Geschlechtsunterschiede in der Lesekompetenz - Ursachen und Fördermöglichkeiten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschlechtsunterschiede im Leseverhalten – Forschungsergebnisse

3. Erklärungsansätze
3.1 Kultur-historisch
3.2 Sozialisationstheoretisch und sozialisationsbedingt
3.3 Verdrängung des Buches durch neue Medien?

4. Die Funktionen von Lesekompetenz

5. Möglichkeiten einer geschlechtsdifferenzierten Leseförderung

6. Fazit

7. Literatur

1. Einleitung

In den letzten Jahrzehnten stand geschlechtsdifferenzierte Pädagogik vor allem für die gezielte Förderung von Mädchen, um die bisher nur formal bestehende Chancengleichheit der Geschlechter zu erreichen. Es gibt eine Vielzahl pädagogischer Maßnahmen, die Mädchen dabei unterstützen sollen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu erkennen und mehr Selbstbewusstsein aufzubauen. Diese Fördermaßnahmen betreffen vor allem den naturwissenschaftlichen, technischen und mathematischen Bereich, wobei es weniger um bessere Schulnoten als um Schlüsselqualifikationen und daraus resultierende Chancengleichheiten für die spätere Berufs – und Lebensplanung geht. Spezielle Maßnahmen gehen von der Technik – AG für Mädchen, über die unstereotype Berufswahlvorbereitung, bis hin zur partiellen Monoedukation, welche vielerorts bereits im Schulprogramm verankert sind.

In den Neunziger Jahren rückten dann allmählich die Jungen in den Blickpunkt von Erziehungswissenschaftlern und Psychologen. Spätestens seit „Kleine Helden in Not“ (Schnack/ Neutzling) wurde öffentlich diskutiert was die meisten Lehrerinnen und Lehrer schon längst wussten: Jungs erbringen schlechtere Schulleistungen, stören häufiger den Unterricht, beanspruchen zwei Drittel der Aufmerksamkeit, werden öfter gewalttätig und brechen häufiger die Schule ab. Auch wenn hier von den Jungen im Allgemeinen die Rede ist und es genügend Ausnahmen gibt, wird nun bemängelt, dass der Problematik der männlichen Sozialisation und Identitätsfindung im Schulalltag bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Aufgrund dieser Erkenntnisse und im Zuge der aktuellen Koedukationsdebatte werden nun auch die Jungen vermehrt in Fördermaßnahmen einbezogen. Hierbei geht es aber, anders als bei den Mädchen, weniger um die Förderung in bestimmten Fachbereichen sondern mehr um die Kompensation bestehender Defizite im Bereich der Sozialkompetenz.

Jungen sollten in der Schule Hilfestellung zur Identitätsfindung, in Zeiten eines sich wandelnden Männerbildes, bekommen. Auch hierzu gibt es bereits methodische Ansätze die zu einem großen Teil aus der Sozialpädagogik entnommen sind, wie zum Beispiel Jungenkonferenzen, Jungenprojekte etc.

Schule ist hier, neben Familie und Peer-group, eine wichtige Instanz die auf den Sozialisationsprozess einwirken kann, indem sie Werte wie Empathiefähigkeit und Kommunikationsfähigkeit vermittelt und vorlebt. Dies gilt für alle Schüler im Ganzen, aber eben im Besonderen für Jungen.

Wie bereits erwähnt, findet Jungenförderung bislang hauptsächlich außerhalb des Fachunterrichts statt. Spätestens seit den Ergebnissen der PISA – Studie hat es aber den Anschein, als gehörten Jungen auch in ihrer Lesesozialisation zum „benachteiligten“ Geschlecht. In allen 32 Teilnehmer-Staaten der Studie gibt es erhebliche Geschlechtsunterschiede in der Lesekompetenz, wobei die Mädchen durchweg besser abschneiden als die Jungen. Auch andere Untersuchungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zeigen durchgängig die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Lesegewohnheiten auf.

In meiner Arbeit werde ich die aktuellen Ergebnisse aufzeigen, auf die Erklärungsansätze und möglichen Gründe der Geschlechtsunterschiede eingehen und auf Möglichkeiten einer geschlechtsdifferenzierten Leseförderung eingehen. Dies beinhaltet auch die Frage danach, welche Funktionen das Lesen in der heutigen Gesellschaft erfüllt, wie sich ein Mangel an Lesekompetenz auswirkt und was genau Lesekompetenz überhaupt bedeutet.

