Hoch lebe der Zar? Eine Inhaltsanalyse von User-Kommentaren über Putin in ausgewählten russischen Onlinezeitungen


Bachelorarbeit, 2017

64 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Relevanz und Forschungsinteresse

2. Hintergrund: Russland - Politik und Medien
a) Politisches System
b) Mediensystem

3. Theoretische ÜBERLEGUNGEN
3.1 User-Generated Content und russische Intemetnutzer
3.2 Image von Politikem

4. Zusammenfassung UND Forschungsfragen

5. Methodik

6. Ergebnisse
6.1 Stichprobenbeschreibung
6.2 Das Image von Putin
a) Imagedimensionen
b) Thematischer Kontext
c) Emotionen und Anspracheformen
6.3 Exkurs: "Generalisten"

7. Schlussfolgerungen und Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

TABELLEN VERZEICHNIS

Tab. 1: Zusammenfassung: Russland - politisches System und Mediensystem

Tab. 2: Reliabilität

Tab. 3: Anzahl der Kommentierungen und Bewertung von Putin nach Medium und Ereigniskontext

Tab. 4: Imagedimensionen nach Medium

Tab. 5: Bewertung nach Medium

Tab. 6: Imagedimension nach Ereigniskontext

Tab. 7: Thematischer Kontext nach Medium

Tab. 8: Bewertung nach thematischem Kontext

Tab. 9: Emotionen nach Medium

Tab. 10: Bewertung nach Anspracheform

Tab. 11 : Anspracheformen nach Ereigniskontext

Tab. 12: Kontextlose Bewertung nach Imagedimension

Tab. 13: Bewertung nach thematischem Kontext (nur Überdimensionen)

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 : Grundschema des pragmatischen Differenzansatzes 4

Abb. 2: Zusammenfassung: Bildung der Stichprobe 21

״Ob in seinem Land, in Syrien oder bei den Präsidentschaftswahlen in den USA - der russische Leader erreicht stets das, was er will.“

Forbes, 2016

1. Relevanz und Forschungsinteresse

״Spiegel der Zarenzeit“ heißt es in dem bekannten Schlager der deutschen Musik­gruppe Dschinghis Khan über Moskau, das Herz Russlands. Die Stadt mit dem Roten Platz und dem Kreml - dem russischen Regierungssitz.

Das Land erlebt derzeit schwere Zeiten: Rund 16% der Bevölkerung befinden sich laut offiziellen Angaben (GKS, 01.10.16) an oder gar unter dem vom Staat bestimm­ten Existenzminimum (ca. 9700 Rubel pro Kopf pro Monat, also etwa 130 Euro), die Arbeitslosigkeitsrate schwankt zwischen 6 und 5.5% (GKS, 01.10.16). Dabei sollte man das politische System des Landes und das Zustandekommen der Zahlen1 im Hinterkopf behalten. Definiert man hingegen ״Armut“ als einen Zustand, bei dem die Einnahmen gerade noch die essentiellen Ausgaben (z.B. Miete) decken und bei dem Ansammlung von Kapital für andere Ausgaben wie Hochschulbildung kaum möglich ist, ergibt sich, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung von Armut betroffen sind (Krasilnikova. 2016). Die nach der Krim-Krise eingeführten Sanktionen, der Absturz des Rubels und der Erdölpreise, die eingetretene Wirtschaftskrise und die Verwick­lung Russlands in internationalen Konflikten wie der Krieg in Syrien tragen nur ne­gativ zur Situation bei.

Vor diesem Hintergrund erscheint die breite landesweite Unterstützung für den russi­schen Präsidenten Wladimir Putin - dem Staat in Person schlechthin - paradox. Da­bei handelt es sich um repräsentative Daten des einzigen unabhängigen Meinungs­forschungsinstituts Russlands, Levada-Zentrum, dem das Justizministerium neuer­dings gar vorgeworfen hat, im Interesse ״ausländischer Agenten“ (Osteuropa, 2016) zu handeln. Rund 85% der Bevölkerung begrüßen laut neuesten Angaben (Levada, 01.12.16) die Tätigkeit von w. Putin. Trotz aller Missstände im Land. Hat der ״Zar“ also immer Recht? Bevölkerungsumfragen in autokratischen Regimen sind zwar mit Vorsicht zu interpretieren, denn einige Befragte mögen eingeschüchtert und die Be­griffe wie ״unterstützen“ dehnbar sein. Fakt ist jedoch, dass die absolute Mehrheit der Russen hinter dem Präsidenten steht, über 63% der Wähler würden nach den Wahlen 2018 am liebsten wieder ihn in diesem Amt sehen (Levada. 16.11.16). Heißt es, dass Putin durchweg positiv bewertet wird? Dieser übergeordneten Frage geht die vorliegende Untersuchung nach.

Die Betrachtung bezieht sich jedoch nicht auf die Gesamtbevölkerung, sondern auf die Nutzer von Onlinezeitungen. Dies hat V. a. zwei Gründe: Zum einen steigt in Russland laut neuesten Umfragen das Vertrauen zum Internet als politische Informa- tionsquelle, während das Vertrauen in herkömmliche ״Offline“-Medien wie Femse­hen sinkt (Levada, 18.11.16). D.h. immer mehr Menschen informieren sich aus On­lineportalen. Zum anderen heißt es, dass dieser Teil der Bevölkerung überdurch­schnittlich politisch interessiert und informiert sei (Bronnikov, 2013: 51) und bei diesen Menschen folglich eine besser begründete Einstellung zu bestimmten Politi­kem und Meinung zu spezifischen politischen Themen zu erwarten ist, als bei Men­sehen, die die Onlinemedien nicht nutzen. Besonders in autokratischen Regimen wie Russland ist das Internet oft die einzige Möglichkeit, von den offiziellen (Deutungs-) Versionen abweichende Informationen zu finden, was ebenfalls dafür spricht, dass Onlinenutzer eine eher ausgewogene Urteilsgrundlage zur Verfügung haben.

