Die Entstaatlichungspolitik in der Ära Kohl. Die Postreform 1989

Eine Analyse der Entscheidungen in den Bereichen Privatisierung und Deregulierung


Hausarbeit, 2017

24 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Rahmen: Parteien und Vetospieler

3 Übersicht über die Vetospieler zwischen 1982 und 1998
3.1 Koalitionsbildung
3.2 Parteiensystem
3.3 Föderalismus
3.4 Bundesverfassungsgericht
3.5 Bundesbank

4 Entstaatlichungspolitik in der Ära Kohl

5 Die Postreform 1989

6 Übersicht Deregulierung und Privatisierungen in der Kohl Ära

7 Zusammenfassung und theoretische Schlüsse

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Mit Ronald Reagans angebotsorientierter Wirtschaftspolitik in den USA der 1980er Jahre begann in einigen Staaten der westlichen Gemeinschaft eine wirtschaftspolitische Revolution. Beginnend in Großbritannien (1979), den USA (1980) und der Bundesrepublik Deutschland (1982) übernahmen weltweit konservative Parteien die Regierungsverantwortung. Das „sozialdemokratische Jahrhundert“ mit seinem Blick auf Arbeit, Gleichheit, Staat und Wachstum schien vorerst beendet. In der öffentlichen Wahrnehmung war schnell von einer konservativen Revolution die Rede, die in ihren Folgen, über einen normalen Machtwechsel hinauswirken sollte. Margaret Thatcher fasste diesen Wandel des Zeitgeistes in nur einem Wort zusammen- auf die Frage was ihre Regierung zu verändern gedenkt, antwortete sie: „Everything.“ Fundamentale politische Veränderungen sollten die Folge sein, besonders mit Hinblick auf den ordnungspolitischen Rahmen. Die Regierungen „wollten das bestehende Niveau staatlicher Interventionen drastisch reduzieren und der Selbstregulierung von Märkten wieder einen deutlich größeren Spielraum gewähren.“ (Lehmbruch 1998: 251) Diese Entwicklung wird in dieser Arbeit, mit dem Hintergrund des Wandels eines wirtschaftspolitischen Leitkonzeptes in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion beleuchtet, welcher seit Mitte der 70er Jahre zu beobachten war. Aus gegebenem Anlass soll daher diese Entwicklung am Untersuchungsfall der damaligen Bundesrepublik eingebettet werden. Im Mittelpunkt dieser Ausarbeitung soll die Wirtschaftspolitik der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl von 1982 und 1998 stehen. Eine zentrale Frage soll dabei lauten, ob und inwieweit mit der Machtübernahme Kohls eine wirtschaftspolitische Wende hin zu mehr Markt und weniger Staat stattfand. Um dies zu gewährleisten, muss im Folgenden untersucht werden, wie weitreichend die Reformen der Regierung Kohl, im Bereich der Entstaatlichungspolitik, waren. Ebenfalls gefragt werden, soll nach den jeweiligen Gründen, für die Reichweite der möglichen wirtschaftspolitischen Wende. Durch eine Analyse der Willensbildungsprozesse soll dies geklärt werden. Dafür werden Schlüsselentscheidungen in einigen wirtschaftspolitischen Politikfeldern herangezogen. Bei der Einstufung von Reformen als Schlüsselentscheidung soll auf die theoretischen Ausarbeitungen Klaus von Beymes zurückgegriffen werden. Diese unterteilen Gesetze und ihre Wirkung in drei Kategorien. Als eine erste nennt er Reichweite und Intensität des Gesetzes: „Schlüsselentscheidungen sollen eine tiefe Reichweite haben und idealiter das ganze Volk betreffen.“ (von Beyme 1997: 66). Ein zweites Kriterium stellt die Konfliktintensität dar; ein drittes die Auswahl des Politikfeldes. (vgl. von Beyme 1997: 66f.) Zu kritisieren ist hierbei im Vorfeld, dass die reine Betrachtung von Schlüsselentscheidungen für eine Policy-Analyse nachteilig sein kann. So können Schlüsselentscheidungen nicht repräsentativ sein, für die Regierungspolitik der Zeit (vgl. Leaman 1993: 124). Aus pragmatischen Gründen, kann diese Arbeit dennoch nur wesentliche Aspekte der Kohl’schen Wirtschaftspolitik herausgreifen und analysieren. Bevor diese Analyse greift, soll im Vorfeld ein theoretischer Rahmen abgesteckt werden, welcher ein Modell zur Erklärung der Wirtschaftspolitik in der Kohl Ära vorstellt. Dieser soll den Einfluss institutioneller Vetospieler, auf den Gesetzgebungsprozess diskutieren. Im Hauptteil erfolgt dann eine empirische Analyse des Telekommunikationssektors und den Bestrebungen der Regierung Kohl Liberalisierungen in diesem Bereich durchzuführen. Am Anwendungsfall der Postreform von 1989 soll diese Analyse mit Hinblick auf die beiden Bereichen Deregulierung und Privatisierung durchgeführt werden. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse, sowie theoretische Schlussfolgerungen, bilden dann den Abschluss der Arbeit.

