Heimat und deutschtürkischer HipHop


Hausarbeit, 2017

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Heimat
2.1 Definition und Begriffsgeschichte
2.2 Heimat und Identität
2.3 Heimat und Migration
2.4 Heimat und Musik

3. Deutschtürkischer Hiphop

4. Heimat und deutschtürkischer Hiphop

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

[...] Falsch, Falsch - Fahr in unser Land, lern uns erstmal kennen, wirst du falsch behandelt, dann darfst du mich Kanake nennen. Ist doch alles Scheiße, ich liebe meine Heimat und dieses Land noch mehr. [...]. (Ahmet Gündüz, Fresh Familee).

Heimat, wie dieses Zitat der Band Fresh Familee vermuten lässt, spielt im deutschtürkischen Hiphop eine bedeutende Rolle. Das Aufwachsen in zwei Kulturen, durch die Migrationserfahrung der Eltern und dem Geburtsland Deutschland geprägt, wird im deutschtürkischen Hiphop thematisiert und verarbeitet. In welcher Form und welche Rolle vor allem Heimat dabei spielt, ist Thema dieser Arbeit.

Bis heute bilden Heimat-Konzepte einen wichtigen Gegenstand der musikethnologischen Forschung, doch hinsichtlich der Popularmusik ist dies noch nicht erschöpfend untersucht, wenn dies überhaupt möglich ist. Die Publikation von Höfig (2000) ist wohl die umfangreichste Auseinandersetzung zum Thema Heimat und populärer Musik und ist damit eine der entscheidenden Arbeiten für diese Hausarbeit. Daneben sind die Publikationen von Kaya (2015), welche sich ausführlich mit deutschtürkischen Hiphop auseinandersetzt, Loh und Göngür (2002), die vor allem die Akteure des deutschtürkischen Hiphops zur Sprache kommen lassen und Chizalli und Wiesenfeldt (2016), welche sich mit dem Heimatbegriff in der Musikforschung beschäftigen, als entscheidenden Grundlage für diese Arbeit zu nennen. Eine explizite Untersuchung zu Heimat im deutschtürkischen Hiphop existiert jedoch nicht.

Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Zusammenhänge zwischen Heimat und deutschtürkischen Hiphop aufgezeigt werden. Unter deutschtürkischem Hiphop wird dabei Hiphop verstanden, welcher von Jugendlichen und jungen Erwachsenen produziert und rezipiert wird, welche einen türkischen Migrationshintergrund[1] haben. Hierzu werden die beiden Themenbereiche, aus denen die Arbeit sich zusammensetzt, betrachtet und im letzten Kapitel zusammengeführt. Dabei widmet sich dieser Arbeit im ersten Kapitel dem Gegenstand Heimat, in dem der Begriff definiert und im Hinblick auf den Zusammenhang zur Identität, Migration und Musik beleuchtet wird. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird ausführlich auf den deutschtürkischen Hiphop eingegangen, um im letzten Abschnitt auf den Zusammenhang beider Themengebiete hinzuweisen.

Aufgrund des Umfangs dieser Arbeit wird in den folgenden Kapiteln nur am Rande auf rechtsnationale Deutung von Heimat und den damit verbundenen Auswirkungen auf den deutschtürkischen Hiphop eingegangen, obwohl dieser Themenbereich einen großen Raum in der Forschung einnimmt. Des Weiteren beschränkt sich diese Arbeit auf den deutschtürkischen Hiphop in Deutschland und zieht keine Vergleiche zur Türkei. In einem anderen Rahmen wäre dieser Gegenüberstellung zweifellos sinnvoll, um ein fundiertes Gesamtbild zum Thema zu erhalten.

2. Heimat

Das Verständnis des Begriffs Heimat ist heutzutage sehr individuell geprägt. Für manche bedeutet Heimat der Ort, in dem man geboren wurde, für andere hingegen zeichnet er sich beispielsweise nur durch eine emotionale Verbundenheit zu Familie oder Freunden aus. Dies führt dazu, dass der Begriff Heimat sich nicht leicht fassen. Häufig lässt sich Heimat sogar leichter über ihren Gegensatz, die Fremde, definieren. Interessant ist dabei auch, dass der Begriff Heimat in seiner klassischen deutschen Verwendung in anderen Sprachen in direkter Entsprechung nicht existiert (vgl. Seifert 2016). So besitzen beispielsweise die türkischen Begriffe vatan, yurt und memleket eine große inhaltliche Nähe, ohne aber das gesamte Bedeutungsspektrum des deutschen Wortes Heimat abzudecken.