Somit ist das Ziel dieser Untersuchung, das Image von Putin in den Kommentaren dieser Menschen zu identifizieren und zu beschreiben. Dabei interessiert nicht nur die generelle Bewertung von Putin, sondem ebenfalls die Beurteilung im Hinblick auf verschiedene Imagedimensionen und Themenfelder. Auch Emotionen, die die Russen mit ihrem Präsidenten in Verbindung bringen oder Anspracheformen und Spitznamen, die sie ihm geben, sind Gegenstand dieser Arbeit.

2. Hintergrund: Russland - Politik und Medien

Zunächst ist es wichtig, sich den übergeordneten Rahmen des Untersuchungsgegen­Stands vor Augen zu führen, um eine von jeglichem gesellschaftlich-institutionellen Kontext losgelöste Analyse zu vermeiden und möglichen Fehlurteilen vorzubeugen. Deshalb steht am Anfang der theoretischen Begründungen eine Auseinandersetzung mit dem politischen und medialen System des untersuchten Landes.

Dass beide Aspekte stark miteinander Zusammenhängen wurde schon in ersten Un­tersuchungen des Konstrukts ״Mediensystem“ festgestellt. So haben bereits Siebert, Peterson und Schram (1956) in ihrer Pionierarbeit ״Four Theories of the Press“ bei der Abgrenzung von vier Typen von Mediensystemen den Staat als wichtige Ein­flussgröße mit einbezogen. Die kritisierte normative Veranlagung und ideologische Abhängigkeit des Konzepts (Weischenberg, 2004) mindem keineswegs den Wert der Analyse als Startpunkt der komparativen Mediensystemforschung. Picard (1985), beispielsweise, baute auf den Vorüberlegungen der ״Four Theories“ auf und knüpfte darüber hinaus an den kritischen Auseinandersetzungen mit dem Ansatz an. Sein Ergebnis waren sieben Modelle, wobei vier davon bereits aus der Ursprungsarbeit von Siebert et al. (1956) und zwei weitere aus dem Werk von w. Hachten (1981) bekannt waren. Neu war das demokratisch-sozialistische Modell: Demzufolge hat der Staat den Auftrag, die Medienvielfalt zu sichern und die Bevölkerung zur Medi- eimutzung zu befähigen, während die Medien nicht ertragsorientiert funktionieren und öffentlich sein sollen. Darüber hinaus sollen sie als Sprachrohr des Volkes die­nen. Interessant dabei ist, dass das Modell nicht an reale Gegebenheiten anschließt und eine ״Idealutopie“ darstellt. Anders als die drei ״Theorieväter“ ging der finni- sehe Wissenschaftler o. Who (1983) vor, indem er zeigte, dass sich die Mediensys­teme auch nach Produktions- und Rezeptionstypen sowie je nach Besitz- und Kon­troll Strukturen und Kommunikationsrechten unterscheiden lassen. Seine insgesamt zwölf Modelle zeigen V. a. die Vielfältigkeit und die Komplexität der Materie auf und deuten darauf hin, dass vier Modelle, die sich dazu recht weniger Dimensionen bedienen, nicht ausreichen, um die verschiedenen Mediensysteme einzuordnen. Auch das Forscherteam J. Ostini und A. Fung (2002) fand, dass die bisherigen An­Sätze zur Erfassung der Mediensysteme etwas unterkomplex waren und solche Ein­flussfaktoren wie Z.B. die Joumalismuskultur nicht berücksichtigen.

Dem politischen System aber kommt bei all diesen Ansätzen eine herausragende Bedeutung zu: ״The state plays a significant role in shaping the media system in any society.“ (Hallin/Mancini, 2004: 41). Einen Durchbruch in der Mediensystemfor­schung erlangte im Jahre 2004 das Tandem des Amerikaners D. c. Hallin und des Italieners p. Mancini, die in ihrem umfassenden Werk ״Comparing Media Systems“ den Zusammenhang von politischen Rahmenbedingungen und Medien explorativ untersuchten. Zum ersteren zählten die Autoren die politische Entwicklung des Lan­des und Konfliktmuster, die Regierungsform, den Organisationsgrad sowie die Rolle des Staats. Zu medialen Dimensionen gehörten die Presseindustrie, politischer Paral­lelismus, die Professionalität der Journalisten und die Art der staatlichen Kontrolle über die Medien. Aus dem mehrstufigen Vergleich von achtzehn Ländern anhand der acht Dimensionen ergaben sich drei wesentliche Modelle (Ahg. 1), die sich jedoch ausschließlich auf ״westliche“ Demokratien beziehen und folglich nicht für andere Länder mit ggf. anderen Staatsformen anwendbar sind.

Mit ihren Dimensionen stellt die Untersuchung aber eine wichtige Grundlage für das weitere Vorgehen dar. So machte der Schweizer R. Blum (2005) sich die Schwäche der Studie von Hallin und Mancini zunutze und entwickelte den pragmatischen Dif­ferenzansatz, der sich V. a. durch seine internationale Vergleichbarkeit auszeichnet. Insgesamt ergaben sich anhand eines Grundschemas (Abb. 1) mit elf Dimensionen sechs verschiedene Modelle: das liberale Modell (z.B. USA), das Public Service­Modell (z.B. Deutschland), das Klientel-Modell (z.B. Italien), das Schock-Modell (z.B. Russland), das Patrioten-Modell (z.B. Iran) sowie das Kommando-Modell (z.B. Nordkorea). Dabei stellen erstes und letztes Modell ״Reinformen" der liberalen bzw. der regulierten Linie dar, während die anderen vier als Mischformen mit der Tendenz zu der einen oder anderen Seite zu verstehen sind. In dieser Hinsicht weist Russland Elemente aus allen drei Linien auf, während Z.B. Deutschland näher an dem liberalen Modell mit einigen Elementen der mittleren Linie liegt.

