Positionierung von gesellschaftlich umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens in einer Talk-Show


Bachelorarbeit, 2016

83 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Erzählforschung
2.1. Erzählen
2.2. Autobiografisches Erzählen
2.3. Narrative Identität
2.4. Positionierung

3. Gesprächsanalyse in einer Talk-Show

4. Die Daten

5. Allgemeines zu den Positionierungsaktivitäten

6. Übereinstimmende Positionierungen
6.1. Positive Selbstdarstellung
6.2. Voreingenommenheit der Kritiker

7. Unterschiede zwischen den Positionierungen von B und S
7.1. Provokationsabsicht und widersprüchliche Positionierungen
7.2. Fremdpositionierungen als Mittel zur Selbstdarstellung
7.3. Unterschiedlicher Umgang mit der eigenen Vergangenheit

8. Zusammenfassung der Ergebnisse

9. Fazit und Ausblick

10. Literaturverzeichnis

11. Abbildungsverzeichnis

12. Anhang

1. Einleitung

Ich habe mich bereits im Vorfeld der vorliegenden Bachelorarbeit mit dem Thema der Positionierung in der Talk-Show „3nach9“ im Rahmen des Projektberichtes auseinander-gesetzt und knüpfe an die darin gewonnenen Erkenntnisse an. Im Projektbericht habe ich mich mit allgemeinen Eigenschaften von Positionierungsaktivitäten bei Talk-Show-Gästen beschäftigt, weshalb es nun nahe liegt die Positionierungen, die eine bestimmte Personen-gruppe in selbiger Talk-Show vornimmt, vergleichend zu analysieren. Da sich die meisten Talk-Show-Gäste in ihren grundlegenden Eigenschaften ähneln und somit keine wesent-lichen Unterschiede zu erwarten wären, wurde der Analysegegenstand auf Talk-Show-Auf-tritte von gesellschaftlich umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens ausgeweitet. Hierfür wurden zwei selbstbezeichnende Musiker aus der Hip-Hop- bzw. Rapper-Szene ausgewählt, die vor ihren Auftritten in der Talk-Show mit negativen Schlagzeilen öffentlich bekannt wurden.

Gegenstand der Analyse werden demnach die medialen Gespräche der beiden Personen sein. Der Tatsache geschuldet, dass die Talk-Show im Fernsehen ausgestrahlt wird, sind bei der Analyse einige Besonderheiten zu beachten. Es ist davon auszugehen, dass Positio-nierungen gezielt genutzt werden, um ein bestimmtes Selbstbild nach außen zu tragen, da die Gesprächsteilnehmer sich der Öffentlichkeit ihrer Konversation bewusst sind und diese Gesprächssituation zur Selbstinszenierung verwenden.

In allen alltäglichen und medialen Gesprächen nehmen die Gesprächsteilnehmer Positio-nierungen vor und nutzen diese, um auszudrücken, wie sie sich selbst sehen, wie sie andere sehen, wie sie gesehen werden wollen und auch wie sie zu ihrem früheren Ich stehen. Oftmals werden für solche Positionierungsaktivitäten autobiografische Erzählungen verwen-det, die entsprechende Charaktereigenschaften o. Ä. belegen sollen. Durch die zweite Zeit-ebene, die sich daraus ergibt, entstehen insgesamt vier Arten der Positionierung: die Selbst-positionierung (SP) in der Erzählzeit (Ez), die Fremdpositionierung (FP) in der Erzählzeit, die Selbstpositionierung in der erzählten Zeit (eZ) und die Fremdpositionierung in der erzählten Zeit. SP sind Positionierungen, die Aussagen über sich selbst enthalten, und FP werden genutzt, um anderen Personen Eigenschaften zuzuschreiben. Die Erzählzeit meint die aktuelle Gesprächssituation, und bei der erzählten Zeit handelt es sich um einen vergangenen Zeitpunkt (zu den Begriffen vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 25; Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 168f). Da es in der westeuropäischen Kultur unüblich ist sich oder anderen Personen explizit Eigenschaften zuzuschreiben, werden vorrangig, aber nicht ausschließlich, autobiografische Erzählungen dazu verwendet, sich und andere darzustellen (Lucius-Hoene/ Deppermann 2004a: 68).

In dieser Arbeit soll nun eine Analyse der Positionierungen von umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens vorgenommen werden. Konkret soll die folgende Fragestellung beantwortet werden: Wie positionieren sich gesellschaftlich umstrittene Personen des öffentlichen Lebens in der Talk-Show „3nach9“? Dafür werden zwei gesellschaftlich umstrittene Gäste der betreffenden Talk-Show, die nachfolgend noch definiert werden, analysiert und miteinander verglichen. Außerdem sollen die Ergebnisse noch kurz in ein Verhältnis zu den Ergebnissen des Projektberichtes gestellt werden.

Diese Arbeit baut sich wie folgt auf: Zunächst wird der theoretische Rahmen der Positio-nierung vorgestellt, dann wird die Methode der Gesprächsanalyse eines medialen Ge-sprächs erläutert. Anschließend folgt die Analyse des Datenmaterials, deren Ergebnisse vor dem Fazit noch einmal zusammengefasst dargestellt werden.

2. Erzählforschung

Über Positionierungen wird die narrative Identität des Sprechers hergestellt (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 75), welche wiederum zur Erzählforschung gehört. Aus diesem Grund werden nun die linguistischen Größen Erzählen bzw. Autobiografisches Erzählen, narrative Identität sowie Positionierung definiert und erläutert.

2.1. Erzählen

Der Grund für die Konzentration auf (autobiografische) Erzählungen liegt darin, dass in ihnen Positionierungen häufiger auftreten als in anderen Gesprächsteilen und somit mehr Spiel-raum für Analysen geboten wird.

„Erzählen ist eine Grundform sprachlicher Darstellung“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 19), welche in verschiedenster Art und Weise realisiert werden kann. Wie was letztendlich erzählt wird, hängt von der jeweiligen Funktion und dem situativen Kontext ab. Wenn jemand etwas erzählen möchte oder sein Gegenüber zum Erzählen animieren will, so müssen bestimmte Bedingungen vor, während und nach dem Hauptteil der Erzählung erfüllt werden (vgl. ebd.: 19f). Dazu wurden in der linguistischen Erzählforschung zwei einflussreiche Mo-delle entwickelt.

Das erste Modell stammt von Labov und Waletzky, die Interviews führten und dabei ihre Gesprächspartner mit einer einleitenden Frage dazu brachten, eine Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen. Konkret fragten sie, ob ihr Gegenüber sich je in einer lebensbedrohlichen Situation befunden habe. Der daraufhin entstandene Erzähl-Monolog wurde dann zum Untersuchungsgegenstand (vgl. Labov/Waletzky 1997: 5). Aus diesen Monologen ent-wickelten sie ein fünfteiliges Erzählmodell, welches folgende Komponenten enthält: Orien-tierung, Komplikation, Evaluation, Auflösung und Coda. Die Elemente treten in der aufgeführ-ten Reihenfolge auf, wobei die Evaluation an vielen Stellen der Erzählung stehen kann (vgl. ebd.). Die Orientierung enthält Informationen zur nachfolgenden Erzählung, wie Person, Ort und Zeit und kann als eine Art Einleitung des Erzählvorgangs gesehen werden (vgl. ebd.: 27). Bei der Komplikation handelt es sich um das Kernstück der Erzählung – der Grund, weshalb erzählt wird (vgl. ebd.: 27f). Die Evaluation, die anfangs noch an dritter Stelle der Erzählreihenfolge festgelegt war, ist die Bewertung, die persönliche Evaluierung des Erzählers, wie seine Narration aufgefasst werden soll (ebd.: 30ff). Chronologisch schließt sich an die Komplikation die Auflösung an. Sie beendet die Erzählung und leitet zum Ende des Monologs hin (vgl. ebd.: 35). Am Ende der Erzählung steht die Coda, die sozusagen das verbindende Moment zwischen eZ und Ez ist. Hier kehrt der Erzähler sprachlich ins Präsens zurück (vgl. ebd.: 35).

