Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem ‘Wandervogel’, der ersten, durch das kreative und selbstverantwortliche Streben der Jugend Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Bewegung. Schon allein die Novität dieser Erscheinung im Vergleich zur staatlich gelenkten Jugendpflege und ihren Institutionen wäre Grund genug, sich diesem Thema zu widmen. Im Folgenden soll der ‘Wandervogel’ jedoch unter einem ausgewählten Gesichtspunkt, namentlich seiner Involviertheit in die ‘Inversionsdiskussion’ der 1920er Jahre betrachtet werden. Zum Teil waren Wandervogelmitglieder wie Hans Blüher aktive Mitgestalter dieses Diskurses, zum anderen geriet der Bund durch die Natur seines Aufbaus und die Publikationen Blühers in den Verdacht, Rekrutierungsorgan älterer Homosexueller zu sein. Einschätzungen wie etwa die Kröhnkes, im Wandervogel wären "erstmals in der Neuzeit Homosexuelle selbstbewußt und mit ersten Ansätzen zum Bekenntnis der eigenen Liebe und mit Stolz auf sie hervor[ge]treten" müssen kritisch betrachtet werden. Zur Homosexualität als geschlechtlicher Handlung gibt es im Wandervogel nur in äußerst wenigen Fällen verläßliches und aussagekräftiges Beweismaterial. Das mag dem gesellschaftlichen Klima bzw. der weitgehenden Tabuisierung der Homosexualität im frühen 20. Jahrhundert geschuldet sein oder am schlichten Fehlen des Tatbestandes liegen. Von einem ′selbstbewußten Bekenntnis zur Homosexualität′ kann nur in Einzelfällen die Rede sein. Ein Problem der Literatur, die den Wandervogel als eine Homosexuellenbewegung sieht, scheint in diesem Zusammenhang ein häufig ungenauer Umgang mit der Terminologie zu sein. So werden Homosexualität und Homoerotik selten bzw. inkonsequent voneinander geschieden oder gar synonym gebraucht - ähnlich wie dies in der Auseinandersetzung der zeitgenössischen Printmedien mit dem Wandervogel teilweise geschah.
Diese Arbeit versucht deshalb vielmehr der Frage nachzugehen, warum ausgerechnet der ‘Wandervogel’ zu einem der Brennpunkte der Inversionsdebatte werden konnte und von welcher Qualität diese Debatte war. Um den Umfang dieser Arbeit nicht über ein akzeptables Maß hinaus auszudehnen, mußte die Darstellung der Entwicklung der Wandervogelbewegung sehr verkürzt erfolgen. Der daraus resultierenden Vereinfachung komplexer Sachverhalte wurde durch den Verweis auf weiterführende Literatur versucht entgegenzuwirken.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zum Thema
- Zu den Quellen
- Zum Thema in der Forschung
- Der Wandervogel: Von der Gründung bis 1914
- Anfänge der Bewegung
- Der Wandervogel als 'Päderastenclub'
- Die Affäre Jansen
- Homosexualität und gesellschaftliches Klima um 1900
- Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen
- Wandervögel im Ersten Weltkrieg
- Der Wandervogel in der Weimarer Republik
- Entwicklung bis 1933
- Wandervogel und Inversionsdiskussion
- Zusammenfassung und Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem 'Wandervogel', einer Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie untersucht die Involviertheit der Bewegung in die 'Inversionsdiskussion' der 1920er Jahre und analysiert, warum der 'Wandervogel' zum Brennpunkt dieser Debatte wurde. Die Arbeit beleuchtet die Rolle von Hans Blüher und anderen zeitgenössischen Denkern und versucht, die Qualität der Inversionsdebatte zu verstehen.
- Die Rolle des 'Wandervogel' in der 'Inversionsdiskussion' der 1920er Jahre
- Die Entstehung und Entwicklung der 'Inversionsdiskussion'
- Die Beziehung zwischen Homosexualität und der Jugendbewegung
- Die Rezeption der 'Inversionsdiskussion' in zeitgenössischen Printmedien
- Der Einfluss von Hans Blüher auf die Debatte um die 'mann-männliche Liebe'
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor, die sich mit dem 'Wandervogel' im Kontext der 'Inversionsdiskussion' beschäftigt. Sie beleuchtet die Bedeutung der Bewegung im Vergleich zur staatlich gelenkten Jugendpflege und verdeutlicht die kontroverse Rolle des 'Wandervogel' in der Debatte um Homosexualität.
Der Wandervogel: Von der Gründung bis 1914
Dieses Kapitel beleuchtet die Anfänge der Wandervogelbewegung und beleuchtet den Kontext, in dem die Bewegung entstand. Es analysiert die Behauptung, dass der Wandervogel eine 'Päderastenclub' war, untersucht die Affäre Jansen, den gesellschaftlichen Kontext um 1900 und die Frage, ob die Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen betrachtet werden kann.
Wandervögel im Ersten Weltkrieg
Dieses Kapitel betrachtet die Entwicklung der Wandervogelbewegung im Kontext des Ersten Weltkriegs.
Der Wandervogel in der Weimarer Republik
Dieses Kapitel beleuchtet die Entwicklung des Wandervogels in der Weimarer Republik bis 1933 und untersucht die Rolle der Bewegung in der Inversionsdebatte.
Schlüsselwörter
Wandervogel, Inversionsdiskussion, Homosexualität, Jugendbewegung, Hans Blüher, Elisabeth Busse-Wilson, Johann Plenge, Zeitgenössische Printmedien, Homoerotik, Reformpädagogik, Gustav Wyneken, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, 'Platonischer Eros', Frauenemanzipation, Väterlicher Autoritätsverlust, Verlängerte Adoleszenzphase.
- Quote paper
- David Ronneburg (Author), 2002, Die Homosexualitätsdiskussion in und um den deutschen Wandervogel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45512