Abbildung 1: Grundschema des pragmatischen Differenzansatzes (Blum, 2014: 295)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die einzelnen Modelle werden im Folgenden jedoch nicht ausführlich behandelt, da die detaillierte Ausdifferenzierung der Unterschiede für die vorliegende Studie weni­ger relevant ist. Stattdessen werden anhand der elf Kriterien, das politische und me­diale System Russlands erläutert, wobei die Dimensionen der Übersichtlichkeit hal­ber inhaltlich zusammengefasst wurden.

a) Politisches System

Historische Entwicklung und politische Kultur Russlands: Alle Phänomene in einem Land lassen sich zwar nicht vollständig, aber doch zu einem Teil mit dessen histori­scher Entwicklung erklären oder zumindest besser nachvollziehen. Deshalb bietet es sich an, die Analyse der politischen Situation in Russland mit einem Abriss der Ge­schichte und der damit einhergehenden politischen Kultur anzufangen. Besonderes Augenmerk hegt dabei auf der Kontinuität, sprich also auf der Stabilität der Regie­rungssysteme, denn ״[d]ort, wo immer wieder extreme Brüche stattfinden [...], kann sich keine stabile Medienkultur aus bilden" (Blum, 2014: 296).

Russland wie man es heute zum Großteil kennt, nahm seinen Anfang im frühen 16. Jahrhundert in dem Moskauer Großfürstentum, der mit der Eroberung Nowgorods im Jahr 1478 zum Russischen Reich avancierte. Später folgte die Zarenherrschaft der Rurikovs, die durch die Romanovs abgelöst wurden. Diese regierten rund dreihun­dert Jahre. Im Folge der Februarrevolution 1917 hörte in Russland mit der zwanghaf­ten Abdankung Nikolaus II die Monarchie auf (Anisimov, 2013). Es wurde eine bür­gerliche ״provisorische Regierung“ einberufen, die bis zur Machtergreifung der Bol- schewiki (angeführt von W.I. Lenin) im Oktober desselben Jahres bestand. Jedoch dauerte es noch bis zum dem Ende des blutigen Bürgerkriegs, bis sich ein vollständi­ger politischer (und kultureller) Wandel vollzogen hat (Hartmann, 2013: 36). In den Folgejahren herrschte die Kommunistische Partei unter der Führung der Generalsek- retare von Stalin über Breschnev bis hin zu Gorbatschov. Vieles ereignete sich in dieser Zeit: Nach dem verwüstenden ״Großen Vaterländischen Krieg“ (1941-1945) stieg die UdSSR zu einer Weltmacht auf (Hartmann, 2013: 43), es folgten noch rund acht Jahre unter Stalins eiserner Hand, danach die Entstalinisierung des Landes unter Chruschtschov, der die verschwiegenen Schattenseiten und Verbrechen seines Vor- gangers aufdeckte, bis es 1991 zum Zusammenbruch der Union kam. Das erste Jahr­zehnt der gegründeten Föderation hätten die Russen am liebsten vergessen, da die Jelizin’sche ״Sturm und Drang“-Ära (Schewzowa, 2001: 38) bis heute V. a. mit poli­tischer Ungewissheit, leeren Regalen in den Läden und nationaler Erniedrigung und Demütigung (Scherrer, 2001: 29; Hartmann, 2013: 259) assoziiert wird. Als Jelzin zum Jahrtausendwechsel die Zügel an den damals noch wenig bekannten Putin über­gab, verbanden die Menschen viele Hoffnungen mit der neuen Führungsfigur. Die ״Wiedererhebung von den Knien“ und Zurückgewinnung der machtpolitischen Posi­tion begann - die Einmischung Russlands in den Syrienkrieg ist nur eines der letzte­ren Beispiele für den Aufstieg zu einem Global Player.

Blum (2014: 298) sieht eine ״gebrochene Kontinuität“ in der russischen historischen Entwicklung: Von absoluter Monarchie zu einer bürgerlichen Übergangsregierung, dann zu einer langjährigen Partei diktatur und dann zu einer - formal - demokrati­schen Regierung. Von Imperium zu Republik, von Republik zu Union, von Union zu Föderation: Mindestens drei Umbrüche, die das politische, wirtschaftliche und ge­sellschaftliche System völlig umkrempelten. Das Mediensystem schwankte dement­sprechend mit. Eine Konstante lässt sich jedoch trotzdem feststellen: Die Personifi­zierung der Macht in einem starken nationalen Leader. Es scheint, als brauche das Volk immer eine heldenhafte Figur, die es anführt - sei es ein Zar, ein Generalsekre­tär oder ein Präsident (vgl. Schewzowa, 2001: 36f). Die Überzeugung, dass in so einem Vielvölkerstaat eine Dominante unentbehrlich sei, ist nach wie vor präsent. Doch auch hier müssen die Regierenden immer wieder Kompromisse mit gegenläu- figen Interessen suchen, wobei sie sich, wenn es darauf ankommt, notfalls mit Ge­walt trotzdem durchsetzen können. So bewegt sich die politische Kultur zwischen polarisierter und konsensorientierter Ausrichtung (Blum, 2014: 311). Regierungssystem: Laut seiner Verfassung ist Russland ein ״ein demokratischer fö­derativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform“ (Kap. 1, Art. 1). Artikel 2 sichert die Rechte und Freiheiten des Einzelnen, Artikel 3 schreibt die Volkssouve­ränität groß. Dass Russland damit zum selben Grad demokratisch ist wie Deutsch­land oder Kuba (beide Länder sind verfasste Demokratien), ist jedoch mehr als dis­kutabel. ״Kein Regierungssystem bezeichnet sich selber als totalitär“, merkt Blum (2014: 304) zu Recht an und bringt damit die Ansicht auf den Punkt, dass eine eigene Unterscheidung getroffen werden muss.