Die monologische Betrachtungsweise von Labov/Waletzky passt jedoch nicht auf alle Narrationen, weshalb Hausendorf/Quasthoff ein interaktives Erzählmodell entwickelten, das auf sogenannten Jobs beruht. Ihr Ausgangspunkt ist eine interaktive Gesprächssituation, in der mehr als eine Person an der Ausgestaltung der Erzählung beteiligt ist (vgl. Hausendorf/ Quasthoff 1989: 97). Es gibt insgesamt fünf Jobs, die bearbeitet werden müssen, damit eine Erzählung erfolgreich abgeschlossen wird: Darstellen von Inhalts- und Formrelevanz, Thematisieren, Elaborieren/Dramatisieren, Abschließen und Überleiten. Dabei findet sowohl vor dem ersten als auch nach dem letzten Job der klassische Turn-by-Turn-Talk[1] zwischen den Sprechern statt (vgl. ebd.). Mithilfe des ersten Jobs wird die Notwendigkeit der danach folgenden Erzählung sowohl formal als auch inhaltlich deutlich gemacht (vgl. ebd.: 98f). Der Job „Thematisieren“ ist für das Erzählen insofern wichtig, als dass er die Erzählung hochgradig erwartbar macht und aus ihm der Zugzwang einer Erzählung hervorgeht (vgl. ebd.: 99f). Der darauffolgende Job ist das interaktive Pendant zur Komplikation von Labov/ Waletzky, das das Kernelement der Erzählung beinhaltet. Der Erzähler muss diesen Job so ausfüllen, dass der Zuhörer die Notwendigkeit der Erzählung nachvollziehen kann und die Erzählung an der Stelle des Gesprächs erzählwürdig ist (vgl. ebd.: 99ff). Bei dem vorletzten Job handelt es sich um einen „inhaltlichen Abschluss“ (ebd.: 102) der Erzählung, der auch Platz für Fragen des Zuhörers bietet. Bevor die Gesprächsparteien wieder zum Turn-by-Turn-Talk übergehen, wird im fünften Job die Verbindung von der eZ zur Ez wieder herge-stellt (vgl. ebd: 102f).

Wie die konkreten Äußerungen beim Erzählen in einem Gespräch aussehen können und sollen, lernen Mitglieder einer Sprachgesellschaft im Laufe ihres Lebens. Obwohl man nicht genau sagen kann, wann das Erzählen als Vertextungsmuster perfekt beherrscht wird, so kann jedoch allgemein davon ausgegangen werden, dass Erwachsene die narrativen Muster, die Konventionen und Regeln zum Erzählen in den verschiedensten Situationen ken-nen und anwenden können (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 42).

Aufgrund der Interaktivität der Gesprächssituation in der von mir ausgewählten Talk-Show ist davon auszugehen, dass die Gespräche und Erzählungen eher der Erzählstruktur nach Hausendorf und Quasthoff ablaufen. Dennoch stehen diese Erzählmodelle eher im Hinter-grund der Arbeit, da ich mich auf die Positionierungsarbeiten konzentrieren werde. Letztere treten vermehrt in Erzählungen von Selbsterlebtem auf, sodass die Besonderheiten von au-tobiografischen Erzählungen an dieser Stelle hervorgehoben werden sollen.

2.2. Autobiografisches Erzählen

Zunächst sind es „nicht-literarische Erzählungen eines Menschen über sich selbst und die Erfahrungen und Ereignisse seines Lebens“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 20). Der Erzähler ist hierbei auch die handelnde Person in der Erzählung, und es kann angenommen werden, dass ein Erlebnis, das erzählt wird, auch biografische Bedeutung für den Erzähler besitzt. Außerdem ist es eine sehr alltägliche Form des Erzählens, da sie in vielen Situ-ationen zum Einsatz kommen. Wenn jemand aus seinem Leben erzählt, so nimmt seine Zuhörerschaft im Allgemeinen eine Chronologie der nacheinander folgenden Sätze an und sie geht von einer Kausalität zwischen ihnen aus. Der Erzähler strukturiert die Ereignisse, sodass sie für den Hörer nachvollziehbar werden (vgl. ebd.: 20f).

Eine erzählwürdige[2] autobiografische Erzählung enthält immer ein unerwartetes Ereignis, das mithilfe der restlichen Erzählinhalte zu einer kohärenten Erzählung verschmilzt. Dazu gehören eine bestimmtes raumzeitliches Setting und der Fakt, dass nur für die Erzählung relevante Geschehnisse erzählt werden. Außerdem werden Erlebnisse erst zur Erzählung, wenn der Betreffende weiß, wie man dieses Erlebte in die Form einer Erzählung kleidet (vgl. ebd.: 22).

Im Allgemeinen werden autobiografische Erzählungen in der Ich-Perspektive erzählt und mit evaluativen Äußerungen der Geschehnisse versehen, die vorrangig vom Erzähler vorge-nommen werden. Er kann seiner Erzählung auch eine Moral verleihen und somit aus-drücken, welche Werte und Normen er für wichtig oder weniger wichtig erachtet. Je nach Inhalt der Erzählung werden auch andere Personen erwähnt, denen er seine Stimme leihen kann, um so ihre Perspektive wiederzugeben. Fraglich ist jedoch, ob sich diese Personen letztendlich tatsächlich so geäußert haben oder ob der Erzähler sie bewusst anders darstellt. (vgl. ebd.: 22ff).

Eine weitere Besonderheit von autobiografischen Erzählungen ist die doppelte Zeit-perspektive. Durch sie gibt es eine Verdopplung des Ichs und zwei Darstellungsebenen. Der Erzähler kann mithilfe von rhetorischen Mitteln die eZ in die Ez holen und das Erlebte regelrecht schauspielerisch inszenieren (vgl. ebd.: 23ff).

Sollte der Erzähler über ein Erlebnis erzählen wollen, das niemand der zu dem Zeitpunkt anwesenden Interaktionsteilnehmer miterlebt hat, so ist er in der Ausgestaltung seiner Erzählung fast uneingeschränkt. Die einzige Komponente, die ihn davon abhält, unglaub-würdige Lügen zu erzählen, ist seine Zuhörerschaft, die ihm glauben muss, dass er das Erzählte tatsächlich so erlebt hat. Für die Glaubwürdigkeit und vor allem auch für den Aspekt der Verständlichkeit ist es unabdingbar, einige Elemente der Erzählung zu nennen. Die handelnden Personen müssen vorher eingeführt werden, Zeit, Ort und Situation müssen bekannt sein, die Ereignisketten müssen plausibel gemacht werden, die „Einbettung des Geschehens […] in eine Welt mit bestimmten Eigenschaften und Regeln“ (ebd.: 35) muss vorgenommen werden und außerdem sollte der Erzähler des Vertextungsmusters Erzählen mächtig sein, damit er insgesamt vollständige, aber nicht zu detailreiche Erzählungen produ-ziert (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 35).