Inwiefern sich der Begriff Heimat dennoch definitorisch eingrenzen lässt und wie er sich über die Jahrhunderte entwickelt hat, soll im folgenden Unterkapitel erläutert werden. Im daran angeschlossenen Kapitel wird die Arbeit einen Zusammenhang zwischen Heimat und Identität aufzeigen. Ferner wird im dritten Unterkapitell auf Heimat und Migration eingegangen, da deutschtürkischer Hiphop, der im späteren Verlauf dieser Arbeit näher Umrissen wird, auch im Kontext der Migration der Gastarbeiter und deren Kinder gesehen werden muss. Im letzten Unterkapitel soll abschließend untersucht werden, inwiefern Heimat in Musik konstituiert wird, beziehungsweise wie Musik als Heimat definiert werden kann.

2.1 Definition und Begriffsgeschichte

Etymologisch lässt sich der Begriff Heimat in der heutigen Schreibweise seit dem 15. Jahrhundert nachweisen. Der Stamm des Wortes Heimat, ,heim‘, bedeutet im Althochdeutschen Heimat, Wohnung oder Haus, das für den Sitz der Sippe, des Geschlechts oder des Stammes steht. Durch die Zuordnung der Bedeutung ,zur Hausgemeinschaft gehörig‘ erhält das Wort zudem eine positive Kontierung (vgl. Seifert, 2016). Heimat bezeichnet ursprünglich also eine klar definierte und begrenzte Lebensumwelt.

Ein Teil der etymologischen Bedeutung des Begriffs Heimat findet sich auch heute noch in der Definition des Dudens wieder. Dort wird Heimat unter anderem als ״Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)“ definiert (Bibliographisches Institut, 2017a) und es werden Synonyme wie Geburtsland, Geburtsort, Vaterland angegeben (vgl. Bibliographisches Institut, 2017a).

Ein moderner Heimatbegriff prägt sich aber bereits zwischen 1750 und 1850 und es lässt sich dabei bereits so etwas wie eine ״praxeologische Dimension“ erkennen (Costadura & Ries, 2016, s. 10). Nach Costadura und Ries (2016) zeichnet sich der moderne Heimatbegriff vor allem durch drei Faktoren aus: Der Multidimensionalität, dem Reaktionsphänomen und der Reflexivität (vgl. ebd. s. 10). Die Multidimensionalität des Heimatbegriffs schlägt sich dabei nach Handschuh (1990) in einer räumlichen, zeitlichen, sozialen und kulturellen Dimension nieder (vgl. ebd. s. 635). Weiterhin zeigt sich das Heimatverständnis als ein reaktives Phänomen, da es erst in Reaktion auf ״Moderni si erungs- und Transformationsumbrüche und auf die damit zusammenhängenden Verlusterfahrungen [entsteht]“ (Costadura & Ries, 2016, s. 10) und diese zugleich reflektiert. Aus diesem Grunde ist der Heimatbegriff auch ein Reflexionsbegriff. Um 1900 wandelt sich der Heimatbegriff, als Reaktion und Gegenbewegung auf die den gesamten Alltag betreffende Modernisierungsprozesse und Industriemodeme, ein weiteres Mal in den Heimat­Bewegungen. Diese idealisierten zum einen die Lebenswelt und beinhalteten damit einen irrationalen Kern, zum anderen brachten sie aber auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf den Durchbruch des Historismus einen individuellen Freiheitsgedanken mit sich (vgl. Costadura & Ries, 2016, s. 12f). Einen Höhepunkt des radikalisierten Heimatverständnisses, welches rassistisch und biologisch begründet wird und staatslegitimatorische Funktionen übernimmt, findet sich in derzeit des Nationalsozialismus. Gleichzeitig entsteht zu diesem Zeitpunkt aber auch durch die massiven Fluchtbewegungen und neue Reflektionen über Heimat ein ganz neues Heimatverständnis, in welchem ״Heimat als metaphysische Größe diskutiert wird“ (Costadura & Ries, 2016, s. 15). Nach dem zweiten Weltkrieg gab es unterschiedliche Heimatbestrebungen in Ost- und Westdeutschland. In der DDR diente der Heimatbegriff als Nationsersatz, an den kultur-nationale

