Die Frage war jedesmal anders formuliert, aber es war immer die gleiche Frage. Sag mir, sag mir wie kann ich Ohne Schmerz leben? Ich weiß es nicht." (French, M. (1980), S. 18)
Die Frage nach dem Leid birgt wohl eine der schwierigsten existentiellen Problematiken. In der Theorie beschäftigt man sich häufig mit seiner Überwindung. In der Praxis jedoch scheint dies unmöglich.
Niemand möchte leiden, Aber wer ist seit Beginn der Menschheitsgeschichte prädestinierter dafür als die Frau? Und wo werden dem Leid Tür und Tor geöffnet, wenn nicht in der Liebeserfahrung? Und schließlich: Schiebt nicht die Abhängigkeit des sogenannten schwachen Geschlechts jedem Entrinnen einen Riegel vor? Wie kann man in einer Liebesbeziehung als Frau unabhängig und glücklich werden? Ich weiß es nicht. Aber ich will mich auf den Weg machen, dies herauszufinden.
Ein solches 'Unterfangen' streift doch das pädagogische Diskursfeld lediglich am Rande, möchte man vorschnell urteilen. Und gehört nicht die Frage nach menschlichem Leid in den Bereich der Philosophie? Hiermit wäre zunächst das Thema einer Abgrenzung einzelner Wissenschaften angesprochen. In einer Zeit jedoch, in der endlich auch die Physik ihre Verbindung zur Philosophie gefunden hat, scheint es mir wesentlich, fachübergreifend zu arbeiten, ohne daß der Stolz, Herr über sein eigenes Diskursfeld zu sein, verletzt würde.
Diese Arbeit hat eindeutig ihren Mittelpunkt in der Pädagogik. So wird zum ersten die Frage nach einer aufgeklärten Bildungskonzeption angesprochen, die Vernunft und Selbstbestimmung zu wesentlichen Zielen gemacht hat. Diese Diskussion erfolgt jedoch vor dem Hintergrund zwischenmenschlicher Beziehungen, genauer der Beziehung zwischen Mann und Frau. Zum zweiten geht es um geschlechtsspezifische Erziehung, sicherlich ein nicht unwesentliches Anliegen der Pädagogik. Dabei werden verschiedene Konzeptionen vorgestellt und am Erzieher-verhalten praktisch ausgewiesen, Und schließlich fragt diese Arbeit am Beispiel weiblicher Leidens- und Abhängigkeitsbereitschaft implizit immer wieder nach einer zukünftigen Pädagogik, die auch das 'Andere' der Wirklichkeit zu zeigen in der Lage wäre. Unverzichtbar scheinen mir unter diesen Fragestellungen Anleihen bei der Soziologie und Psychologie sowie vor allem auch bei der Philosophie.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- I. Exkurs: 'Das lineare Leid' oder Frauen in Familie und Gesellschaft von der industriellen Revolution bis zur Moderne
- Die soziale Situation der Frau im 19. Jahrhundert - eine Skizze
- Grundzüge der bürgerlichen Familie
- Emotionalisierung und Intimität
- Geschlechtertrennung und Entsexualisierung
- Die soziale Situation der Frau im 20. Jahrhundert - eine Skizze
- Merkmale der Entwicklung von Familie und Ehe im Verlauf des 20. Jahrhunderts
- II. Auf dem Weg zur Weiblichkeit oder 'Ich bin ein Geschöpf, dazu geschaffen, Freude zu spenden' - Theorie und Praxis geschlechtsspezifischer Sozialisation
- Belohnung, Imitation und Identifikation - Der Erwerb geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen aus lerntheoretischer Sicht
- Das kognitive Realitätsurteil - Aufbau der Geschlechtsidentität aus kognitionspsychologischer Sicht
- III. Verschiedene Welten - Das Aneignungskonzept geschlechtsspezifischer Sozialisation unter Einbeziehung gesellschaftlicher Realität
- Ein folgenreiches Puppenspiel - Von den ersten Lebenswochen bis zum Vorschulalter
- Die ersten zwei bis drei Lebenswochen
- Das Säuglingsalter
- Das Kleinkindalter
- Kindergarten- und Vorschulkinder ab drei Jahre
- 'Ein Sturm von Leidenschaften' - Psychoanalytische Theorien des Geschlechtserwerbs
- Von der psychischen Bisexualität des Säuglings zu Mann und Frau - S. Freuds Auffassung zur Geschlechterdifferenz
- Unbewußte Seelentätigkeit
- Kindliche Sexualität
- Der übermächtige Vater
- 'Anatomie ist Schicksal'
- Phasen psychosexueller Entwicklung
- Erwerb von Geschlechtsidentität
- Bisexualität des Säuglings
- Präödipale Sexualität
- Ödipaler Konflikt
- Verlauf beim Jungen
- Verlauf beim Mädchen
- Von der Symbiose zur Individuation - M. Mahlers Konzept der Subphasen frühkindlicher Entwicklung
- Autistische und symbiotische Phase