Nachdem alle wichtigen Elemente der Erzählung eingeführt wurden, muss der Erzählende sich an weitere Ordnungsprinzipien halten: „die Zugzwänge der Kondensierung, der Detail-lierung, und der Gestaltschließung.“ (ebd.: 36). Das heißt konkret, dass der Erzähler aus seiner komplexen Erinnerung die relevanten Details einbringen, sie ausreichend ausführlich erläutern und am Ende einen „Gesamtzusammenhang herstellen“ (ebd.: 36) muss. Genauso wichtig wie die Rolle des Erzählers ist die des Zuhörers, da die Reaktionen von Letzterem Auswirkungen auf die Gestaltung der Erzählung haben. Durch seine gezeigte mehr oder weniger starke Involviertheit weiß der Erzähler, wie er die Erzählung fortführen sollte, um eine angemessene Narration zu produzieren. Des Weiteren gehören auch immer Emotionen zu einer Erzählung dazu: in Form von Beschreibungen oder der konkrete Ausdruck von Gefühlen. So entstehen teilweise sehr lebhaft dargestellte Erzählungen, die es den Zuhörern möglich machen, sich in die erzählte Situation hineinzuversetzen und den inneren Zustand der erzählenden Person nachzuvollziehen. Die Funktionen von Emotionen in einer Erzählung sind unterschiedlich: Durch sie können Bewertungen vermittelt werden, sie können der „Vermittlung der persönlichen Beteiligung und Betroffenheit“ (ebd.: 40) dienen, oder sie gehören zur „interaktiven Gestaltung der Erzählsituation“ (ebd.: 40). In jedem Fall sind Emotionen ein strategisch nutzbares Darstellungsmedium. (vgl. ebd.: 36ff).

Die Funktionen des autobiografischen Erzählens können zweierlei Natur sein. Entweder liegt der Fokus auf dem Zuhörer, der mit der Erzählung unterhalten, informiert oder beeindruckt werden soll, oder die Erzählung dient dem Erzähler zur Selbstdarstellung und/oder Rechtfer-tigung etc. Sicher ist, dass immer beide Aspekte eine Erzählung motivieren und sie nur in unterschiedlicher Gewichtung realisiert werden (vgl. ebd.: 43). Der Erzähler möchte sich mithilfe seiner Erzählung in eine soziale und kulturelle Gemeinschaft einordnen und damit auch in ihre Richtlinien, Regeln, moralischen Werte und Ansichten einreihen. Dennoch versucht er mit seiner Erzählung, seiner Person auch eine gewisse Individualität zu verleihen und sich von anderen abzuheben (vgl. Kofler 2011: 65).

Autobiografisches Erzählen ist demnach kein Erzählen von vergangenen Handlungen, sondern eine Handlung in sich (vgl. Brockmeier: 37). „Welches Leben jemand erzählt, hängt davon ab, an wen die Erzählung gerichtet ist, wann, wo und warum, mit welcher Intention erzählt wird“ (ebd.: 37).

Das linguistische Interesse dieser Arbeit liegt u. a. darin, zu untersuchen, wie die beiden Talk-Show-Gäste mit den negativen Ereignissen ihrer Vergangenheit umgehen, da sie „die Identität des Biographieträgers zentral angreifen und gerade unter dem Aspekt des persönlichen Schicksals wirksam sind“ (Schütze 1983: 284). Aufgrund der Tatsache, dass „biografische Brüche zu einer Reformulierung nötigen“ (Kofler 2011: 216), werden Er-zählungen oft strategisch genutzt, um Entscheidungen und Erlebnisse plausibel zu machen (vgl. ebd.: 216). Teilweise werden Erzählungen an die Narrationen anderer angepasst, sodass sich der Erzähler die soziale Akzeptanz seiner Zuhörer sichern kann, indem er sich in einer ähnlichen Welt verortet, in denen er auch seine Zuhörerschaft vermutet (vgl. Flicker 2012: 105).

2.3. Narrative Identität

Da die Positionierung ein Begriff ist, der der narrativen Identität zuzuordnen ist, soll auch diese nun eingehender betrachtet werden. Ich orientiere mich an den Arbeiten der Autoren Lucius-Hoene/Deppermann, die die narrative Identität wie folgt definieren:

„Narrative Identität als empirisches Konstrukt ist bestimmbar als die Art und Weise, wie ein Mensch in konkreten Interaktionen Identitätsarbeit als narrative Darstellung und Herstellung von jeweils situativ relevanten Aspekten seiner Identität leistet. Sie kann in einer systematischen interpretativen Analyse aus Protokollen autobiografischer Erzählungen herausgearbeitet werden“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a:75).

Um die narrative Identität einer Person herauszuarbeiten, ist es also elementar, autobiografische Erzählungen von selbiger zu analysieren. Dadurch, dass autobiografische Erzählungen immer kontextgebunden sind und der jeweiligen Situation entspringen, sind sie immer nur Abbildungen von Teilaspekten eines möglichen Identitätsanspruchs. Das bedeu-tet, dass die entsprechende Person nicht mit ihrer her- und dargestellten narrativen Identität gleichzusetzen ist (vgl. ebd.: 55f). Sie ist als „Lösung der Handlungsaufgabe für den Erzähler [zu] verstehen, in einer bestimmten sozial bedeutsamen Situation seine Person in seiner Lebenserzählung verstehbar und plausibel her- und darzustellen“ (Lucius-Hoene 2000: 4). Narrative Identität ist nicht einfach existent, sondern wird im Laufe des Erzählprozesses hergestellt (vgl. auch: Budnik 2012: 386f). Dabei geht es zwar einerseits um das, was jemand sein möchte, aber andererseits auch um das, was jemand nicht sein möchte oder zukünftig sein möchte (vgl. Brockmeier 1999: 23f; vgl. Flicker 2012: 64; vgl. Bamberg 1999: 48).

Die narrative Identität wird in drei Dimensionen dar- und hergestellt: die temporale, die selbstbezügliche und die soziale Dimension (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 75).

Erstere beinhaltet, dass der Erzähler selbst bestimmt, welche Geschichten aus seiner Vergangenheit er zur Schaffung seiner narrativen Identität nutzt und welche er ausklammert. Auch die sprachliche Verknüpfung der verschiedenen Ereignisse miteinander ist elementar, um Kontinuität zu erschaffen. Erklärungen, Rechtfertigungen und „moralische Botschaften“ (ebd.: 57) können ebenfalls ausgedrückt werden. Erzähler bedienen sich dabei oft „narrative[n] Modelle[n] der Zeiterfahrung“ (ebd.: 58), um ihren Erzählungen eine überge-ordnete Makrostruktur zu geben. Des Weiteren ist bei der zeitlichen Dimension der narrativen Identität entscheidend, wie „der Erzähler seine Handlungsmöglichkeiten und Handlungsinitiative […] linguistisch konstruiert“ (ebd.: 59), da er so seine Rolle in der Erzählung beschreibt. Der letzte Aspekt der zeitlichen Ebene betrifft das Verhältnis von Ez und eZ. Erzähler können durch die doppelte Zeitebene und somit durch das doppelte Ich eine Wandlung der eigenen Person beschreiben (vgl. ebd.: 56ff).

In der selbstbezüglichen Dimension der narrativen Identität kann der Erzähler selbstbe-zügliche Aussagen tätigen und sich somit explizite Eigenschaften zuschreiben. Auch in dieser Dimension spielt das Verhältnis des Erzählers zu seinem früheren Ich – also das Ich aus seiner Erzählung – eine Rolle, da er auch selbstbezügliche Aussagen zu seinem Ich aus der eZ tätigen kann. Nun ist es so, dass explizite Selbstbeschreibungen als eher problematisch gelten und sie somit oft umgangen werden. Dies kann bspw. durch eine FP der eigenen Person durch andere Personen in der eZ geschehen. Erzählen ist immer auch ein Stück weit die eigenen Erinnerungen sortieren, noch einmal durchleben und sich bewusstwerden lassen. Diese Prozesse werden durch den Zuhörer verstärkt, da dieser nach Kohärenz verlangt und der Erzähler allen Zugzwängen folgeleisten muss. Nicht selten spielen Emotionen beim Erzählen und auch bei der Her- und Darstellung der narrativen Identität eine Rolle, da nicht nur der Erzähler, sondern bestenfalls auch der Hörer emotional und empathisch auf die Erzählung reagiert (vgl. ebd.: 67ff).