Identifikationsmuster gebunden waren (vgl. Costadura & Ries, 2016, s. 15). In der BRD war der Heimatbegriff zuerst durch die Heimatvertriebenenproblematik und eine neue Heimat­Bewegung thematisiert, ab den 60er/ 70er Jahren findet sich eine affirmative, demokratische Heimat-Bewegung, zu der auch die bis heute anhaltende Diskussion um ,Beheimatung‘, die die Themen Migration und Asylpolitik implizieren, gehört. Durch die Globalisierung und die Vereinheitlichungstendenzen heute kann sich im Begriff Heimat

״zum Teil sehr heterogene Bewältigungsstrategien artikulieren. Einerseits kann Heimat immer noch als Weltflucht verstanden werden, aber als eine Flucht ohne Ziel, ein bloßer Rückzug in eine innere und äußere Emigration. Andererseits taucht ’Heimat‘ mit Rückbezug auf die NS-Vergangenheit und unter expliziter Bezugnahme auf den Begriff ,Heimatschutz‘ im Diskurs rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppierungen auf.“ (Costadura & Ries, 2016, s. 17).

Der heute vielfältig geführte Diskurs über Heimat ist eine logische Entwicklung der Begriffshistorie und zeigt, dass dem Heimatbegriff gegenwärtig nicht mehr eine eindeutige Zuschreibung zufällt wie noch vor hundert Jahren. Heimat versteht sich jetzt zum einen als eine emotionale Verbundenheit eines Individuums mit seiner Umgebung, als Zufluchtsort, als Geburtsort und nach Bausinger (1980) als ein lokalisierbarer Raum, in welcher der Mensch Sicherheit und Verlässlichkeit seines Daseins erfahren kann, sowie ein Ort tieferen Vertrauens (vgl. ebd., s. 13). Heimat versteht sich aber auch als der neue Lebensraum des ,global village‘, wobei die Medien für die Strukturierung und Erhalt dieses neuen Raumes unverzichtbar sind, denn das ,global village‘ existiert primär als medialer Raum (vgl. Costadura & Ries, 2016, s. 18). Der Heimatbegriff wird dabei

״jenseits der quasi angestammten Themenfelder von Heimatpflege und Heimatvertriebenen von Unterhaltungsmedien, Tourismus und Werbung ebenso aufgegriffen wie etwa in den Bereichen Nahrung, Wohnungsausstattung und Freizeit eingesetzt. Zunehmend gerät ״Heimat“ zum Stimulans, Versprechen und Erklärungsangebot in den Bereichen Lebensstil, Konsum, Sozial- und Gesellschaftspolitik.“ (Seifert 2016).

Es existieren heute somit unterschiedliche Heimatentwürfe, die konkurrieren, die miteinander korrelieren, die sich aber auch gegenseitig völlig ausschließen können (vgl. Costadura & Ries, 2016, s. 18). Welche Rolle Heimat dabei bei der Identitätsbildung- und konstruktion von Individuen spielt, soll im anschließenden Kapitel erläutert werden.

2.2 Heimat und Identität

Wie im vorherigen Kapitel erläutert, bezog sich der Begriff Heimat ursprünglich auf eine räumliche Gegebenheit, welcher allerdings nicht eindeutig räumlich begrenzt sein muss, der

Identitätsbegriff hingegen bezieht sich auf eine psychologisch, verinnerlichte Ebene. Beide Begriffe waren somit anfangs in ihrer Bedeutung klar voneinander abgrenzbar. Erst durch Studien zur Alltagswelt beispielsweise durch Bausinger (1980) nährten sich beide Begrifflichkeiten aneinander an, sodass Heimat ein unscharfer, meist zwischen ,Nation‘, ,Vaterland‘ und räumlicher, sozialer sowie emotionaler Identität variierender Begriff bleibt (vgl. Chizzali Wiesenfeldt, 2016, s. 174). Welchen Einfluss Heimat auf Identität haben kann, soll in diesem Kapitel kurz aufgezeigt werden. Doch zunächst muss der Begriff Identität näher betrachtet und definiert werden, wobei aufgrund des Umfangs dieser Arbeit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann.