2. Geschlechtsunterschiede im Leseverhalten - Forschungergebnisse

„Wenn man vorhersagen will, ob ein Kind eher viel oder wenig liest, bleibt das Geschlecht einer der zuverlässigsten Prädiktoren“ (Hurrelmann, Bettina. In: Garbe, Christine, 2002, S.215) Dies ist Bettina Hurrelmanns Resümee aus ihrer Studie zum „Leseklima in der Familie“, bei der neun- bis elfjährige Kinder und ihre Eltern befragt wurden. Auch wenn neben dem Geschlecht die Bildung ein wichtiger Indikator für die Lesegewohnheiten von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern ist, lesen Mädchen auf jedem Bildungsniveau deutlich mehr als Jungen. (Bonfadelli/ Fritz. In: Garbe, 2002, S.215).

Geschlechtsdifferenzen im Leseverhalten lassen sich nicht nur an der Menge der gelesenen Literatur festmachen, sondern beziehen sich, laut Garbe, auf drei Dimensionen:

1. Lesequantität oder –intensität: Mädchen und Frauen lesen mehr als Jungen und Männer.
2. Lesestoffe und Leseweise: Mädchen und Frauen lesen anderes und anders als Jungen und Männer.
3. Lesefreude und Leseneigung: Mädchen und Frauen bedeutet das Lesen mehr als Jungen und Männern.

(vgl. Garbe 2003/ 2, S.16)

Angesichts dieser Befunde stellen die Ergebnisse von PISA keine besondere Überraschung für Leseforscher dar. Die deutlichsten Unterschiede zwischen den Geschlechtern ergaben sich im Bereich Lesen.

In allen PISA-Teilnehmerstaaten erreichen die Mädchen signifikant höhere Testwerte als die Jungen. In Deutschland entspricht der Leistungsvorsprung ungefähr einer halben Kompetenzstufe und ist in etwa mit der über alle OECD-Staaten gemittelten Differenz vergleichbar. In der Mathematik lassen sich Leistungsvorteile für die Jungen feststellen, diese sind jedoch deutlich kleiner als die Geschlechtsdifferenzen im Lesen, und sie werden nur in knapp der Hälfte der PISA-Teilnehmerstaaten statistisch signifikant. (PISA 2000, S.253)

Bei der Studie wurden die drei Teilkompetenzen „Informationen ermitteln“, „textbezogenes Interpretieren“ und „Reflektieren und Bewerten“ mit ansteigender Komplexität getestet. Je anspruchsvoller die Aufgaben in diesen Bereichen waren, desto besser schnitten die Mädchen ab. Die nach Geschlecht differenzierten Auswertungen zeigten außerdem einen besonders großen Unterschied bei Aufgaben zum „Reflektieren und bewerten“. Die Schwächen der Jungen scheinen also besonders in der kritischen Auseinandersetzung mit Texten zu liegen, was sich vor allem auf reine Schrifttexte (kontinuierliche Texte) bezieht. Die Kombination aus Schrift, Illustrationen, Grafiken, Tabellen oder Schaubildern scheint den Jungen mehr entgegenzukommen:

Während bei Erzählungen, Argumentationen sowie Darlegungen recht große Geschlechtsunterschiede zu Gunsten der Mädchen zu verzeichnen sind, ist die Differenz bei Tabellen erheblich kleiner und bei Diagrammen/Graphen, Karten und schematischen Zeichnungen fast völlig verschwunden (PISA 200, S.255)

Dieses Ergebnis deckt sich mit Erkenntnissen aus Untersuchungen, die einen wichtigen Aspekt der Geschlechtsunterschiede im Leseverhalten in den Lektürepräferenzen und Genrevorlieben sehen. Vereinfacht und verallgemeinert gesprochen, kann man bei Jungen (bei insgesamt weniger Lektüre) eher Interesse an Sach- und Gebrauchstexten erkennen, die Mädchen hingegen (bei insgesamt mehr Lektüre) den fiktionalen Texten zuordnen (Hurrelmann 1994, S.25)

Von Mädchen genannte zentrale Aspekte der Lektüregratifikation, wie „die Ansprache von Emotionen, ein besseres Verständnis für die Gefühle der Protagonisten durch die spezifischen Mittel von Erzählliteratur, zum Beispiel Darstellung der Innenansicht, Ausgestaltung und Vertiefung von parasozialen Beziehungen zu Figuren, werden von Jungs nicht genannt“

( Daubert, 2003, S.5-6). Neben dem Interesse an sachbezogener Literatur bevorzugen Jungen einfache Formen der spannungs – und erlebnisorientierten Unterhaltungsliteratur wie Krimis, Fantasy, Horror und Abenteuer.

Mädchen scheinen also unter anderem deshalb mehr vom Literaturunterricht zu profitieren, da dieser mit den meist fiktionalen Texten ihren Interessen eher entgegenkommt als den Lektürevorlieben der Jungen. Dass daraus eine erhöhte Lesemotivation entsteht, die sich wiederum auf die Leseleistung auswirkt, liegt auf der Hand. Vereinfacht gesagt heißt das, wer gerne und viel liest, hat mehr Lesepraxis und erbringt auch bessere Leseleitungen.