Die dritte und letzte Dimension ist die soziale Dimension. Da das Erzählen immer mit mindestens einem Zuhörer stattfindet, geht es hierbei um „soziale Akzeptanz und Selbstbe-hauptung“ (ebd.: 61). Der Erzähler erschafft eine Erzählwelt, die auch unmittelbaren Einfluss auf seine Person in dieser eZ haben kann. Durch die Art und Weise, wie er diese Welt darstellt, können auch Rückschlüsse auf sein Selbstverständnis gezogen werden. Auch die Gestaltung der Erzählung gehört zur Her- und Darstellung der narrativen Identität. Kulturell geprägte Muster von Erzählungen leiten den Erzähler durch seine Erzählung und geben ihm so die Möglichkeit, seinen Platz im sozialen Raum deutlich zu machen. Zu guter Letzt gehören die Positionierungen als Mittel der interaktiven Herstellung der narrativen Identität zur sozialen Dimension (vgl. ebd.: 61ff). Um sie soll es in dieser Arbeit gehen.

2.4. Positionierung

Zunächst ist „‘Positionierung‘ eine Strategie zur Herausarbeitung einer […] narrativen Identität“ und demnach „eine Meta-Perspektive auf erzählerische Darstellungen, die für Analysearbeit Erkenntnis leitend und als heuristische Suchhaltung eingesetzt wird“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 168). Durch Positionierung zeigt ein Mensch an, wie er sich selbst und andere sieht und wie er von der Welt gesehen werden möchte. Der Sprecher nimmt also SP und FP vor, die sowohl explizit als auch implizit sein können, wobei „unmittelbare Selbstbeschreibungen […] in unserer Kultur als eher problematisch [gelten]“ (ebd.: 68). Durch die gegebene wechselseitige Gesprächssituation beziehen sich Positio-nierungen des Erzählers auch auf den oder die Zuhörer, welche sich wiederum durch ihr sprachliches und nicht-sprachliches, reaktives Verhalten positionieren. Diese Zuhörerschaft versucht der Erzähler mithilfe seiner Erzählung kommunikativ zu beeinflussen, auch wenn er nur Informationen weitergibt (vgl. Bamberg 1999: 50). Außerdem liegt in autobiografischen Erzählungen immer eine Dopplung von Positionierungen vor, da der Protagonist gleichzeitig auch die erzählende Person ist. Diese zwei Zeitebenen ermöglichen es dem Erzähler, Positionierungen für sein erzähltes und zur selben Zeit für sein erzählendes Ich vorzu-nehmen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 179). In der Interaktion können Positio-nierungen ausgehandelt und auch zurückgewiesen werden. Ein und dieselbe Geschichte kann auch unterschiedlich erzählt werden, was zur Folge haben kann, dass der Erzähler sich und andere je nach situativem Kontext anders positioniert. Dass dies sogar in einer ähn-lichen Kommunikationssituation, mit dem Unterschied von mehreren Jahren zeitlicher Dis-tanz dazwischen, passieren kann, zeigt Martina Goblirsch (2005).

Die Positionierungen, die in dieser Arbeit herausgearbeitet werden sollen, fallen demnach unter die soziale und selbstbezügliche Dimension der narrativen Identität, wie Salim (2013) treffend beschreibt (vgl. ebd.: 39).

3. Gesprächsanalyse in einer Talk-Show

Die linguistische Erzählforschung, die es heute gibt, ist aus der Konversationsanalyse entstanden, wenngleich die Textlinguistik das Erzählen gewissermaßen als linguistische Größe entdeckt hat. Der Begründer der Konversationsanalyse, der Soziologe Harvey Sacks, hat sich anfangs mit Sprecherwechsel und den Gründen dafür, dass ein Sprecher eine größere Einheit produzieren kann – wie Erzählungen überhaupt möglich sind –, beschäftigt (vgl. Gülich 2008: 404ff, 407). Dass die Konversationsanalyse – oder auch Ethnometho-dologische Konversationsanalyse – so ist, wie sie heute vorzufinden ist, hat sie aber auch der namensgebenden Ethnomethodologie und Harold Garfinkel zu verdanken, der diese ent-scheidend prägte. In ihrem „Mittelpunkt steht […] die Analyse von Kommunikation als Inter-aktion und damit als ein Vollzug sozialen Handelns“ (Keppler 2006: 293). In die Gesprächs-analyse übernommen wurden von ihr drei zentrale Konzepte: Zum einen wird die soziale Realität in der Interaktion hergestellt, Sprecherbeiträge und -handlungen müssen immer in ihrem situativen Kontext betrachtet werden, und drittens bilden die Sprecherbeiträge und -handlungen den Kontext genauso, wie sie in ihm stehen (vgl. ebd.: 298). In der Interaktion sprechen bedeutet immer gleichzeitiges Handeln und Interpretieren, da der ökonomische Sprachgebrauch dazu führt, dass nicht alles expliziert wird, was gemeint ist, und der Interaktionspartner mithilfe erworbener sozialer Konventionen den Aussagen seines Gegen-übers mehr entnehmen muss, als gesagt wurde. Dieses sprachlich routinierte Handeln geschieht fortlaufend und ist nicht mit einer komplizierten Interpretation von literarischen Texten zu verwechseln (vgl. ebd.: 297f). Was die Gesprächsanalyse, die aus der Konver-sationsanalyse entstanden ist, mit ihrer Arbeit bezwecken will, hat Keppler so zusammen-gefasst:

„Ziel der Konversationsanalyse ist es, empirisch die impliziten Methoden zu erfassen, durch die die Teilnehmer eines Gesprächs in einem Gespräch im Vollzug ihrer (sprachlichen) Handlungen die Geordnetheit der Handlungen zum einen herstellen, zum anderen auch die Äußerungen ihrer Gesprächspartner auf die in diesem Ausdruck kommende Geordnetheit hin analysieren und drittens die Resultate dieser Analysen wieder in ihren Äußerungen manifest werden lassen. Grundlegend ist hier der Gedanke, dass kein Element einer Interaktion als zufällig oder als mehr oder weniger wichtig betrachtet werden kann, sondern, dass sich die Geordnetheit sozialer Interaktionen an jeder Stelle des Gesprächs zeigt […].“ (2006: 299)

Die grundlegenden methodisch Prinzipien der Konversationsanalyse, die auch in der vorliegenden Arbeit beachtet werden sollen, lauten wie folgt: Die Daten betreffend sollen nur natürliche Gespräche zur Analyse herangezogen werden, das akustische Datenmaterial muss niedergeschrieben, de facto transkribiert werden, bei der Analyse ist sich dabei an die zeitliche Reihenfolge des Gesagten in der Interaktion zu halten, und zuletzt sollen nur die Gesprächsinformationen zur Analyse herangezogen werden und keinerlei externes Wissen (vgl. ebd.:301f). Außerdem sollen Hypothesen aus dem Material heraus entwickelt werden und Einzelfallanalysen Anstöße für weitere Untersuchungen geben, die dann nach und nach eventuelle Muster aufdecken (vgl. Deppermann 2008: 11).