Im Duden wird den Begriff Identität unter anderem im psychologischen Sprachgebrauch als ״»Selbst« erlebte innere Einheit der Person“ dargelegt (Bibliographisches Institut, 2017b). Bei Lenz (2013) dagegen wird der Begriff Identität bezüglich der Verortung des Individuums in der Gesellschaft verwendet: ״Identität [ist] die Synthese der These Individuum gegenüber der Antithese Gesellschaft“ (ebd. s. 180). Abels und König (2010) stellen den Identitätsbegriff neben die Begriffe Gesellschaft und Sozialisation, gehen dabei aber davon aus, dass sich das Individuum in der Gesellschaft nur durch Identität bewegen kann (vgl. ebd., s. 9). Demgegenüber steht das Verständnis Zimmermanns (2006), welcher ״Sozialisation als Weg zur Identität“ versteht (ebd., s. 24f). All diese Theorien gehen davon aus, dass soziale Beziehungen als zentrale Bezugssysteme dienen und demnach eine entscheidende Rolle bei der ״reflexive[n] Selbstverortung“ einnehmen (Harring, 2013, s. 299). Erwähnt sei an dieser Stelle noch, dass innerhalb der soziologischen Identitätsforschung Mead eine Schlüsselfigur darstellt, auf seine Theorien jedoch aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann.

Neben den sozialen Beziehungen spielt auch immer der bestehende kulturelle Kontext, in dem Identität konstruiert wird, eine entscheidende Rolle (vgl. Mikos, 2004, s. 160). So unterliegt die Identitätskonstruktion auch der gesellschaftlichen Entwicklung der heutigen Zeit. Fortschreitende Individualisierung und Pluralisierung, die sich unter anderem in Globalisierung, Mediatisierung und kultureller Differenzierung begründen, führen zu neuen Formen der Identitätskonstruktion (vgl. Müller, Glogner & Rhein, 2007, s. 19f.). Nach einem aktuellen Identitätsverständnis sind Identitäten nicht stabil und die Identitätskonstruktion im Laufe des Lebens abschließbar, sondern Identität wird vielmehr ״ständig in Interaktionen aufrechterhalten“ (Müller et ab, 2009, s. 135). ״Die Kembestände unserer Identitätskonstruktionen - nationale, ethnische Identität, Geschlechts- und Körperidentität - haben ihre quasi ,natürliche‘ Quelle als Identitätsgaranten verloren“ (Keupp et al., 2008, s. 87).

Aufgrund des Gegenstandes dieser Arbeit, Heimat and deutschtürkischer Hiphop, und im Hinblick auf das nächste Unterkapitel, soll an dieser Stelle ergänzend auf Identität und Migration eingegangen werden. Die bis hierin dargestellten Ausführungen hinsichtlich Identität sind dabei selbstverständlich ebenso gültig für Menschen mit Migrationshintergrund. Hierbei muss aber deutlich gemacht werden, dass es sich bei der Betrachtung von Menschen mit Migrationshintergrund, nicht um eine homogene Gruppe handelt (vgl. Hepp, Bozdag & Suna, 2010, s. 2). Dennoch gibt es Faktoren, die diese Menschen zu einer Gruppe zusammenführen. So bewegen sich Menschen mit Migrationshintergrund zwischen den Kulturen des Herkunfts- und des Zuwandererlands, welche häufig miteinander konkurrieren (vgl. Freise, 2004, s. 12). Diese Interkulturalität trägt nach Hepp, Bozdag und Suna (2001) zwangsläufig zu einer Veränderung der Identitätsartikulation bei (vgl. ebd., s. 155). Menschen mit Migrationshintergrund entwickeln, überwiegend durch verschieden Medienkontakte, ein ״geteiltes Selbstverständnis“ (ebd., s, 9), ihre migrantische Identitäten sind somit als hybrid zu bezeichnen. Ferner ist in diesem Zusammenhang auch das Konzept des ,Transnationalismus‘ interessant, nach welchem Migranten ״soziale Felder schaffen, die das Herkunftsland mit dem Land ihrer Niederlassung verbinden“ (Wunsch, 2006, s. 49). Diese transstaatlichen, sozialen Räume sind nach Faist (2000) ״verdichtete ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen zwischen Personen und Kollektiven, die Grenzen von souveränen Staaten überschreiten“ (ebd., s. 10, zit. nach Wurm, 2006, s. 49).