Einige Wissenschaftler bezeichnen Russland als eine ״defekte“ (Merkel/Croissant 2000), andere als ״imitierte“ (Furman, 2006) oder ״feingesteuerte Demokratie“ (Pet­rov, 2011). Schewzowa (2001: 43) nennt das System gar ״Wahlmonarchie“. Damit versuchen die Autoren, die politische Realität in Russland wiederzugeben: Ja, es gibt alle vier Jahre Parlamentswahlen und alle sechs Jahre Präsidentschaftswahlen. Ja, die Wahlen sind frei, unmittelbar, geheim und gleich. Ja, es können Parteien gegründet werden und an den Wahlen teilnehmen. Aber in der Praxis dienen die Wahlen in erster Linie dazu, um auf eine scheinbar legitime Art und Weise die herrschende Klasse, am Steuer zu halten und die Interessen des engen Kreises zu schützen (Schewzowa, 2001: 33). Dazu gibt es viele ins Wahlsystem eingebaute Mechanis­men: Diese reichen von nachdrücklichem ״Anraten“ zu bestimmten Wahlentschei­dungen den in der Verwaltung und als Beamten tätigen Arbeitnehmern bis hin zu banalen Manipulationen bei der Stimmauszählung, wobei in diesem Jahr die Regie­rung viel vorsichtiger geworden sei, um Skandale zu vermeiden (Kronvall, 2016). Viel mehr geht es darum, anderen Kandidaten oder Parteien den Zugang zur Wahl durch sämtliche institutioneile und formale Hürden zu erschweren. Viele Menschen sehen auch keine adäquate Alternative zur derzeit herrschenden Partei bzw. zu Putin. So sind die Wahlsieger meist vorhersehbar.

Ähnlich steht es in Russland mit der Gewaltenteilung, die ebenfalls sowohl horizon­tal als auch vertikal (Russland besteht aus Gebieten, autonomen Republiken und Kreisen) in der Verfassung (Art. 10-11) vorgeschrieben ist. Formal handelt es sich bei Russland um ein semipräsidentielles parlamentarisches Regierungssystem, bei dem der Präsident nicht alleine die ausführende Gewalt hat, sondem sich die Rolle mit dem Premierminister teilt. Die Legislative bildet die Föderalversammlung, die aus der alle vier Jahre gewählten Staatsduma und dem aus je zwei Vertretern der föderativen Subjekte formiertem Föderalrat besteht. Die Judikative wird vom Verras- sungsgericht, dem Obersten Gerichtshof und dem Obersten Schiedsgericht gestellt. Praktisch aber hat sich in Russland eine Machtvertikale etabliert, die der Exekutive so gut wie eine Alleinherrschaft auf allen staatlichen Ebenen sichert und mit der Idee der Gewaltenteilung unvereinbar ist (Mommsen, 2010).

So gesehen ist Russland keineswegs eine Demokratie, wie man diesen Begriff in Deutschland versteht. Vielmehr wäre das Land als eine Autokratie oder ein autorita- res Regierungssystem zu verstehen. Es sei allerdings angemerkt, dass politische Sys­teme nicht einfach in ״demokratisch“ und ״autoritär“, in ״gut“ und ״schlecht“ zu typisieren sind und dass es auch Schattierungen bei den einzelnen Regierungsformen gibt. So schlägt R. Dahl (1971: 20ff) vor, auch Entwicklungsrichtungen in der Beur­teilung mit zu berücksichtigen. Danach würde man möglicherweise zu einem milde­ren Urteil über das gerade einmal 26 Jahre junge Russland kommen, das sich in die­ser Zeit von einer Diktatur zu einem autoritären, j edoch ansatzweise demokratischen (um es vorsichtig auszudrücken) Land entwickelt hat.

b) Mediensystem

Medienfreiheit und Kontrolle über die Medien: Wie mittlerweile fast jede Verras- sung garantiert auch die russische Konstitution die Meinungs- und Äußerungsfreiheit (Art. 29). Demnach hat jeder das Recht, Informationen zu suchen und zu verbreiten - ausgenommen sind Staatsgeheimnisse, die durch separate Föderalgesetze bestimmt werden. Schon hier entdeckt sich ein Mechanismus, mit welchem unerwünschte und unangenehme Information vom Publikum fern gehalten werden kann.