In dieser Arbeit soll es im Wesentlichen um Aspekte des Erzählens im Medium Fernsehen, genauer Talkshow, gehen, sodass auch die Medialität der Gesprächssituation nicht außer Acht gelassen werden kann. Zunächst ist es wichtig zu nennen, dass es beim Sprechen im Fernsehen immer mehrere Kommunikationskreise gibt (Burger 2008: 1493), an die der Sprecher sein Gesagtes adressiert. Dadurch, dass dieser sich dessen bewusst ist, ist davon auszugehen, dass er seine Beiträge dementsprechend gestaltet. Außerdem sind die teils sehr natürlich wirkenden Gespräche in Talkshows nicht so spontan, wie der ausstrahlende Sender den Zuschauer glauben lässt, da die Themenauswahl auf jeden der Gäste abgestimmt und abgesprochen sowie auch die Reihenfolge der zu Befragenden festgelegt ist (vgl. ebd.: 1499ff; vgl. Löffler 2002: 2325). Des Weiteren sind Erzählungen zwar in dem Sinne „konversationelle Probleme“, deren Lösung mit allen Gesprächsteilnehmern gemeinsam hergestellt wird (Hausendorf/Quasthoff 1989: 95), aber inhaltlich nehmen sie in einer Talkshow den Wert einer informativen Unterhaltung an – „Infotainment[3] “ (Löffler 2002: 2322). Trotz ihres medialen Hintergrundes sind die Gespräche in der Talkshow dennoch als spontan und natürlich anzusehen, wobei auch die Öffentlichkeit der Gespräche bei der Analyse nicht außer Acht gelassen wird. Zur konversationsanalytischen Herangehensweise an mediale Produkte ist es wichtig, das Zusammenspiel von Bild und Ton nicht unbeachtet zu lassen, da beides extra aufeinander abgestimmt ist und somit auf eine bestimmte Rezeption abzielt. Auch das Anfertigen eines Transkriptes, welches audiovisuelle Hinweise enthält, ist unerlässlich (vgl. Keppler 2006: 307f).

Die hier zu analysierenden Erzählungen entstammen einer Talkshow, die im Allgemeinen eine Gesprächssituation zeigen, die den Kern der Sendung ausmacht. Potenzielle Zu-schauer können nicht eingreifen und/oder fragen o. Ä., sondern können dem Geschehen nur passiv folgen. Außerdem verbinden sowohl Zuschauer als auch die Produzenten immer Erwartungen mit der jeweiligen filmischen Gattung – in diesem Fall die Talkshow – und deren Inhalt (vgl. ebd.: 307ff). Als prototypische Talkshow wird u. a. die Sendung „3 nach 9“ angesehen (vgl. Löffler 2002: 2323), die als Datenlieferant der nachfolgenden Analysen fungiert. Die seit 1974 existierende Talkshow von Radio Bremen wird einmal im Monat freitags um 22 Uhr abends im NDR/RB ausgestrahlt und von Judith Rakers und Giovanni di Lorenzo moderiert. Der Hauptteil der Sendung wird von den Gesprächen mit den Studiogästen gefüllt und punktuell durch anders geartete, unterhaltsame Beiträge, die oft von anwesenden Talkrundenmitgliedern durchgeführt werden, ergänzt (vgl. Radio Bremen).

In der hier vorliegenden Arbeit sollen die verschiedenen Positionierungen herausgearbeitet und dabei Unterschiede und Parallelen aufgedeckt werden. Hierfür werden zwei Sprecher, die dem Schema einer gesellschaftlich umstrittenen Person des öffentlichen Lebens entsprechen, möglichst detailliert analysiert. Gegenstand sollen nicht nur autobiografische Erzählungen sein, sondern auch andere Aussagen, die SP oder FP beinhalten. Zur Analyse werden die nach GAT2-Konventionen (vgl. Selting et al. 2009: 391f) angefertigten Trans-kripte verwendet, die auch Standbilder in Form von Screenshots enthalten. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind Einzelfallanalysen, aus denen noch keine weitreichenden Rückschlüsse gezogen werden können. Dennoch bieten sie erste Anhaltspunkte, wie sich Personen mit entsprechenden Eigenschaften durch Positionierung in Talk-Shows darstellen.

4. Die Daten

Die Auswahl der Daten, die der Analyse zugrunde liegen, begründet sich zum einen durch ihre gute Verfügbarkeit und zum anderen durch die Vorreiterrolle der Sendung „3nach9“. Sie war 1974 eine der ersten Talk-Shows im deutschen Fernsehen und kann somit als stereotypische Talk-Show bezeichnet werden (vgl. Radio Bremen).

Die Moderatoren Giovanni di Lorenzo, der seit 1989 die Sendung moderiert, Judith Rakers, die seit 2010 dabei ist, und Amelie Fried, die von 1998 bis 2009 bei „3nach9“ zu sehen war, sind während der Sendung meist für einen Gast zuständig, da der dazugehörige Moderator sich auf den Talk-Show-Gast vorbereitet hat. Fragen von anderen Gästen oder dem anderen Moderator sind durchaus erlaubt. Die Gesprächsinhalte und Fragen sind abgesprochen und somit nur bedingt spontan, aber die Absprache macht es möglich, dass die Moderatoren den Verlauf der Gespräche lenken, die Gäste ergänzen und aus deren Vergangenheit zitieren können. Zudem ist für jeden Gast nur eine bestimmte individuelle Sprechzeit vorgesehen, da die Sendung zeitlich begrenzt ist. Aufgrund dieser Tatsache führen die Moderatoren teilweise abrupte Themenwechsel herbei, um noch auf andere Sachverhalte zu sprechen zu kommen. Obwohl diese schlagartigen Wendungen nicht der Gesprächsstruktur eines Alltagsgesprächs entsprechen, werden sie von den Gästen angenommen.

Für meine Analyse ist es wichtig, gesellschaftlich umstrittene Personen des öffentlichen Lebens zu identifizieren, die Gast in der genannten Talk-Show sind. Die Wahl ist dabei auf die Rapper Bushido (Sendung am 25.01.2008) und Sido (Sendung am 09.07.2010) gefallen. Beide haben zur Zeit der Ausstrahlung ein eher umstrittenes Image, das von den jeweiligen Moderatoren auch thematisiert wird. Sie sind in der Zeit vor der jeweiligen Sendung negativ aufgefallen, da sie u. a. Anzeigen bekommen haben, kontroverse Songtexte rappen oder öffentlich zweifelhafte Aussagen getätigt haben. Um später aussagekräftige und vergleich-bare Ergebnisse zu erhalten, war es außerdem wichtig, dass sich die ausgewählten Perso-nen nicht allzu stark unterscheiden. Dadurch, dass beide denselben Beruf ausüben, ein ver-gleichbares Alter und durch ähnliche Fehltritte mediale Aufmerksamkeit bekommen haben, kann von einer gewissen Ähnlichkeit der beiden Musiker gesprochen werden. In der Talk-Show sprechen sie über ihre gesellschaftlichen und/oder moralischen Fehltritte sowie über ihr Leben, ihre Musik und ihre Familien. Im Zuge der Gespräche kommt es so zu autobiografischen Erzählungen seitens der beiden Musiker, die teilweise fremd- und teilweise selbstinitiiert sind. Außerdem machen die Rapper von selbstbezüglichen Aussagen Gebrauch, sodass sich in den Gesprächen zahlreiche Positionierungen finden lassen. Diese sollen Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.

