Die Radikalisierung der russischen Gesellschaft im Krieg 1914- 1917


Hausarbeit, 2005

9 Seiten, Note: 2


Leseprobe

Die Radikalisierung der russischen Gesellschaft im Krieg, 1914 – 17

Als der russische Zar sich nach der deutschen Kriegserklärung auf dem Balkon des Winterpalais der begeisterten Menge zeigte, schienen viele Probleme des russischen Reiches wie weggeblasen. Wie in den meisten westlichen Ländern auch, entstand eine wahre Kriegshysterie. Die Menschen strömten aus allen Vierteln Petrograds um den Zaren zu feiern. Selbst in Gebieten, in welchen der „revolutionäre Gedanke“ vorherrschte, schien jeder Groll gegen das „Zarenregime“ fürs erste vergessen.

Wer waren also die Revolutionäre von 1917? Wo kamen sie her? Und was war ihre Motivation? Diese Fragen möchte ich im Verlauf meines Aufsatzes zu erklären versuchen.

Bevor ich auf die einzelnen Stände der russischen Gesellschaft zu sprechen komme, ist es wichtig, die einheitliche Kriegseuphorie und die wirtschaftliche und militärische Lage des russischen Reiches zu klären.

Russland befand sich in dieser Zeit in einer tiefen Krise. Innenpolitisch musste sich der schwache Zar gegen aufständische Sozialrevolutionäre durchsetzen und in der wirtschaftlichen Entwicklung stand das Russische Reich noch in den Kinderschuhen. Der größte Teil der Bevölkerung lebte auf dem Land und führte als Bauer ein hartes Leben. Die Industrialisierung, welche in Russland sehr spät einsetzte, beschränkte sich auf die wenigen Großstädte. Das hoch industrialisierte Petrograd konnte natürlich mitnichten das riesige Russische Reich volkswirtschaftlich so versorgen, dass ein erfolgreicher Industrialisierungsprozess möglich gewesen wäre. Russland war immer noch ein Agrarstaat. Zusätzlich war die Rüstungsindustrie auf einen Krieg nicht vorbereitet. Man rechnete damit, dass die Rüstungsbemühungen erst 1917 abgeschlossen sein würden, um als ebenbürtiger Gegner dem übermächtigen Deutschen Reich entgegen zu treten. Ein Krieg in dieser Lage schien aussichtslos.

Der Grund für die angesprochene Kriegseuphorie war also nicht etwa ein überlegenes Russland, obwohl dies dem „kleinen Mann“ von den Staatsdienern so suggeriert wurde, welches einen überlegenen Expansionskrieg führen konnte, sondern der Hass gegen den preußischen Militarismus und die Verteidigung der Ehre, da man dem kleinen Bruder Serbien treu zur Seite stehen musste. Menschewiki und Bolschewiki – Konservative und Liberale hatten so zu Beginn des Krieges zwar unterschiedliche Interessen aber ein gemeinsames Ziel.

Dennoch barg diese deutschfeindliche Kriegseuphorie eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die russische Zarenfamilie.

„Die Führungsschicht des Zarenreiches trug in den Augen vieler gebildeter Russen deutlich den Stempel deutscher Einflüsse…“[1]

Viele der hohen Beamten trugen deutsch klingende Namen, seit Generationen kamen die Zarinnen, bis hin zur unpopulären derzeitigen, ohne Ausnahme aus Deutschland. Der Hass gegen den deutschen Feind konnte so recht schnell auf die Zarenfamilie transformiert werden.

Die Stimmung schlug auch schnell um, nachdem die erhofften Siege ausblieben. Denn es galt: „Siege waren das Verdienst Russlands, Rückschläge die Schuld des Regimes“[2]. Die Unzufriedenheit der Gesellschaft ließ die Abgeordneten der Duma selbstbewusster werden. Sie forderten die Einberufung der Duma. Hinter dieser Forderung stand ein schon ausgearbeitetes Konzept, welches als Ziel die Ankurbelung der Rüstungsproduktion hatte. Lediglich die ultra – rechten Abgeordneten entzogen sich diesem „Reformwillen“. Am 2. 8. 1915 wurde die Duma daraufhin einberufen. Vier Minister wurden entlassen und es entstand alsbald eine „lebhafte Initiative“, welche am 3. 9. 1915 in einem Programm des sogen. „Progressiven Blocks“ endete. Unterstützt wurden diese Reformen von fast allen Abgeordneten mit Ausnahme der Rechten und Sozialdemokraten. Letztere unterstützten diese Reformen jedoch inoffiziell, da sie ihr Gesicht gegenüber der Bevölkerung waren wollten. Das Programm war, so dachten sie, ihren Anhängern zu wenig radikal. Inhalte dieses Programms sollte eine „Erneuerung des Personalbestandes der lokalen Verwaltungsstellen“ sein, Amnestie für politisch und religiöse „Deputierte“, eine großzügigere Behandlung der Nationalitäten und die Legalisierung der Gewerkschaften. Ziel des Programms war die Aktivierung der Massen für den Krieg, was nur durch einen „Abbau der Diskriminierung“ erfolgen konnte.

Diese Konzessionen wurden von Nikolaus II. nur widerwillig genehmigt. Nach den kleinen militärischen Erfolgen entschloss er sich dazu, auch auf Drängen seiner Frau Alexandra, seine Macht zu stabilisieren. Nach einigen Monaten bereits, entließ er die ersten Persönlichkeiten aus dem Ministerrat, welche im Sommer eine eigene Meinung gegenüber dem Zar einnahmen. Trotz dieser Einschränkungen sah Nikolaus II. sein Verhalten nicht als eine Wendung gegen die Duma. Er berief ständig neue Minister aus den Kreisen der Duma und der Reichsratabgeordneten, entließ allerdings genauso viele wieder, welche in der Bevölkerung nicht populär genug waren. Durch diese Wankelmütigkeit schadete er jedoch der neuen „Bürokratie“, sodass die Mitglieder des „Progressiven Blocks“ in eine kontraproduktive Verunsicherung fielen und die gemäßigten Fraktionen den Block verließen. Die nationale Einheit im „Progressiven Block“ ging dadurch verloren.

[...]


[1] Ulam , Adam B.; Russlands gescheiterte Revolutionen, München 1985

[2] Ulam , Adam B.; Russlands gescheiterte Revolutionen, München 1985

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Die Radikalisierung der russischen Gesellschaft im Krieg 1914- 1917
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Einführung in die osteuropäische Geschichte und slavische Kultur
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
9
Katalognummer
V43559
ISBN (eBook)
9783638413268
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Radikalisierung, Gesellschaft, Krieg, Einführung, Geschichte, Kultur
Arbeit zitieren
Tankred Kauf (Autor:in), 2005, Die Radikalisierung der russischen Gesellschaft im Krieg 1914- 1917, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43559

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