2 Theoretischer Rahmen: Parteien und Vetospieler

Wie in der Einleitung erwähnt, wird in diesem Kapitel ein theoretisches Modell zur Wirtschaftspolitik während der Regierungszeit Helmut Kohls vorgestellt. Als Ausgangspunkt soll hierbei die Parteiendifferenzhypothese nach Douglas Hibbs geltend gemacht werden. Da insbesondere nach Regierungswechseln durchgesetzte Reformen im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen, ist es im Folgenden unabdingbar, zentrale Motivationen verschiedener Akteure, die für das Zustandekommen einer Entscheidung von Nöten sind, darzustellen. Die Fachliteratur zur Parteiendifferenzhypothese ist sehr vielfältig. Die Frage inwiefern sich verschiedene Regierungskonstellationen auf die jeweiligen Policies auswirkt, wurde in der Politikwissenschaft unterschiedlich bewertet (vgl. von Beyme 1981; Hibbs 1977) Im Folgenden wird auf die Ausarbeitungen von Douglas Hibbs zurückgegriffen. Hierbei ist anzumerken, dass dieser versuchte makroökonomische Outcomes einzubetten, wohingegen diese Arbeit auf legislatorische Outputs eingeht. Aus diesem Grund wird hier ein rein theoretisches Grundgerüst für diese Ausarbeitung abgeleitet. Folgende These müsste demnach gelten: Die Wählerschaft der Bundesrepublik besteht aus verschiedenen sozio-ökonomischen Gruppen, welche sich klar durch unterschiedliche wirtschaftspolitische Interessen voneinander abgrenzen. Diese Interessen werden gemeinhin durch Parteien vertreten. Erlangt diese Partei die Regierungsmehrheit wird sie Politiken versuchen durchzusetzen, die ihrem Wählerklientel entspricht. Die Steuerungskapazität der Regierung wird in dieser Annahme als hoch eingeschätzt. Als Resultat lassen sich wirtschaftspolitische Outputs insbesondere auf die parteipolitische Zusammensetzung der jeweiligen Regierung zurückführen. Die international vergleichende Forschung über Wahlplattformen gibt hierbei zu erkennen, dass insbesondere in Wahlkampfaussagen verschiedener Parteien deutliche Unterschiede zu Tage treten. Diese Unterschiede werden dann auch versucht in Policies durchzusetzen. Kritisch betrachtet wird diese Ansicht durch Luhmann, der die Möglichkeit der gezielten Steuerung der Wirtschaft durch Parteien als gering beurteilt (vgl. von Beyme 1997: 19-32). Der Einfluss politischer Parteien auf makroökonomische Outcomes wie beispielsweise Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftswachstum kann demnach durchaus als begrenzt angesehen werden. Im Gegensatz hierzu ist es unabstreitbar, dass der Versuch politisch zu steuern, in der Regel umfassend erfolgt. Eine Untersuchung legislatorischer Outcomes während der Ära Kohl, müsste demnach parteipolitische Unterschiede wiederspiegeln. Das oben dargelegte Modell scheint demnach geeignet als Mittel zur Analyse. In der Annahme, dass Parteien sich policyorientiert verhalten, ist anzunehmen, dass sie Reformen nur so lange durchsetzen, wie keine Auswirkung auf