5. Allgemeines zu den Positionierungsaktivitäten

Nach der theoretischen Einführung in die Konzepte und Methoden, derer ich mich in dieser Arbeit bediene, soll nun die Analyse des Datenmaterials folgen. In diesem Kapitel sollen zunächst allgemeine Charakteristika der herausgearbeiteten Positionierungsaktivitäten dargestellt werden.

Obwohl hier eine qualitative Analyse vorgenommen werden soll, ist es für einen groben Überblick sinnvoll, sich zunächst ein paar quantitative Tendenzen anzuschauen. Da beide Sprecher geringfügig unterschiedlich viele Positionierungen vorgenommen haben (B 95, S 88), werden im Folgenden prozentuale Anteile genannt, um die Vergleichbarkeit zu gewähr-leisten. Beide Sprecher – Bushido (B) und Sido (S) – nehmen überwiegend SP in der Ez vor, sie sprechen also vermehrt über sich im Hier und Jetzt. Die zweithäufigste Positionierung ist bei beiden die FP in der Ez. B nimmt nur eine SP in der eZ vor und keine FP in der eZ. Auch bei S sind die Positionierungen in der eZ deutlich in der Unterzahl: 9% aller seiner Positio-nierungen sind SP und 2% sind FP in der eZ. Es kristallisiert sich also eine Tendenz zu selbstbezüglichen Positionierungen heraus, die vorrangig in der Ez vorkommen, sodass man sagen kann, dass beide Sprecher es vorziehen, über ihr gegenwärtiges Ich zu sprechen als über ihre Vergangenheit.

Betrachtet man die Positionierungen beider Gäste isoliert voneinander, so kann man noch weitere Tendenzen und auch Unterschiede herausfiltern. Während die Positionierungen von B zu fast 50% positiv sind, fallen bei S nur knapp über ein Drittel positiv aus. Beide tätigen negative Positionierungen, die etwa ein Viertel aller Positionierungen ausmachen, und der Anteil der neutralen Positionierungen liegt für B bei knapp 32% und für S bei ca. 36%. B nutzt also vorrangig positive und neutrale Positionierungen, während das Verhältnis von positiven, negativen und neutralen Positionierungen bei S fast ausgeglichen ist. Dennoch überwiegen auch bei S die positiven und neutralen Positionierungen geringfügig. Beide Sprecher konstruieren demnach viele positive Selbst- und Fremdbilder, die einer vorteilhaften Selbstdarstellung oder Fremdcharakterisierung dienen, wobei auch die Art der FP Auswirkungen darauf hat, wie man sich selbst positioniert.

Anhand der unten stehenden Säulendiagramme kann man sehen, wie sich die unter-schiedlich konnotierten Positionierungen jeweils verteilen.

Was auf den ersten Blick auffällt ist, dass die SP und FP in der Ez jeweils ähnlich verteilt sind. Bei den SP gibt es mehrheitlich positiv konnotierte, wenig negative und einen Anteil von neutralen Positionierungen, der weniger als die positiven, aber mehr als die negativen ausmacht. Bei den FP gibt es nahezu einen Ausgleich der unterschiedlich konnotierten Positionierungen. Die ausgewählten Sprecher versuchen demnach, mithilfe von Positio-nierungsaktivitäten ein positives Bild von sich nach außen zu tragen, und zeigen in Bezug auf andere Personen eine differenzierte Darstellungsweise. Deutlich größere Unterschiede weisen die Positionierungen in der eZ auf. Während B in dieser Zeitebene ausschließlich positiv von sich spricht, überwiegen bei S die negativen SP deutlich. Aufgrund der Abwesen-heit von FP in der eZ bei B ist hier kein Vergleich mit S möglich, wobei letzterer in der entsprechenden Zeitebene lediglich neutrale FP vorgenommen hat und dieses Ergebnis somit wenig aussagekräftig ist. Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass B sich auch in Bezug auf sein vergangenes Ich nur positiv äußert, um ein gänzlich positives Bild von sich zu erschaffen, wohingegen S stark zwischen seinem heutigen, positiveren Ich und seinem vergangenen, offensichtlich negativeren Ich distinguiert. Auch die Abwesenheit von Positionierungen hat eine bestimmte Wirkung. Im Falle von B können die fehlenden FP in der eZ entweder auf Unwichtigkeit von anderen Personen in seiner Vergangenheit zurück-zuführen sein, oder aber B unterscheidet bei seinen Erzählungen wenig bis gar nicht zwischen seiner Vergangenheit und der Gegenwart. Letzteres wäre die plausiblere Antwort, da die FP (in der Ez) bei ihm fast ein Drittel ausmachen, sodass die fehlenden FP in der vergangenen Zeitebene evtl. durch pauschalisierende FP in der Ez kompensiert werden. Daraus lässt sich ableiten, dass B keinen Unterschied zwischen seinem früheren und seinem heutigen Ich macht.

Ein Aspekt, der bisher noch nicht beleuchtet wurde, ist die Verteilung der Positionierungen auf die Erzählzeit. Da der Ausschnitt von B knapp 22 Minuten dauert und der von S nur ungefähr 13 Minuten, wäre es naheliegend, dass B deutlich mehr und unterschiedliche Positionierungen vorgenommen hat als S. Dem ist jedoch nicht so: Während man bei B etwa 95 unterschiedliche Positionierungen zählt, sind es bei S mit 87 unterschiedlichen Positionierungen fast gleich viele. Grund dafür ist höchstwahrscheinlich die Tatsache, dass B zwar viele Positionierungen vornimmt, aber oft dieselben. So schreibt er sich durch sein Sprechverhalten oft die SP (in der Ez) als selbstbewusst oder witzig zu, während S quantitativ gesehen gleichmäßig viele verschiedene Positionierungen vornimmt.

6. Übereinstimmende Positionierungen

Die folgenden Positionierungen werden lediglich mit exemplarischen Transkriptausschnitten belegt, treffen jedoch gleichermaßen auf beide Sprecher zu. Sie sind zudem bei B und S vermehrt aufgetreten, sodass sie bewusst von den Sprechern vorgenommen wurden und somit eine zentrale Rolle in den Positionierungen einnehmen.

6.1. Positive Selbstdarstellung

Auf die detaillierte Darstellung von einigen Positionierungen wird an dieser Stelle verzichtet, da sie für das Gesprächssetting einer Talk-Show typisch sind und bereits im Projektbericht ausreichend betrachtet wurden. Es handelt sich dabei um die SP als Erzähler bzw. primärer Sprecher, die FP des Moderators und der mithörenden Studiogäste und Zuschauer als interessierte Zuhörer, die SP als selbstbewusst, die SP als witzig und unterhaltsam und die SP als höflich.