Die Kontrolle über Medien erfolgt hauptsächlich durch den Staat und die Eigentümer (was, wie später gezeigt wird, oft ein und dasselbe sind): Diverse professionelle Ver­einigungen und Verbände zur Selbstregulierung sowie gemeinnützige Organisatio­nen sind ״zahnlos“. So kann bspw. die Union der Journalisten der Russischen Föde­ration (UJRF) lediglich bestimmte Verhaltensregeln und ethische Normen aufstellen, hat aber keinerlei rechtlich bindende Sanktionsbefugnisse bei Verstößen (hier und i. F. vgl. Dzjaloschinski, 2013: 170-192). Der Staat hingegen hat große Regulierungs­und Kontrollspielräume, und das nicht nur mittels unterschiedlicher Gesetze, die die Journalisten in bestimmten Rechten und Privilegien einschränken. Auch die Lizenz­vergäbe hegt in seinen Händen: So müssen seit 2010 auch sämtliche Onlinemedien eine Zulassung (Gesetz über die Massenmedien, Art. 31-32.1) beim Roskomnadsor beantragen. Diese 2008 ins Leben gerufene Behörde ist direkt dem Ministerium für Technologie und Massenkommunikation untergeordnet und hat neben Zulassungs- auch Überwachungsbefugnisse. Im November 2011 demonstrierte diese eine intelli­gente Software, die Onlinecontent nicht nur im Hinblick auf verbotene Inhalte (z.B. Pornographie) analysieren, sondem verdächtige Seiten auch automatisch zur Prüfung an Roskomnadsor weiterleiten kann. Die Sanktionen der Behörde reichen, im Gegen­Satz zu den Selbstregulierungsorganen, von Verwarnung bis hin zu Lizenzentzug (Roskomnadsor, 2016).

Wenn rechtliche Regulierung zu kurz greift, können schließlich auch weniger ״eie- gante“ Maßnahmen von Drohungen über Finanzierungsentzug bis hin zu Bestechung ins Spiel kommen. Russland befindet sich stets im hinteren Viertel sämtlicher Medi- enfreiheitsrankings wie dem von ״Reporter ohne Grenzen“ (Platz 148 von 180). Zen­sur findet zwar nicht direkt statt, Journalisten werden jedoch eingeschüchtert, besto­chen, verfolgt und im schlimmsten Falle ermordet (ROG, 2016). Außerdem ist Selbstzensur eines der größten Probleme (Gmska, 2013: 19). Dennoch fühlen sich laut der repräsentativen Umfrage von Dzjaloschinski (2013: 166) rund 46% der Journalisten in ihrer Tätigkeit nicht eingeschränkt und selbstständig. Etwa 40% ver­spüren aber bestimmte Einschränkungen, 7% fühlen sich überhaupt nicht frei. Allerdings ist das russische System nicht per se geschlossen, sondern weist eine Di­chotomie der Staatskontrolle auf: Klassische Medien werden viel enger von der Re­gierung kontrolliert und reguliert, während im Internet trotz Überwachung und Mo­nitoring eine eher freie Medienpolitik verfolgt wird (Lehitisaari, 2015: 3). Medienbesitz, -fmanzierung und politischer Parallelismus: Es herrscht eine Mi­schung aus öffentlichem und privatem Besitz: So gehören die meisten Medien und, was noch brisanter ist, die meistrezipierten Medien teilweise dem Staat und teilweise oder ganz meist staatsnahen Oligarchen und Unternehmen (z.B. Gazprom Media Holding, der größte Medienkonzem Russlands). Oft sind die Eigentumsverhältnisse verzweigt und unübersichtlich, was die Abhängigkeit der Medien von der Regierung verschleiert: Bspw. gehört der nationale Femsehkanal ״Perwiy“ (Reichweite 99%; Blum, 2014: 128) zu 51% dem Staat, zu 25% der ״Nationalen Mediagruppe“ und zu 24% Abramovitsch. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich beide Co-Besitzer als loyal zur Regiereung: Generalpräsident der Mediagruppe ist seit Kurzem die Sportle­rin A. Kabajeva, der eine Affäre mit Putin nachgesagt wird (Akbar, 2016) und Ab- ramovitsch soll ein Freund von Putin sein (Gloger, 2016). Die wichtigsten Medien und deren Journalisten werden also ״bei Fuß“ gehalten, was einen relativ hohen poli­tischen Parallelismus (Gleichklang zwischen Medien und politischen Strömungen) hervorbringt, da die wichtigsten Medien die Linie der Regierung bzw. ökonomischer Eliten wiedergeben. Kritische Medien gibt es zwar auch, sie erreichen aber nicht einmal ein Drittel der Auflagen und Reichweiten (Ausnahme: Internet) der staatsna­hen Medien (Volkov/Gontscharov, 2014) - dafür spielen sie u.a die Rolle eines Ar­guments gegen den Vorwurf, in Russland gäbe es keine unabhängigen journalisti­schen Erzeugnisse. Anders sieht es mit Onlinemedien aus: im Internet gibt es durch­aus kritische Blogs, Gruppen in Sozialen Netzwerken oder auch Onlinezeitungen (eigenständig oder als Outlets der Printausgaben), die in ihren Reichweiten durchaus mit den loyalen Onlinemedien mithalten können (z.B. kp.ru und gazeta.ru; ebd.). Unmittelbar vom Besitz der Medien hängt auch deren Finanzierung ab: In Russland ist diese sowohl durch den Markt als auch durch Staatsbeiträge üblich. Insgesamt hegt der Schwerpunkt aber eher auf kommerziellen Erlösen - neben Einnahmequel­len wie Werbung (85%), Verkäufe (65%) oder Sponsoring (40%) kommen staatliche Subventionen für ca. 20% der Redaktionen infrage (Dzjaloschinski, 2013: 163). Medienorientierung, Journal!stimuskultur und Professionalität: Auch die publizisti- sehe Orientierung hält sich in etwa die Waage. Je nach Ausrichtung stellen einige Medien wie marktschreierische Boulevardzeitungen (z.B. Komsomolskaya Prawda) die Reichweiten/Quoten in den Vordergrund, während für andere, eher seriöse Medi­en, die auf Hintergrundinformationen Wert legen (z.B. Izwestija), die gesellschaftli­che Aufgabe wichtiger ist (Blum, 2014: 345). Dabei finden etwa 60% der Journalis­ten, dass das Ziel der Massenmedien deren Verwirklichung als Unternehmung sei, nur 20% verstehen darunter eine gesellschaftliche Aufgabe (Herstellung der Offent- lichkeit), 10% erachten die Medien als ein Mittel zur Einflussnahme auf die Rezipi­enten, etwa genauso viele finden das Unterhaltungsziel am wichtigsten (hier u.i.F. Dzjaloschinski, 2013: 161-167). Die Medienorientierung hängt auch mit dem Selbst­Verständnis der Journalisten zusammen: Rund 80% verstehen sich als neutrale Be­obachter und Analytiker oder als objektive Informatoren, nur 20% wollen für Ge­rechtigkeit kämpfen, ihre eigene Meinung kundtun oder politisch Einfluss nehmen. Zur Professionalität der Journalisten lässt sich festhalten, dass ca. 60% eine jouma- listisches Studium oder vergleichbare Ausbildung an staatlichen und privaten Hoch­schulen haben, 30% haben ein anderes Studium absolviert. Somit sind die Journalis­ten zumindest formal hoch gebildet, es sagt aber nichts über die Qualität der Ausbil­dung aus. Viele verfügen lediglich über Grundkenntnisse und beherrschen vorwie­gend Routinepraktiken (Gatov, 2011). Darüber hinaus werden derzeit journalistische Stellen wie Moderation zunehmend Amateuren angeboten, weil sie Z.B. durch ihre YouTube-Videos aufgefallen sind (Dzjaloschinski, 2013: 168). Außerdem sind sol­che Folgen der Digitalisierung wie User-Generated Content auch im russischen Me­dienraum deutlich präsent (ebd: 153ff).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 : Zusammenfassung: Russland - politisches System und Mediensystem.

3. Theoretische ÜBERLEGUNGEN

3,1 User-Generated Content und russische Intemetnutzer

Unter User-Generated Content (UGC) versteht man von Nutzem produzierte öffent- lieh zugängliche Inhalte ״auf professionellen Websites, die von kommerziellen An- bi etem redaktionell betreut und verwaltet werden“ (Schweiger/Quirling, 2007: 97). Auch Nutzerkommentare, die i.d.R. direkt unter journalistischen Veröffentlichungen hinterlassen werden, fallen in diese Kategorie. Dabei handelt es sich um eine beson­dere Form der Kommunikation, nämlich die Anschlusskommunikation, welche den Forschem bereits aus dem ״Offline-Bereich“ in der Gestalt von Leserbriefen oder einer unmittelbaren persönlichen Unterhaltung zwischen zwei und mehreren Perso­nen bekannt ist (Heiner, 2012: 32). Im Onlinebereich fallen jedoch interpersonale und öffentliche Kommunikation zusammen, was eine der Besonderheiten (s. unten) der Nutzerkommentare ist (Ziegele/Quiring, 2011). Außerdem diskutieren hierbei meist fremde und oft auch völlig unbekannte (anonyme) Personen miteinander.

Doch inwiefern es sich bei solchen Konstmkten tatsächlich um demokratietheore­tisch begründete Diskurse (Ahg. 2) mit gemeinsamer Wissenskonstmktion und Wert für die Gesellschaft handelt, ist je nach Sichtweise umstritten.

Dennoch gibt es gute Gründe für die Untersuchung von UGC (vgl. Reich, 2011: 97f), schließlich bedeutet das Phänomen eine Evolution bzw. gar Revolution der partizipa- tiven Kommunikation. Inzwischen sind journalistische Onlinebeiträge und Nutzer- kommentáré dermaßen unzertrennlich im Bewusstsein der Leser verankert, dass Me­dien, die kein Kommentarfenster enthalten bereits seltsam und verdächtig erschei­nen. Die Möglichkeit der Online-Kommentierung zieht, im V ergi eich zu separat ein­gerichteten Foren, viel mehr Menschen an. Laut Studien von ömebring (2008) oder Bakker und Pantti (2009) sind Kommentare die meistgenutzte Möglichkeit partizipa- tiver Kommunikation. Diese Beliebtheit verdeutlicht, wie erfolgreiche Zusammenar­beit zwischen Journalisten einerseits und Usern andererseits aussehen kann: Für die Redakteure stellen die Kommentare eine Input- und Feedbackquelle dar - auch wenn die Einstellungen zu diesen stark variieren (ebd: 102ff). Den Nutzem bietet die Kommentierfunktion eine Gelenheit, mit recht wenig Einsatz an Zeit und Mühe ihre Gedanken und Gefühle (Kommentare sind oft impulsiv) über das Gelesene gleich loszuwerden (Responsiveness). Schließlich ist der Wunsch zu antworten bzw. ״to let off steam“ meist aktuell und unmittelbar (ebd: 97). Außerdem wird den Usern auf diese Weise gar eine Teilhabe an tagesaktueller Agenda ermöglicht: Dass das auch aktiv funktionieren kann, machen die Shitsorm-Skandale der letzten Jahre deutlich. Für einige Leser sind die Kommentare sogar interessanter als der Beitrag, der dazu gehört. Es erscheint gar nicht so abwegig zusätzlich zu vermuten, dass der öffentli­che Charakter und die Vielfalt der Onlinekommentare nicht nur mehr Sichtweisen eröffnen, sondem auch eine Abschätzung dessen, wie ״richtig“ man mit seiner Mei­nung hegt, möglich machen. I.d.R. werden ja auch alle Kommentare veröffentlicht - es sei denn, sie verstoßen gegen bestimmte Verhaltensregeln. Anders als bei sorgfäl­tig selektierten Leserbriefen handelt es sich also um inklusive und nicht exklusive Öffentlichkeiten, in denen dazu nicht mehr so viel die journalistische, sondern viel­mehr die soziale Logik maßgeblich ist (Reich, 2011: 97). Auch der SIDE-Theorie von Spears und Lea (1994) zufolge dürften soziale Normen bei der Kommentierung von Nachrichten dominieren: So verfügt jeder Mensch neben seiner individuellen auch über eine kollektive Identität, die je nach aktueller Gruppenzugehörigkeit (z.B. Community einer Boulevardzeitung VS. Special-Interest-Fomm) variiert; Um Aus­grenzung zu vermeiden, verhält man sich also ingroup-konform. Nach Döring (2010: 177) lassen sich die Mitglieder von solchen Online-Gemeinschaften in vier Gmppen einteilen: Die Regulars (kleiner Kreis von Stammmitgliedem, genießen besonderes Ansehen, kommentieren i.d.R. unter gleichbleibenden Namen), die Peripherie (nur gelegentlich aktive Teilnehmer), die Trolls (Provokateure) und die Lurker (bleiben passiv, bilden aber die größte Gruppe). Die Untersuchung der Nutzerkommentare ist nicht zuletzt wegen deren Vielfalt und Kontroverse selbst innerhalb von Teilöffent­lichkeiten interessant: Die Kommentare unterscheiden sich stark nicht nur in gram­matikalischer Richtigkeit, sondem auch in ihrer Qualität (Reich: 98), die ihrerseits in vielerlei Hinsicht mit der wahrgenommenen Anonymität im Netz zusammenhängt. Der damit einhergehende Disinhibitionseffekt kann neben persönlichen Beleidigun­gen und Aggressivität im schlimmsten Falle die Gestalt solcher Phänomene wie Trolling oder Shitstorm annehmen. Gehört dazu noch asoziales Verhalten zur Grup­penidentität der Community, so sinken die individuellen Hemmungen umso mehr (vgl. Spears & Lea, 1994).

Die Betreiber der Plattformen wie Onlinezeitungen versuchen zwar, dem mit unter­schiedlichen Maßnahmen entgegenzuwirken. Eine Möglichkeit stellt eine Aufforde­rung zur Registrierung dar. Allerdings können die Nutzer eine eindeutige Identifizie­rung umgehen, indem sie sich bspw. für eine andere Person ausgeben - ein häufiges Mittel im Runet, wie der russische Intemetraum bezeichnet wird. Des Weiteren bie­ten die meisten Webseiten derzeit die Möglichkeit an, sich mit dem Profil in Sozialen Netzwerken anzumelden. Dies dürfte mehr an Hemmungen erzeugen, doch geht es den Betreibern oft in erster Linie um Datensammlung (Zugang zu Kontakten, ״Freundesliste“ etc.), was wiederum eher dem Marketing dient. Allgemein sehen die Onlineredaktionen UGC zur Zeit eher als ein Instrument zur Leserbindung und Reichweitenerhöhung (Schweiger, 2014). Eine weitere Option ist die redaktionelle Moderation der Inhalte, wobei es sich entweder um Pre- oder Postmoderation (hier der Fall) handeln kann, bei welcher die Kommentare einer Prüfung vor bzw. nach der Veröffentlichung unterzogen werden.

Aber wer sind diese Menschen, die die Nachrichten kommentieren? Die russische Online-Community hat in letzten Jahren besonders zugenommen: Waren es 2004 nach unterschiedlichen Angaben lediglich rund 10-15% der Bevölkerung, sind es heute bereits 75-80% (GfK, 2015; Levada, 29.09.16). Der Zuwachs ist v.a. der Ver­breitung von Smartphones und Tablets zu verdanken (GfK, 2015; Kantyshev, 2016). Die Nutzer befinden sich größtenteils in (Groß-)Städten, aber interessanterweise auch in über 65% der Dörfer (GfK, 2015). Sie sind v.a. jung - 97% der Menschen zwischen 16 und 29 Jahren und 82% der 30-54-Jährigen sind laut GfK (2015) Inter­netnutzer - und gebildet: Rund 30% verfügen über Hochschulbildung, ein Drittel hat Fachausbildung, etwas kleiner ist die Gruppe mit der mittleren Reife als bisher höchster Bildungsstand (Gemius, 2014). Darüber hinaus sind ca. 55% der Nutzer Frauen (FOMnibus, 2016). Laut der gleichen Quelle nutzen die Russen das Internet v.a. zur Kommunikation (64%), zur eigenen ״Weiterbildung und Erweiterung der Wissenshorizonte“ (44%) und zur Information über die aktuelle Nachrichtenlage (42%) genutzt. Auf die Frage ״Aus welchen Quellen informieren Sie sich über das politische Tagesgeschehen?“ der repräsentativen Umfrage des Levada-Zentrums (Volkov/Gontscharov, 2014) nannten ein Viertel der Teilnehmer die Sozialen Netz­werke und 42% die Onlinezeitungen. Zwar informieren sich die Russen immer noch meist aus dem Fernsehen, das Internet nimmt aber rasant an Auditorium und Ver­trauen zu, während ersteres im Gegenteil, verliert (Levada, 18.11.16): Rund 40% finden die Berichterstattung im Fernsehen nicht glaubwürdig (30% im Juli); Den Onlinemedien schenken 37% der Menschen Glauben (31% im Mi).

All das macht die Untersuchung des Images von Putin gerade in der Online­Community interessant. Doch zunächst muss noch als letzter theoretischer Baustein geklärt werden, was unter dem Image von Politikern zu verstehen ist.

3,2 Image von Politikem

Der Begriff ״Image“ wurde bereits vom Journalist und Medienkritiker Walter Lipp- mann (1922: 9) aufgegriffen. Er verstand darunter eine Art aus Bildern bestehendes Stereotyp, das als Ergebnis subjektiver und sozialer Wahrnehmungen in unserem Kopf besteht und unsere Emotionen und Handlungen beeinflusst. Damit lässt sich festhalten, dass das psychologische Konstrukt ״Image“ eine kognitive, affektive so­wie konative Komponente enthält. So haben die Menschen bestimmte Prädispositio­nen und Einstellungen zu einem Politiker, sie verbinden bestimmte Emotionen mit ihm und richten danach ihr Verhalten (z.B. bei den Wahlen) ihm gegenüber aus. Will man jedoch das Image von politischen Vertretern empirisch untersuchen, hilft dieses Modell eher weniger, u.a. weil man es hier nicht mit Produkten, die man direkt testen und unmittelbar beurteilen kann, sondern mit Menschen zu tun hat, die dazu noch schwer direkt zugänglich sind und zu deren Wahrnehmung die Bürger größtenteils auf Medien angewiesen sind. Die Massenmedien stellen somit ein wichtiges Binde­glied zwischen den Politikem einerseits und den Wählern andererseits dar (vgl. Kin­delmann, 1994: 17) dar. Deshalb muss das Image für Politiker anhand anderer Di­mensionen definiert werden (Ahg. 3). Zwar herrscht in der Literatur Einigkeit dar­über, dass die Bewertung von Politikern anhand weniger Eigenschaften erfolgt und das Politikerimage folglich auf einige Dimensionen begrenzt werden kann, doch streiten sich die Forscher über deren Anzahl.

Fest steht allerdings, dass man diese in ״politisch“ und ״apolitisch“ bzw. in ״rollen­nah“ und ״rollenfem“ einteilen kann. So gingen Campbell et al. (1960; zitiert nach Brettschneider, 2002: 138) in ihrer Untersuchung des Wahlverhaltens bei amerikáni- schen Wahlen - einer der ersten Studien zu Politikerimage - von zwei Dimensionen aus: persönliche Eigenschaften und politische Fertigkeiten. Vergleichsweise sehr viele Dimensionen - von Prinzipientreue über Stärke bis hin zu Volksnahe - fanden in der Studie von Weaver, Gräber, McCombs und Eyal (1981) Verwendung. Miller, Wattenberg und Malanchuk (1985) fanden heraus, dass neben Ausstrahlung und Per­sönlichkeit die wichtigsten Dimensionen bei den US-Wahlen 1952-1980 Kompetenz, Integrität sowie Vertrauenswürdigkeit waren. Es fragt sich allerdings, wie die letzten beiden Kriterien wohl auseinander zu halten sind. Möglicherweise verhält es sich hierbei ähnlich wie bei dem Unterschied zwischen Integrität und Verlässlichkeit, wo Ersteres die wahrgenommene Glaubwürdigkeit und Letzteres den Glauben an die Kompetenz des jeweiligen Politikers darstellt (Wattenberg, 1991: 81f, zitiert nach Brettschneider, 2002: 142). Wiederum andere Autoren wie Kepplinger, Donsbach, Brosius und Staab (1986: 247ff) kamen in ihrer detaillierten über neun Jahre hinweg greifender Inhaltsanalyse wertender Aussagen in insgesamt sieben deutschen Print­medien auf über 65 Einzeleigenschaften, welche sich zu sechs Dimensionen zusam­menfassen ließen: Vergleich mit anderen Politikern, Verhältnis zu anderen, Auftre­ten, Grundhaltungen sowie die bereits bekannten Kriterien ״politische Kompeten­zen“ und ״Persönlichkeit“. Acht Jahre später analysierten Kepplinger, Dahlem und Brosius (1993) die Auftritte der Kanzlerkandidaten Kohl und Lafontaine im Femse­hen hinsichtlich drei Kategorien: Gesamteindruck, Sachkompetenz (Alte Politik, Neue Politik und Außenpolitik) und Charakter (Integrität, Erfahrung, Selbstsicherheit und Rücksicht). Es stellte sich heraus, dass in den Nachrichtensendungen deutlich häufiger Charaktereigenschaften als Sachkompetenz thematisiert wurden, wobei die Ausprägung ״Integrität“ besonders häufig Beachtung fand und auch am meisten zum Gesamteindruck beitrug. Daran anknüpfend definierte Kindelmann (1994: 42-45) vier Dimensionen - professionelle Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit, Ausstrahlung sowie eine ״Restkategorie“ für alle anderen Eigenschaften.

Alles in Allem bestätigt sich die Notwendigkeit eines mehrdimensionalen statt einfa­chen zweidimensionalen Verständnisses vom Image. Fasst man die in der Literatur üblichen Eigenschaftskriterien zusammen, so lassen sich nach Brettschneider (2002: 143f) V. a. vier immer wieder auftretende Dimensionen erkennen: Themenkompe­tenz, Leadership, Integrität und Persönlichkeit:

[...]


1 Existenzminimum = durchschnittl. Kosten für notw. Güter/Dienstleistungen + Abgaben/Steuem

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Hoch lebe der Zar? Eine Inhaltsanalyse von User-Kommentaren über Putin in ausgewählten russischen Onlinezeitungen
Hochschule
Universität Hohenheim
Note
1.3
Autor
Jahr
2017
Seiten
64
Katalognummer
V441376
ISBN (eBook)
9783668799561
ISBN (Buch)
9783668799578
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Putin, Online, Zeitung, Inhaltsanalyse, Kommentare
Arbeit zitieren
Julia Jungblut (Autor:in), 2017, Hoch lebe der Zar? Eine Inhaltsanalyse von User-Kommentaren über Putin in ausgewählten russischen Onlinezeitungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441376

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