den Wettbewerb um Wählerstimmen zu erwarten sind. Die Opposition hingegen erhöht den Erfolgsdruck einer Regierungspartei erheblich, dies ist insbesondere zu erwarten, wenn die Opposition der Wählerschaft glaubhaft vermitteln kann, Probleme besser zu lösen. Aus diesem, für die Demokratie förderlichen Wettbewerb, ergibt sich ein Handlungsdruck für die Regierungspartei, dennoch ambitionierte Reformen durchzusetzen. Zu erwarten ist nun, dass die durch diese Innovationen angestrebte Richtung von der programmatischen Ausrichtung der jeweiligen Partei abhängt. Die empirische Demokratieforschung entgegnet hier, „dass eine reine, unbeschränkte Mehrheitsherrschaft nach dem Muster des Westminster-Modells, wo eine Partei allein die Regierung stellen und ihre Politik durchsetzen kann, […] in der realen Welt kaum jemals vorkommt.“ (Zohlnhöfer 2001: 24) Mit Hinblick auf die Bundesrepublik kann hierbei auf Koalitionsregierungen, den Bundesrat und den Bundestag als Vetospieler verwiesen werden. Eine Änderung des Status quo hängt in der Folge von drei Eigenschaften der Vetospieler ab: Zum Einen ihrer Zahl, zum anderen ihrer jeweilige Kongruenz und zuletzt ihrer Kohäsion. Anzumerken ist hierbei, dass die Zahl der Vetospieler je nach Zeitpunkt und Politikfeld variieren kann. Grundsätzlich zu unterscheiden sind demnach institutionelle Vetospieler, der Bundesrat beispielsweise – sowie parteiliche Vetospieler, beispielsweise in Koalitionsregierungen. Parallel dazu können Gerichte, Lobbygruppen, Notenbanken und eine außerparlamentarische Opposition als Vetospieler angesehen werden. (vgl. Tsebelis 1995:305ff.) Zur Erläuterung der Kongruenz muss die Rechts-Links-Skala herangezogen werden. Gemeint ist hierbei die Distanz der Vetospieler bei verschiedenen Policy-Situationen auf eben dieser Skala. Diese kann mögliche Kompromisse erschweren. Der letzte Punkt, die Kohäsion ist in Bezug auf die Positionen innerhalb der Vetospieler zu verstehen. Ausgehend davon, es handele sich um kollektive Akteure, wie eine Koalitionspartei. Die Annahme hierbei lautet, je höher die Kohäsion, desto schwieriger ist eine Änderung des Status quo. Diese Einschätzung basiert auf den üblichen Mehrheitsentscheidungen innerhalb von Vetospielern. (vgl. Tsebelis 1995: 313). Politikwissenschaftliche Studien haben bisher gezeigt, dass Erfolg und Durchsetzung bestimmter Reformen stark von den jeweiligen institutionellen Gegebenheiten abhängt. Insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland gilt dabei die Annahme, „dass ihr Institutionensystem weitgehende Kurskorrekturen ganz erheblich erschwere. ( Zohlnhöfer 2001: 25) Aus pragmatischen Gründen wird auf die im Vorfeld getroffene Unterscheidung zwischen institutionellen und parteilichen Vetospielern im Verlauf der Arbeit verzichtet. Im nun folgenden Abschnitt soll daher nur die institutionelle Voraussetzung für eine Wende hin zur Entstaatlichung analysiert werden.

3 Übersicht über die Vetospieler zwischen 1982 und 1998

Im nun folgenden Kapitel sollen die Vetospieler, die zur Zeit der christlich-liberalen Koalition in Deutschland von 1982 und 1998 agierten, mit Hinblick auf ihre Zahl, die Kongruenz und ihre Kohäion analysiert werden. Von parteipolitischen Vetospielern wird dabei abgesehen, so dass nur die institutionellen Vetospieler in dieser Arbeit von Bedeutung sind. In der Forschung wird viel darüber diskutiert, warum Reformen in der Bundesrepublik nur schwer durchzusetzen sind. In der Betrachtung ist allerdings zu beachten, dass insbesondere die institutionellen Vetospieler nicht zu jeder Zeit wirken müssen und gegenüber jeder Politik unterschiedlich agieren können. In diesem Hinblick sei auf Manfred Schmidt verwiesen, der feststellte, „dass der Spielraum für Reformen nach rechts, bzw. zur Mitte-Rechts-Position hin größer, als der für Reformen nach links ist“ (Schmidt 1991: 92). Anhand der christlich-liberalen Koalition sollen daher die jeweiligen Vetospieler der Zeit betrachtet werden.

3.1 Koalitionsbildung

In Deutschland gilt seit jeher das sogenannte Verhältniswahlrecht, was die Bildung von Koalitionen häufig unausweichlich macht. Die Koalitionsbildung stellt dabei ein erstes Hindernis, bei der strikten Durchsetzung eines Parteiprogramms, dar. Im Vergleich zu Einparteienregierungen, welche typisch für das Regierungssystem Großbritanniens sind, müssen sich die Parteien in Deutschland auf ein gemeinsames Regierungsprogramm verständigen. Dies ist für den größeren Koalitionspartner immer dann problematisch, wenn die kleinere Partei eine Veto-Position besitzt, sprich eine weitere Koalitionsoption offen hat. „So fällt ihm ein größerer Anteil an den Erträgen (Kabinettsposten und Einfluss auf Entscheidungen) zu als lediglich der Ertrag, der proportional zu seinen Ressourcen (also seinen Sitzen im Parlament) wäre“ (Zohlnhöfer 2001: 28, vgl. Gamson 1961: 376f.) Historisch betrachtet scheint der FDP hierbei tatsächlich eine gesonderte Rolle im Parteiensystem zuzukommen. Von 1961 bis 1983 war schlicht keine andere Partei im damaligen Bundestag vertreten, beide Volksparteien, SPD und CDU waren demnach mehr oder weniger auf die FDP als Koalitionspartner angewiesen. Diese Betrachtung änderte sich allerdings mit dem Einzug der Grünen ins Bundesparlament 1983; galt die FDP bis dato als eifriger Verfechter (neo)-liberaler Wirtschaftspraktiken, und somit Antreiber der Koalition, änderte sich die langfristige Aussicht auf Koalitionsoptionen damit. Zum einen fasste Drohberner das Dilemma der Partei in Worte: „[…] die Freien Demokraten zu Abhängigen von der Union geworden waren, der gegenüber sie keinerlei ‚Drohpotenzial‘ hatten“ (Dittberner 1987: 55). Zum Zweiten hatten sich ganz pragmatisch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament geändert, so dass im Zeitraum für den diese Untersuchung gelten soll, keine rechnerische Mehrheit für ein sozial- liberales Bündnis gegeben war (vgl. BPB 2005). In diesem Zusammenhang muss die Kongruenz des potentiellen Vetospielers Koalitionsbildung diskutiert werden. Anzunehmen ist hierbei, dass mit steigender ideologischer Differenz, die Änderung des status quo unwahrscheinlicher wird. Eine tiefgreifende Analyse der jeweiligen Parteiprogrammatiken würde an dieser Stelle zu weit führen, so dass mit Hinblick auf die FDP auf das 1985 verabschiedete liberale Manifest verwiesen werden kann (vgl. F.D.P- Die Liberalen 1985)