Soziale Abgrenzung durch Sprache

Eine weitere allgemeine Positionierung geht aus dem Sprachbild der beiden Personen hervor, das sich sehr ähnelt, jedoch von der Sprechweise der anderen Studiogäste und der der Moderatoren abweicht. Beispielsweise artikulieren B und S den palatalen Frikativ [ç] gehäuft als palato-alveolaren Frikativ [ʃ] in Wörtern wie „ich“, „mich“ oder „nicht“, sie verwenden viele Partikel wie „so“, „ne“ ([nə]) oder „äh“ bzw „eh“ oder „ähm“ und zudem kann man ihren Sprachgebrauch als überwiegend umgangssprachlich beschreiben. Letzteres wird vor allem durch umgangssprachliche Ausdrücke und Wörter belegt. Durch diese Sprechweise markieren beide Talk-Show-Gäste ihre Herkunft und soziale Zugehörigkeit zur Hip-Hop-Szene. Sie positionieren sich als ursprünglich einer anderen sozialen Schicht zugehörig, in der eine so geartete Sprechweise der Normalität entspricht. Denn obwohl die Ausdrucksweise der anderen Talk-Show-Gäste auch nicht schriftsprachlichen Normen entspricht, so weist die Sprache von B und S dennoch deutlich mehr umgangssprachliche Elemente auf. Durch ihre Sprache grenzen sie sich von den anderen Gästen ab und wahren ihre Vergangenheit, die sich teilweise in der sozialen Unterschicht abgespielt hat. Ebenso drückt es die Zugehörigkeit zur Hip-Hop- bzw. Rapper-Szene aus, da ein solches Sprachbild in dieser musikalischen Szene dem normalen Sprachausdruck entspricht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zuvor wird B gefragt, wie es zusammen passe, dass er in seiner Musik einerseits über das Elend im Ghetto spricht und andererseits gerade in eine hochmoderne Villa einzieht. Betrachtet man diesen Abschnitt, so fällt auf, dass sich seine Sprechweise am Anfang deutlich von der am Ende unterscheidet, da er ab Zeile 143 in seinen dialektähnlichen Ausdruck wechselt. Denn obwohl er hauptsächlich in der oben genannten Weise spricht, kann er trotzdem auch ohne diesen dialektähnlichen Sprachausdruck reden, was bedeutet, dass er seinen Sprachausdruck bewusst wählt und sich somit auch bewusst dafür entscheidet, sich von den anderen Anwesenden sprachlich abzugrenzen[4]. Die zweite Hälfte des obigen Transkriptsausschnittes zeichnet sich durch eine stark umgangssprachliche Ausdrucksweise aus, da er „isch“ (Zeile 143) anstatt „ich“ (Zeile 137) sagt, Wörter wie „rumhäng[en]“ (Zeile 146), „boah“ (Zeile 148) und „ey“ (Zeile 148) verwendet und viele Partikel benutzt („so“ Zeile 146, „ähm“ Zeile 143, „eh“ Zeile 145). Außerdem verwendet er das Wort „mitleidisch“ (Zeile 145), welches nicht Teil des deutschen Wortschatzes ist, wodurch der umgangssprachliche Charakter seiner Sprechweise unterstützt wird.

SP als erfolgreich

Obwohl oder gerade weil beide Musiker in der Vergangenheit offensichtlich gesellschaftliche Fehltritte begangen haben, sind sie in Deutschland sehr bekannt und mit ihrer Musik erfolgreich. Dies konstatiert auch S in dem folgenden Ausschnitt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 „3nach9“ am 09.07.2010

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

J fragt nach der Besonderheit eines MTV Unplugged Albums, welche S daraufhin erläutert. Er nennt Namen vieler großer Musiker und Bands, die ebenfalls ein solches Album aufnehmen durften und beschreibt es außerdem als Ehre. Vor allem der Aspekt der Ehre beinhaltet, dass derjenige, der sie erhält, dieser würdig ist und etwas erreicht hat oder etwas kann, was andere nicht können oder erreicht haben. Letzteres bedeutet wiederum, dass S sich als jemand definiert, der diese Kriterien erfüllt. In diesem Kontext bedeutet das, dass er entweder schon vor dem Album sehr erfolgreicher Hip Hopper war, oder er zeigt damit, wie erfolgreich er nun ist, da er ein solches Album herausgebracht hat. Dadurch, dass er auch quantitative Angaben zu den erschienenen Alben macht („der fünfzigste […] auf der ganz[e]n welt“ Zeile 241f, „der siebte in deutschland“ Zeile 242f), untermalt er die Besonderheit, da daraus hervorgeht, dass es für Musiker nicht selbstverständlich ist, ein MTV Unplugged Album herausbringen zu dürfen. Die Künstler, die das machen dürfen, sind demnach speziell ausgesucht, sodass man davon ausgehen kann, dass S ein besonders guter und erfolgreicher Künstler ist. Er nennt es mehrfach eine Ehre, was die Außerordentlichkeit bekräftigt. Anschließend zählt er viele Bands und Musiker mit einem solchen Album auf und sagt, dass er sich „in große nam[en] [einreiht]“ (Zeile 245). Durch diese gleichstellende Metapher setzt er seinen musikalischen Erfolg mit denen der anderen genannten Künstler gleich und definiert sich selbst somit als ebenso erfolgreich. Dass ihm eine besonders große Ehre zuteil wird, begründet er mit der Tatsache, dass er der erste Hip Hopper sei, der ein MTV Unplugged Album machen darf. Insgesamt nutzt er all diese Mittel, um sich selbst als erfolgreichen Musiker zu positionieren.

SP als ehrlich/authentisch

Eine weitere SP beider Sprecher ist die als ehrlicher und authentischer Mensch bzw. Musiker. An dieser Stelle soll ein Beispiel von S zeigen, wie er diese SP vornimmt. S spricht kurz vorher über seinen „Arschficksong“ und die Tatsache, dass dieser von den Medien großgemacht wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 „3nach9“ am 09.07.2010

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 „3nach9“ am 09.07.2010

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Am Anfang distanziert sich S deutlich von dem Vorwurf, nur polarisieren bzw. „pöbeln“ (Zeile 306) zu wollen, da er seine Songtexte aus einer anderen Intention heraus schreibe. Er erläutert, dass seine Songs immer ein Ausdruck seiner aktuellen Lebenslage sind, da er den Anspruch an sich habe, immer so authentisch wie möglich zu sein. Diese explizite SP wird durch die offene Körperhaltung und die Handgesten unterstützt. Er wiederholt, dass seine Musik sich immer so anhöre, wie sein Leben zu dem Zeitpunkt sei, und betont dabei das „wie“ (Zeile 315). Diese Aussage bekräftigt nicht nur seine Authentizität, sondern lässt auch erkennen, dass ihm seine Musik als Identifikationsebene dient: Er identifiziert sich über seine Musik und seine Musik drückt aus, wer er ist. Durch die Wiederholung und die Betonung bekräftigt er seine vorherige explizite SP als authentischer und somit ehrlicher Musiker bzw. Mensch. Außerdem kontrastiert er diese selbstzugeschriebene Eigenschaft mit der Vor-stellung, die andere Leute von ihm und seinen Intentionen haben, welche er argumentativ zu widerlegen versucht. Seine SP als authentischer und ehrlicher Künstler ergibt sich demnach aus einem kontrastierendem Vergleich, der expliziten Selbstcharakterisierung als authentisch und der Tatsache, dass er sich über seine Musik identifiziert und diese gleichzeitig zur Dar-stellung seiner selbst nutzt.

SP als respektvoll

Die SP als respektvoll geht aus einer respektvollen FP einer anderen Person hervor. Nichtsdestotrotz ist es auch wichtig zu analysieren, welches Selbstbild jemand erschafft, wenn er oder sie in irgendeiner Art und Weise über jemand anderes spricht. In diesem Fall spricht B respektvoll über Stefanie Heinzmann, die auch Musikerin ist.

59 B: [genau] wie stefanie zum beispiel für die isch

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 „3nach9“ am 25.01.2008

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Er sagt, dass er für Stefanie gevotet (Zeile 60) , also abgestimmt hat, er hat ihr also in Form von einer bzw. zwei SMS seine Stimme gegeben. Für jemanden abzustimmen steht immer in Verbindung mit Wohlwollen dieser Person gegenüber, da man sie unterstützen möchte. Dadurch, dass B ihr wohlwollend gegenübersteht, scheint er das, was sie macht, gut zu finden und zollt ihr seinen Respekt, indem er sie durch das Abstimmen unterstützt. Er fügt hinzu, dass er dies heimlich getan habe, da seine Freunde ihn dafür ausgelacht haben. Dadurch kontrastiert er außerdem das respektlose Verhalten – jemanden auslachen – mit seinem respektvollen Wohlwollen Stefanie gegenüber. Er positioniert sich also indirekt durch eine FP selbst als respektvoll und verdeutlicht seine SP durch die Abgrenzung von dem gegensätzlichen Verhalten seiner Freunde.