- Erste Subphase: Differenzierung und Entwicklung des Körperschemas
- Zweite Subphase: Das Üben
- Dritte Subphase: Wiederannäherung
- Vierte Subphase: Konsolidierung der Individualität und Anfänge emotionaler Objektkonstanz
- Von der psychischen Bisexualität des Säuglings zu Mann und Frau - S. Freuds Auffassung zur Geschlechterdifferenz
- Ein folgenreiches Puppenspiel - Von den ersten Lebenswochen bis zum Vorschulalter
- IV. Grenzenlose Liebe oder 'J'adore ce qui me brûle'? Verschiedene Aspekte weiblichen Leidens und Abhängigkeit in der Liebesbeziehung
- Vom menschlichen Leiden zur weiblichen Leidensbereitschaft - Eine kleine Etymologie
- Das bürgerliche Erbe - Die moderne Frau und ihr Schuldkomplex
- Förderung abhängiger Verhaltensweisen in der Kindheit und ihre Auswirkungen
- Grenzlinien
- Weibliche Abhängigkeit - Versuch einer Definition
- Ein Kindermärchen
- Formationen von Abhängigkeit
- Körperlichkeit und Sexualität
- Sprache und nonverbale Kommunikation
- Das 'Projekt Liebesbeziehung'
- Psychoanalytische Aspekte von Abhängigkeit und Leiden
- Partnerwahl
- Die narzißtische Wunde
- Hypermaskulinität und Unterwerfung
- Verschmelzungssehnsucht und Angst vor Nähe - Die weiblich männliche Doublette
- Das Eine ohne das Andere?
- V. Die Un-Dinge der Liebe oder 'Illusionen von Autonomie'
- Und noch mehr Aufklärung! Oder die Mär von der Überwindung der weiblichen Geschlechtsrolle
- Von Hexen, Sirenen und Xanthippen - Die falsch verstandene 'Neue Weiblichkeit'
- 'Ein fragiles Sein zur Welt' - Gebrochene Identität und die Öffnung zum anderen
- Die List des Odysseus
- Der Blick des Anderen
- VI. Zwischenlösungen oder 'Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben'
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Abhängigkeit und Leidensbereitschaft der Frau in der Partnerschaft. Sie befasst sich mit geschlechtsspezifischen Sozialisationsprozessen, die Frauen in eine Position der Abhängigkeit und Opferbereitschaft in Liebesbeziehungen bringen. Die Arbeit beleuchtet die Ursachen und Folgen dieser Dynamik und hinterfragt die vermeintliche Überwindung der weiblichen Geschlechtsrolle.
- Geschlechtsspezifische Sozialisation und die Entwicklung von Geschlechtsidentität
- Die Rolle von Familie und Gesellschaft bei der Formung von Abhängigkeitsmustern
- Psychoanalytische Perspektiven auf weibliche Leidensbereitschaft und Abhängigkeit
- Kritik an der 'Neuen Weiblichkeit' und der Illusion von Autonomie
- Die Ambivalenz von Liebe und Leid in partnerschaftlichen Beziehungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einem Exkurs in die soziale Situation der Frau im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und familiären Strukturen beleuchtet, die die Position der Frau prägten.
Das zweite Kapitel widmet sich der Theorie und Praxis geschlechtsspezifischer Sozialisation. Es werden verschiedene Ansätze vorgestellt, die erklären, wie sich geschlechtsspezifische Verhaltensweisen und Identitäten entwickeln.
Im dritten Kapitel wird das Aneignungskonzept der geschlechtsspezifischen Sozialisation im Kontext gesellschaftlicher Realität untersucht. Hier wird die Rolle der Familie und der sozialen Umwelt bei der Formung von Geschlechterrollen betont.
Das vierte Kapitel befasst sich mit den verschiedenen Aspekten weiblichen Leidens und Abhängigkeit in der Liebesbeziehung. Es wird eine kritische Analyse der Ursachen und Folgen dieser Dynamik präsentiert, die sich aus geschlechtsspezifischer Sozialisation und psychoanalytischen Konzepten ableitet.
Das fünfte Kapitel untersucht die Un-Dinge der Liebe und die Illusionen von Autonomie. Es kritisiert die gängigen Narrative der 'Neuen Weiblichkeit' und zeigt die Bruchlinien in der Suche nach Autonomie und Selbstbestimmung auf.
Schlüsselwörter
Geschlechtsspezifische Sozialisation, weibliche Leidensbereitschaft, Abhängigkeit, Partnerschaft, Liebesbeziehung, psychoanalytische Theorie, Geschlechterrollen, Familie, Gesellschaft, Autonomie, Neue Weiblichkeit.
- Quote paper
- Sonja Lottmann (Author), 1993, Abhängigkeit und Leidensbereitschaft der Frau in der Partnerschaft - Ein Beitrag zu Theorien geschlechtsspezifischer Sozialisation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43779