3.2 Parteiensystem

Als zweiter institutioneller Vetospieler das Parteiensystem in der Bundesrepublik angesehen werden. Insbesondere in Betrachtung der Zusammensetzung des Bundestages in der Ära Kohl wird deutlich, dass kein vollständiger Machtwechsel möglich war. Somit war auf Grund der Parteienkonstellation ein Grundmaß an Kontinuität gewährleistet. Als zweites Argument hierfür kann angeführt werden, dass die Policy-Positionen der Parteien insgesamt recht nahe beieinander lagen, so dass radikale Umbrüche in der Politik kaum zu erwarten gewesen wären (vgl. Klingelmann/ Volkens 1997: 535). CDU und SPD treten in diesem Kontext als Sozialstaatsparteien auf, wohingegen die FDP als einziger Vertreter (neo)-liberaler Wirtschaftspolitik hervorsticht (vgl. Schmidt 1996: 70). Neben innerparteilichen Kräftekonstellationen, die sich bei der Vergabe von Ministerposten widerspiegeln, welche dann relativ unabhängig agieren, so die sektorale Segmentierung vertiefen und strikte Politik erschweren, spiegeln sich diese Erkenntnisse auch bei den Bundestagsausschüssen wieder. In Ergänzung hierzu muss erwähnt werden, dass empirisch belegt ist, dass Parteien in den Politikbereichen, in denen sie Minister stellen, häufig erfolgreich ihre Policy- Ziele erreichen (vgl. Hofferbert/ Klingemann 1990: 297f.). Zurück zu den Bundestagausschüssen, werden auch diese von Parteiflügeln dominiert. Beispielsweise ist im Wirtschaftsausschuss der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU seit jeher überproportional vertreten (vgl. Beyme 1997: 192). Die im Ausschuss zu verändernden Punkte werden dabei häufig von den jeweiligen Fraktionsspitzen beeinflusst, so dass auch hier von einem gewissen Veto-Effekt ausgegangen werden kann. Für die Kohl Ära trifft dies jedoch nicht zwingend zu (vgl. Schüttemeyer 1998: 304).