SP als gesittet/vernünftig

Eine weitere SP, die bei B und S vermehrt auftaucht, ist die als gesitteter und vernünftiger Mensch. Wie B diese SP vornimmt, soll an einem Beispiel gezeigt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 „3nach9“ am 25.01.2008

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 „3nach9“ am 25.01.2008

B spricht kurz vor Beginn dieses Ausschnittes von seiner Verbundenheit zur eigenen Mutter und wie seine Kritiker darauf reagieren. Zunächst beschreibt er sein Verhalten vom Standpunkt seiner Kritiker aus und nennt sich indirekt „uncool“ (Zeile 800). Dann wechselt er wieder in die Ich-Perspektive und kreiert eine fiktive Situation, in der er sich laut seiner Kritiker wiederfinden könnte. In dieser geht es um Prostituierte, Drogen- und Waffenbesitz sowie das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit in einem teuren Auto. Nachdem er diese konstruierte Szene beschrieben hat, macht er eine kurze Pause und schließt die Geschichte mit „so“ (Zeile 805) ab. Obwohl er im Anschluss die nebenordnende Konjunktion „und“ verwendet, folgt die Darstellung seiner kontrastierenden Realität als „Spießer“ (Zeile 805). Er beschreibt seine Tätigkeiten zu Hause, dass er ordentlich sei und den Garten pflege, um seine Zuhörer von der SP als vernünftiger und gesitteter Mensch zu überzeugen. Dabei erklärt er die Aktivitäten mit einfachen Satzkonstruktionen („und […] wenn […] dann“ Zeile 806f) und in gleichmäßigem Tempo, damit ihm jeder folgen kann. Dadurch, dass er selbstverständliche Arbeiten beschreibt, als wären sie besonders kompliziert und ungewöhnlich, zeigt er selbstironisch, dass seine Kritiker ihm ein solches, normales Verhalten nicht zugetraut hätten. Was er an dieser Stelle macht, ist das Gegenüberstellen von seiner empfundenen Realität seines Alltags und der seiner Meinung nach verdrehten Vorstellung von Kritikern ihm gegenüber. Durch die Selbstironie macht er einerseits deutlich, dass das Bild, das seine Kritiker von ihm haben, nicht der Wahrheit entspreche, und andererseits setzt er an dieser Stelle Humor ein, um den Unterhaltungswert zu steigern. Vor allem durch Ersteres erzeugt er die SP als gesittet und vernünftig.

6.2. Voreingenommenheit der Kritiker

Im Gegensatz zu den gerade erörterten Sp in der Ez sind die in dieser Kategorie identifizierten Positionierungen quantitativ so ausgewogen verteilt, dass nur wenige heraus-stechen und außerdem nur die wenigsten FP bei beiden Sprechern gleichermaßen zu finden sind. Dennoch konnte eine frequente FP herausgearbeitet werden, die nun erläutert werden soll.

FP als voreingenommen

Eine der wenigen übereinstimmenden FP ist die folgende: B und S positionieren Menschen, die sie kritisieren, als voreingenommen und vorurteilsbelastet, was in diesem Ausschnitt mit S gezeigt werden soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 „3nach9“ am 09.07.2010

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bevor S die FP vornimmt, erläutert er seinen Standpunkt zur Musikrichtung Hip Hop und beschreibt einen Wandel, den diese Musik durchgemacht habe. Durch sein MTV Unplugged Album meint er beobachtet zu haben, dass die Allgemeinheit Hip Hop nun ernster nehme als vorher. Außerdem begründet er die Bezeichnung von Hip Hop als Musik damit, dass sein Album sehr musikalisch geworden sei. Im Anschluss an diese Anmerkung nimmt er die FP seiner Kritiker als voreingenommen vor. Er formuliert seine Aussage, dass Hip Hop als „uftze uftze […] buschmusik verschrieb[en]“ (Zeile 264f) sei im Passiv und schreibt ein derartiges Denken somit der Allgemeinheit zu. Danach begründet er seine Äußerung, indem er sich an G wendet und berichtet, dass er ähnlich denke. Es folgen weitere passiv formulierte, negative Eigenschaftsbeschreibungen des Hip Hop („plumpe musik“ Zeile 273, „jug[e]nd scheiß“ Zeile 274), mit denen er auch durch seine Mimik (Zeile 273) deutlich macht, dass er diese Meinung nicht teilt. Er kontrastiert diese Vorstellung der Allgemeinheit mit seinem Bild des Hip Hops und nennt ihn mehrmals „ri[…]chtige musik“ (Zeile 276). Dadurch möchte er deutlich machen, dass die negative und vorurteilsbelastete Vorstellung der Allgemeinheit über Hip Hop falsch sei und nicht auf Tatsachen beruhe, da er mit seinem MTV Unplugged Album das Gegenteil bewiesen habe. Daraufhin äußert sich ein Studiogast skeptisch und anklagend, dass S in dem zuvor gezeigten Video wie „der nette räpper von nebenan“ (Zeile 280) wirke, was in seinen Augen offensichtlich nicht der Wahrheit entspreche. S reagiert und charakterisiert sich als „ganz normal[…]“ (Zeile 281) und entgegnet sein Unverständnis darüber, warum so viele („ihr“ Zeile 283) das Gegenteil von ihm erwarten. Nach Zeile 286 geht es bereits um ein anderes Thema, sodass hier die FP abgeschlossen ist. S konstatiert also mehrmals durch Beispiele (sein musikalisches Album und sein Dasein als normaler Mensch), dass das Bild, welches die Allgemeinheit und seine Kritiker von ihm haben, nicht der Wahrheit entspreche und diese durch Vorurteile voreingenommene, falsche Urteile über ihn fällen.

[...]


[1] Beim Turn-by-Turn-Talk oder auch „ turn -Wechsel” sind die Äußerungslängen der Interaktionsteilnehmer ausgewogen auf diese verteilt (vgl. Glück 2010: 729).

[2] Für die Erzählwürdigkeit einer Erzählung „spielen nicht nur ‚Relevanzsetzungen‘ durch den Erzähler eine Rolle, sondern auch die Bearbeitung und Würdigung des Erzählten durch die Zuhörer. Um in einer Erzählung Relevanzsetzungen und das Erzählenswerte, die Pointe deutlich zu machen, werden nicht nur sprachliche, sondern auch stimmliche und körperliche, insbesondere mimische und gestische Ressourcen genutzt“ (Gülich 2008: 408f).

[3] Infotainment wird hier als „Mischform von informierender Unterhaltung, die allen Talk-Shows als General-Intention zugrunde liegt“ (Löffler 2002: 2322) verstanden.

[4] „gesellschaftliche Differenzierung […] [schlägt sich] in der Sprache nieder[…]“ (Scheutz/Haudum 2008: 298)

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Positionierung von gesellschaftlich umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens in einer Talk-Show
Hochschule
Universität Bielefeld  (Linguistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
83
Katalognummer
V445626
ISBN (eBook)
9783668826267
ISBN (Buch)
9783668826274
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Positionierung, Erzählen, Talk-Show, Bushido, Sido
Arbeit zitieren
Melanie Jankrift (Autor:in), 2016, Positionierung von gesellschaftlich umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens in einer Talk-Show, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/445626

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Positionierung von gesellschaftlich umstrittenen Personen des öffentlichen Lebens in einer Talk-Show



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden