”. In: McCarthy, Patrick: France-Germany, 1983-1993. London: The Macmillan Press Ltd, 1993. 140.
[11] “A second fundamental element of postwar France`s strategic culture (…) has been the pursuit of national military independence.” (Gordon, Philip 1993: 141.)
[12] vgl. Woyke, Wichard 2000: 130.
[13] vgl. Gordon, Philip 1993: 140.
[14] vgl. Gordon, Philip 1993: 140.
[15] vgl. Gordon, Philip 1993: 140-142.
[16] vgl. Gordon, Philip 1993: 142.
[17] vgl. Woyke, Wichard 2000: 131.
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