Betrachten man vor diesem Hintergrund die beiden Begriffe Heimat und Identität lassen sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte ausmachen. Nach Hörig (2000) ist Heimat mit der Suche nach einem ״überschaubaren Identitätsraum“ konnotiert (ebd., s. 28). Darüber hinaus ist Heimat ein Identitätsmerkmal, welches nicht ausschließlich über soziale Interaktionen bezogen werden kann, ״sondern auch über die Gestaltung von Umwelt, welche als Ausdruck und Bestätigung der Identität [angesehen werden kann].“ (ebd., s. 29). In der Definition von Heimat nach Greverus (1979) nimmt der Identitätsbegriff eine besondere Stellung ein (vgl. ebd., s. 13Off). Denn nur in Heimat, einer ״Dreiheit von Gemeinschaft, Raum und Tradition“ (ebd., s. 27) wird das menschliche Bedürfnis nach Identität befriedigt. Nach Werlen (2010) können dagegen kulturgeographische Räume selbst nicht handeln oder wirken, sondern sie entstehen durch Handlungen und Wirkungen (vgl. ebd., s. lOOf). Nur mit Lebensräumen ״kann man [somit] per se keine Identität aufweisen“ (ebd., s. 102). Heimat ist heute dementsprechend ein dynamisches Produkt aktiver Gestaltung, welches auf die konkreten persönlichen Lebenserfahrungen und -Verhältnisse mit ihren identitätsstiftenden Emotionalitäten zugeschnitten ist (vgl. Seifert, 2016). Ferner sei noch erwähnt, dass es laut Höfig (2000) in unserer globalisierten Welt immer schwerer wird, dem Bedürfnis nach Identitätsmerkmalen gerecht zu werden und zu einer Übereinstimmung von Individuum und Umwelt zu kommen (vgl. ebd., s. 30). Wenn diese Bedürfnisse nach Identitätsmerkmalen nicht mehr gestillt werden, dann kann es unter Umständen zum Verlassen des heimatlichen Territoriums kommen und eine neue Heimat gesucht werden. Welche Auswirkungen eine Migration auf Heimat haben kann, soll dabei im nächsten Kapitel kurz Umrissen werden.

2.3 Heimat und Migration

Betrachtet man den Heimatbegriff im Kontext von Migration muss unterschieden werden zwischen einer freiwilligen und einer unfreiwilligen Migration. Menschen die freiwillig auswandern, ״die in ihrem heimatlichen Territorium ihr Bedürfnis nach Schutz, Aktion und Identifikation nicht mehr angemessen befriedigt sehen, sind motiviert sich auf die Suche nach neuer Heimat zu machen.“ (Hörig, 2000, s. 31) Eine Heimatverbundenheit im Sinne eines einmaligen Ortes spielt für diese Menschen eine untergeordnete Rolle. Die Fähigkeit zur Assimilation ist dagegen eine Voraussetzung, um in der neuen Umgebung agieren zu können, sich sicher zu fühlen und sich mit dem neuen Ort zu identifizieren, (vgl. ebd.) Dieser Prozess kann für Menschen durch eine Retroperspektive erschwert werden. Auch wenn das Verständnis von Heimat nicht an einen Geburtsort gebunden ist, bleibt bei einer freiwilligen Migration vielfach ein emotionales Problem bestehen. Hier spielt auch das Gegenstück zu Heimat, das Fremde, eine Rolle. Denn das ״Dasein in ihr scheint den Blick auf die heimatlichen Gefilde regelrecht zu schärfen und ihr Wert für das Individuum wird dadurch bewusster“ (Höfig 2000, s. 15).

Signifikant schwieriger stellt sich die Frage nach Heimat und die Assimilation in der Fremde, wenn die Migration eine Folge von äußeren Zwängen ist. Das zwangsweise Verlassen der vertrauten Umgebung, prägt auch hier die Retroperspektive. ״Als Kompensationsmöglichkeit für das Fremdheitserlebnis dominieren Minderheitenbildung und sentimentale Verbundenheit mit der Herkunftsgesell Schaft“ (Höfig 2000, s. 32). Es gibt aber auch das Bestreben sich eine neue Heimat zu schaffen, in dem man sich mit der lebensweltlich-kulturellen Umwelt auseinandersetzt, sich aktiv eine Heimat gestaltet.

[...]


[1] Unter Menschen mit Migrationshintergrund folgt diese Arbeit der Definition des Statistischen Bundesamtes, wonach ״alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Eltemteil“ (ebd., s. 6) als Menschen mit Migrationshintergrund definiert werden.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Heimat und deutschtürkischer HipHop
Hochschule
Universität Bremen
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
24
Katalognummer
V445105
ISBN (eBook)
9783668820395
ISBN (Buch)
9783668820401
Sprache
Deutsch
Schlagworte
heimat, hiphop
Arbeit zitieren
Anna Faethe (Autor:in), 2017, Heimat und deutschtürkischer HipHop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/445105

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