3.3 Föderalismus

Als einer, möglicherweise der größte institutionelle Veto-Spieler kann der deutsche Föderalismus angesehen werden. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass dem Bund bis auf wenige Ausnahmebereiche in den Kategorien Bildung, Medien und Polizei die Gesetzgebungskompetenz übertragen wurden. Den Ländern und Gemeinden obliegt dabei die Verwaltung und die Entscheidung über den Hauptteil der öffentlichen Investitionen. Für die Bundesregierung ist eine Steuerung der öffentlichen Investitionen daher nur schwer möglich. Für sozialdemokratisch-keynesianisch orientierte Wirtschaftspolitik ist dies generell problematischer als für eine angebotsorientierte, dennoch kommt den Bundesländern somit eine hohe Bedeutung zu Gute. Daneben bietet der deutsche Föderalismus eine weitere Komponente des unmittelbaren Einflusses der Länder als potenzielle Vetospieler- den Bundesrat. Dieser spielt bei der Gesetzgebung eine wichtige Instanz, insbesondere bei zustimmungspflichtigen Gesetzen. Dies ist in 55-6% der Fall (vgl. Schindler 1999: 967). Mit Hinblick auf den hier angegeben Untersuchungszeitraum kann betrachtet werden, dass die christlich-liberale Koalition hier eine komfortable Mehrheit besaß. Diese schrumpfte im Laufe der Amtszeiten jedoch deutlich, doch erst ab 1990 hatte die Opposition die Möglichkeit der Bundesregierung bei zustimmungspflichtigen Gesetzen als Veto-Spieler in Erscheinung zu treten. Erst ab 1996 war dann eine rot- grüne Bundesratsmehrheit gegeben. Tsebelis legt an dieser Stelle nahe bei Mehrheiten in beiden Kammern den Bundesrat nicht als Veto-Spieler zu betrachten (vgl. Tsebelis 1995:310). Dennoch erschwert dieser der Bundesregierung durch eine geringe interne Kohäsion den Gesetzgebungsprozess. Diese ergibt sich daraus, dass die jeweiligen Landesregierungen eigene Interessen verfolgen und diese versuchen über den Bundesrat durchzusetzen. In der Kohl Ära kam es zu acht Vermittlungsverfahren, wobei keines scheiterte. Dies zeigt jedoch nur, dass die offene Austragung von Konflikten im Bundesrat vermieden wurde, die Vetomacht des Bundesrates hingegen blieb davon weitgehend unberührt (vgl. Scharpf 1989: 130). Die eigene Bundesratsmehrheit erleichterte demnach nicht zwingend die strikte Durchsetzung von Reformen. Kongruenz und Kohäsion kommen jedoch erst bei entgegengesetzten Mehrheiten vollends zur Gewichtung. Die Annahme hierbei lautet: Je unterschiedlicher die Auffassungen über ein Reformprojekt im Bundestag und Bundesrat, desto schwieriger ist in einer solchen Konstellation die Durchsetzung. Die Kongruenz dieser Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat kann laut Tsebelis anhand der Policy-Distanz zwischen den beiden am weitesten entfernten Veto-Spielern gemessen werden. Mit Rückgriff auf die Daten von Knutsen (Knutsen 1998:79), lag die Differenz zwischen CDU und SPD 1993 auf einer Zehner Links-Rechts-Skala bei 3,47 Punkten. Die maximale Kongruenz zwischen den Regierungsparteien CDU und FDP lag im gleichen Zeitraum bei 1,66 Punkten. Zu kritisieren ist an dieser Stelle, dass aufgrund dieser reinen Zahlen kaum Rückschlüsse auf unmittelbare Unterschiede zwischen Bundesrat und Bundestag, insbesondere in wirtschaftspolitischen Fragen, möglich sind. Eine Studie von Laver und Hunt legt dabei jedoch nahe, dass die wirtschaftspolitischen Differenzen zwischen Koalition und SPD noch wesentlicher waren, als beim reinen Links-Rechts-Vergleich. Daraus kann abgeleitet werden, dass eine Veränderung des wirtschaftspolitischen status quo, durch die Institution Bundesrat ab 1990 erheblich erschwert war. Als letztes mit Hinblick auf die Kohäsion der SPD- Bundesratsmehrheit sei gesagt, dass auf den Länderebenen unterschiedliche Koalitionstypen vorherrschten, so dass es der Partei dennoch erschwert war, diese Mehrheit zu nutzen. (vgl. Welt 06.07.1996). Der Bund hat in vielen Bereichen die Gesetzgebungskompetenz, dies trifft allerdings nur bei der reinen Betrachtung der Bund-Länder-Beziehungen zu. Die Internationale These der Staatstätigkeitsforschung verweist mit Hinblick darauf, dass der Bund ebenso Kompetenzen an die supranationale Ebene, die Europäische Gemeinschaft (später Europäische Union) abgegeben hat. Insbesondere unter Berücksichtigung des Projekts Binnenmarkt und Währungsunion betrafen diese Kompetenzen auch die Wirtschaftspolitik. Dieser Einfluss wird unter Betrachtung europäischer Impulse an Gesetzen des Bundestages deutlich: Dieser betrug in der 10. und 12. Legislaturperiode rund 15% (vgl. von Beyme 1997: 186). Diese Entwicklung ist jedoch gerade mit Blick auf den Wandel hin zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik förderlich für diese Entwicklung in der Bundesrepublik zu sehen. Die EU setzte viel auf die Liberalisierung der Märkte, die Bundesregierung, die auf Ebene des Ministerrats Einfluss darauf gehabt hätte, stand diesen Bemühungen positiv gegenüber (vgl. Eising 2000: 270f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Entstaatlichungspolitik in der Ära Kohl. Die Postreform 1989
Untertitel
Eine Analyse der Entscheidungen in den Bereichen Privatisierung und Deregulierung
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
2,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
24
Katalognummer
V443209
ISBN (eBook)
9783668810488
ISBN (Buch)
9783668810495
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutschland, Kohl, Liberalismus, Wirtschaft, Reformen
Arbeit zitieren
Pascal Misoph (Autor:in), 2017, Die Entstaatlichungspolitik in der Ära Kohl. Die Postreform 1989, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443209

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