Ein weiterer Beleg dafür ist der Vergleich von Jungen und Mädchen mit ähnlich ausgeprägtem Leseinteresse, wobei der Einfluss des Geschlechts auf die Leseleistung fast vollständig verschwindet (Garbe, 2003/ 2, S.16).

Wenn man also davon ausgeht, dass der herkömmliche Literaturunterricht den Leseinteressen der Jungen wenig entgegenkommt, warum ist dann die Einstellung von Jungen zum Lesen auch im Freizeitbereich deutlich negativer?

Im Durchschnitt der OECD-Länder stimmen insgesamt etwa 46% der Jungen der Aussage zu, dass sie nur lesen, wenn sie müssen, während dies nur 26% der Mädchen von sich behaupten. In Deutschland ist der Anteil für die Mädchen mit dem internationalen Wert vergleichbar (ebenfalls 26%), der Anteil für die Jungen liegt jedoch deutlich höher (52%) (PISA 2000, S.262).

Dieser signifikante Unterschied zeigt sich auch bei der Frage, wer Lesen als eines seiner/ ihrer liebsten Hobbys bezeichnet, wobei in den OECD-Staaten 45% der Mädchen und 25 % der Jungen zustimmten. Noch schlechter sieht es in Deutschland aus, wo die entsprechenden Anteile bei 41% bei den Mädchen und nur 17% bei den Jungen liegen. Überhaupt nicht zum Vergnügen lesen über die Hälfte der Jungen (55%) und ein knappes Drittel der Mädchen (29%)(Garbe, 2003/ 2, S.15).

Wenn man davon ausgeht, dass es sich hierbei um Fünfzehnjährige handelt die zumindest im Haupt- und Realschulbereich bald für schulische Fördermaßnahmen verloren sind, sind diese Mädchen und Jungen, nach den Erkenntnissen der Lesesozialisationsforschung, wohl für alle Zeiten für die „Lesekultur“ verloren.

Jemand der als Jugendlicher noch nicht gerne liest, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl auch als Erwachsener nicht tun.

Um dieser Entwicklung entgegenwirken zu können, muss zuerst überlegt werden warum und wann die Lesemotivation von Jungen im Laufe der Kindheit und Jugend einbricht. Mit dem Warum werde ich mich im nächsten Kapitel beschäftigen, um das Wann zu klären, also die kritischen Phase in der schulischen Lesesozialisation von Jungen, stütze ich mich hier auf verschiedene empirische Befunde.

Geschlechtsunterschiede im Leseverhalten und der Lesekompetenz sind bereits am Ende der Grundschulzeit ausgeprägt, was auch Bettina Hurrelmann in ihrer Studie zum „Leseklima in der Familie“ herausfand: Mädchen und Jungen unterscheiden sich „in ihren Lesepräferenzen, Lesestilen, Leseerfahrungen, Lesehemmungen – überhaupt in allen Dimensionen ihrer Lesetätigkeit (...) schon am Ende der Grundschulzeit“ (Hurrelmann, 1993, S.25).

Im Jahr 2001 wies eine andere Studie zur Entwicklung von Lesemotivation bei Grundschülern (Karin Richter/ Monika Plath, 2002) auf einen noch früheren „Leseknick“ bei Jungen, nämlich am Ende der zweiten Klasse hin. Dabei wurden 1200 Kinder der zweiten bis vierten Klasse, ihre LehrerInnen und Eltern befragt, wobei ein wichtiger Indikator der „Spaß am Deutschunterricht“ war.

Auf die Frage, ob ihnen der Deutschunterricht sehr viel Spaß machen würde, antworteten in der zweiten Klasse 65,6% der Mädchen und 51,7% der Jungen mit „Ja“. In der dritten Klasse bestätigten dies noch 50,8% der Mädchen und 43,4% der Jungen, wobei der signifikanteste Einschnitt in der vierten Klasse mit nur noch 40,5% der Mädchen und 28,6% der Jungen vorzufinden ist (vgl. Garbe, 2003/ 2, S.17). Innerhalb von zwei Jahren schrumpfte der Spaß am Deutschunterricht bei den Mädchen um ein gutes Drittel und bei den Jungen um fast die Hälfte!

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Geschlechtsunterschiede in der Lesekompetenz - Ursachen und Fördermöglichkeiten
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V43852
ISBN (eBook)
9783638415545
ISBN (Buch)
9783638853460
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschlechtsunterschiede, Lesekompetenz, Ursachen, Fördermöglichkeiten
Arbeit zitieren
Angela Faller (Autor:in), 2004, Geschlechtsunterschiede in der Lesekompetenz - Ursachen und Fördermöglichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43852

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